Rede von
Eberhard
Pohlmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe fünf Legislaturperioden dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung angehört,
einem Ausschuß, der sicherlich zu den fleißigsten und den arbeitsintensivsten gehörte. In diesen vielen Jahren hat es manchen harten politischen Kampf gegeben, ohne den auch Fortschritt nicht möglich wäre, aber — ich möchte das hier ausdrücklich hervorheben — es hat auch ein hohes Maß an Kollegialität gegeben, wofür ich mich ausdrücklich bedanke, insbesondere auch bei dem Vorsitzenden dieses Ausschusses, Herrn Glombig,
obwohl Sie auch zum Schluß Ihrer langen Amtszeit hier im Deutschen Bundestag nicht gerade freundlich mit uns umgegangen sind. Aber wir kennen Sie und schätzen Sie, Herr Glombig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, in meiner letzten Rede vor diesem Hohen Haus zum Thema der Anerkennung der Kindererziehungszeiten im Rentenrecht sprechen zu können, einer Sache, die der Arbeitsminister Blüm zu Recht, wie ich meine, als den großen sozialpolitischen Fortschritt bezeichnet hat. Sie wissen, daß wir allen Müttern helfen wollen, auch den Müttern, die vor 1921 geboren sind, auch den Müttern, die in ihrem Leben vielleicht keinen eigenen Rentenanspruch erworben haben. Sie kennen unsere Stufenregelung. Wegen der Kürze der Zeit kann ich sie hier nicht noch einmal darstellen. Wichtig ist aber, daß nach unseren Vorstellungen in vier Jahren bei allen — und ich betone hier: bei allen — Müttern Kindererziehungszeiten anerkannt werden.
Das ist ein großer Schritt nach vorn.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß unsere Regelung trotzdem nicht überall auf Zustimmung stoßen wird. Aber auch in der Sozialpolitik sollte das erste Gebot Solidarität heißen. Solidarität ist auch dann unerläßlich,
wenn die Schatten des Wahlkampfes schon tief fallen. Die schlimmen Folgen, wenn man Sozialpolitik zu kurzfristiger Bedürfnisbefriedigung benutzt, ohne die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung unseres Volkes in die Zukunft hinein im Auge zu behalten, haben wir bitter zu spüren bekommen. Schmerzhafte Reparaturen waren notwendig.
Deswegen lassen Sie mich den Wunsch äußern, daß wir der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung immer einen hohen Rang einräumen, auch vor den vielen Wünschen, die Sie wie wir in bezug auf die Fortentwicklung der Sozialpolitik haben. Man kann nur das verteilen, was man wirklich in der Kasse hat.
Das Thema Anrechnung der Kindererziehungszeiten ist im Grunde kein Feld für Polemik. Nach meiner Überzeugung hätte es auch einen breiten Konsens verdient. Deswegen bedaure ich, daß Sie versuchen, aus dieser Sache Wahlkampfkapital zu schlagen. Auf der einen Seite wecken Sie bewußt Emotionen nach dem Motto: Diese böse Regierung läßt jene Generation von Müttern, die Aufbauarbeit geleistet haben, die in schwierigen Zeiten ihre Kinder großziehen mußten, im Stich.
Auf der anderen Seite — das ist im Grunde das Infame — verschweigen Sie, daß Ihr Gesetzentwurf mit der scheußlichen Bezeichnung „Trümmerfrauen-Babyjahrgesetz" 700 000 Mütter ausgrenzt, die deshalb keinen Pfennig erhalten, weil ihnen keine Rente zusteht.
Die Mutter, die nicht berufstätig war, aber beispielsweise sieben Kinder geboren und erzogen hat, geht bei Ihnen leer aus.
Ich finde das höchst ungerecht und unsozial.
Nehmen sie die Handwerkerfrau, nehmen Sie die Landfrau, die Witwe eines Postboten, die Witwe eines kleinen Einzelhändlers, der nicht der Rentenversicherung angehörte: Alle diese Müttter bekommen nach Ihren Vorstellungen nichts, auch nicht einmal stufenweise.
Sie wollen ferner den Zuschlag zur Witwenrente nur geben, wenn der Mann am 1. Januar 1986 tot war. Stirbt er später, beispielsweise 1987 oder 1988, erhält die Frau keinen Pfennig, egal wie viele Kinder sie in ihrem Leben großgezogen hat.
Ich finde, das ist ein schreiendes Unrecht, für das es im Grunde keine einzige vernünftige Begründung gibt.
Sie wollen die Kriegerwitwen, die in der schweren Nachkriegszeit ihre Kinder alleine aufgezogen und die vor 1986 wieder geheiratet haben, leer ausgehen lassen.
Sie werden verstehen, daß wir unter diesen Umständen — ich habe nur einige wenige Gründe genannt — Ihrem Gesetzentwurf unsere Zustimmung
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 247. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. November 1986 19139
Pohlmann
versagen müssen. Sie setzen mit Ihrem Gesetzentwurf genau die Tradition des Modells eines Babyjahrs von 1972 fort, das nur denjenigen zugute kommen sollte, die auch ohne Anrechnung von Kindererziehungszeiten bereits einen Rentenanspruch hatten.
Sie begünstigen nach wie vor praktisch nur die erwerbstätigen Frauen und nicht die Hausfrauen.
Lassen Sie mich auch folgendes deutlich sagen: Ihre Vorstellungen sind finanziell unvertretbar. Das, was Sie vorschlagen, ist nicht solide.
Ein weiterer Grund für unser Nein ist die Tatsache, daß Sie mit Ihrem Entwurf dem Zufall Tür und Tor öffnen. Es ist nämlich nicht damit getan, einfach die Jahrgangsgrenze zu streichen; denn dann müßten auf einen Schlag die Versicherungsbiographien von mehr als 4 000 000 Frauen neu erstellt oder neu aufgearbeitet werden. Das erfordert einen immensen Verwaltungs- und Zeitaufwand.
Aber es wäre reiner Zufall, ob auch vor 1921 geborene Mütter alsbald nach Inkrafttreten des Gesetzes, ein Jahr später, zwei Jahre später oder noch später in den Genuß der Rentenerhöhung kommen. Was Sie vorschlagen, ist eine Stufenlösung nach dem Zufallsprinzip. Da wollen wir nicht.
Lassen Sie mich auch diese Frage noch stellen, meine Damen und Herren von der Opposition: Wie halten Sie es eigentlich mit den Müttern, die nicht bereits Rente beziehen und weniger als fünf Kinder haben, die also ihre Versicherungszeiten nachweisen und gegebenenfalls Nachversicherungsbeiträge leisten müßten? Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich alles den 70jährigen, den 80jährigen oder den älteren Frauen zumuten? Wollen Sie das wirklich? In Ihrem Entwurf steht das.
Wir lehnen das ab, weil wir es für die älteren Menschen für unzumutbar halten.
Bei uns bekommen die älteren Mütter das Baby-j ahr unabhängig von erziehungsrechtlichen Voraussetzungen und unabhängig von Beitragsnachentrichtungen oder anderen Bedingungen. Sie bekommen ohne Wenn und Aber pro Kindererziehungsjahr 25 DM. Die Alteren kommen als erste an die Reihe; das halte ich für sachangemessen und gerecht.
Meine Damen und Herren, ich habe an dem berühmten Wahlsonntag Herrn Brandt sehr aufmerksam zugehört. Er will das Thema „mehr Gerechtigkeit" in den nächsten Wochen deutlicher ansprechen.
Hoffentlich vergißt Herr Brandt nicht, darauf hinzuweisen, daß Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit für die Mütter nichts getan haben, obwohl die Kassen damals voll waren.
Wir wollen in der Tat mit unserer Regelung mehr Gerechtigkeit schaffen. Wir reden nicht darüber, sondern wir schlagen hier ein neues Kapitel „mehr Gerechtigkeit" auf;
denn die größte Ungerechtigkeit sind überhaupt keine Kindererziehungszeiten oder Kindererziehungszeiten für eine bestimmte Gruppe von Müttern.
Hier hätten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, eine große Chance, den vielen Worten Taten folgen zu lassen. Sie kritisieren aber nur, obwohl Sie selbst nichts zustande gebracht haben.
Das ist keine vernünftige, das ist keine gute Opposition. Sie sehen den Wahlkampf, Sie sehen den 25. Januar und nutzen jede Gelegenheit, die ältere Generation zu verunsichern.
Ich sage noch einmal, dieses Thema, verehrter Herr Glombig, hätte breiten Konsens verdient. Wir wollen den sozialen Fortschritt, und zwar Schritt für Schritt, mit Augenmaß für das finanziell Mögliche.