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ID1022805300

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    Plenarprotokoll 10/228 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 228. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 Inhalt: Wahl des Abg. Hiller (Lübeck) zum Schriftführer als Nachfolger des Abg. Heyenn . 17659A Begrüßung des Außenministers der Republik Malta 17727 D Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushaltsgesetz 1987) — Drucksache 10/5900 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 — Drucksache 10/5901 — Dr. Dregger CDU/CSU 17659 B Schmidt (Hamburg) SPD 17668 B Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 17685 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 17692 B Frau Hönes GRÜNE 17703A Dr. Waigel CDU/CSU 17707 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17715B Dr. Barzel CDU/CSU 17721A Genscher, Bundesminister AA 17727 D Frau Borgmann GRÜNE 17731 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . 17734 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 17738 C Gansel SPD 17742 A Frau Seiler-Albring FDP 17745 B Lange GRÜNE 17747 D Dr. von Bülow SPD (Erklärung nach § 30 GO) 17751 C Vizepräsident Cronenberg 17721 A Vizepräsident Westphal 17742 A Nächste Sitzung 17751 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17753* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 17753* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 17659 228. Sitzung Bonn, den 10. September 1986 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17578* C: In der Anlage 32 ist die Vorlage Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für einen Entwurf einer Entschließung betreffend ein mittelfristiges Programm der Gemeinschaft (1986-1990) zur Chancengleichheit der Frauen (Drucksache 10/5627) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu streichen. Einzufügen ist: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Betriebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Umsatzsteuer (Vorsteuerbelastung) (Drucksache 10/5631) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 227. Sitzung, Seite 17585 D, Zeile 3: Statt „Zuruf von der CDU/CSU:" ist „Zuruf von der SPD:" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 12. 9. Antretter * 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Dr. Bugl 10. 9. Eigen 12. 9. Dr. Emmerlich 12. 9. Frau Fischer * 11. 9. Dr. Götz 12. 9. Dr. Haack 10. 9. Hanz (Dahlen) 12. 9. Heimann 10. 9. Jahn (Marburg) 10. 9. Klein (München) 10. 9. Dr. Klejdzinski * 11. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 10. 9. Dr. Kreile 12. 9. Dr. Kronenberg 12. 9. Dr. Kübler 10. 9. Landré 11. 9. Lenzer * 11. 9. Dr. Mitzscherling 12. 9. Dr. Müller * 12. 9. Nagel 12. 9. Frau Pack * 11. 9. Pöppl 12. 9. Reddemann * 10. 9. Dr. Riedl (München) 12. 9. Schlaga 10. 9. Dr. Schmude 10. 9. Sielaff 10. 9. Dr. Soell 12. 9. Voigt (Sonthofen) 12. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. Juni 1986 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Entlastung landwirtschaftlicher Unternehmer von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetz - SVBEG) Gesetz zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) Gesetz über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung) Erstes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundesrat geht bei seiner Zustimmung davon aus, daß im Vollzug des § 8 des Tierschutzgesetzes an die wissenschaftlich begründete Darlegung der Genehmigungsvoraussetzungen strenge Anforderungen gestellt werden. Die wissenschaftliche Darlegung muß den Verwaltungsbehörden die Grundlage für einen zuverlässigen Schluß auf das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen liefern. Die Verwaltungsbehörde darf sich selbst nicht auf die bloße formelle Prüfung, etwa ob der Genehmigungsantrag durch wissenschaftliche Gutachten belegt ist, beschränken. Sie hat sich vielmehr mit aller Gewissenhaftigkeit und unter Heranziehung der ihr zugänglichen Erkenntnisquellen zu überzeugen, daß die materiellen Voraussetzungen für den Tierversuch vorliegen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Juli 1986 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Erstes Gesetz zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes Zweites Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Fünftes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes Drittes Gesetz zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts Gesetz zu den Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sowie über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (Unterhaltsvollstreckungs-Übereinkommens-Ausführungsgesetz ) Gesetz zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes Gesetz zur Änderung tarifrechtlicher Bestimmungen im Seehafenhinterlandverkehr Fünftes Gesetz zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERPSondervermögens für das Jahr 1987 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1987) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Januar 1986 zur Änderung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1986 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1986 - BBVAnpG '86) Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz - AbfG) Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften Zu den drei letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat folgende Entschließungen gefaßt: 1. Der Bundesrat hält eine Erhöhung der Stundensätze der Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten für Polizeibeamte allgemein für gerechtfertigt. Er bittet die Bundesregierung, die Erschwerniszulagenverordnung alsbald entsprechend zu ändern. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die nach § 14 Abs. 2 des Abfallgesetzes zur Vermeidung oder Verringerung von Abfallmengen der Wirtschaft zu setzenden Frist möglichst kurz zu bemessen, zumal sich die Wirtschaft auf Grund der bereits geführten Gespräche hierauf einstellen konnte. Er geht davon aus, daß im Falle einer erkennbaren fehlenden Bereitschaft der Wirtschaft oder Teilen davon zur Reduzie- 17754* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 rung der Abfallmengen aus Einwegverpackungen die Bundesregierung auch ohne Fristsetzung von den Ermächtigungen des § 14 Abs. 2 Gebrauch macht. Die Bundesregierung wird gebeten, für solche Fälle umgehend entsprechende Rechtsverordnungen vorzubereiten. 3. Im Hinblick auf die in der Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gekommenen Bedenken gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzentwurfs bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bis zum 1. Januar 1989 einen Bericht über die praktischen Erfahrungen mit den novellierten Vorschriften vorzulegen. Dies gilt insbesondere für die neuen Regelungen im UWG über das Verbot der öffentlichen Werbung mit mengenmäßiger Beschränkung, das Verbot der öffentlichen Werbung mit Preisgegenüberstellungen sowie das nunmehr durchweg zivilrechtlich ausgestaltete Verfahren bei Räumungsverkäufen. Die in Drucksache 10/5706 unter Nummer 28 aufgeführte EGVorlage Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über die koordinierte Einführung des dienstintegrierenden digitalen Fernmeldenetzes (ISDN) in der Europäischen Gemeinschaft — auf dem Weg zu einem europaweiten Telematikmarkt — KOM (86) 205 endg. — Rats-Dok. Nr. 7308/86 ist als Drucksache 10/5933 verteilt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nüchtern und sehr informativ hat der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede — zu der ich ihn beglückwünsche — die soziale und wirtschaftliche Lage bilanziert. Das ist dann kraftvoll und mit farbfrohem Pinsel durch die Kollegen Dregger und Waigel, aber auch durch den Herrn Bundeskanzler zu einem Bild ausgemalt worden. Die Opposition hat versucht, es zu kritisieren, aber natürlich die positiven Tatsachen nicht wegreden können, wie die Redner der Koalition bewiesen haben. Es spricht ja für sich selbst, daß der Herr Kollege Ehmke eben seine Rede eröffnete, indem er den Vergleich Kohl/Schmidt suchte, also den nötigen Vergleich Kohl/Rau wohl scheute.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Und es spricht ja auch für sich, warum sich eigentlich der Ministerpräsident Rau hier bisher nicht gestellt hat.
    All das zeigt: Die Wende war nötig, und die Wende war erfolgreich. Sie wurde möglich durch die Entfernung der SPD von ihrem Kanzler, durch das Zutrauen der Union und die Entschlossenheit der FDP. Nach einer heftigen streitigen Debatte fand die Wende hier im Parlament durch eine legale und legitime Mehrheit statt.
    Man hatte mich damals gebeten, diese Debatte kontrovers mit Helmut Schmidt und der SPD für Helmut Kohl zu führen. Am 1. Oktober 1982 stritten wir, Herr Kollege Schmidt, zuletzt im Parlament — wie oftmals zuvor, wie früher mit Erler, mit Wehner, mit Dehler und vor allem mit Ihnen, Herr Kollege Brandt.
    Sie waren so freundlich, Herr Kollege Schmidt, mir ein gutes Wort zu schenken. Ich danke dafür. Sie wissen, daß ich Ihnen aufrichtig hohen Respekt erweise und Ihre verläßliche Haltung auch menschlich dankbar würdige.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Kein sachlicher Streit war imstande, unsere über Jahre gewachsene menschliche Beziehung zu belasten. Die vielen, die versucht haben, das hintenherum zu erreichen, haben immer auf beiden Seiten Bauchlandungen gemacht.
    Ich freue mich, daß Sie heute am Schluß Ihrer Rede in der Frage nach der geistigen Führung Ihre Pflöcke in die Nähe zu denen gesetzt haben, die ich in einer früheren Debatte versucht habe, Ihnen nahezubringen. Natürlich hat politische Führung nicht geistige Führung zu ersetzen — das ist Sache von jedem, von den Kirchen, von Wissenschaft und Kunst —, aber, so damals meine Forderung, politische Führung muß durch Wirken und Haltung die Wertvorstellungen und -entscheidungen des Grundgesetzes gerade in der jungen Generation lebendig halten. Ich freue mich, daß wir hier offensichtlich aufeinander zugehen.
    Dieser Vorrang für Geist schließt natürlich nicht aus — auch darin werden wir sicher übereinstimmen —, daß der Geist gelegentlich auch da weht, wo Politiker durch Werktagsarbeit ihre Sonntagsreden durchzusetzen versuchen. Die amtlichen Vertreter des Geistes sollten auch beherzigen, daß auch in diesem Hause geistvolle und vor allem geistige Arbeit geleistet wird.
    Aus der damaligen Debatte — 1. Oktober, wie gesagt — möchte ich nur, weil es, wie ich glaube, in diese Bilanz gehört, drei Sätze zitieren:
    Hier beginnt
    — so der erste Satz —
    eine neue Politik, die nicht nach mehr Staat, sondern nach mehr Bürgerfreiheit und mehr realer sozialer Gerechtigkeit verlangt.
    Nicht die faule Ausrede, anderswo sei es
    schlimmer, wird das Maß der neuen Mehrheit
    sein, sondern der Anspruch: Hier ist es besser.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben heute im ersten Teil des Ausflugs des Kollegen Schmidt wieder so ein bißchen diese alte Realität gespürt.
    Ich habe damals geschlossen: Wir trauen uns das zu.
    Meine Damen und Herren, wenn wir heute bilanzieren, muß man wohl sagen, diese Koalition ist auf einem guten Wege.

    (Zurufe von der SPD)

    — Die Opposition ist sicherlich auf einem Wege dazuzulernen, und das wird noch eine ganze Weile dauern; ich war lange ein Oppositionsführer.
    Ich würde gerne hinzufügen: Wenn sich das menschliche Verhältnis zu dem Kollegen Schmidt, von dem ich sprach, so entwickelt hat, dann hat das sicher auch damit zu tun, daß wir durch gemeinsame Arbeit gelernt haben, wo im Interesse des Ganzen der Konsens und wo der Streit seinen notwendigen Platz hat. Ich werde darauf zurückkommen.
    Ich würde gerne noch zu der Haushaltsrede des Herrn Kollegen Stoltenberg — auch mit dem Blick auf die Opposition — sagen: Hätten Sie zu Zeiten Ihrer Regierung je einen solchen Datenkranz vorlegen können, wie ihn hier Herr Stoltenberg in aller Ruhe vortrug, hätten Sie sicherlich — das darf ich so sagen — ein parlamentarisches Hochamt oder ein politisches Tattoo — wer das lieber so hören will
    — veranstaltet. Hier ging es schlicht und nüchtern



    Dr. Barzel
    zu, weil diese Arbeit so schlicht und nüchtern fortgesetzt werden sollte.

    (Zuruf von der SPD: Na, na! — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte aber festhalten, natürlich ist die Politik der Wende noch nicht im Ziel.

    (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

    Vieles ist erreicht, mehr bleibt zu tun. Die Arbeitslosigkeit lastet, Haushaltsrisiken sind unübersehbar wie günstige Auswirkungen auf unsere Entwicklung, auf die wir wenig Einfluß hatten oder haben.

    (Zurufe von der SPD)

    — Es ist doch fair, das einzuräumen; Dollar und Öl und usw.

    (Dr. Vogel [SPD]: Gut, wer es tut, bravo!)

    Zur Begründung beschränke ich mich auf drei Punkte:
    Erstens. Die wirtschaftlichen und sozialen Tatsachen sprechen eindeutig für die Wende wie dafür, diesen Kurs fortzusetzen.
    Zweitens. Indem die Koalition den von Bundeskanzler Helmut Schmidt bewirkten Nachrüstungsbeschluß durchsetzte, wandelte sich vieles. Es ist doch kritisch, zu fragen — auf allen Seiten des Hauses —, wie es wohl aussähe ohne diese konsequente deutsche Politik, aussähe zwischen Ost und West, in Europa, im Bündnis, j a, auch in der Politik mancher Nachbarländer. Natürlich wäre es töricht und überheblich anzunehmen, auf uns alleine komme es an. Ebenso wahr aber ist, daß vieles ohne uns nicht im Ziel ankäme.
    Und nun ist nicht Krieg, wie damals viele befürchteten, als wir diese Entscheidung im November hier trafen, die Folge dieser Konsequenz sind ein gesicherter Friede, ein entspannteres Klima zwischen Ost und West, das Treffen in Genf und die reale Chance, Frieden zu schaffen mit weniger Waffen.
    Drittens — das füge ich hinzu, weil es meines Erachtens in dieser positiven Bilanz zu sehr untergeht —: Der technologische Abstand zu Wettbewerbern auf dem Weltmarkt konnte verringert, die damals vorhandene verbreitete Technikfeindlichkeit überwunden werden. Respekt vor dieser Leistung! Sie ist wichtig für Gegenwart und Zukunft unseres Landes, das vom qualifizierten Export lebt und Vollbeschäftigung nur auf diesem Wege erarbeiten kann. Dieser Fortschritt gelang in relativ kurzer Zeit, weil — nehmen Sie das bitte nicht als Platitüde, sondern als die Erfahrung aus einem langen parlamentarischen Leben — Regierung und parlamentarische Mehrheit übereinstimmten —, ein Punkt, der nicht genug betont werden kann.
    Mit dieser Rede, für deren Gelegenheit ich danke — und ich danke ausdrücklich dem Herrn Außenminister, daß er mir hier den Vortritt gegeben hat —, will ich weder Schlachten der Vergangenheit neu schlagen oder auffrischen noch gar im Zorn zurückblicken. Rechthaberei war nie mein Thema. Die angenommene oder wirkliche Bedeutsamkeit früherer Kämpfe und Entscheidungen zu beurteilen — das obliegt allein dem Abstand geschichtlicher Betrachtung.
    Ich danke, daß ich mitwirken durfte, und möchte nun nach vorn blicken.
    Wieder gibt es in Deutschland — zu meiner Freude — nachdenkliche Gespräche, vor allem unter jungen Menschen, zunehmend mit Frauen, in denen — bald angstvoll, aber wohl doch zunehmend zuversichtlich — nach der Zukunft gefragt wird. Gerecht soll sie sein, gewaltlos, auch fröhlich und lebenswert. Auch nach der Zukunft der Demokratie, des Friedens und der Freiheit wird gefragt, und es wird auch geantwortet. Freilich sind nicht alle, die Antworten wagen, zugleich zu dem Wagnis bereit, sie durch entsprechendes öffentliches Handeln auch zu verantworten.
    Was die Fragen betrifft, so verstehe ich sie gut und stelle mich ihnen; denn auch wir haben ja einmal so gefragt: Mißbraucht oder entzaubert, kaum mündig aus dem Krieg heimgekehrt, fragten und suchten wir auch, trafen die Älteren und die aus dem Widerstand, die Anpasser wie die einfach übriggebliebenen, auch die Witwen, die Waisen, die Ausgebombten, die Vertriebenen, die Flüchtlinge. Wir alle hungerten — nicht nur aus dem Bauch, wenn ich das so sagen darf. Es war eine Zeit des geistigen und politischen Aufbruchs und des Fragens wie des Befragtwerdens. Die morschen Schlösser waren verfallen. Neuen Wegen und besseren Zielen galt das Bemühen. Alle Türen standen uns offen, auch beruflich.
    In und aus dieser schöpferischen Atmosphäre und vor dem Hintergrund leidvoller Erfahrungen entstand unsere Bundesrepublik Deutschland. Und die, die heute fragen und suchen, entdecken — oder meinen zu entdecken — Bastionen des Gewohnten. Sie klopfen zu oft, auch beruflich, an verschlossenen Türen. Einige neigen dazu, einzureißen, was ist, weil sie den Sinn des Kampfes für das mögliche Bessere nicht einsehen. Meine Damen und Herren, Ehrlichkeit gebietet, den Satz hinzuzufügen: Ein Stück dieser Wirklichkeit verantworten auch wir.

    (Beifall des Abg. Dr. Emmerlich [SPD])

    Wir verantworten zugleich, daß Zuversicht wächst und feste Orientierung Platz greift. Wir verantworten auch, daß wir in der längsten Periode unserer Geschichte leben, in der zugleich Frieden und Freiheit und Wohlfahrt wie die Chance zur friedlichen Reform als selbstverständliche Gegebenheiten gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie sind es nicht, meine Damen und Herren. Diese elementaren Bedingungen des Strebens nach Glück und der Wirklichkeit menschenwürdigen Lebens fielen und fallen nicht wie ein Geschenk vom Himmel. Sie sind Folge entschlossenen, bedachten, auch unpopulären politischen Handelns, eines Handelns, das aus der Geschichte gelernt hat. Dazu gehört auch die Lehre: Politik geht uns alle an, weil sie unser Schicksal mitbestimmt. Auf diesen politi-



    Dr. Barzel
    schen Punkt der Antwort nach der Zukunft will ich mich nun beschränken.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir mit unserer Demokratie Erfolg. Sie ist stabil. Einer der Gründe dafür ist, für mich — ich nehme auf, was ich eben zu Helmut Schmidt sagte —, daß Streit und Konsens sich in gutem Verhältnis zueinander eingependelt haben. Der freiheitliche und soziale Rechtsstaat braucht beides. Er braucht den Kompromiß und von Zeit zu Zeit auch den Wechsel von Regierung und Opposition.
    Die Verläßlichkeit und Stabilität der deutschen Demokratie aber erfordert, daß gewisse Grundentscheidungen über Wahlen und Wechsel hinaus feststehen und gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Vorsitz : Vizepräsident Westphal)

    Mit dem Blick nach vorn erfaßt mich zunehmend die Sorge, daß dieses unerläßliche Fundament brüchig werden könnte, daß der Streit auch den Bereich des für eine gute Zukunft der Demokratie unverzichtbaren Konsenses erfaßt. Ich will das an drei Punkten dartun:
    Erstens. Hier ist heute sowohl durch den Kollegen Dregger wie durch den Kollegen Schmidt die bedenkenswerte Rede von Herbert Wehner vom 30. Juni 1960 im Deutschen Bundestag in die Debatte eingeführt worden. Er hat damals in aller Form und verbindlich für die deutsche Sozialdemokratie erklärt — ich zitiere —:
    Die Bundesrepublik ist ein zuverlässiger Vertragspartner, gleichgültig ob die jetzige Regierung oder die gegenwärtige Opposition als Regierung die Geschäfte führt.
    Gestützt hierauf erwuchs der SPD Regierungsfähigkeit. Auf diesen Eckstein gestützt wurde zunächst die „Große", dann die „sozialliberale" Koalition möglich, weil diese Wechsel fundamentale Grundfeststellungen nicht mehr in Frage stellten.
    Als dann die SPD ihren Kanzler Helmut Schmidt mit seinem international gegebenen Wort allein ließ, endete, wie mir scheint, nicht zufällig, diese Regierung.
    Nun will die SPD erneut die Geschäfte der Regierung, um Wehners Worte aufzugreifen, übernehmen, aber internationale Verpflichtungen wie die Strategie der NATO, SDI und Nachrüstung auflösen. Dieser Vorgang ist nicht nur aus den Sachen zu diskutieren.

    (Zuruf von der SPD: Stimmt ja gar nicht!)

    - Ich komme gleich darauf zurück. Dieser Vorgang gehört zur Frage nach der Zukunft der Demokratie.
    Beide großen Parteien brauchen einander, weil die Demokratie beide braucht. So geht es alle an, wie es die deutsche Sozialdemokratie mit der fundamentalen Zusage von Herbert Wehner künftig halten wird. Sollte dieses Wort nicht mehr voll gelten, was ich nicht hoffe und auch nicht wünsche, so wäre das für unsere Demokratie schlimm, weil sich auf diese Weise Fragen nach Mehrheits- und Regierungsfähigkeit einstellten. Und schon diese Fragen beeinträchtigen unsere politische Stabilität.
    Alle unsere Nachbarn wollen ein verläßliches Deutschland mit einer berechenbaren Politik. Deutschland will gesicherten Frieden. Der aber ist, das ist erneut zu betonen, aus eigener Kraft nicht zu bewirken. Das Deutsche Reich Bismarcks konnte sich aus eigener Kraft Sicherheit geben. In dieser Lage sind wir nicht mehr. Wir haben es nicht mehr mit Rußland, wir haben es mit der Sowjetunion zu tun; wir leben im atomaren Zeitalter; wir haben diese Waffen nicht, wollen sie nicht und bekommen sie nicht. Deswegen ist der Frieden nur mit und von denen zu schaffen und gemeinsam zu gestalten, die über den Menschen und seine Würde denken und fühlen wie wir.
    Der „Wanderer zwischen beiden Welten" ist eine literarische Figur der Blauen Blume. Für unsere politische Verantwortung muß es heißen — ich wiederhole, was ich hier schon sagte —: Mit beiden Füßen fest im Westen stehen und nach Osten die Hand reichen, nicht das Standbein verändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Unsere Demokratie ist stabil, weil unsere Wirtschaft gesund und erfolgreich arbeitet. Ich meine, nur wenn die Grundentscheidung für die Soziale Marktwirtschaft gleichfalls Wahlen und Wechsel überdauert, wird das so bleiben. Soziale Marktwirtschaft ist der Zwillingsbruder der politischen Demokratie. Man hat in Diktaturen versucht, sie als eine Technik anzuwenden, und ist damit gescheitert. Man hat in Demokratien versucht, etwas anderes zu machen, und erlebte sozialen und wirtschaftlichen Niedergang. So geht die Verläßlichkeit aller in dieser wichtigen Frage auch alle an. Auch hier schaden schon die Fragezeichen, die leider unübersehbar produziert werden.
    Eduard Pestel ist zu danken, daß er, angelehnt an andere, „Instrumente" zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit verschiedener Gesellschaften angeboten hat. Er ging davon aus, daß die Menschen in ihrem Leistungspotential im Durchschnitt gar nicht so unterschiedlich seien. Das Ergebnis der Leistung aber sei abhängig von der Gesellschaftsordnung. Diese finde ihren Ausdruck in drei Komponenten: den in der Gesellschaft dominierenden Werten, dem Staatsaufbau und dem Wirtschaftssystem. Die Harmonie dieser Komponenten sei die Bedingung des Erfolges.
    Diese Erkenntnis über diesen nicht auflösbaren Zusammenhang zwischen Wertvorstellung, Staatsform und Wirtschaftsordnung sowie die Abhängigkeit des sozialen und wirtschaftlichen Erfolges von dem Gleichklang dieser drei Bauelemente für das Ganze ist, so meine ich, in ihrer fundamentalen Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Deshalb: Festhalten an der Sozialen Marktwirtschaft, die die Entsprechung der Harmonie dieser drei Elemente ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Drittens. Wir haben politisch und sozial Erfolg, weil wir, wie ich meine, Partnerschaft gestalteten



    Dr. Barzel
    statt Klassenkampf zu treiben. Auch das ist fundamental — wie der Verfassungsauftrag, die Menschenrechte durch konkrete Politik für alle immer mehr alltagswirksam erfahrbar zu machen. Reale Freiheit heißt das oder Freiheit durch soziale Gerechtigkeit oder — Herr Baum war so freundlich, in einer früheren Debatte daran zu erinnern, daß ich das geschrieben habe — „Der Mensch als Hoheitsträger".
    Aber auch bei diesem dritten Punkt, bei der Partnerschaft, gibt es Töne, welche die besorgte Frage nach Verläßlichkeit und Dauerhaftigkeit dieses Fundaments unseres demokratischen Erfolgs aufwerfen. Meine Damen und Herren, sozialer Frieden ist ein hohes Gut. Er ist ohne Partnerschaft nicht zu haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    — Es ist heute früh — ich erinnere nicht mehr, von wem — von Adenauer und Böckler und der Mitbestimmung gesprochen worden. Ich habe an dieser Stelle geklatscht. Ich hätte noch mehr geklatscht, wenn hinzugefügt worden wäre, daß dies ein Gedanke war, der aus der christlich-sozialen Welt kam, aus dem Katholikentag, und daß der erste Antrag hierzu von der Fraktion, für die ich heute zu sprechen die Ehre habe, kam,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Lang, lang ist es her!)

    als Sie — ich will hier gar keine Schlachten — noch viel von Sozialisierung sprachen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das wissen Ihre Leute gar nicht mehr!)

    Wenn das hinzugekommen wäre, würde es das Bild abrunden und würde es mir noch leichter gemacht haben, aus vollem Herzen hier zu klatschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich will es mit diesen drei Punkten sein Bewenden sein lassen. Spätere, die nach uns kommen, werden manches neu und anders machen. Ich kann nur raten — deshalb spreche ich hier —, Sie sollten vielleicht einen Blick auf diese drei Sorgen werfen, die hier jemand vorträgt, der Krieg und Unrecht und Unfreiheit erlebt hat und sich seit mehr als vierzig Jahren nach Kräften bemüht, politisch an der Gestaltung des besseren Deutschlands mitzuwirken.
    Zu diesen Merkpunkten gehört: Die Achtung des Grundgesetzes, auch der föderativen Ordnung, bleibt eine unerläßliche Bedingung für die Zukunft der Freiheit. Man sollte es — wie bisher — ohne Not nicht ändern. Das Hinwirken auf einen Zustand des Friedens, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, ist ein anderer unerläßlicher Baustein, wie ein lebensfrohes Berlin. Herr Kollege Schmidt, die Formel „die Teilung aushalten" genügt nicht. Und sie entspricht ja auch nicht der praktischen Politik, die Sie getrieben haben. — Ich nenne weiter die Freundschaft mit Frankreich wie mit den USA, die Vereinigung Europas, die atlantische Partnerschaft, das Bemühen um Israel und Polen sowie um ein nachbarliches Verhältnis zur Sowjetunion als wesentliche Punkte einer guten Zukunft Deutschlands, das eine europäische Friedensordnung anstrebt.
    Wir müssen zugleich, meine Damen und Herren, der Gewöhnung an das Unrecht in der DDR widerstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir dürfen da nicht blind oder taub werden. Ich spreche offen aus, daß mir wohler wäre, wenn so mancher von den Wortstarken, die von dieser Stelle aus gegen den Rassismus in Südafrika — mit Recht — protestieren, die gegen die Diktatur in Chile — mit Recht — protestieren, darüber nicht zu protestieren vergäßen, welche Menschenrechtsverletzungen wir täglich im anderen Teil Deutschlands ertragen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wen meinen Sie denn da?)

    Meine Damen und Herren, wer sich da, wie man heute zu sagen pflegt, „sachkundig machen" will, muß leider kein deutsches, sondern ein Dokument des Parlaments der USA zur Hand nehmen. Das Parlament der USA macht sich die Mühe, Jahr für Jahr einen sorgfältig erarbeiteten, belegten, wissenschaftlich fundierten „Bericht über die Lage der Menschenrechte in den Ländern der Welt" vorzulegen. Dieser Bericht vom Februar 1986 ist der neueste und enthält auf Seite 980 und folgende Mitteilungen über die DDR. Ich will aus dem Vorspann nur wenige Sätze hier in die Debatte einführen. Es heißt da:
    Trotz so gewaltiger Hindernisse wie der Mauer in Berlin bestehen zwischen den Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland tiefverwurzelte geschichtliche, kulturelle, sprachliche und familiäre Bande fort. Die Sorge, diese Bande und ständiger Kontakt mit westlichen Werten könnten den Rückhalt des kommunistischen Systems in der Bevölkerung untergraben, ist wesentlich für die strenge Überwachung der Menschen durch den Staat verantwortlich. Die DDR verfügt zu diesem Zweck über einen leistungsfähigen Sicherheitsapparat, der vom Innenministerium und vom Ministerium für Staatssicherheit verwaltet wird. Beide Ressorts zusammengenommen beschäftigen etwa 300 000 Personen. Mit Hilfe eines großen geheimpolizeilichen Apparats, zu dem noch Informanten hinzukommen, schränkt die DDR weiterhin Grundrechte wie die Gedanken-, Rede-, Religions-, Versammlungs- und Reisefreiheit ein. Die Geheimpolizei öffnet Post, installiert Abhörgeräte, läßt Personen überwachen, setzt sie Verhören und Einschüchterungsversuchen aus und nimmt Verhaftungen ohne öffentliches Verfahren vor ...
    Das wird dann Punkt für Punkt, Grundrecht für Grundrecht ausgeführt.
    Das ist nicht mehr bequem zu sagen, aber ich glaube, wir sind es den Deutschen in der DDR



    Dr. Barzel
    schuldig, das Unrecht, das sie ertragen müssen, nicht zu verschweigen. Und wir sind es wohl auch uns selbst schuldig, die Kraft der Unterscheidung zu pflegen und zu erhalten;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    denn, meine Damen und Herren, Neutralismus beginnt doch immer, wo in den Köpfen die Unterscheidungen sich einnebeln. Und Mahatma Gandhi, den viele junge Menschen heute gern zitieren, sagte doch: „Ich wünsche Wahrheit". — Dies gehört zur Wahrheit.

    (Tatge [GRÜNE]: Er hat aber auch andere Sachen gesagt!)

    Wir haben nicht, wie man es so oft lesen und hören muß, auch manchmal aus berufenem Munde lesen und hören muß, „zwei Bündnisse", sondern einen freiwilligen, kündbaren Zusammenschluß der Freien und einen durch die Rote Armee zusammengezwungenen Block.

    (Lange [GRÜNE]: Und Blockfreiheit!)

    — Und Blockfreie. Ich spreche jetzt nur gegen den Begriff der „zwei Bündnisse".
    Frankreich trat bekanntlich aus der militärischen Organisation der NATO aus, und in der Tschechoslowakei marschierten bekanntlich die Kommunisten ein, als sich dort, nur für die Innenpolitik, neue Gedanken Bahn brachen. Es ist auch verderblich, gedankenlos von „den beiden Blöcken" zu sprechen; aufzufordern, sich „in den jeweiligen Bündnissen für mehr Beweglichkeit" einzusetzen, die Ost-WestSpannung — das sind alles Zitate — „in eine ziemlich scharfe Konfrontation der Führungskräfte" umzudeuten, die bloße „Verteidigungsfähigkeit" der NATO einzufordern — eines Bündnisses, das nie den ersten Schuß abgeben kann und will und wird; das weder in der CSSR einmarschiert ist noch in Afghanistan militärisch aktiv geworden ist.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Was ist mit Nicaragua?)

    — Das ist nicht das Bündnis.
    Es bleibt, meine Damen und Herren, nötig, das Zugleich von Demokratie und Wehrpflicht zu erhalten, und — um auch etwas Nettes über Ihren Beschluß zu sagen, denn was dort über die Wehrpflicht steht, ist sehr lesenswert und zeigt auch, daß es hier in dieser Frage noch Übereinstimmung gibt — es gilt natürlich, unsere Soldaten ehrenhaft zu behandeln.
    Was ich, meine Damen und Herren, über das Parlament, an dem mein Herz hängt, sage und zu sagen hatte, habe ich im September 1984 vorgetragen. Das gilt für mich Wort für Wort.
    Ich möchte aber im Zusammenhang mit den grundsätzlichen Punkten und im Hinblick auf Ihre Rede, Herr Kollege Ehmke, doch noch eine Frage stellen. Es ist eine Frage, die so wichtig ist, daß sie durch einen Sprecher der Opposition klar beantwortet werden sollte, am besten natürlich durch ihren Parteivorsitzenden. Es ist heute zu meiner Freude noch einmal vom Harmel-Bericht die Rede gewesen, sowohl beim Kollegen Schmidt als auch bei Ihnen, Herr Ehmke. Der Harmel-Bericht stammt aus dem Jahre 1967. Außenminister war damals Willy Brandt. Wir haben dem Bericht alle zugestimmt, auch alle Mitgliedstaaten der NATO.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr richtig!)

    Ich habe mich gestern vergewissert, daß er in der NATO noch gilt, und daß man sich immer noch auf ihn beruft. In diesem Bericht heißt es — ich zitiere —:
    Die Atlantische Allianz hat zwei Hauptfunktionen. Die erste besteht darin, eine ausreichende militärische Stärke und politische Solidarität aufrechtzuerhalten, um gegenüber Aggressionen und anderen Formen von Druckanwendung abschreckend zu wirken und das Gebiet der Mitgliedstaaten zu verteidigen, falls es zu einer Aggression kommt.
    Seit ihrer Gründung hat die Allianz diese Aufgabe erfolgreich erfüllt. Aber die Möglichkeit einer Krise kann nicht ausgeschlossen werden, solange die zentralen politischen Fragen in Europa, zuerst und zunächst die Deutschlandfrage,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    ungelöst bleiben. Außerdem schließt die Situation der Unstabilität und Ungewißheit noch immer eine ausgewogene Verminderung der Streitkräfte aus. Unter diesen Umständen werden die Bündnispartner zur Sicherung des Gleichgewichts der Streitkräfte das erforderliche militärische Potential aufrechterhalten und dadurch ein Klima der Stabilität, der Sicherheit und des Vertrauens schaffen. In diesem Klima kann die Allianz ihre zweite Funktion erfüllen: die weitere Suche nach Fortschritten in Richtung auf dauerhaftere Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können. Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar.
    Dieses Zitat schien mir notwendig, meine Damen und Herren — Sie merken aus den Besorgnissen, die ich äußere, was mich in dieser Stunde bewegt —, weil ich mich frage, wie dieser HarmelBeschluß wohl vereinbar sein soll — ich zitiere ja nicht Zeitungen und nicht aus irgendeiner Rede eines noch so wichtigen Kollegen auf einem Parteitag, sondern ich studiere Dokumente — mit dem Beschluß des Parteitags von Nürnberg. Wie dieser Beschluß von Nürnberg „Unser Weg zu Abrüstung und Frieden" mit dem Harmel-Bericht vereinbar sein soll, müßte man versuchen zu erklären. Ich weiß nicht, ob es Ihnen gelingt.

    (Zuruf von der SPD: Der Beschluß war einstimmig!)

    Sie werden diese Frage beantworten müssen, denn die Antwort wird fundamental sein. Sie wird die Runde machen innerhalb der NATO, und sie wird die Runde in Deutschland machen.
    Für mich, meine Damen und Herren, ist beides zugleich nicht vereinbar. Man kann nicht aus jedem



    Dr. Barzel
    Entweder-Oder ein unverbindliches Sowohl-AlsAuch machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Der Harmel-Bericht gibt diese Aufgaben doch dem Bündnis; dieser Beschluß gibt sie Europa. Das sind zwei Dinge. Es gibt viele andere Punkte. Ich bin sicher, daß andere Kollegen im einzelnen dazu sprechen werden.

    (Abg. Dr. Ehmke [Bonn] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Bitte schön, Herr Kollege Ehmke.