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ID1022805100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/228 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 228. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 Inhalt: Wahl des Abg. Hiller (Lübeck) zum Schriftführer als Nachfolger des Abg. Heyenn . 17659A Begrüßung des Außenministers der Republik Malta 17727 D Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushaltsgesetz 1987) — Drucksache 10/5900 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 — Drucksache 10/5901 — Dr. Dregger CDU/CSU 17659 B Schmidt (Hamburg) SPD 17668 B Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 17685 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 17692 B Frau Hönes GRÜNE 17703A Dr. Waigel CDU/CSU 17707 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17715B Dr. Barzel CDU/CSU 17721A Genscher, Bundesminister AA 17727 D Frau Borgmann GRÜNE 17731 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . 17734 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 17738 C Gansel SPD 17742 A Frau Seiler-Albring FDP 17745 B Lange GRÜNE 17747 D Dr. von Bülow SPD (Erklärung nach § 30 GO) 17751 C Vizepräsident Cronenberg 17721 A Vizepräsident Westphal 17742 A Nächste Sitzung 17751 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17753* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 17753* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 17659 228. Sitzung Bonn, den 10. September 1986 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17578* C: In der Anlage 32 ist die Vorlage Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für einen Entwurf einer Entschließung betreffend ein mittelfristiges Programm der Gemeinschaft (1986-1990) zur Chancengleichheit der Frauen (Drucksache 10/5627) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu streichen. Einzufügen ist: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Betriebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Umsatzsteuer (Vorsteuerbelastung) (Drucksache 10/5631) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 227. Sitzung, Seite 17585 D, Zeile 3: Statt „Zuruf von der CDU/CSU:" ist „Zuruf von der SPD:" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 12. 9. Antretter * 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Dr. Bugl 10. 9. Eigen 12. 9. Dr. Emmerlich 12. 9. Frau Fischer * 11. 9. Dr. Götz 12. 9. Dr. Haack 10. 9. Hanz (Dahlen) 12. 9. Heimann 10. 9. Jahn (Marburg) 10. 9. Klein (München) 10. 9. Dr. Klejdzinski * 11. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 10. 9. Dr. Kreile 12. 9. Dr. Kronenberg 12. 9. Dr. Kübler 10. 9. Landré 11. 9. Lenzer * 11. 9. Dr. Mitzscherling 12. 9. Dr. Müller * 12. 9. Nagel 12. 9. Frau Pack * 11. 9. Pöppl 12. 9. Reddemann * 10. 9. Dr. Riedl (München) 12. 9. Schlaga 10. 9. Dr. Schmude 10. 9. Sielaff 10. 9. Dr. Soell 12. 9. Voigt (Sonthofen) 12. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. Juni 1986 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Entlastung landwirtschaftlicher Unternehmer von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetz - SVBEG) Gesetz zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) Gesetz über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung) Erstes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundesrat geht bei seiner Zustimmung davon aus, daß im Vollzug des § 8 des Tierschutzgesetzes an die wissenschaftlich begründete Darlegung der Genehmigungsvoraussetzungen strenge Anforderungen gestellt werden. Die wissenschaftliche Darlegung muß den Verwaltungsbehörden die Grundlage für einen zuverlässigen Schluß auf das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen liefern. Die Verwaltungsbehörde darf sich selbst nicht auf die bloße formelle Prüfung, etwa ob der Genehmigungsantrag durch wissenschaftliche Gutachten belegt ist, beschränken. Sie hat sich vielmehr mit aller Gewissenhaftigkeit und unter Heranziehung der ihr zugänglichen Erkenntnisquellen zu überzeugen, daß die materiellen Voraussetzungen für den Tierversuch vorliegen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Juli 1986 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Erstes Gesetz zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes Zweites Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Fünftes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes Drittes Gesetz zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts Gesetz zu den Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sowie über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (Unterhaltsvollstreckungs-Übereinkommens-Ausführungsgesetz ) Gesetz zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes Gesetz zur Änderung tarifrechtlicher Bestimmungen im Seehafenhinterlandverkehr Fünftes Gesetz zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERPSondervermögens für das Jahr 1987 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1987) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Januar 1986 zur Änderung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1986 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1986 - BBVAnpG '86) Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz - AbfG) Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften Zu den drei letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat folgende Entschließungen gefaßt: 1. Der Bundesrat hält eine Erhöhung der Stundensätze der Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten für Polizeibeamte allgemein für gerechtfertigt. Er bittet die Bundesregierung, die Erschwerniszulagenverordnung alsbald entsprechend zu ändern. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die nach § 14 Abs. 2 des Abfallgesetzes zur Vermeidung oder Verringerung von Abfallmengen der Wirtschaft zu setzenden Frist möglichst kurz zu bemessen, zumal sich die Wirtschaft auf Grund der bereits geführten Gespräche hierauf einstellen konnte. Er geht davon aus, daß im Falle einer erkennbaren fehlenden Bereitschaft der Wirtschaft oder Teilen davon zur Reduzie- 17754* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 rung der Abfallmengen aus Einwegverpackungen die Bundesregierung auch ohne Fristsetzung von den Ermächtigungen des § 14 Abs. 2 Gebrauch macht. Die Bundesregierung wird gebeten, für solche Fälle umgehend entsprechende Rechtsverordnungen vorzubereiten. 3. Im Hinblick auf die in der Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gekommenen Bedenken gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzentwurfs bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bis zum 1. Januar 1989 einen Bericht über die praktischen Erfahrungen mit den novellierten Vorschriften vorzulegen. Dies gilt insbesondere für die neuen Regelungen im UWG über das Verbot der öffentlichen Werbung mit mengenmäßiger Beschränkung, das Verbot der öffentlichen Werbung mit Preisgegenüberstellungen sowie das nunmehr durchweg zivilrechtlich ausgestaltete Verfahren bei Räumungsverkäufen. Die in Drucksache 10/5706 unter Nummer 28 aufgeführte EGVorlage Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über die koordinierte Einführung des dienstintegrierenden digitalen Fernmeldenetzes (ISDN) in der Europäischen Gemeinschaft — auf dem Weg zu einem europaweiten Telematikmarkt — KOM (86) 205 endg. — Rats-Dok. Nr. 7308/86 ist als Drucksache 10/5933 verteilt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Horst Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit besonders großem Interesse gehört, Herr Waigel, was Sie zum Asylrecht gesagt haben, weil das unsere Erfahrung bestätigt, daß diejenigen am lautesten schreien, bei denen die Verfahren am längsten dauern; denn im Freistaat Bayern dauern Asylverfahren bis zu sieben Jahren, im sozialdemokratisch regierten Hamburg zwei Jahre. Stellen Sie doch erst einmal diese
    Mißstände ab, bevor Sie wieder für eine Grundgesetzänderung plädieren.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie kennen doch genau die Gründe!)

    Ich möchte aber auf die Debatte von heute früh zurückkommen. Ich denke, daß sich die Bürgerinnen und Bürger, die heute vormittag dem Altbundeskanzler Helmut Schmidt zugehört haben, eigentlich gewünscht hätten, daß der amtierende Kanzler Helmut Kohl unmittelbar darauf geantwortet hätte. Das hat er nicht getan. Er hat Herrn Bangemann in der sicheren Erkenntnis zwischengelassen, daß nach Bangemann eine rhetorische Steigerung immer möglich ist.

    (Zuruf von der SPD: Bangemann, geh du voran! — Lachen bei der SPD)

    Unsere Bürgerinnen und Bürger können aber auch so sehr einfach einen Vergleich ziehen: hier Helmut Schmidt, der als Bundeskanzler die deutschen Interessen sowohl gegenüber dem Osten als auch im westlichen Bündnis mit Umsicht und Nachdruck vertreten hat, und da der Bundeskanzler Kohl, der im Osten neues Mißtrauen hat wachsen lassen und der im westlichen Bündnis, um Willy Brandt zu zitieren, immer schon Ja und Amen sagt, während in Washington noch gepredigt wird;

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    hier ein Mann, der uns mit Umsicht und Entschiedenheit und übrigens unter verantwortungslosen Angriffen der Unionsrechten den Terrorismus erfolgreich vom Leib gehalten und die Geiseln in Mogadischu befreit hat, und da ein Bundeskanzler, der heute samt seines Innenministers auch auf diesem Gebiet zeigt, daß er als Oppositionsführer den Mund zu voll genommen hat, denn so viel Gewalt wie heute gab es in der Bundesrepublik noch nie;

    (Beifall bei der SPD)

    hier ein Mann, der die Wirtschaftskrise besser als irgend jemand sonst in Europa gemeistert hat

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das glauben Sie ja selber nicht!)

    — besser als jeder sonst in Europa; gucken Sie sich die Statistiken an — und der nur durch den Umfall der wankelmütigen FDP um die Früchte seiner Arbeit gebracht wurde,

    (Lachen und Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unwürdig!)

    und da ein Mann, der es zusammen mit Herrn Bangemann unterlassen hat, den weltweit einsetzenden — wenn auch flachen — Aufschwung für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu benutzen und der die in der Bundesbank angesammelten Milliarden insoweit spurlos verpulvert hat.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Herr Ehmke, das haben Sie alles aufgeschrieben?)

    — Frau Berger, inzwischen ist es doch so, daß Kollegen aus der Union fragen: Was soll eigentlich im
    nächsten Abschwung werden, wenn die Arbeitslo-



    Dr. Ehmke (Bonn)

    senzahlen noch schneller wachsen, was wird dann eigentlich unsere Antwort sein? — Ich bin der Meinung, wir sollten diese Frage ernst nehmen, statt sie zu verdrängen.
    Hier ein Helmut Schmidt, der gemäß der Einsicht gehandelt hat, daß in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht weniger, sondern mehr soziale Gerechtigkeit gefordert ist, und da ein Helmut Kohl, der die Lasten der Krise den schwächeren Schultern aufbürdet, um der eigenen Klientel zu Diensten zu sein.

    (Beifall bei der SPD — Berger [CDU/CSU]: Nachweislich falsch!)

    Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal, was Hans Apel gestern gesagt hat: Die Politik dieser Koalition ist eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit. — Daß Herr Stoltenberg und — ähnlich — Herr Lambsdorff auf diese Vorwürfe in der Art von sozialen Herrenmenschen geantwortet haben, unterstreicht die Arroganz und die soziale Kälte Ihrer Politik.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Probst [CDU/ CSU]: Ehmke redet von Kälte!)

    Herr Kollege Kohl, ich habe mich gefreut, daß Sie dagegen eher soziale Kreide aufgelegt haben. Es gab allerdings zwei Ausrutscher. Der eine passierte, als ich Ihnen zurief, Sie sollten nicht nur im Zusammenhang mit dem Thema Kernkraftwerke von Arbeitsplätzen reden und an Arbeitsplätze denken. Darauf haben Sie so was gesagt — ich habe es nicht ganz mitbekommen — wie: „Professor Doktor Ehmke und Arbeitslose — da weiß ja jeder, was los ist." — Ich fürchte, keiner weiß, was Sie damit gemeint haben,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Doch! Wir haben das verstanden!)

    Sie selbst vermutlich auch nicht. Ich habe nur den Verdacht, Sie verstehen von Professoren und Doktoren so wenig wie von Arbeitslosen.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber, Herr Kohl, der kleine Ausrutscher mag noch auf Kosten unseres intensiven persönlichen Verhältnisses gehen.
    Schlimmer fand ich — dies meine ich jetzt wieder ernst —, daß Sie am Schluß dann doch noch Ihr verächtliches Wort von der „Straße" wiederholt haben. Ich finde es nicht gut, wenn ein CDU-Vorsitzender und Kanzler so über protestierende Bürger spricht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Darum meine ich, Helmut Schmidt hatte recht, als er in Nürnberg gesagt hat: Lange kann sich dieses Land eine solche Regierung nicht mehr leisten.

    (Beifall bei der SPD)

    Lieber Helmut, die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion möchten dir anläßlich dieser Debatte noch einmal Dank sagen für alles, was du in Jahrzehnten harter Arbeit und getreuer Pflichterfüllung in Hamburg und in Bonn, als Hamburger Senator, als Bundestagsabgeordneter, als Bundesminister und als Bundeskanzler für unser Land geleistet hast.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Trauerrede!)

    Wir stimmen dir darin zu, daß die Arbeit für eine politische Partei ihren tieferen Sinn darin findet, ihre Rechtfertigung daraus empfängt, daß sie zugleich Dienst für unser Land ist.
    Die Kollegen von der Koalition meinen nun immer, uns mit Häme — ein Lieblingswort des Bundeskanzlers — darauf hinweisen zu sollen, daß es in der SPD auch Debatten und Auseinandersetzungen mit Helmut Schmidt, auch als Bundeskanzler gegeben hat. Lassen Sie mich Ihnen darauf antworten: Wir sind stolz darauf, weder ein Kanzlerverein noch ein Club von Posten- und Pöstcheninhabern zu sein. Wir halten die offene Diskussion und nicht das Tabu, das freie Ringen um den besten Weg und nicht obrigkeitlichen Muff für das Lebenselement der Demokratie.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Darum mußte Helmut Schmidt gehen!)

    Wir wissen aber auch und haben das — nicht zu Ihrer Freude, ich weiß es — in Nürnberg noch einmal gezeigt, daß nach der Diskussion die Einkeit in der Aktion stehen muß, und wir sind dir, lieber Helmut, dankbar, daß du auf unserem Parteitag in diesem Sinne die Stafette an Johannes Rau weitergegeben hast.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Aber immerhin zwinkern Sie dabei!)

    Johannes Rau und wir stimmen mit Helmut Schmidt auch darin überein, daß Gemeinsamkeit der Demokraten in Grundsatzfragen der Nation gerade in Krisenzeiten notwendig ist. Führende Sozialdemokraten, Johannes Rau und Willy Brnadt an der Spitze, haben gerade in den letzten Wochen betont, daß, so wichtig Wahlen sind, die großen Probleme unseres Landes nicht allein durch Wahlen gelöst werden können. Die Sanierung der Rentenversicherung und des Gesundheitswesen, die Finanz- und Steuerreform, die notwendige Umstrukturierung unserer Streitkräfte, das Umsteuern in der Energiepolitik erfordern breiten Konsens.
    Das öffentliche Echo auf diesen Vorstoß war gemischt.
    Die FDP oder viele in der FDP scheinen offenbar zu glauben, daß die FDP ihr Extrasüppchen um so besser kochen kann, je mehr sich die beiden großen Volksparteien in den Haaren liegen. In der Union gibt es aber nicht wenige, die so denken wie wir. Herr Bundeskanzler, ich hätte gern noch einmal ausgelotet, ob Sie zu diesen in der Union gehören. Sie haben vorhin in Ihrer Rede gesagt: Sie sind für dieses Angebot in bezug auf eine gemeinsame Lösung in der Frage der Alterssicherung dankbar. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch das Angebot der SPD-Führung annehmen würden, gemeinsam über den Umstieg in der Energiepolitik und wie man ihn bewerkstelligt zu reden und gemeinsam zu handeln;



    Dr. Ehmke (Bonn)

    denn, Herr Bundeskanzler, es wird nicht gehen — davon sind auch viele in ihren eigenen Reihen überzeugt, einige sagen es auch laut —, eine überholte und darum verfehlte Energiepolitik, koste es, was es wolle, weiter durchzuführen.

    (Dr. Probst [CDU/CSU]: Wenn Sie umsteigen, muß man Obacht geben!)

    Aber, Herr Bundeskanzler, darf ich jetzt auf ein Thema kommen, das wir schon mehrfach strittig behandelt haben. Wenn man tatsächlich eine solche Gemeinsamkeit sucht, die nichts mit Koalitionen zu tun hat — ich stimme Ihnen völlig zu Herr Waigel: Wir haben keine Sehnsucht nach Großen Koalitionen, völlig einverstanden —, dann frage ich mich, Herr Bundeskanzler, ob Sie uns z. B. Ihre Äußerung zu der Wahl des Bundespräsidenten Waldheim in Österreich nicht besser erspart hätten, genauso wie Sie unserem und dem amerikanischen Volk die peinliche Show in Bitburg besser erspart hätten.

    (Beifall bei SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

    Ich frage Sie, wenn Sie Gemeinsamkeit wollen, warum Sie dann in Sachen Mahnmal oder Haus der Geschichte nicht Gemeinsamkeit suchen, sondern durch die Art Ihres Vorgehens — administrativ Mehrheiten schaffen; laßt die anderen nur reden! — in einer wesentlichen Frage der Nation Zwietracht säen. Ich frage mich auch, warum Sie in Sachen Asyl einerseits Ihre Pflicht nicht tun — Sie können z. B. ohne jedes Gesetz so viel Personal in Zirndorf beschäftigen, wie Sie meinen, daß dort nötig ist —, und warum Sie sich andererseits weigern, mit uns das Grundrecht des Asyls und das Grundgesetz zu verteidigen. Statt dessen haben Sie die Verfassung zum Gegenstand wahltaktischer Verrenkungen gemacht.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, ich bin auch der Meinung: Wenn man grundsätzliche Gemeinsamkeit von Demokraten, über die Helmut Schmidt heute morgen gesprochen hat, ernsthaft will, dann sollten Sie der erste sein, der denen in Ihrer Partei entgegentritt, die meinen, daß „Deutschland, Deutschland über alles" eine besonders schlaue Wahlkampfmelodie sei. Es wäre besser, Sie würden zusammen mit uns Einigkeit und Recht und Freiheit verteidigen.

    (Beifall bei SPD)

    Was mit solchen dumpfen Appellen an Nationalismus im Ausland angerichtet wird, Herr Kohl,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    das habe ich in der vergangen Woche in Amerika — und nicht nur unter Emigranten — leider erst wieder erleben müssen. Denn die Welt hat dieses Lied auf Grund der Greuel der Nazi-Zeit leider mit Schrecken in Erinnerung. Darum kann ich nur sagen: Diejenigen, die dieses Thema spielen, wissen zwar genau, was sie tun, aber sie wissen offenbar nicht, was sie anrichten.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Wahlkampf posaunen Sie nun fröhlich „raus" mit durchgestrecktem Daumen — ach nein, es ist der linke — „Weiter so". Herr Kohl, Sie haben es zugelassen, daß Stahlhelmler — ich benutze ein Wort, das aus Ihrer Fraktion stammt — in Ihrer Fraktion durch verantwortungsloses Gerede über die Grenzen in Europa neues Mißtrauen gegen uns geweckt haben, und zwar nicht nur im Osten, auch im Westen. Weiter so?
    Sie, Herr Kohl, lassen volltönend über Menschenrechte in Chile und Afghanistan reden, aber in Südafrika stützen Sie aus kleinkarierter Schlauheit immer noch das Apartheid-Regime, obwohl Sie sonst doch so schnell Amerika folgen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie doch mal über die Deutschen in Ostdeutschland!)

    Im Falle Libyen, Herr Bundeskanzler, da verhalten Sie sich gegenüber der Frage der Unterstützung des Terrorismus so lauwarm, wie Sie sich gegenüber der unvertretbaren militärischen Überreaktion der Vereinigten Staaten verhalten haben. Weiter so?
    Sie, Herr Kohl, klagen andere der Menschenrechtsverletzung an. Aber Sie haben es in der Asylfrage lange geduldet, daß Fremdenhaß und Extremismus geschürt wurden. Das Verdienst, das in der Union abgebrochen zu haben, haben andere als Sie. Ich bin der Meinung, mit dem, was Sie uns hier an Turnübungen in der Asylfrage — Grundgesetzänderung ja, Grundgesetzänderung nein, hin und her — wochenlang gezeigt haben, haben Sie endgültig Ihren Spruch über den Anspruch auf geistig moralische Führung zur Farce, j a zur Karrikatur werden lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich muß auch sagen, daß ich Ihren ruhigen, angenehm ruhigen Darlegungen heute zu der Frage, was Sie in der Sicherheitspolitik getan haben, nicht zustimmen kann. Natürlich wollen wir alle den Frieden; natürlich wollen wir alle in den Rüstungskontrollverhandlungen ein Ergebnis. Aber, Herr Bundeskanzler, das Versprechen, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen, das haben Sie nicht eingehalten.

    (Beifall bei der SPD)

    In Wirklichkeit haben Sie zu einem neuen Raketenwettrüsten in Europa beitragen; in Wirklichkeit haben Sie der Produktion neuer, für Europa bestimmter, chemischer Waffen zugestimmt, während der amerikanische Kongreß mit seiner Zustimmung noch zögert; in Wirklichkeit haben Sie eine dreißigjährige gemeinsame Politik dieses Hohen Hauses in Sachen vollständiger Atomteststop durch taktische Winkelzüge in Frage gestellt. Sie waren auch heute bei einer anderen Position, als es die herkömmliche aller ihrer Vorgängerregierungen und des Deutschen Bundestages war; während ich den amerikanischen Kongreß loben muß, daß er auch in dieser Frage Linie hält, und zwar beide Häuser.

    (Beifall bei der SPD)

    In Sachen SDI haben Sie sich einmal mehr den außen- und sicherheitspolitischen Wünschen Wa-



    Dr. Ehmke (Bonn)

    shingtons untergeordnet, im übrigen Ihr mangelndes Urteilsvermögen in strategischen Fragen gezeigt — Helmut Schmidt hat das schon behandelt — und zusammen mit dem famosen Herrn Bangemann Ihre Unfähigkeit, die Interessen der deutschen Wirtschaft wahrzunehmen — wir müssen diese armen Leute nun immer trösten, wenn sie jetzt ankommen uns sagen: das hatten wir nun nicht erwartet —, in einem Maße unter Beweis gestellt, daß einem nur kohlschwarz vor Augen und zugleich bange werden kann. Weiter so? Bitte, nein.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, ich höre ja gerne, was Sie alles an Vorschlägen zu Papier gebracht haben. Aber um die größte Macht im westlichen Bündnis zu beeinflussen, da braucht man ein bißchen mehr als Papier. Ich sage Ihnen, daß uns viele Amerikaner, die mit der Reagan-Regierung nicht einverstanden sind, immer und immer wieder sagen, sie würden eine viel größere Chance in Sachen Atomtest, in Sachen chemische Waffen, in Sachen Rüstungskontrolle haben, wenn die Europäer eine einheitliche Linie in Washington mit Nachdruck vertreten würde. Aber die gibt es nicht, weil Bonn paßt.
    Das ist eigentlich der größte Vorwurf, den ich auf sicherheitspolitischem Gebiet gegen Sie erhebe, daß in diesen Wochen — das sind noch etwa zehn Wochen —, in denen sich entscheidet, ob angesichts der Initiativen der neuen sowjetischen Führung ein Durchbruch in der Rüstungskontrolle noch unter dieser Administration, noch in den Amtszeiten von Präsident Reagan gelingt, Sie sich so passiv verhalten haben; das ist keine Wahrnehmung deutscher und europäischer Interessen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die SPD hat auf ihrem Nürnberger Parteitag in der Außen-, der Sicherheits- und der Deutschlandpolitik, in der Europa- und der Nord-Süd-Politik in großer Einmütigkeit ihren Weg für die nächsten Jahre umrissen. Sie hat sich dabei nicht gescheut — anders als die Union —, auch zu schwierigen Fragen klar und unmißverständlich Stellung zu beziehen.
    Wir wollen in Freundschaft mit unseren Verbündeten und im Frieden mit unseren Nachbarn leben, wir wollen die Spaltung Deutschlands und Europas überwinden, wir wollen die Achtung der Menschenrechte weltweit fördern und den Staaten der Dritten Welt ein fairer Partner sein. Wir wollen den Wahnsinn des Wettrüstens beenden und der Drohung der gegenseitigen atomaren Vernichtung mit einer Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen West und Ost begegnen. Obgleich Sie verantwortungslos genug sind, nun schon seit langem das westliche Bündnis durch die Behauptung zu schwächen, daß eine der großen Volksparteien dieser Republik nicht zum westlichen Bündnis steht, sage ich noch einmal: Wir sind für ein stabiles Bündnis, weil auch nur ein stabiles Bündnis — wir haben das ja erfahren — überhaupt zur Entspannungspolitik in der Lage ist.
    Herr Bundeskanzler, ich darf Ihnen eines sagen: Über unsere Freundschaft mit Amerika haben Sie nicht zu urteilen. Es wäre gut, wenn Sie im Interesse der Freundschaft der beiden Völker darauf verzichten würden, in billiger Weise Wahlkampfmunition daraus zu ziehen, daß wir in der Tat nicht so brav sind wie Sie, sondern Kritik an manchem haben, was die Reagan-Administration tut, und diese Kritik auch vorbringen, übrigens auch in Amerika vorbringen. Aber gucken Sie einmal, Herr Bundeskanzler: Daß jemand gegen Reagan-Politik ist, macht ihn genauso wenig anti-amerikanisch, wie die vielen Millionen Menschen, die in diesem Lande gegen Kohl-Politik sind, deswegen anti-deutsch sind.

    (Beifall bei der SPD)

    Was die Sozialisten und Sozialdemokraten in Europa betrifft, empfehle ich Ihnen, einmal die gemeinsame sicherheitspolitische Plattform zu lesen, die diese Parteien gerade für die nächste Runde der Diskussion verabschiedet haben. Aber eines ist wahr: Im Unterschied zu Ihnen wollen wir nicht Musterschüler in Washington sein, sondern wir wollen ein selbstbewußtes Europa, das seine Interessen im Bündnis mit Nachdruck zur Geltung bringt und das im übrigen West- und Osteuropa durch ein immer engeres Netz von Beziehungen und Zusammenarbeit miteinander verbindet. Deshalb sind wir nicht nur Anhänger des westlichen Bündnisses, sondern auch überzeugte Anhänger der Bestrebungen, den KSZE-Prozeß vorwärtszutreiben, wie es übrigens dem Harmel-Bericht entspricht, der vom Bündnis gemeinsam verabschiedet worden ist, den — nicht wir — aber manche Leute im Bündnis vergessen zu haben scheinen.
    Unsere Unterstützung des KSZE-Prozesses ist Ausdruck der Einsicht, daß Frieden und Sicherheit primär politische, nicht militärische Kategorien sind. Unsere Deutschlandpolitik, unsere Europapolitik, unsere Nord-Süd-Politik müssen insgesamt der Sicherheit und dem Frieden dienen. Unsere Nord-Süd-Politik darf z. B. nicht, wie es die Weltschuldenpolitik derzeit tut, zu weiterer sozialer Ungerechtigkeit und politischer Instabilität in den Entwicklungsländern beitragen. Sie muß diesen Ländern im Gegenteil im Interesse des Weltfriedens Hilfe zur Selbsthilfe leisten, statt sie durch die Art der Schuldentilgung, durch die Höhe der Zinsen, aber auch durch die verdammt niedrigen Rohstoffpreise, die Sie sich dann auch noch als Preisstabilitätserfolg ans Revers heften, weiter ins Elend zu treiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Europapolitik muß zur Überwindung des Nord-Süd- wie des Ost-West-Konflikts beitragen. Dabei muß sie vor allem dem Frieden und der Wiederherstellung der historisch gewachsenen Einheit ganz Europas dienen. Welch zentrales Verhältnis dabei unserem Verhältnis zu Polen zukommt, hat Helmut Schmidt hervorgehoben. Ich kann nur hoffen, daß uns die Reise der Delegation von Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion nach Polen in dieser Frage nun endlich wieder an einem Strang ziehen läßt.



    Dr. Ehmke (Bonn)

    Unsere Deutschlandpolitik — auch darin sollten wir einig sein — muß darauf ausgerichtet bleiben, daß vom deutschen Boden Werke des Friedens und nicht Kriege ausgehen.
    Aber auch unsere Sicherheitspolitik muß nicht nur unserer Verteidigungsfähigkeit, sondern mit dieser und über diese hinaus dem Frieden dienen, und davon handeln unsere Nürnberger Beschlüsse. Darum lassen Sie mich bitte noch einmal den Versuch machen, das Grundkonzept anzusprechen, das unseren Vorschlägen für eine Strategie der Kriegsverhütung, für eine Politik der Rüstungskontrolle zugrunde liegt. Es ist das Konzept der Sicherheitspartnerschaft, der gemeinsamen Sicherheit.
    Die Union und manche besonders schlauen FDPLeute

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die sind alle schlau!)

    bezeichnen das Konzept der Sicherheitspartnerschaft als Unterminierung westlicher Sicherheitspolitik, ja, als Abwendung vom westlichen Bündnis. Gleichzeitig werfen sie der SPD vor, sich von der Sicherheitspolitik Helmut Schmidts völlig entfernt zu haben.
    Sie haben offensichtlich entweder vergessen oder aber verdrängt, daß das Wort Sicherheitspartnerschaft von Helmut Schmidt stammt und daß er es nicht auf einer Parteikonferenz, sondern auf einer UNO-Konferenz, und zwar in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler, in die öffentliche Diskussion eingeführt hat.
    Ich verstehe Ihre Schwierigkeiten, die ja nicht nur Ihre Schwierigkeiten sind, sich mit diesem Konzept anzufreunden. Ich möchte aber noch einmal darum werben; denn ich bin der Meinung: Gerade in der Sicherheitspolitik ist ein neuer Konsens hier im Parlament wie in unserem Volke dringend erforderlich.
    Die Schwierigkeiten, die das Konzept der gemeinsamen Sicherheit zwischen Ost und West bereitet, beruhen nicht auf parteipolitischen Programmen oder kurzfristigen Überlegungen. Ich glaube, sie beruhen auf einer uralten Erfahrung der Menschheit, ja, vielleicht kann man sagen: auf einem während der Entwicklungsgeschichte der Menschheit entwickelten Instinkt, dem Instinkt nämlich, daß man gegenüber dem Nachbarn — sei es, daß er in einer Höhle, sei es, daß er in einem festen Haus wohnt — nur sicher ist, wenn man einen gleich großen oder noch besser einen größeren Knüppel hat als er. Wenn der Mensch auch keineswegs nur auf Streit, sondern auch auf Gemeinsamkeit und gegenseitige Hilfe angelegt ist — die Erfahrung, wenn es zum Streit ging, spricht für diese Verhaltensweise.
    Das Problem, vor dem wir stehen, ist, daß in einer Welt der Massenvernichtungsmittel dieser Instinkt selbstmörderisch zu werden droht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir haben mit Massenvernichtungswaffen glücklicherweise noch wenig Erfahrung. So grausam und furchtbar Hiroshima war, offenbar hat es nicht ausgereicht, das Wort von Einstein zu widerlegen, mit der Atombombe habe sich alles geändert, nur nicht das Bewußtsein der Menschen.
    Eine Politik der Überlegenheit — und das Streben nach Überlegenheit liegt dem Wettrüsten zugrunde — kann im Zeitalter der nuklearen und chemischen Massenvernichtungsmittel nur im gemeinsamen Selbstmord enden.
    Im Gegensatz zu allem, was die sogenannten Sicherheitsexperten, die Wörners und Weinbergers, sagen, ist die Wahrheit: Niemand, weder die Vereinigten Staaten noch die Sowjetunion, weder der Westen noch der Osten, kann seine Sicherheit heute einseitig errüsten.
    Wenn z. B. Präsident Reagan den ganzen Weltraum voller Waffen stopfen würde — und voller Atomreaktoren, die die Energie für diese Waffen liefern sollen —, wenn er noch mehr Schulden machen würde, ja, wenn er ganz Amerika verpfänden würde — Amerika wäre nicht sicherer, als es heute ist. Dasselbe gilt für die Sowjetunion. Sicherheit gibt es für West und Ost im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel nur noch gemeinsam oder für keinen von beiden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich bin der Meinung: Es würde sich lohnen, einmal die Antworten strittig zu diskutieren, die wir daraus in Nürnberg entwickelt haben, die Folgerungen, die sich aus dieser Einsicht für unsere Politik, für unsere Strategie und für die Struktur unserer Streitkräfte ergeben. Wir brauchen in Europa auf beiden Seiten — unsere Forderung richtet sich doch gerade auch an den Osten — eine Strategie der Kriegsverhütung sowie Streitkräfte und Streitkräftestrukturen, die zum Angriff, vor allem zum Überraschungsangriff, nicht fähig sind, wobei unsere Streitkräfte natürlich stark genug bleiben müssen, einen potentiellen Angreifer mit einem untragbaren Risiko zu belasten.
    Die Union hat auf Nürnberg leider nicht in der Weise der ernsthaften Diskussion reagiert — etwas anders die Kollegen von der FDP —, sondern hat in der für sie typischen Art die Auseinandersetzung durch Diffamierung ersetzt. Wir wundern uns darüber nicht. Herr Kohl, es ist j a noch nicht lange her, daß wir die Ostverträge, den Berlin-Vertrag, den UNO-Beitritt, ja, sogar die KSZE-Schlußakte in diesem Hohen Hause gegen den erbitterten Widerstand Ihrer Partei durchsetzen mußten.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie waren sich nicht zu schade, bei der Abstimmung über die Helsinki-Schlußakte, auf die Sie sich heute dreimal am Tag berufen, Arm in Arm mit den albanischen Kommunisten und den italienischen Neofaschisten nein zu sagen. Die CDU, die Union, die Neofaschisten in Italien und die Kommunisten in Albanien waren die einzigen drei Parteien, die gegen Helsinki gestimmt haben, und Sie wollen uns heute etwas über Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle erzählen!

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Ehmke (Bonn)

    Aber das ist vorbei. Heute gehört die damals so heftig bekämpfte Politik der SPD zu den Selbstverständlichkeiten unseres außenpolitischen Alltags.
    Ich sage Ihnen: Mit den Vorschlägen unseres Nürnberger Parteitages wird es ähnlich gehen. Heute noch von Ihnen verteufelt und als Beginn des Weltuntergangs apostrophiert, werden diese Beschlüsse morgen als zukunftsweisende Alternative zu einer immer sterileren und perspektivloseren Außen- und Sicherheitspolitik der derzeitigen Regierung von einer großen Mehrheit akzeptiert werden.
    Um hier einmal etwas Positives über Amerika zu sagen — Herr Waigel hat mich ja darauf angezapft — —

    (Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das fällt Ihnen aber schwer! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das wird auch Zeit!)

    — Es wird Ihnen aber nicht passen! Hören Sie gut zu: Ich fand es in der letzten Woche — ob das im Weißen Haus, im Kongreß, im Pentagon oder im State Department war — wieder erfrischend, mit welcher Selbstverständlichkeit die amerikanischen Konservativen mit uns darin übereinstimmen, daß das Schlimmste, was wir dem Bündnis antun könnten, die Tabuisierung der Probleme und der Schwierigkeiten wäre, vor denen die NATO heute steht.
    Was Sie machen, ist der Versuch, Probleme nicht anzupacken, sondern wegzudrücken. Atomenergie? Wegdrücken und stramm durch! Problem der atomaren Waffen, Problem der wachsenden Kriegsgefahr durch Entwicklung der Waffentechnologie? Wegdrücken! Gefahr für Europa durch SDI? Übertünchen mit Bündnistreue! Und so geht es weiter. Das ist das Schlimme, und da lobe ich mir die amerikanischen Konservativen, die wenigstens so viel Grips und so viel Mut haben, die Fragen zu diskutieren, statt sie unter den Teppich zu kehren.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Das galt nun aber nur für die Adresse der Union.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind eine Beleidigung für den Professorenstand!)

    Mein verehrter Herr Kollege Bundesaußenminister ist natürlich sehr viel beweglicher. Kaum präsentiert die SPD in ihren programmatischen Auseinandersetzungen neue Ideen, schon werden sie vom Koliegen Genscher aufgenommen. Begriffe wie „Sicherheitspartnerschaft", „Selbstbehauptung Europas", „neue Runde der Entspannungspolitik", ja, selbst „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" gefallen dem Kollegen Genscher so gut, daß er sie — freilich mit ein bißchen FDP-Zungenschlag — der staunenden Öffentlichkeit als eigene Politik präsentiert. Da lese ich doch — der Kanzler hat das vermutlich ganz übersehen — im regierungseigenen Bulletin vom 29. August — parallel zu unserem Parteitag —, daß der Herr Außenminister in Wien folgendes gesagt hat:
    Es gilt, kooperative Sicherheitsstrukturen in
    Europa zu schaffen, die bei Fortbestehen der
    Bündnissysteme so gestaltet sind, daß nach Bewaffnung, Ausrüstung, Struktur und geographischer Verteilung der Streitkräfte sowie nach jeweiliger Militärdoktrin jede Seite nur die Fähigkeit zur Verteidigung hat, nicht aber die Fähigkeit zu Angriff und Invasion.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich kann nur sagen: Bravo, Herr Genscher!

    (Beifall bei der SPD)

    Schreiben Sie weiter von der SPD ab oder parallel zur SPD; aber seien Sie dann bitte auch so anständig, Herr Genscher, Ihrem geliebten Koalitionspartner Franz Josef Strauß und Ihren eigenen Leuten zu sagen, daß Sie nicht beides tun können: auf der einen Seite die SPD kopieren und auf der anderen Seite sie in dieser unmäßigen Form, wie wir es erleben, zu diffamieren und runterzumachen.

    (Beifall bei der SPD)

    Gucken Sie: Wenn Ihr Herr Haussmann nach dem Nürnberger Parteitag davon spricht, die SPD habe die letzten Brücken zur Gemeinsamkeit abgebrochen,

    (Dr. Vogel [SPD]: Hej!)

    und Sie im gleichen Augenblick solche Artikel veröffentlichen: Herr Genscher, das ist doch verlogen; das haben Sie doch gar nicht nötig!

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Rumpf [FDP])

    — Ja, sehen Sie, das hat nicht nur eine innenpolitische Dimension, Kollege Rumpf. Denn diese Doppelzüngigkeit ist es ja, die die Politik dieser Bundesregierung draußen so unredlich und so unseriös erscheinen läßt.

    (Zuruf von der FDP: Ihnen glaubt doch keiner was! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP)

    Die einen sagen fast dasselbe wie wir, und die anderen diffamieren uns dafür. Die einen reden von Kontinuität in der Außenpolitik und von der Notwendigkeit des Dialogs, die anderen — darunter zahlreiche Möchtegern-Außenminister von Strauß bis Bangemann — betreiben die Wende auch in der Außenpolitik. Kein Wunder, daß niemand so recht weiß — und das gilt nicht nur im Osten, Herr Bundeskanzler, das gilt inzwischen auch für Washington —, was Sie denn nun eigentlich wollen.
    Wahrnehmung deutscher und europäischer Interessen ist so nicht möglich. Darum darf im Interesse unseres Landes nach meiner und meiner Freunde Überzeugung im Januar 1987 nicht die angesichts dieser Bilanz geradezu zynische Parole „Weiter so!" siegen, sondern es muß endlich wieder Politik für unser Land und für die große Mehrheit der Menschen in diesem Land gemacht werden.
    Schönen Dank für Ihre Geduld.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Als nächster spricht
der Abgeordnete Dr. Barzel.



Vizepräsident Cronenberg
Bevor Herr Dr. Barzel das Wort ergreift, muß ich dem Abgeordneten Suhr von den GRÜNEN

(Zuruf von den GRÜNEN: Schon wieder?)

für seinen Ausdruck „Heuchler" während der Rede des Abgeordneten Dr. Waigel einen Ordnungsruf erteilen.

(Dr. Vogel [SPD]: Das ruft der Waigel alle Tage!)

Herr Dr. Barzel, Sie haben das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nüchtern und sehr informativ hat der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsrede — zu der ich ihn beglückwünsche — die soziale und wirtschaftliche Lage bilanziert. Das ist dann kraftvoll und mit farbfrohem Pinsel durch die Kollegen Dregger und Waigel, aber auch durch den Herrn Bundeskanzler zu einem Bild ausgemalt worden. Die Opposition hat versucht, es zu kritisieren, aber natürlich die positiven Tatsachen nicht wegreden können, wie die Redner der Koalition bewiesen haben. Es spricht ja für sich selbst, daß der Herr Kollege Ehmke eben seine Rede eröffnete, indem er den Vergleich Kohl/Schmidt suchte, also den nötigen Vergleich Kohl/Rau wohl scheute.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Und es spricht ja auch für sich, warum sich eigentlich der Ministerpräsident Rau hier bisher nicht gestellt hat.
    All das zeigt: Die Wende war nötig, und die Wende war erfolgreich. Sie wurde möglich durch die Entfernung der SPD von ihrem Kanzler, durch das Zutrauen der Union und die Entschlossenheit der FDP. Nach einer heftigen streitigen Debatte fand die Wende hier im Parlament durch eine legale und legitime Mehrheit statt.
    Man hatte mich damals gebeten, diese Debatte kontrovers mit Helmut Schmidt und der SPD für Helmut Kohl zu führen. Am 1. Oktober 1982 stritten wir, Herr Kollege Schmidt, zuletzt im Parlament — wie oftmals zuvor, wie früher mit Erler, mit Wehner, mit Dehler und vor allem mit Ihnen, Herr Kollege Brandt.
    Sie waren so freundlich, Herr Kollege Schmidt, mir ein gutes Wort zu schenken. Ich danke dafür. Sie wissen, daß ich Ihnen aufrichtig hohen Respekt erweise und Ihre verläßliche Haltung auch menschlich dankbar würdige.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Kein sachlicher Streit war imstande, unsere über Jahre gewachsene menschliche Beziehung zu belasten. Die vielen, die versucht haben, das hintenherum zu erreichen, haben immer auf beiden Seiten Bauchlandungen gemacht.
    Ich freue mich, daß Sie heute am Schluß Ihrer Rede in der Frage nach der geistigen Führung Ihre Pflöcke in die Nähe zu denen gesetzt haben, die ich in einer früheren Debatte versucht habe, Ihnen nahezubringen. Natürlich hat politische Führung nicht geistige Führung zu ersetzen — das ist Sache von jedem, von den Kirchen, von Wissenschaft und Kunst —, aber, so damals meine Forderung, politische Führung muß durch Wirken und Haltung die Wertvorstellungen und -entscheidungen des Grundgesetzes gerade in der jungen Generation lebendig halten. Ich freue mich, daß wir hier offensichtlich aufeinander zugehen.
    Dieser Vorrang für Geist schließt natürlich nicht aus — auch darin werden wir sicher übereinstimmen —, daß der Geist gelegentlich auch da weht, wo Politiker durch Werktagsarbeit ihre Sonntagsreden durchzusetzen versuchen. Die amtlichen Vertreter des Geistes sollten auch beherzigen, daß auch in diesem Hause geistvolle und vor allem geistige Arbeit geleistet wird.
    Aus der damaligen Debatte — 1. Oktober, wie gesagt — möchte ich nur, weil es, wie ich glaube, in diese Bilanz gehört, drei Sätze zitieren:
    Hier beginnt
    — so der erste Satz —
    eine neue Politik, die nicht nach mehr Staat, sondern nach mehr Bürgerfreiheit und mehr realer sozialer Gerechtigkeit verlangt.
    Nicht die faule Ausrede, anderswo sei es
    schlimmer, wird das Maß der neuen Mehrheit
    sein, sondern der Anspruch: Hier ist es besser.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben heute im ersten Teil des Ausflugs des Kollegen Schmidt wieder so ein bißchen diese alte Realität gespürt.
    Ich habe damals geschlossen: Wir trauen uns das zu.
    Meine Damen und Herren, wenn wir heute bilanzieren, muß man wohl sagen, diese Koalition ist auf einem guten Wege.

    (Zurufe von der SPD)

    — Die Opposition ist sicherlich auf einem Wege dazuzulernen, und das wird noch eine ganze Weile dauern; ich war lange ein Oppositionsführer.
    Ich würde gerne hinzufügen: Wenn sich das menschliche Verhältnis zu dem Kollegen Schmidt, von dem ich sprach, so entwickelt hat, dann hat das sicher auch damit zu tun, daß wir durch gemeinsame Arbeit gelernt haben, wo im Interesse des Ganzen der Konsens und wo der Streit seinen notwendigen Platz hat. Ich werde darauf zurückkommen.
    Ich würde gerne noch zu der Haushaltsrede des Herrn Kollegen Stoltenberg — auch mit dem Blick auf die Opposition — sagen: Hätten Sie zu Zeiten Ihrer Regierung je einen solchen Datenkranz vorlegen können, wie ihn hier Herr Stoltenberg in aller Ruhe vortrug, hätten Sie sicherlich — das darf ich so sagen — ein parlamentarisches Hochamt oder ein politisches Tattoo — wer das lieber so hören will
    — veranstaltet. Hier ging es schlicht und nüchtern



    Dr. Barzel
    zu, weil diese Arbeit so schlicht und nüchtern fortgesetzt werden sollte.

    (Zuruf von der SPD: Na, na! — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte aber festhalten, natürlich ist die Politik der Wende noch nicht im Ziel.

    (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

    Vieles ist erreicht, mehr bleibt zu tun. Die Arbeitslosigkeit lastet, Haushaltsrisiken sind unübersehbar wie günstige Auswirkungen auf unsere Entwicklung, auf die wir wenig Einfluß hatten oder haben.

    (Zurufe von der SPD)

    — Es ist doch fair, das einzuräumen; Dollar und Öl und usw.

    (Dr. Vogel [SPD]: Gut, wer es tut, bravo!)

    Zur Begründung beschränke ich mich auf drei Punkte:
    Erstens. Die wirtschaftlichen und sozialen Tatsachen sprechen eindeutig für die Wende wie dafür, diesen Kurs fortzusetzen.
    Zweitens. Indem die Koalition den von Bundeskanzler Helmut Schmidt bewirkten Nachrüstungsbeschluß durchsetzte, wandelte sich vieles. Es ist doch kritisch, zu fragen — auf allen Seiten des Hauses —, wie es wohl aussähe ohne diese konsequente deutsche Politik, aussähe zwischen Ost und West, in Europa, im Bündnis, j a, auch in der Politik mancher Nachbarländer. Natürlich wäre es töricht und überheblich anzunehmen, auf uns alleine komme es an. Ebenso wahr aber ist, daß vieles ohne uns nicht im Ziel ankäme.
    Und nun ist nicht Krieg, wie damals viele befürchteten, als wir diese Entscheidung im November hier trafen, die Folge dieser Konsequenz sind ein gesicherter Friede, ein entspannteres Klima zwischen Ost und West, das Treffen in Genf und die reale Chance, Frieden zu schaffen mit weniger Waffen.
    Drittens — das füge ich hinzu, weil es meines Erachtens in dieser positiven Bilanz zu sehr untergeht —: Der technologische Abstand zu Wettbewerbern auf dem Weltmarkt konnte verringert, die damals vorhandene verbreitete Technikfeindlichkeit überwunden werden. Respekt vor dieser Leistung! Sie ist wichtig für Gegenwart und Zukunft unseres Landes, das vom qualifizierten Export lebt und Vollbeschäftigung nur auf diesem Wege erarbeiten kann. Dieser Fortschritt gelang in relativ kurzer Zeit, weil — nehmen Sie das bitte nicht als Platitüde, sondern als die Erfahrung aus einem langen parlamentarischen Leben — Regierung und parlamentarische Mehrheit übereinstimmten —, ein Punkt, der nicht genug betont werden kann.
    Mit dieser Rede, für deren Gelegenheit ich danke — und ich danke ausdrücklich dem Herrn Außenminister, daß er mir hier den Vortritt gegeben hat —, will ich weder Schlachten der Vergangenheit neu schlagen oder auffrischen noch gar im Zorn zurückblicken. Rechthaberei war nie mein Thema. Die angenommene oder wirkliche Bedeutsamkeit früherer Kämpfe und Entscheidungen zu beurteilen — das obliegt allein dem Abstand geschichtlicher Betrachtung.
    Ich danke, daß ich mitwirken durfte, und möchte nun nach vorn blicken.
    Wieder gibt es in Deutschland — zu meiner Freude — nachdenkliche Gespräche, vor allem unter jungen Menschen, zunehmend mit Frauen, in denen — bald angstvoll, aber wohl doch zunehmend zuversichtlich — nach der Zukunft gefragt wird. Gerecht soll sie sein, gewaltlos, auch fröhlich und lebenswert. Auch nach der Zukunft der Demokratie, des Friedens und der Freiheit wird gefragt, und es wird auch geantwortet. Freilich sind nicht alle, die Antworten wagen, zugleich zu dem Wagnis bereit, sie durch entsprechendes öffentliches Handeln auch zu verantworten.
    Was die Fragen betrifft, so verstehe ich sie gut und stelle mich ihnen; denn auch wir haben ja einmal so gefragt: Mißbraucht oder entzaubert, kaum mündig aus dem Krieg heimgekehrt, fragten und suchten wir auch, trafen die Älteren und die aus dem Widerstand, die Anpasser wie die einfach übriggebliebenen, auch die Witwen, die Waisen, die Ausgebombten, die Vertriebenen, die Flüchtlinge. Wir alle hungerten — nicht nur aus dem Bauch, wenn ich das so sagen darf. Es war eine Zeit des geistigen und politischen Aufbruchs und des Fragens wie des Befragtwerdens. Die morschen Schlösser waren verfallen. Neuen Wegen und besseren Zielen galt das Bemühen. Alle Türen standen uns offen, auch beruflich.
    In und aus dieser schöpferischen Atmosphäre und vor dem Hintergrund leidvoller Erfahrungen entstand unsere Bundesrepublik Deutschland. Und die, die heute fragen und suchen, entdecken — oder meinen zu entdecken — Bastionen des Gewohnten. Sie klopfen zu oft, auch beruflich, an verschlossenen Türen. Einige neigen dazu, einzureißen, was ist, weil sie den Sinn des Kampfes für das mögliche Bessere nicht einsehen. Meine Damen und Herren, Ehrlichkeit gebietet, den Satz hinzuzufügen: Ein Stück dieser Wirklichkeit verantworten auch wir.

    (Beifall des Abg. Dr. Emmerlich [SPD])

    Wir verantworten zugleich, daß Zuversicht wächst und feste Orientierung Platz greift. Wir verantworten auch, daß wir in der längsten Periode unserer Geschichte leben, in der zugleich Frieden und Freiheit und Wohlfahrt wie die Chance zur friedlichen Reform als selbstverständliche Gegebenheiten gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie sind es nicht, meine Damen und Herren. Diese elementaren Bedingungen des Strebens nach Glück und der Wirklichkeit menschenwürdigen Lebens fielen und fallen nicht wie ein Geschenk vom Himmel. Sie sind Folge entschlossenen, bedachten, auch unpopulären politischen Handelns, eines Handelns, das aus der Geschichte gelernt hat. Dazu gehört auch die Lehre: Politik geht uns alle an, weil sie unser Schicksal mitbestimmt. Auf diesen politi-



    Dr. Barzel
    schen Punkt der Antwort nach der Zukunft will ich mich nun beschränken.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir mit unserer Demokratie Erfolg. Sie ist stabil. Einer der Gründe dafür ist, für mich — ich nehme auf, was ich eben zu Helmut Schmidt sagte —, daß Streit und Konsens sich in gutem Verhältnis zueinander eingependelt haben. Der freiheitliche und soziale Rechtsstaat braucht beides. Er braucht den Kompromiß und von Zeit zu Zeit auch den Wechsel von Regierung und Opposition.
    Die Verläßlichkeit und Stabilität der deutschen Demokratie aber erfordert, daß gewisse Grundentscheidungen über Wahlen und Wechsel hinaus feststehen und gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)


    (Vorsitz : Vizepräsident Westphal)

    Mit dem Blick nach vorn erfaßt mich zunehmend die Sorge, daß dieses unerläßliche Fundament brüchig werden könnte, daß der Streit auch den Bereich des für eine gute Zukunft der Demokratie unverzichtbaren Konsenses erfaßt. Ich will das an drei Punkten dartun:
    Erstens. Hier ist heute sowohl durch den Kollegen Dregger wie durch den Kollegen Schmidt die bedenkenswerte Rede von Herbert Wehner vom 30. Juni 1960 im Deutschen Bundestag in die Debatte eingeführt worden. Er hat damals in aller Form und verbindlich für die deutsche Sozialdemokratie erklärt — ich zitiere —:
    Die Bundesrepublik ist ein zuverlässiger Vertragspartner, gleichgültig ob die jetzige Regierung oder die gegenwärtige Opposition als Regierung die Geschäfte führt.
    Gestützt hierauf erwuchs der SPD Regierungsfähigkeit. Auf diesen Eckstein gestützt wurde zunächst die „Große", dann die „sozialliberale" Koalition möglich, weil diese Wechsel fundamentale Grundfeststellungen nicht mehr in Frage stellten.
    Als dann die SPD ihren Kanzler Helmut Schmidt mit seinem international gegebenen Wort allein ließ, endete, wie mir scheint, nicht zufällig, diese Regierung.
    Nun will die SPD erneut die Geschäfte der Regierung, um Wehners Worte aufzugreifen, übernehmen, aber internationale Verpflichtungen wie die Strategie der NATO, SDI und Nachrüstung auflösen. Dieser Vorgang ist nicht nur aus den Sachen zu diskutieren.

    (Zuruf von der SPD: Stimmt ja gar nicht!)

    - Ich komme gleich darauf zurück. Dieser Vorgang gehört zur Frage nach der Zukunft der Demokratie.
    Beide großen Parteien brauchen einander, weil die Demokratie beide braucht. So geht es alle an, wie es die deutsche Sozialdemokratie mit der fundamentalen Zusage von Herbert Wehner künftig halten wird. Sollte dieses Wort nicht mehr voll gelten, was ich nicht hoffe und auch nicht wünsche, so wäre das für unsere Demokratie schlimm, weil sich auf diese Weise Fragen nach Mehrheits- und Regierungsfähigkeit einstellten. Und schon diese Fragen beeinträchtigen unsere politische Stabilität.
    Alle unsere Nachbarn wollen ein verläßliches Deutschland mit einer berechenbaren Politik. Deutschland will gesicherten Frieden. Der aber ist, das ist erneut zu betonen, aus eigener Kraft nicht zu bewirken. Das Deutsche Reich Bismarcks konnte sich aus eigener Kraft Sicherheit geben. In dieser Lage sind wir nicht mehr. Wir haben es nicht mehr mit Rußland, wir haben es mit der Sowjetunion zu tun; wir leben im atomaren Zeitalter; wir haben diese Waffen nicht, wollen sie nicht und bekommen sie nicht. Deswegen ist der Frieden nur mit und von denen zu schaffen und gemeinsam zu gestalten, die über den Menschen und seine Würde denken und fühlen wie wir.
    Der „Wanderer zwischen beiden Welten" ist eine literarische Figur der Blauen Blume. Für unsere politische Verantwortung muß es heißen — ich wiederhole, was ich hier schon sagte —: Mit beiden Füßen fest im Westen stehen und nach Osten die Hand reichen, nicht das Standbein verändern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Unsere Demokratie ist stabil, weil unsere Wirtschaft gesund und erfolgreich arbeitet. Ich meine, nur wenn die Grundentscheidung für die Soziale Marktwirtschaft gleichfalls Wahlen und Wechsel überdauert, wird das so bleiben. Soziale Marktwirtschaft ist der Zwillingsbruder der politischen Demokratie. Man hat in Diktaturen versucht, sie als eine Technik anzuwenden, und ist damit gescheitert. Man hat in Demokratien versucht, etwas anderes zu machen, und erlebte sozialen und wirtschaftlichen Niedergang. So geht die Verläßlichkeit aller in dieser wichtigen Frage auch alle an. Auch hier schaden schon die Fragezeichen, die leider unübersehbar produziert werden.
    Eduard Pestel ist zu danken, daß er, angelehnt an andere, „Instrumente" zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit verschiedener Gesellschaften angeboten hat. Er ging davon aus, daß die Menschen in ihrem Leistungspotential im Durchschnitt gar nicht so unterschiedlich seien. Das Ergebnis der Leistung aber sei abhängig von der Gesellschaftsordnung. Diese finde ihren Ausdruck in drei Komponenten: den in der Gesellschaft dominierenden Werten, dem Staatsaufbau und dem Wirtschaftssystem. Die Harmonie dieser Komponenten sei die Bedingung des Erfolges.
    Diese Erkenntnis über diesen nicht auflösbaren Zusammenhang zwischen Wertvorstellung, Staatsform und Wirtschaftsordnung sowie die Abhängigkeit des sozialen und wirtschaftlichen Erfolges von dem Gleichklang dieser drei Bauelemente für das Ganze ist, so meine ich, in ihrer fundamentalen Bedeutung gar nicht zu überschätzen. Deshalb: Festhalten an der Sozialen Marktwirtschaft, die die Entsprechung der Harmonie dieser drei Elemente ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Drittens. Wir haben politisch und sozial Erfolg, weil wir, wie ich meine, Partnerschaft gestalteten



    Dr. Barzel
    statt Klassenkampf zu treiben. Auch das ist fundamental — wie der Verfassungsauftrag, die Menschenrechte durch konkrete Politik für alle immer mehr alltagswirksam erfahrbar zu machen. Reale Freiheit heißt das oder Freiheit durch soziale Gerechtigkeit oder — Herr Baum war so freundlich, in einer früheren Debatte daran zu erinnern, daß ich das geschrieben habe — „Der Mensch als Hoheitsträger".
    Aber auch bei diesem dritten Punkt, bei der Partnerschaft, gibt es Töne, welche die besorgte Frage nach Verläßlichkeit und Dauerhaftigkeit dieses Fundaments unseres demokratischen Erfolgs aufwerfen. Meine Damen und Herren, sozialer Frieden ist ein hohes Gut. Er ist ohne Partnerschaft nicht zu haben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    — Es ist heute früh — ich erinnere nicht mehr, von wem — von Adenauer und Böckler und der Mitbestimmung gesprochen worden. Ich habe an dieser Stelle geklatscht. Ich hätte noch mehr geklatscht, wenn hinzugefügt worden wäre, daß dies ein Gedanke war, der aus der christlich-sozialen Welt kam, aus dem Katholikentag, und daß der erste Antrag hierzu von der Fraktion, für die ich heute zu sprechen die Ehre habe, kam,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Lang, lang ist es her!)

    als Sie — ich will hier gar keine Schlachten — noch viel von Sozialisierung sprachen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das wissen Ihre Leute gar nicht mehr!)

    Wenn das hinzugekommen wäre, würde es das Bild abrunden und würde es mir noch leichter gemacht haben, aus vollem Herzen hier zu klatschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich will es mit diesen drei Punkten sein Bewenden sein lassen. Spätere, die nach uns kommen, werden manches neu und anders machen. Ich kann nur raten — deshalb spreche ich hier —, Sie sollten vielleicht einen Blick auf diese drei Sorgen werfen, die hier jemand vorträgt, der Krieg und Unrecht und Unfreiheit erlebt hat und sich seit mehr als vierzig Jahren nach Kräften bemüht, politisch an der Gestaltung des besseren Deutschlands mitzuwirken.
    Zu diesen Merkpunkten gehört: Die Achtung des Grundgesetzes, auch der föderativen Ordnung, bleibt eine unerläßliche Bedingung für die Zukunft der Freiheit. Man sollte es — wie bisher — ohne Not nicht ändern. Das Hinwirken auf einen Zustand des Friedens, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, ist ein anderer unerläßlicher Baustein, wie ein lebensfrohes Berlin. Herr Kollege Schmidt, die Formel „die Teilung aushalten" genügt nicht. Und sie entspricht ja auch nicht der praktischen Politik, die Sie getrieben haben. — Ich nenne weiter die Freundschaft mit Frankreich wie mit den USA, die Vereinigung Europas, die atlantische Partnerschaft, das Bemühen um Israel und Polen sowie um ein nachbarliches Verhältnis zur Sowjetunion als wesentliche Punkte einer guten Zukunft Deutschlands, das eine europäische Friedensordnung anstrebt.
    Wir müssen zugleich, meine Damen und Herren, der Gewöhnung an das Unrecht in der DDR widerstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir dürfen da nicht blind oder taub werden. Ich spreche offen aus, daß mir wohler wäre, wenn so mancher von den Wortstarken, die von dieser Stelle aus gegen den Rassismus in Südafrika — mit Recht — protestieren, die gegen die Diktatur in Chile — mit Recht — protestieren, darüber nicht zu protestieren vergäßen, welche Menschenrechtsverletzungen wir täglich im anderen Teil Deutschlands ertragen müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wen meinen Sie denn da?)

    Meine Damen und Herren, wer sich da, wie man heute zu sagen pflegt, „sachkundig machen" will, muß leider kein deutsches, sondern ein Dokument des Parlaments der USA zur Hand nehmen. Das Parlament der USA macht sich die Mühe, Jahr für Jahr einen sorgfältig erarbeiteten, belegten, wissenschaftlich fundierten „Bericht über die Lage der Menschenrechte in den Ländern der Welt" vorzulegen. Dieser Bericht vom Februar 1986 ist der neueste und enthält auf Seite 980 und folgende Mitteilungen über die DDR. Ich will aus dem Vorspann nur wenige Sätze hier in die Debatte einführen. Es heißt da:
    Trotz so gewaltiger Hindernisse wie der Mauer in Berlin bestehen zwischen den Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland tiefverwurzelte geschichtliche, kulturelle, sprachliche und familiäre Bande fort. Die Sorge, diese Bande und ständiger Kontakt mit westlichen Werten könnten den Rückhalt des kommunistischen Systems in der Bevölkerung untergraben, ist wesentlich für die strenge Überwachung der Menschen durch den Staat verantwortlich. Die DDR verfügt zu diesem Zweck über einen leistungsfähigen Sicherheitsapparat, der vom Innenministerium und vom Ministerium für Staatssicherheit verwaltet wird. Beide Ressorts zusammengenommen beschäftigen etwa 300 000 Personen. Mit Hilfe eines großen geheimpolizeilichen Apparats, zu dem noch Informanten hinzukommen, schränkt die DDR weiterhin Grundrechte wie die Gedanken-, Rede-, Religions-, Versammlungs- und Reisefreiheit ein. Die Geheimpolizei öffnet Post, installiert Abhörgeräte, läßt Personen überwachen, setzt sie Verhören und Einschüchterungsversuchen aus und nimmt Verhaftungen ohne öffentliches Verfahren vor ...
    Das wird dann Punkt für Punkt, Grundrecht für Grundrecht ausgeführt.
    Das ist nicht mehr bequem zu sagen, aber ich glaube, wir sind es den Deutschen in der DDR



    Dr. Barzel
    schuldig, das Unrecht, das sie ertragen müssen, nicht zu verschweigen. Und wir sind es wohl auch uns selbst schuldig, die Kraft der Unterscheidung zu pflegen und zu erhalten;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    denn, meine Damen und Herren, Neutralismus beginnt doch immer, wo in den Köpfen die Unterscheidungen sich einnebeln. Und Mahatma Gandhi, den viele junge Menschen heute gern zitieren, sagte doch: „Ich wünsche Wahrheit". — Dies gehört zur Wahrheit.

    (Tatge [GRÜNE]: Er hat aber auch andere Sachen gesagt!)

    Wir haben nicht, wie man es so oft lesen und hören muß, auch manchmal aus berufenem Munde lesen und hören muß, „zwei Bündnisse", sondern einen freiwilligen, kündbaren Zusammenschluß der Freien und einen durch die Rote Armee zusammengezwungenen Block.

    (Lange [GRÜNE]: Und Blockfreiheit!)

    — Und Blockfreie. Ich spreche jetzt nur gegen den Begriff der „zwei Bündnisse".
    Frankreich trat bekanntlich aus der militärischen Organisation der NATO aus, und in der Tschechoslowakei marschierten bekanntlich die Kommunisten ein, als sich dort, nur für die Innenpolitik, neue Gedanken Bahn brachen. Es ist auch verderblich, gedankenlos von „den beiden Blöcken" zu sprechen; aufzufordern, sich „in den jeweiligen Bündnissen für mehr Beweglichkeit" einzusetzen, die Ost-WestSpannung — das sind alles Zitate — „in eine ziemlich scharfe Konfrontation der Führungskräfte" umzudeuten, die bloße „Verteidigungsfähigkeit" der NATO einzufordern — eines Bündnisses, das nie den ersten Schuß abgeben kann und will und wird; das weder in der CSSR einmarschiert ist noch in Afghanistan militärisch aktiv geworden ist.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Was ist mit Nicaragua?)

    — Das ist nicht das Bündnis.
    Es bleibt, meine Damen und Herren, nötig, das Zugleich von Demokratie und Wehrpflicht zu erhalten, und — um auch etwas Nettes über Ihren Beschluß zu sagen, denn was dort über die Wehrpflicht steht, ist sehr lesenswert und zeigt auch, daß es hier in dieser Frage noch Übereinstimmung gibt — es gilt natürlich, unsere Soldaten ehrenhaft zu behandeln.
    Was ich, meine Damen und Herren, über das Parlament, an dem mein Herz hängt, sage und zu sagen hatte, habe ich im September 1984 vorgetragen. Das gilt für mich Wort für Wort.
    Ich möchte aber im Zusammenhang mit den grundsätzlichen Punkten und im Hinblick auf Ihre Rede, Herr Kollege Ehmke, doch noch eine Frage stellen. Es ist eine Frage, die so wichtig ist, daß sie durch einen Sprecher der Opposition klar beantwortet werden sollte, am besten natürlich durch ihren Parteivorsitzenden. Es ist heute zu meiner Freude noch einmal vom Harmel-Bericht die Rede gewesen, sowohl beim Kollegen Schmidt als auch bei Ihnen, Herr Ehmke. Der Harmel-Bericht stammt aus dem Jahre 1967. Außenminister war damals Willy Brandt. Wir haben dem Bericht alle zugestimmt, auch alle Mitgliedstaaten der NATO.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr richtig!)

    Ich habe mich gestern vergewissert, daß er in der NATO noch gilt, und daß man sich immer noch auf ihn beruft. In diesem Bericht heißt es — ich zitiere —:
    Die Atlantische Allianz hat zwei Hauptfunktionen. Die erste besteht darin, eine ausreichende militärische Stärke und politische Solidarität aufrechtzuerhalten, um gegenüber Aggressionen und anderen Formen von Druckanwendung abschreckend zu wirken und das Gebiet der Mitgliedstaaten zu verteidigen, falls es zu einer Aggression kommt.
    Seit ihrer Gründung hat die Allianz diese Aufgabe erfolgreich erfüllt. Aber die Möglichkeit einer Krise kann nicht ausgeschlossen werden, solange die zentralen politischen Fragen in Europa, zuerst und zunächst die Deutschlandfrage,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    ungelöst bleiben. Außerdem schließt die Situation der Unstabilität und Ungewißheit noch immer eine ausgewogene Verminderung der Streitkräfte aus. Unter diesen Umständen werden die Bündnispartner zur Sicherung des Gleichgewichts der Streitkräfte das erforderliche militärische Potential aufrechterhalten und dadurch ein Klima der Stabilität, der Sicherheit und des Vertrauens schaffen. In diesem Klima kann die Allianz ihre zweite Funktion erfüllen: die weitere Suche nach Fortschritten in Richtung auf dauerhaftere Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können. Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar.
    Dieses Zitat schien mir notwendig, meine Damen und Herren — Sie merken aus den Besorgnissen, die ich äußere, was mich in dieser Stunde bewegt —, weil ich mich frage, wie dieser HarmelBeschluß wohl vereinbar sein soll — ich zitiere ja nicht Zeitungen und nicht aus irgendeiner Rede eines noch so wichtigen Kollegen auf einem Parteitag, sondern ich studiere Dokumente — mit dem Beschluß des Parteitags von Nürnberg. Wie dieser Beschluß von Nürnberg „Unser Weg zu Abrüstung und Frieden" mit dem Harmel-Bericht vereinbar sein soll, müßte man versuchen zu erklären. Ich weiß nicht, ob es Ihnen gelingt.

    (Zuruf von der SPD: Der Beschluß war einstimmig!)

    Sie werden diese Frage beantworten müssen, denn die Antwort wird fundamental sein. Sie wird die Runde machen innerhalb der NATO, und sie wird die Runde in Deutschland machen.
    Für mich, meine Damen und Herren, ist beides zugleich nicht vereinbar. Man kann nicht aus jedem



    Dr. Barzel
    Entweder-Oder ein unverbindliches Sowohl-AlsAuch machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Der Harmel-Bericht gibt diese Aufgaben doch dem Bündnis; dieser Beschluß gibt sie Europa. Das sind zwei Dinge. Es gibt viele andere Punkte. Ich bin sicher, daß andere Kollegen im einzelnen dazu sprechen werden.

    (Abg. Dr. Ehmke [Bonn] meldet sich zu einer Zwischenfrage)