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ID1022803200

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    Plenarprotokoll 10/228 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 228. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 Inhalt: Wahl des Abg. Hiller (Lübeck) zum Schriftführer als Nachfolger des Abg. Heyenn . 17659A Begrüßung des Außenministers der Republik Malta 17727 D Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushaltsgesetz 1987) — Drucksache 10/5900 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 — Drucksache 10/5901 — Dr. Dregger CDU/CSU 17659 B Schmidt (Hamburg) SPD 17668 B Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 17685 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 17692 B Frau Hönes GRÜNE 17703A Dr. Waigel CDU/CSU 17707 A Dr. Ehmke (Bonn) SPD 17715B Dr. Barzel CDU/CSU 17721A Genscher, Bundesminister AA 17727 D Frau Borgmann GRÜNE 17731 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . 17734 A Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 17738 C Gansel SPD 17742 A Frau Seiler-Albring FDP 17745 B Lange GRÜNE 17747 D Dr. von Bülow SPD (Erklärung nach § 30 GO) 17751 C Vizepräsident Cronenberg 17721 A Vizepräsident Westphal 17742 A Nächste Sitzung 17751 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 17753* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 17753* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 17659 228. Sitzung Bonn, den 10. September 1986 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 226. Sitzung, Seite 17578* C: In der Anlage 32 ist die Vorlage Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für einen Entwurf einer Entschließung betreffend ein mittelfristiges Programm der Gemeinschaft (1986-1990) zur Chancengleichheit der Frauen (Drucksache 10/5627) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu streichen. Einzufügen ist: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Betriebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Umsatzsteuer (Vorsteuerbelastung) (Drucksache 10/5631) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 227. Sitzung, Seite 17585 D, Zeile 3: Statt „Zuruf von der CDU/CSU:" ist „Zuruf von der SPD:" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 12. 9. Antretter * 11. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Dr. Bugl 10. 9. Eigen 12. 9. Dr. Emmerlich 12. 9. Frau Fischer * 11. 9. Dr. Götz 12. 9. Dr. Haack 10. 9. Hanz (Dahlen) 12. 9. Heimann 10. 9. Jahn (Marburg) 10. 9. Klein (München) 10. 9. Dr. Klejdzinski * 11. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 10. 9. Dr. Kreile 12. 9. Dr. Kronenberg 12. 9. Dr. Kübler 10. 9. Landré 11. 9. Lenzer * 11. 9. Dr. Mitzscherling 12. 9. Dr. Müller * 12. 9. Nagel 12. 9. Frau Pack * 11. 9. Pöppl 12. 9. Reddemann * 10. 9. Dr. Riedl (München) 12. 9. Schlaga 10. 9. Dr. Schmude 10. 9. Sielaff 10. 9. Dr. Soell 12. 9. Voigt (Sonthofen) 12. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. Juni 1986 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz zur Entlastung landwirtschaftlicher Unternehmer von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetz - SVBEG) Gesetz zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) Gesetz über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung) Erstes Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Anlagen zum Stenographischen Bericht Der Bundesrat geht bei seiner Zustimmung davon aus, daß im Vollzug des § 8 des Tierschutzgesetzes an die wissenschaftlich begründete Darlegung der Genehmigungsvoraussetzungen strenge Anforderungen gestellt werden. Die wissenschaftliche Darlegung muß den Verwaltungsbehörden die Grundlage für einen zuverlässigen Schluß auf das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen liefern. Die Verwaltungsbehörde darf sich selbst nicht auf die bloße formelle Prüfung, etwa ob der Genehmigungsantrag durch wissenschaftliche Gutachten belegt ist, beschränken. Sie hat sich vielmehr mit aller Gewissenhaftigkeit und unter Heranziehung der ihr zugänglichen Erkenntnisquellen zu überzeugen, daß die materiellen Voraussetzungen für den Tierversuch vorliegen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11. Juli 1986 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Erstes Gesetz zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes Zweites Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes Fünftes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes Drittes Gesetz zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts Gesetz zu den Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen sowie über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (Unterhaltsvollstreckungs-Übereinkommens-Ausführungsgesetz ) Gesetz zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes Gesetz zur Änderung tarifrechtlicher Bestimmungen im Seehafenhinterlandverkehr Fünftes Gesetz zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERPSondervermögens für das Jahr 1987 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1987) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen Gesetz zu dem Abkommen vom 7. Januar 1986 zur Änderung des Abkommens vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1986 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1986 - BBVAnpG '86) Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz - AbfG) Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften Zu den drei letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat folgende Entschließungen gefaßt: 1. Der Bundesrat hält eine Erhöhung der Stundensätze der Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten für Polizeibeamte allgemein für gerechtfertigt. Er bittet die Bundesregierung, die Erschwerniszulagenverordnung alsbald entsprechend zu ändern. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die nach § 14 Abs. 2 des Abfallgesetzes zur Vermeidung oder Verringerung von Abfallmengen der Wirtschaft zu setzenden Frist möglichst kurz zu bemessen, zumal sich die Wirtschaft auf Grund der bereits geführten Gespräche hierauf einstellen konnte. Er geht davon aus, daß im Falle einer erkennbaren fehlenden Bereitschaft der Wirtschaft oder Teilen davon zur Reduzie- 17754* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 228. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. September 1986 rung der Abfallmengen aus Einwegverpackungen die Bundesregierung auch ohne Fristsetzung von den Ermächtigungen des § 14 Abs. 2 Gebrauch macht. Die Bundesregierung wird gebeten, für solche Fälle umgehend entsprechende Rechtsverordnungen vorzubereiten. 3. Im Hinblick auf die in der Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gekommenen Bedenken gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzentwurfs bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bis zum 1. Januar 1989 einen Bericht über die praktischen Erfahrungen mit den novellierten Vorschriften vorzulegen. Dies gilt insbesondere für die neuen Regelungen im UWG über das Verbot der öffentlichen Werbung mit mengenmäßiger Beschränkung, das Verbot der öffentlichen Werbung mit Preisgegenüberstellungen sowie das nunmehr durchweg zivilrechtlich ausgestaltete Verfahren bei Räumungsverkäufen. Die in Drucksache 10/5706 unter Nummer 28 aufgeführte EGVorlage Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über die koordinierte Einführung des dienstintegrierenden digitalen Fernmeldenetzes (ISDN) in der Europäischen Gemeinschaft — auf dem Weg zu einem europaweiten Telematikmarkt — KOM (86) 205 endg. — Rats-Dok. Nr. 7308/86 ist als Drucksache 10/5933 verteilt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hannegret Hönes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas erstaunt, wie unterentwickelt die Dialogbereitschaft in diesem neuen Haus ist. Ich vermisse eine ganze Anzahl der Kollegen und der Kolleginnen aller Parteien.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die kommen, wenn Sie fertig sind!)

    Ich habe heute in der Nachmittagsrunde die historische Chance, gleich auf zwei Kanzler der 80er Jahre eingehen zu können. Bevor ich mich mit der Bilanz des jetzigen Bundeskanzlers befasse, erlauben Sie mir eingangs einige Bemerkungen zu dem ehemaligen Kanzler Helmut Schmidt. Immerhin hat er mit seiner Politik eine nicht unwichtige Rolle als Geburtshelfer der GRÜNEN gespielt.
    Während sich hier der politische Philosoph und Weltökonom Helmut Schmidt verabschiedete, habe ich gedacht: Da redet ein Mann, in dessen Regierungszeit die meisten Atomkraftwerke geplant und gebaut wurden, der Mann, der wie kein anderer dafür verantwortlich zu machen ist, daß die mörderischen Mittelstreckenraketen ins Land kamen, der Mann, der Anfang der 80er Jahre damit begonnen hat, die Renten zu kürzen, BAföG zu kürzen, die Krankenkassenleistungen abzubauen, die Arbeitsloseneinkommen und -ansprüche zusammenzustreichen.
    Helmut Schmidt hat heute morgen sehr unterkühlt, in seiner für ihn sehr typischen, unnachahmlichen hanseatischen Art, diese Kürzungen schlicht und ergreifend die Normalisierung des Haushalts 1982 genannt. Ich weiß nicht, ob die Bürgerinnen oder die Bürger dieses so als normal empfanden. Ich befürchte, es klang ihnen sehr zynisch in den Ohren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich habe mich, schon bevor er heute morgen geredet hat, auch gefragt, was ausgerechnet Helmut Schmidt prädestiniert, hier den SPD-Wahlkampf zu eröffnen.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Sie haben ihn auch falsch verstanden!)

    Die Antwort ist: Es gibt vermutlich niemanden, der soviel Erfahrung hat, vor der Wahl alles Mögliche zu verkünden, um notfalls nach der Wahl das genaue Gegenteil davon zu machen.

    (Tatge [GRÜNE]: Das kann der Kohl auch gut!)

    Helmut Schmidt hat zu den neuen SPD-Beschlüssen relativ wenig gesagt. Trotzdem wurde vor allem dies deutlich: Er kann gut damit leben. Er kennt den Wert solcher Parteitagsbeschlüsse, und er kennt Rau gut genug, um zu wissen, daß der sie im Fall der Fälle rechtzeitig wieder einkassieren wird.
    Aber nun ist, meine Damen und Herren, Bilanz zu ziehen von vier Jahren Politik der geistig-moralischen Erneuerung dieser Regierung. Leider ist der Chef dieser Regierung immer noch nicht auf seiner Bank.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Von Ihnen sind doch auch nur acht Männeken da! Mittagspause! Acht Grüne sitzen hier rum! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Immerhin ist der Vizekanzler da!)

    Wir kritisieren dabei weniger den Aussitz-Kanzler Kohl und sein Pannen-und-Skandal-Kabinett, bedrohlich ist dieser Kanzler nämlich gerade dort, wo er handelt. Und das Chaos im Regierungslager erscheint uns vergleichsweise vernachlässigenswert gegenüber der Systematik, mit der die Rechtskoalition seit ihrem Amtsantritt die Interessen des großen Geldes gegen den Rest der Bevölkerung durchgesetzt hat.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na! Na! Na! — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Wo haben Sie Ihre Erkenntnisse her?)

    Wir haben heute wieder die alte Litanei der Aufschwungserfolge gepredigt bekommen. Sie enthielt nichts Neues. Wir wußten vorher, daß es den Unternehmen blendend geht. Wir wußten, daß sie Gewinnsteigerungen bis zu 30 % verbuchen können,

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Von welcher Ausgangsbasis aus denn?)

    daß ganze Heerscharen von hochbezahlten Finanzmaklern damit beschäftigt sind, diese Gewinne — allein im letzten Jahr waren es 30 Milliarden DM — ins Ausland zu transferieren, weil das profitabler als die Schaffung von Arbeitsplätzen hierzulande ist.
    Wir wissen aber auch: Damit die einen, die Chemiegiganten, die Banken, die Automobil- und Rüstungskonzerne reich werden konnten, mußten die anderen, die Erwerbstätigen, die Erwerbslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Rentner und die Behinderten, arm gemacht werden. Da wurden das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe gekürzt, die Anwartschaftszeiten verlängert, da wurden auf Weihnachts- und Urlaubsgeld Beiträge zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung erhoben, liebe Kolleginnen. Das Mutterschaftsurlaubsgeld wurde um 32 % gesenkt. Das Unterhaltsgeld für Umschüler wurde ebenso zusammengestrichen wie das Übergangsgeld für Rehabilitanten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zusammenrechnen können Sie nicht!)




    Frau Hönes
    Für die Sozialhilfeempfänger wurde die Mietkostenerstattung begrenzt, den Behinderten die kostenlose Beförderung durch öffentliche Verkehrsmittel gestrichen usw. usf.
    Und wer ist für diese soziale Barbarei verantwortlich? Ausgerechnet der Mann mit dem seriösesten Image in den Reihen der Regierung, Finanzminister Stoltenberg. Er fehlt heute nachmittag bei dieser Gesprächsrunde ebenfalls.
    Die soziale Wahrheit im vierten Jahr der Wende ist jedenfalls brutal, meine Damen und Herren. Die Massenarbeitslosigkeit ist unverändert hoch, der leichte Rückgang der Erwerbslosenzahlen, den sich die Bundesregierung als Verdienstorden an die Brust heftet, ist vornehmlich statistischer, nicht realer Natur. Zwischen vier und fünf Millionen Menschen in der Bundesrepublik leben an der Armutsgrenze. Angesichts dieser traurigen Realität fühlt sich der Arbeitsminister Blüm, der heute nachmittag natürlich ebenfalls fehlt, gefordert. Wer bezüglich der Bundesrepublik von Armut spreche, so Norbert Blüm, handle zynisch gegenüber dem Elend der Dritten Welt. Er merkt gar nicht, wie schlimm die soziale Lage von Millionen Menschen in einem der reichsten Länder der Welt sein muß, wenn er als der zuständige Minister sie nur noch durch den Vergleich mit den Hungertoten in Afrika zu relativieren vermag.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich will an dieser Stelle nicht erneut auf die anderen sozialen Kahlschläge, auch nicht auf die brutalste arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindliche Maßnahme, den neuen Antistreikparagraphen, § 116 AFG, eingehen. Nur soviel: Wenn es im Januar gelingt, die Verantwortlichen dafür in die Minderheit zu bringen, dann stehen wir GRÜNEN bereit für das Zustandebringen einer parlamentarischen Mehrheit, die diesen sozialpolitischen Schrott wegräumt und den § 116 beseitigt. Da kann uns jeder beim Wort nehmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    In der Frauenpolitik hat Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, mittlerweile die Bedeutung von Frauen als Wählerinnen erkannt. Das hat Sie aber nicht daran gehindert, seit Beginn Ihrer Regierungsperiode die Frauen systematisch aus der bezahlten, abgesicherten Erwerbsarbeit herauszudrängen, sie zur Manövriermasse für den Bedarf der Arbeitgeber an billigen, jederzeit ersetzbaren und schutzlosen Arbeitsplätzen zu machen.

    (Stockhausen [CDU/CSU]: Ihr habt die billigsten Alu!)

    Ihre Regierungszeit steht für die Legalisierung kapazitätsorientierter Arbeitszeiten. Ihre Politik verbaut vielen Frauen die Perspektive auf eine partnerunabhängige Existenzsicherung und will sie auf den weitgehend unbezahlten Bereich der Hausund Erziehungsarbeit festlegen.
    Da mußte Ihnen natürlich die jetzige Fassung des § 218 ein Dorn im Auge sein. Ungerührt von allen internationalen Erfahrungen, die eindeutig belegen, daß die Freigabe der Abtreibung die Abbruchziffern ebensowenig in die Höhe treibt, wie ihre Kriminalisierung sie senkt, greifen Sie Befürworterinnen und Befürworter der ersatzlosen Streichung des § 218 als Babymörder an.

    (Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Weil es noch ein Grundgesetz und eine Werteordnung gibt!)

    Die GRÜNEN haben immer gesagt: Nur eine umfassende Sexualpädagogik und die Schaffung frauen- und kinderfreundlicher Lebensbedingungen sind geeignet, die Zahl der jährlichen Schwangerschaftsabbrüche zu senken.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Aber dazu sind Sie nicht bereit, denn Ihre Frauenpolitik, Herr Bundeskanzler, ist reaktionär.

    (Zuruf von der SPD: Nur die Frauenpolitik?)

    Sie wird auch dadurch nicht besser, daß sie nun seit knapp einem Jahr von einer Ministerin präsentiert wird, die sich inzwischen Frauenministerin nennt.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Ja, das ist aber eine gute!)

    Unsere Kritik an Frau Süssmuth besteht nicht etwa darin, daß sie sich zu Wahlkampfzwecken mißbrauchen läßt. Mein Vorwurf an sie ist ernster: Sie weiß, was sie tut.
    Seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind gut vier Monate vergangen. Daß Tschernobyl einen historischen Einschnitt in der ganzen Atomdebatte bedeutet, hat die große Mehrheit der Bevölkerung begriffen. 80 bis 90 % aller Bürgerinnen und Bürger sind für den Ausstieg aus dieser mörderischen Technologie. Nur die Atomlobby — dazu gehören die Energiewirtschaft und die Regierung — hat immer noch die Unverfrorenheit, mit dem Bau neuer Atomanlagen bis hin zur Plutoniumfabrik in Wackersdorf zu drohen. Gleichzeitig müssen wir lesen, daß die Regierung durchaus um die tödlichen Gefahren weiß, die auch von deutschen Atomanlagen ausgehen. Während Herr Zimmermann, Herr Kohl und die ganze Regierung nach Tschernobyl immer wieder unterstreichen, deutsche Atomkraftwerke seien absolut sicher, erfahren wir nun, daß Herr Wallmann Sicherheitsnachrüstungen erwägt, die Hunderte von Millionen DM kosten, eben weil die AKWs nicht sicher sind.
    Da gibt Herr Bangemann zwei Gutachten zur Ausstiegsfrage in Auftrag, eines sogar direkt an die Atomlobby, und trotzdem kommen beide Gutachten zu dem Ergebnis: Jawohl, der Ausstieg aus der Atomkraft ist machbar. — Beide Gutachten bestätigen, daß die Atomparteien jahrelang gelogen haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Parolen: Ohne Atomstrom gehen alle Lichter aus und werden Millionen arbeitslos — alles Lüge.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Und jetzt wird der Herr Bangemann von Ihnen dafür geprügelt, daß er das Restrisiko der Wahr-



    Frau Hönes
    heitsfindung einging und prompt der größte anzunehmende Unfall eingetreten ist, daß wissenschaftliche Gutachten die Wahrheit an den Tag brachten. Wir sind sicher: Es wird nicht lange dauern, bis Sie neue Gutachten vorlegen, die das genaue Gegenteil belegen. Aber hören Sie nach diesem „Wahrheitsunfall" auf, uns und der Offentlichkeit irgend etwas über die Freiheit der Wissenschaft vorzuschwätzen. Diese treten Sie notorisch mit Füßen, nur: Diesmal sind Sie auf frischer Tat ertappt worden.
    Es ist bekannt, daß wir GRÜNEN nicht nur für den Ausstieg allgemein, sondern für die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen eintreten. Der Grund dafür ist einfach: Spätestens seit Tschernobyl hat sich gezeigt, daß derjenige, der auf Atomanlagen setzt, Leben und Gesundheit von Millionen von Menschen riskiert. Nach Tschernobyl kann kein Staatspolitiker mehr sagen, er habe nicht gewußt, welche Höllenmaschinen da in Gang gesetzt werden.
    Seit über zehn Jahren kämpft die Anti-Atom-Bewegung gegen die Atomtechnik und einzelne Reaktorvorhaben. Wir sind deshalb froh über jeden Teilerfolg, den wir dabei erringen. Deshalb will ich an dieser Stelle deutlich machen: Wir begrüßen ausdrücklich, daß die SPD auf ihrem Nürnberger Parteitag ihrerseits den Ausstieg aus der Atomtechnologie propagiert hat.


Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Suhr?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hannegret Hönes


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Kollege, lieber Heinz.