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ID1022704400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/227 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 227. Sitzung Bonn, Dienstag, den 9. September 1986 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen des Abg. Dr. Hupka und des Vizepräsidenten Stücklen 17579 D Verzicht des Abg. Schröder (Hannover) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 17580 B Eintritt des Abg. Möhring in den Deutschen Bundestag 17580 B Eröffnung Präsident Dr. Jenninger 17579 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1987 (Haushaltsgesetz 1987) — Drucksache 10/5900 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1986 bis 1990 — Drucksache 10/5901 — Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 17580 B, 17620 D Dr. Apel SPD 17594 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 17610 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 17612 D Dr. Weng (Gerlingen) FDP 17616 C Dr. Spöri SPD 17628 B Spilker CDU/CSU 17631 D Suhr GRÜNE 17635 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 17637 D Frau Simonis SPD 17644 B Echternach CDU/CSU 17646 D Dr. von Wartenberg CDU/CSU 17649 D Roth (Gießen) CDU/CSU 17652 A Kraus CDU/CSU 17654 A Nächste Sitzung 17656 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 17657* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 227. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 9. September 1986 17579 227. Sitzung Bonn, den 9. September 1986 Beginn: 11.02 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 12. 9. Antretter* 11. 9. Bastian 9. 9. Frau Borgmann 9. 9. Büchler (Hof) 9. 9. Büchner (Speyer) * 11. 9. Curdt 9. 9. Dr. Emmerlich 12. 9. Frau Fischer * 11. 9. Dr. Haack 10. 9. Haehser 9. 9. Handlos 11. 9. Hanz (Dahlen) 12. 9. Heimann 10. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Klein (München) 9. 9. Dr. Klejdzinski * 11. 9. Dr. Köhler (Wolfsburg) 10. 9. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kreile 12. 9. Lenzer * 11. 9. Matthöfer 9. 9. Dr. Mitzscherling 12. 9. Dr. Müller * 12. 9. Frau Pack * 11. 9. Pöppl 12. 9. Reddemann * 10. 9. Dr. Riedl (München) 12. 9. Schlaga 10. 9. Dr. Schmude 10. 9. Sielaff 10. 9. Dr. Soell 12. 9. Voigt (Frankfurt) 10. 9. Vosen 9. 9. Dr. Warnke 9. 9. Wissmann 12. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Heinz Suhr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren, es ist schwer, nach dem Beitrag des Kollegen Spilker noch etwas Ernsthaftes zu bringen.

    (Heiterkeit)

    Wir tagen heute hier in einem neuen Haus, dem Wasserwerk. Leider ist die Politik der Bundesregierung die alte geblieben. Aber wir werden uns bemühen, aus dem alten Wasserwerk ein politisches Klärwerk für Ihren Wahlkampfschlamm zu machen.
    Auf Ihren Wahlplakaten steht „Weiter so, Deutschland". Nun frägt man als unbefangener Beobachter: Welches Deutschland meint die Union? Meint sie das Deutschland samt den Ostgebieten? Mit welchem Deutschland soll es so weitergehen? Ich hätte Ihre Wahlplakate sehr viel lieber mit einem ganz dicken Fragezeichen gesehen. Mir kommt das so vor wie das Kunstwerk von H. A. Schult dort drüben. Wenn Sie es sich schon angesehen haben, werden Sie feststellen: Es ist sehr hübsch geworden, aber es ist leider etwas zuwenig Grün drin.
    Kommen wir zum Haushalt. Wir führen heute zwar eine Generaldebatte, können aber trotzdem auf Einzelheiten eingehen.
    Der mit Abstand größte Haushaltsbrocken ist auch 1987 wieder der Militär- und Rüstungshaushalt mit über 65 Milliarden DM, wenn wir alles zusammenzählen. Da frage ich Sie wieder: Immer so weiter mit Deutschland?
    Wenn wir weiterrechnen, so sind in der Bundeswehrplanung bis 1995 für Forschung, Entwicklung, Beschaffung neuer Waffen und militärische Anlagen 142,4 Milliarden DM vorgesehen. Immer weiter so mit Deutschland? Frieden schaffen mit weniger Waffen?
    Sie versprechen auf Ihren Plakaten stabile Preise, sichere Renten und mehr Arbeitsplätze. Was Sie hier im Wahlkampf inszenieren ist ein Theaterstück mit mehreren Schurken. Einmal Finanzminister Schuldenberg — Stoltenberg —, der von 1983 bis einschließlich 1987 mit rund 130 Milliarden DM Nettoneuverschuldung die Staatsfinanzen rettet, der mit 33 Milliarden DM Subventionen und 41 Milliarden DM indirekter Steuervergünstigungen und einer Steuerreform, die hauptsächlich den Besserverdienenden nützt, den Haushalt weiter konsolidiert.
    Der nächste Schurke in dem Stück ist Norbert Blüm, Inhaber der Abbruchfirma „Soziale Sicherung". Trotz der drastischen Kürzungen der vergangenen Jahre im Sozialhaushalt — wir haben das heute schon verschiedentlich erörtert —, wurde die Neuverschuldung lediglich um 12 Milliarden DM von 1982 bis 1986 zurückgeführt. Aber dafür dürfen wir den Kollegen Blüm erleben, wie er mit dem Tod der Trümmerfrauen kalkuliert und wie das IG Metall-Mitglied Blüm das Streikrecht sabotieren will.
    Der nächste Schurke in dem Wahlkampfstück ist Friedrich Zimmermann, dem nun, nachdem er als alter Chaot nach Tschernobyl für viel Informationsverwirrung gesorgt hat, die Kompetenz für die Reaktoren genommen worden ist. Nun kann sich der Fritz Zimmermann mit erklecklichen Beträgen aus dem Haushalt 1987 seiner Lieblingsbeschäftigung widmen, nämlich der Militarisierung des Bundesgrenzschutzes und dem Bunkerbau für die Zivilbevölkerung.
    Rita Süssmuth, die Wahlkampflokomotive der Union für die emanzipierte Frau, muß dagegen leider etwas Dampf ablassen: Ganze 3,8 Millionen DM — ich wiederhole es zum Mitschreiben, ganze 3,8 Millionen — stellt die Bundesregierung in einem Titel ein, der lautet „Arbeiten und Maßnahmen auf dem Gebiete der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau". Das sind, in Prozenten ausgedrückt, 0,0015% des Haushalts für die rechtliche und soziale Stellung der Frau. Es geht also aufwärts mit euch Frauen!

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Das ist doch Humbug; wie viele Stellen sind es denn für die Frauen?)

    Kommen wir zum nächsten Ganoven in dem Schurkenstück: Martin Bangemann, der nächste Woche bei der GATT-Handelsrunde in Uruguay wieder tapfer für den freien Welthandel kämpfen wird, auf Kosten der Länder der Dritten Welt. Wir werden gerne abwarten, was der Herr Bangemann in seinem Energiebericht zum Ausstieg aus der Atomenergie vermelden wird, nachdem er ja jetzt zwei qualifizierte Gutachten bekommen hat. Die Vergabe ist vom Herrn Bundeskanzler leider als „instinktlos" gekennzeichnet worden, und der Kanzleramtsminister Schäuble hat sie — Zitat — „gewissermaßen privat zur Kenntnis genommen".
    Offensichtlich huldigt die Bundesregierung der Auffassung, daß ein schlecht informiertes Volk leichter zu regieren sei. Deswegen geraten zwei kritische Gutachten zur Atomenergie zur großen Wahlkampfpanne. Ausgerechnet Helmut Kohl, der Erfinder der neuen Theorie der Verelendung durch den Ausstieg aus der Atomenergie, muß sich vorrechnen lassen, und zwar nicht nur von bekannt ökologischen Gutachtern, sondern auch vom RWI, daß es ohne Atomstrom geht. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie das nächste Gutachten zum Ausstieg aus der Atomenergie bei Frau Noelle-Neumann in Auftrag geben. Da weiß man wenigstens vorher, was hinten rauskommt.

    (Dr. Rumpf [FDP]: Sie wollten etwas zum Haushalt sagen!)

    Im Etat des Wirtschaftsministers von 1987 wurde der Titelansatz „Aufklärung über Möglichkeiten der Energieeinsparung" gegenüber 1986 gekürzt. Ich finde, das ist ein seltenes Schurkenstück nach



    Suhr
    Tschernobyl! Gestrichen wurde der Titel „Förderung der beschleunigten Markteinführung energiesparender Technologien und Produkte". Der Wahnsinn hat offensichtlich Methode. Allen anderen Beteuerungen zum Trotz haben Sie aus Tschernobyl nichts gelernt.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Hören Sie einmal zu; es ist interessant für Sie; ich äußere mich zum Weltmarkt. — Auf dem Weltmarkt für Solarsysteme haben die USA im Jahre 1985 einen Marktanteil von 40 %; die Japaner haben einen Anteil von 37% am Weltmarkt; alle europäischen Staaten zusammen haben einen Anteil von unter 15 % bei der Technologie der Zukunft, bei der Solartechnologie.
    Und was passiert im Bundeshaushalt? Die Atomenergie wird im Bundeshaushalt weiter mit 1,76 Milliarden DM gefördert. Immer weiter so mit dem radioaktiven Deutschland? Ich glaube, die Wählerinnen und Wähler werden es Ihnen am 25. Januar zeigen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Allerdings!)

    Bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen einmal eine Preisfrage stellen. Vielleicht können Sie sich noch an das Jahr 1975 erinnern. Wie viele Reaktoren hat die Kernforschungsanlage Jülich 1975 für die Bundesrepublik als notwendig erachtet? 598 Atomkraftwerke sollten in der Bundesrepublik die Stromversorgung sichern.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Anti-Atom-Bewegung und die kritischen Wissenschaftler haben in den letzten zehn Jahren immerhin dafür gesorgt, daß das Reaktorprogramm bis heute um 95% gekürzt werden mußte. Ich sage Ihnen: Die restlichen 5% schaffen wir auch noch.
    Sie versprechen stabile Preise. Die niedrige Inflationsrate wird verursacht durch die günstigen Wechselkurse und durch die zerstrittene OPEC, durch die niedrigen Ölpreise. Dieses Spiel mit der Inflationsrate wurde ja in der Vergangenheit durch verschiedene Zitate immer wieder aufgewärmt. Ich kann Ihnen drei Zitate zur Inflationsrate vortragen. Der Kollege Cronenberg z. B. erklärte am 19. Oktober 1984 hier vor dem Deutschen Bundestag, daß 1 % weniger Preisanstieg einer realen Kaufkrafterhöhung von 18 Milliarden DM entspricht.

    (Hornung [CDU/CSU]: So ist es!)

    Fünf Monate später, im Februar 1985, erklärte Martin Bangemann hier vor dem Deutschen Bundestag:
    Ein Prozent weniger Inflationsrate sind 40 Milliarden DM Kaufkraft mehr!
    Eine Verdoppelung innerhalb von fünf Monaten!

    (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Wo ist der Bangemann eigentlich?)

    Und er sagte: Das sollten Sie sich einmal ausrechnen. — Ja, rechnen sollte man eigentlich können als Wirtschaftsminister.

    (Dr. Vogel [SPD]: Der Bangemann weiß das nicht so genau!)

    Der Finanzminister Stoltenberg war vor einem Jahr etwas bescheidener. Er erklärte:
    Allein ein Rückgang der Preissteigerungsrate um 1 % bedeutet für die privaten Haushalte einen Kaufkraftzuwachs von 10 Milliarden DM.
    Egal, ob 10, 18 oder 40 Milliarden, das sind Ihre soliden, seriösen Argumente, mit denen Sie den gnadenlosen Sozialabbau den Wählern schmackhaft machen wollen.
    Die Oma mit der kleinen Witwenrente von 300 DM, der Arbeitslose ohne Unterstützung oder mit einem Durchschnittseinkommen von 900 DM Arbeitslosengeld

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Lukas Beckmann!)

    oder jemand mit der durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe von 792 DM,

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Wo ist die Akte?)

    die spüren sehr wenig von diesen Milliarden Kaufkraftzuwachs.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ziehen Sie die Akte aus dem Ärmel!)

    — Zu Lukas Beckmann kann ich Ihnen nur sagen: Ein Beckmann macht den Kohl nicht fett. Ich bin dafür, daß unser Bundesvorstand anständig bezahlt wird. Wir werden das hinkriegen, genauso wie wir schon andere Dinge geklärt haben.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich wollte noch einen Satz zu dem vorhin von Herrn Finanzminister Stoltenberg angesprochenen Sozialneid sagen. Welchen Neid meinen Sie eigentlich mit „Sozialneid"? Meinen Sie den Neid des Arbeitslosen auf den Arbeitsplatzbesitzer?

    (Sehr gut! bei den GRÜNEN)

    Meinen Sie den Neid der Trümmerfrauen auf die Gnade der späten Geburt des Kanzlers? Welchen Neid meinen Sie denn?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Den Neid der Armen, die wirklich mühsam zu knabbern haben, um einigermaßen durchzukommen? Eines ist sicher, Norbert Blüm — leider ist er nicht da —: Die Renten schrumpfen real. Immer mehr Arbeitslose fallen durch das soziale Netz. Weiter so mit Deutschland?
    Wenn man die mühsam durch die Arbeitszeitverkürzungskämpfe neu geschaffenen Arbeitsplätze abrechnet und Ihre Verfälschungen der Arbeitslosenstatistik hinzunimmt, dann bleibt von Ihrem Aufschwung außer einem krankhaften Optimismus nicht viel übrig. Es bleibt für viele der Kaffeesatz und für wenige die Sahne. Wir werden über den Aufschwung, über diesen Pseudoaufschwung im Wahlkampf zu reden haben.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Nun bringen Sie mal etwas Sahne zu Ihrem Kaffeesatz!)

    Eine Bemerkung noch zum Kindergeld. Sie wissen, daß die GRÜNEN ein Kindergeld von 230 DM



    Suhr
    bis zum siebten Lebensjahr für jedes Kind fordern,

    (Hornung [CDU/CSU]: Warum denn so wenig?)

    330 DM bis zum 11. Lebensjahr und 410 DM bis zum 14. Lebensjahr.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Wer bezahlt das?)

    Ich sage das nur, damit Sie uns im Wahlkampf wieder als Kindesmörder diffamieren können.
    Was im Haushalt 1987 so gut wie keine Rolle spielt, ist die Umwelt, die Umweltzerstörung: 103 Milliarden DM jährlich; wir haben es gehört. Wir haben einen Energiewendehaushalt vorgelegt, und wir haben einen Maßnahmenkatalog zur Luftreinhaltung vorgelegt. Bis heute haben wir darauf keinerlei Reaktion oder Resonanz seitens der Bundesregierung.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Gebt das dem Herrn Fischer in Hessen!)

    Wenn die Waldvernichtung und die Luftverschmutzung so weitergehen — das sage ich Ihnen, Herr Weng, weil Sie vorhin so den Ökozid beschworen haben —, so weise ich darauf hin, daß die Mörder, die Vernichter des Waldes hier bei CDU/CSU, FDP und SPD sitzen, weil seit 15 Jahren nichts passiert, um die Umweltzerstörung wirksam aufzuhalten.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Deswegen wollen Sie Kohlekraftwerke zusätzlich! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Im Jahr 2000 wird die Hochwaldfläche in der Bundesrepublik um 800 000 Hektar reduziert sein; das ist die Fläche von halb Schleswig-Holstein.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Jede zweite Ortschaft im Alpenraum wird im Jahr 2000 bedroht sein durch Lawinen, durch Hochwasser und durch Erosion.

    (Hornung [CDU/CSU]: Deswegen steigen Sie aus! — Zuruf von der CDU/CSU: Durch eure Politik, die ihr macht!)

    Sie verhindern seit Jahr und Tag und seit wir hier im Bundestag sind, jede wirksame Maßnahme zur Luftreinhaltung, jede Verschärfung. Sie sind nicht mal bereit, das Tempolimit, das keinen Pfennig Geld kostet, hier einzuführen.

    (Schwarz [CDU/CSU]: Sie wollen doch wieder Dreck in die Luft jagen!)

    Mit der Katalysatortechnik sind wir zehn Jahre hinter Japan, hinter den USA zurück. Die Verantwortlichen für die Umweltzerstörung sitzen hier auf der Regierungsbank und bei der SPD.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Und bei den GRÜNEN!)

    Wir sehen in Nordrhein-Westfalen, daß die Liste der
    gefährdeten Arten, die rote Liste, in diesem Jahr
    wieder verlängert werden muß. Es ist völlig klar:
    Ohne die GRÜNEN wird es keine wirksame Umweltpolitik geben.

    (Zurufe von der SPD)

    Wir schlagen eine Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe zur Rettung des Waldes vor, bei der alles darangesetzt werden soll, die Luftverschmutzung zu reduzieren.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Jetzt sage ich einen letzten Satz zu dem rot-grünen Schreckgespenst, das Sie an die Wand malen. Ich kann Ihnen sagen: Für Millionen Bundesbürger und für mich persönlich stellt es eine große Hoffnung dar, daß es in dieser Republik anders weitergehen könnte, und eine Hoffnung, daß wir die Mehrheit der jetzigen Koalition zu Ende bringen.

    (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Strickstrumpfsozialismus!)

    Ich würde mich sehr viel wohler fühlen in dieser Republik bei einem Außenminister Otto Schily als bei einem Außenminister Franz Josef Strauß oder bei einer Agrarministerin Antje Vollmer anstatt Ignaz Kiechle oder Waltraut Schoppe statt Rita Süssmuth oder bei Joschka Fischer statt Walter Wallmann.
    Ich danke Ihnen.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist das klar!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Suhr, ich hatte Schwierigkeiten mit Ihrem Dialekt; das muß ich zugeben. Ich habe immer angenommen, Sie sprachen von „Schuldenstück". Falls sich herausstellt, daß das „Schurkenstück" hieß, was Sie gesagt haben, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das nun wirklich unparlamentarisch ist und hier nicht hergehört.
Jetzt hat Graf Lambsdorff das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich denke, der eine oder andere von uns wird sich noch erinnern, wie wir uns zum ersten Mal nach der Wahl vom 6. März 1983 im alten Plenarsaal versammelten, als die Kollegen der GRÜNEN-Fraktion mit Blumen einzogen, ihre ersten Reden hielten und den Anspruch darauf erhoben, hier eine sanfte, eine friedliche Politik, die Milde der Auseinandersetzung, in dieses Haus zu tragen.

    (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Soll ich mal hart werden, Herr Lambsdorff?)

    Wenn ich höre, meine Damen und Herren, was der Kollege Suhr soeben in wenigen Minuten hier zum besten gegeben hat: für die Politik der Bundesregierung gilt: der Wahnsinn hat Methode;

    (Suhr [GRÜNE]: Ja!)

    die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Objektivität von Frau Professor Noelle-Neumann wird



    Dr. Graf Lambsdorff
    kurzerhand mit einer Handbewegung beiseite gewischt;

    (Lachen bei den GRÜNEN)

    es wird nicht nur, wie der Herr Präsident zu Recht bemerkt hat, vom „Schurkenstück" gesprochen, sondern der Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann wird der „Ganove im Schurkenstück" genannt. Herr Kollege Suhr, Sie sollten aus dem Wasserwerk nicht ein Klärwerk machen, sondern eine chemische Reinigung für sich und andere. Ob Sie sich politisch reinigen lassen oder auch sonst, ist dann Ihre Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Monaten hat die Diskussion dahin geführt — das ist auch richtig vor einer Bundestagswahl —, daß die wirtschaftspolitischen Beschlüsse und die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der im Hause vertretenen Parteien deutlich geworden sind, daß sie auf den Tisch gekommen sind. Nun mag man es bedauern, aber man darf es wohl nicht verwischen: Es treten fundamental unterschiedliche Konzeptionen zutage: einerseits die Politik der Koalition, andererseits die Politik von Sozialdemokraten und GRÜNEN, wobei ich die Differenzierung zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN nicht übersehe, das Näherrücken der Positionen von Sozialdemokraten an grüne Inhalte aber auch nicht.
    Wer sich einen letzten Sinn für Realitäten bewahrt, der kann über grüne wirtschaftspolitische Positionen nicht realitätsbezogen, nicht realistisch diskutieren.

    (Ströbele [GRÜNE]: Das ist Ihre Realität, Herr Lambsdorff!)

    Was Sie, Herr Kollege Müller, heute hier an Zahlenakrobatik vorgeführt haben, mag zur Verunsicherung und Verwirrung beitragen, es kann nicht verdecken, was Sie an wirtschaftspolitischen Forderungen in Ihren programmatischen Aussagen untergebracht haben.

    (Ströbele [GRÜNE]: Das ist sehr gut!)

    Davon einige Kostproben, damit jeder sich davon überzeugen kann, wie gut es ist: sofortiges Abschalten der Kernkraftwerke,

    (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

    was nicht zu einem Anwachsen der Emissionen führen darf — ein offensichtlicher Widerspruch in sich selbst —; Abschaffung des betrieblichen Eigentums; Überstunden dürfen die Produktion nicht erhöhen — was sollen sie dann eigentlich tun? —; Einsetzung überbetrieblicher branchen- und regionalspezifischer Gremien, die Investitionen überprüfen und ein Genehmigungsrecht haben — Investitionslenkung und Investitionskontrolle par excellence —;

    (Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

    Abkoppelung von Weltmarktzwängen und Abkehr von der Exportorientierung der Wirtschaft —

    (Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

    womit mal eben schlicht acht Millionen Arbeitsplätze — denn soviel Arbeitnehmer sind in unserer exportorientierten Wirtschaft beschäftigt — in der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt werden.

    (Suhr [GRÜNE]: Wir wollen doch nicht den Export abschaffen! Haben Sie schon mal was von außenwirtschaftlichem Gleichgewicht gehört, Herr Lambsdorff?)

    Dieses ist mit großem Abstand die arbeitsplatzfeindlichste und arbeitnehmerfeindlichste Politik aller politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn diese Programmatik, wenn diese Vorstellungen Wirtschaftspolitik in der Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland werden könnten,

    (Suhr [GRÜNE]: Unter Ihnen nicht!)

    dann würde innerhalb kurzer Zeit das Ende der Industrienation Bundesrepublik Deutschland eingeleitet — das ist das, was Sie wollen —, und Sie würden innerhalb kurzer Zeit aus einer Industrienation ein Volk von Jägern, Sammler und Fallenstellern gemacht haben. Und das allerdings wollen wir nicht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Wie Sie ja auch ein großer Jäger sind! Ein großer Jäger waren Sie ja auch! Was haben Sie alles eingesammelt, Herr Lambsdorff!)

    Es ist in unseren Augen schlimm, daß die Sozialdemokratische Partei an diese Vorstellungen immer näher heranrückt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und der DGB! — Roth [SPD]: Totaler Quatsch! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Ich wiederhole: Es ist in unseren Augen schlimm, daß die Sozialdemokratische Partei immer näher an diese Vorstellungen heranrückt.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Und es ist erst recht schlimm, wie die frühere Regierungspartei SPD sich in nahezu regelloser Flucht und atemberaubender Geschwindigkeit von früher einmal teilweise auch zwischen uns gemeinsam vertretenen Positionen entfernt hat. Ich habe nie eine große deutsche Partei gesehen, die das mit solchem Tempo fertiggebracht hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Suhr [GRÜNE]: Aber eine kleine! — Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Aber eine kleine! Sie haben sich auch sehr schnell gewendet! — Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD)




    Dr. Graf Lambsdorff
    — Hätten Sie, meine Damen und Herren, von der SPD, das wenigstens in der richtigen Richtung getan.

    (Lachen bei der SPD)

    Aber auch das nicht. Und in Nürnberg? In Nürnberg, Herr Kollege Vogel, haben Sie mit Mühe eine vorläufige Auffangstellung für diese Entwicklung der SPD gebaut. Sie wird nicht lange halten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Immerhin! Immerhin!)

    Wer das Programm der Sozialdemokraten und die Beschlüsse von Nürnberg liest, der kann nur zu der Feststellung kommen: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist eine Wiesel-Partei geworden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Was für eine?)

    — Eine Wiesel-Partei: Wie das Wiesel Eier aussaugt und das leere Ei — die Hülle — unbeschädigt läßt, so entleert die Sozialdemokratische Partei die Begriffe ihres Inhalts.

    (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Nichts gegen Wiesel! Das ist ein zu schützendes Tier, der Wiesel!)

    Bündnistreue, sagt Johannes Rau.

    (Dr. Vogel [SPD]: Dann seid ihr eine Diesel-Partei!)

    Aber die Nürnberger Beschlüsse höhlen die Allianz in ihrem Wesensgehalt aus. Marktwirtschaft, sagt die SPD. Aber die Inhalte sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik

    (Hornung [CDU/CSU]: Planwirtschaft!)

    lassen hiervon nur noch das Wort, nur noch die äußere Hülle stehen. Und das ist Wiesel-Politik.

    (Suhr [GRÜNE]: Diesel! — Dr. Vogel [SPD]: Diesel!)

    „Wenn Farthmann und Rau sich nicht einigen, so werde ich sie so lange mit den Köpfen zusammen" — Entschuldigung! — „Wenn Fahrtmann und Roth sich nicht einigen,

    (Lachen bei der SPD)

    so werde ich sie so lange mit den Köpfen zusammenschlagen, bis sie sich geeinigt haben." — Also sprach Bruder Johannes.

    (Dr. Vogel [SPD]: Fellner und Hirsch?)

    Jetzt sehen wir das Ergebnis dieser Kopfarbeit:

    (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Die Sozialdemokraten haben nicht nur ihre wirtschaftspolitischen Wortführer Apel und Roth bei den Vorstandswahlen zerzaust.

    (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: ZauserPartei!)

    Es ist bemerkenswert, Herr Vogel, daß die beiden Sprecher Ihrer Partei für Finanzen und Wirtschaft es außerordentlich mühsam hatten, noch in den sozialdemokratischen Parteivorstand zurückgewählt
    zu werden. Auch da zeichnet sich ein Generationenwechsel ab. Aber wohin wird er führen?

    (Roth [SPD]: Ist das Programm falsch oder gut? — Zuruf des Abg. Wieczorek [Duisburg] [SPD])

    Ich sage noch einmal: Die SPD hat in Nürnberg versucht, die Soziale Marktwirtschaft zu zerzausen. Auch Johannes Rau

    (Dr. Vogel [SPD]: Ein zausiges Wiesel!)

    und seine Sozialtechniker reklamieren für sich den Markt als Antriebsmotor und Steuerungsprinzip.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Zauwies! — Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Wieselige Zausel!)

    Auch Johannes Rau und seine Sozialtechniker reden von Kreativität und Innovation. Sie reden vom schöpferischen Unternehmer.

    (Dr. Vogel [SPD]: Aha! Na bitte!)

    Aber die Sozialdemokratie empfiehlt Rahmenpläne und Mitverantwortung des Kollektivs bis hin zum Vetorecht gegen neue Techniken.

    (Dr. Vogel [SPD]: Kollektiv: das sind die Arbeitnehmer, nicht wahr?)

    Privatisierungen, die den freiheitlichen Wettbewerb stärken sollen, werden als Ausverkauf des Staates und des Staatsvermögens denunziert und diffamiert.

    (Dr. Vogel [SPD]: Strauß/Lufthansa!)

    Staatsbetriebe mit Bestandsgarantien werden dagegen als Garanten sogenannten sozialverträglichen Fortschritts gefeiert.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Und wer zahlt?)

    In dieser sozialdemokratischen Marktwirtschaft — lesen Sie es nach — wird korrigiert und ergänzt, gezielt und gesteuert, vorgegeben und kontrolliert.

    (Gilges [SPD]: Sagen Sie doch mal was zu Ihrer Politik! Sagen Sie doch mal was zu Ihrer Regierungspolitik! Sie sind Regierungspartei!)

    Die SPD will nicht den dynamischen, sie will den verwalteten Markt. Sie schiebt beiseite, daß mehr Markt auch weniger Staat bedeutet.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie schieben die Menschen beiseite!)

    Meine Damen und Herren, die Staatsquote ist — und dies trotz aller gegenteiligen Einwendungen der Sozialdemokraten und der GRÜNEN — das Fieberthermometer des Interventionismus, ist der Gradmesser für die Intensität des staatlichen Eingriffs in unser wirtschaftliches und auch in unser persönliches Leben.

    (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Sie reden wie im Fieber!)

    Die Sozialdemokraten entziehen sich hier der Diskussion. Sie sprechen von einem Fetisch und empfehlen, auf dieses Fieberthermometer gar nicht erst zu blicken.



    Dr. Graf Lambsdorff
    Die Sozialdemokraten halten nach wie vor daran fest, daß der Staat für alles und jedes aufzukommen hat.