Rede von
Norbert
Mann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße insbesondere die hier hereinrotierten Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich.
Ganz besonders möchte ich den Kollegen Schwarz aus Rheinland-Pfalz begrüßen.
15494 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986
Mann
Ich möchte zu einer Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht rede, die die Wirksamkeit parlamentarischer Kontrolle im Untersuchungsverfahren essentiell betrifft. Es geht um das Beweiserzwingungsrecht der Minderheit bei Untersuchungsausschüssen. Zur Zeit ist beim Bundesverfassungsgericht eine Klage anhängig. 37 Landtagsabgeordnete der SPD-Fraktion und Hugo Brandt, soweit ich informiert bin, der Vorsitzende der SPDFraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, hatten im Landtag u. a. folgendes beantragt. Ich darf auszugsweise aus unserem Änderungsantrag, der Ihnen ja vorliegt, zitieren, damit Sie das vielleicht noch einmal zur Kenntnis nehmen. Am 21. August 1985 beantragten die Antragsteller des verfassungsgerichtlichen Verfahrens im Landtag folgendes:
Der Landtag beauftragt den Untersuchungsausschuß „Strafsache Kanter", zu nachfolgenden Fragen den früheren persönlich haftenden geschäftsführenden Gesellschafter der Fa. Flick KG, Eberhard von Brauchitsch, als Zeugen zu vernehmen:
„Welche Umstände und Beweggründe veranlaßten den ehemaligen Justizminister Dr. Otto Theisen oder möglicherweise andere Mitglieder der Landesregierung, auf die Strafsache gegen Adolf Kanter im Jahre 1971 Einfluß zu nehmen; insbesondere spielten dabei die Praxis der Parteispenden und die mögliche Verwicklung von Mitgliedern der Landesregierung in diese Praxis unmittelbar oder mittelbar eine Rolle?
Hat Eberhard von Brauchitsch auf Mitglieder der Landesregierung eingewirkt, um deren Einflußnahme auf das genannte Ermittlungsverfahren zu erreichen?
Ist in diesem Zusammenhang an Mitglieder der Landesregierung oder an die Parteien, denen sie angehörten, durch Vermittlung von v. Brauchitsch Geld bezahlt worden? Wenn ja, von wem und in welcher Höhe?"
Soweit der Beweisantrag.
Dieser Antrag wurde in der 50. Sitzung des Landtags von Rheinland-Pfalz am 30. August 1985 von der Mehrheit, also Ihren Fraktionskollegen von der CDU, abgelehnt. Wir sind der Meinung, daß das eine parlamentarisch außerordentlich fragwürdige Entscheidung ist. Der Bundestag berät zur Zeit — im ersten Ausschuß ist ein entsprechender Gesetzentwurf erarbeitet worden — über eine gesetzliche Regelung des Untersuchungsverfahrens bei parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. In diesem Zusammenhang kommt es ganz entscheidend auf die Frage des Beweiserzwingungsrechtes der Minderheit an. Der Bundestag sollte unserer Auffassung nach wegen der großen Bedeutung auch für die Arbeit von Untersuchungsausschüssen im Bundestag in diesem Verfassungsstreitverfahren Stellung nehmen.
Erlauben Sie mir, daß ich zum Schluß noch etwas zum politischen Hintergrund der Strafsache Kanter sage; denn dieser Verfassungsstreit führt in der Tat mitten in die rheinland-pfälzischen CDU-Parteispendensümpfe der 60er und 70er Jahre.
Es handelt sich hier um einen in der rheinland-pfälzischen Justizgeschichte einmaligen Skandal. Da ist nämlich 1971 ein engagierter erster Staatsanwalt in Koblenz auf Veranlassung des damaligen Justizministers Dr. h. c. Theisen — übrigens damals und heute Landesschatzmeister der CDU — von der weiteren Sachbehandlung in der Strafsache Kanter entbunden worden. Er wurde entbunden, nachdem er einen Strafbefehl beantragt hatte, und er konnte auf Grund dieser Entbindung an der Hauptverhandlung, die zum Freispruch führte, nicht teilnehmen.
Ich darf den heutigen Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Koblenz zitieren. Er hat im Rahmen des Untersuchungsausschußverfahrens davon gesprochen, daß bei der Staatsanwaltschaft Koblenz damals Betroffenheit, Empörung und Bestürzung geherrscht hätten. Ich möchte nachtragen — und das ist unstreitig —: Vorausgegangen war einige Monate zuvor ein Gespräch des Justizministers mit dem Angeklagten, vermittelt durch Eberhard von Brauchitsch. Wer glaubt da noch an Zufall?
Ich meine, die CDU im rheinland-pfälzischen Landtag sollte nicht nur dafür sorgen, daß eventuell der Bundeskanzler noch einmal vor dem ersten Untersuchungsausschuß im dortigen Landtag ergänzend aussagt.
Er sollte auch dafür sorgen, daß Herr von Brauchitsch seine Aussage vor einem parlamentarischen Gremium wahrheitsgemäß zur Aufklärung macht, wie sich das für ein Parlament gehört. Damit könnten Sie im übrigen einen Beitrag zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts leisten, Herr Kollege Erhard.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, die Sie offenbar auch in Zwischenrufen zu Protokoll geben wollen.