Rede von
Heidemarie
Dann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken bestimmen unseren Alltag immer stärker, ohne daß hierüber zuvor eine gesell-
15466 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986
Frau Dann
schaftliche Willensbildung stattgefunden hat. Die Opposition läßt diesen Aspekt in ihrem Antrag etwas außen vor. Die neuen Technologien werden als gegeben angesehen. Richtig ist, daß jeder von uns ihnen mehr oder weniger ausgeliefert ist. Dies gilt erst recht dann, wenn die Landesminister über die Köpfe von Lehrerkollegien, Direktoren, Eltern- und Schülervertretungen hinweg die Anschaffung von Computern für Schulen beschließen. Diese Vorgehensweise lehnen wir entschieden ab.
Des weiteren: IBM beabsichtigt, 10 % seiner Umsätze in Zukunft an Schulen zu tätigen. Sie macht das bestimmt nicht aus bildungspolitischem, sondern aus ökonomischem Interesse.
Es wird nicht nur die Schule als Absatzmarkt erobert, sondern es werden auch die zukünftigen Kunden für Heimcomputer herangezüchtet. Der unkontrollierte Einfluß der Computerindustrie auf die Ausstattung von Schulen muß eingedämmt werden.
Sie, gerade Sie, betonen hier immer die Zukunftschancen, die durch Computerkenntnisse eröffnet werden. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere wird nicht beleuchtet: daß die neuen Technologien die Arbeitslosigkeit, die fehlenden Zukunftschancen erst bedingen,
daß die elektronische Kommunikation zu einer stetigen Berieselung mit der Folge einer sozialen Isolation und Kommunikationsunfähigkeit führt. In diesem Zusammenhang sind nicht zuletzt die mit den computerisierten Sicherheitsdiensten verbundene Überwachung und Unfreiheit des Individuums zu nennen. Sind das die Chancen, die Sie meinen? Oder geht es darum, Schüler und Schülerinnen auszubilden, die sich eine Gesellschaft ohne Computer gar nicht mehr vorstellen können?
In Ihrem Antrag sprechen Sie auch die Chancengleichheit an. Ich frage mich nur: welche? 98 % der Hobbyelektronik-Artikel wird an Jungen verkauft. Mädchen haben offensichtlich eine Abneigung gegen elektronisches Spielzeug. Dennoch reden Sie von Chancengleichheit und meinen damit, daß Mädchen die Chance erhalten sollten, sich den Neigungen der Jungen anzupassen — in der Schulklasse die gleichen patriarchalischen Strukturen wie auch sonst in der Gesellschaft!
Mädchen bekommen aufgezwungen, was Jungen und Landesminister wollen, und das wird ihnen noch als Chance verkauft. Der SPD-Antrag versäumt erstens, zu hinterfragen, worauf unsere Zukunftschancen gerichtet sein sollen.
Zweitens bleibt unbeantwortet, welche Chancen bzw. Verbesserungen neue Technologien in der Schule überhaupt bewirken können.
Drittens bleibt ungeklärt, wie die Beziehungen zwischen neuen Technologien und der Bildung aussehen sollen.
Ich befürchte gravierende Folgen des Computerunterrichtes. Die Lernstoffe werden maschinengerecht aufbereitet, das Denken wird digitalisiert, die Leistung wird nur noch in Zahlen gemessen, und Wissen wird im Dialog mit dem Computer eingepaukt. Ich halte es für wichtiger, den Lernenden als Subjekt des Lernprozesses zu begreifen, die persönliche Beziehung zwischen Lehrern und Schülern stärker zu gewichten, ein Lernen durch Erfahrungen an der Wirklichkeit und nicht an elektronisch vermittelter Realität aus zweiter Hand zu ermöglichen, neben dem lustbetonten kreativität- und phantasiefördernden Lernen die individuellen Fähigkeiten und Motivationen zu fördern.
Deshalb gilt es, die Bildung nicht den neuen Technologien anzupassen — das gilt besonders für Ihre Seite, denn das scheinen Sie offensichtlich anzustreben —, nicht ein computergerechtes, sondern ein menschengerechtes Bildungssystem zu schaffen.
Die allgemeinbildenden Schulen sollten Kinder und Jugendliche, Jungen und Mädchen befähigen, die Risiken des technischen Fortschrittes und die Gefahren elektronisch vermittelter Kommunikation zu begreifen. Unsere Schulen sollen die Kritikfähigkeit der Schüler unterstützen, statt ihnen von oben herab Computer zu verordnen. Dann werden auch Jugendliche sehr wohl in der Lage sein, selbstbestimmt und souverän zu unterscheiden, wann und wo sie mit den neuen Technologien umgehen.
Zu den genannten Problemen halten die GRÜNEN es für dringend erforderlich, eine Anhörung im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu veranstalten. Das Lernen soll nicht dem Diktat der Technik und der Computerindustrie überlassen bleiben.
Ich danke fürs Zuhören.