Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zudem vorliegenden Antrag einige grundsätzliche Anmerkungen machen.
Wir gehen davon aus, daß die fortschreitende Entwicklung und Anwendung der neuen Informations-
und Kommunikationstechnologien hohe Anforderungen an das gesamte Bildungssystem stellen, und wir möchten deshalb mit diesem Antrag einige Bereiche und auch ein paar wichtige Fragen ansprechen.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986 15463
Kastning
In der Diskussion wird seit geraumer Zeit von manchen forschen Technologiegläubigen z. B. die Frage aufgeworfen, ob die Schule nicht bereits hinter der Entwicklung herhinke. In der Tat besteht bei vielen Schülern ein großes persönliches Interesse an Computerbildung der verschiedensten Art in der Schule, und erste Ergebnisse von Untersuchungen deuten ebenfalls in diese Richtung. Die Ursachen dürften unter anderem darin zu suchen sein, daß der Computermarkt bereits weit in den Privat- und Freizeitbereich vorgedrungen ist und daß durch vorhandene Geräte im Elternhaus wie auch in vielen Schulen bereits nachträglich schwer zu beeinflussende Fakten geschaffen wurden. Das deutet auf eine Seite des gegenwärtigen Systems der Bildungspolitik hin.
Die Industrie hat es — auch mit Unterstützung der Bundesregierung geschafft, das allgemeinbildende Schulwesen mit Computern anzureichern. Da taucht die Frage auf, ob denn nicht in den Augen mancher die Schule zuallererst als Teil eines Marktes gesehen und ökonomischen Gesichtspunkten untergeordnet wird, ohne ausreichend schul-
und bildungsspezifische Elemente zu berücksichtigen.
Zukunftsorientierte Bildung, meine Damen und Herren, darf sich aber unter keinen Umständen auf den Umgang mit zur Zeit marktgängigen Geräten beschränken oder vorrangig eine bestimmte Markttreue später einmal erwachsener Gerätebenutzer bewirken.
Deshalb weise ich noch einmal darauf hin: Eine zwar zügige, aber dennoch gründliche Pädagogisierung der gesamten Problematik muß Vorrang vor einer unbedachten technischen Überfrachtung unserer Bildungsstätten haben.
Unser Antrag ist Ergebnis einer längeren Beobachtung der Entwicklung, aber auch einer im vorigen Jahr durchgeführten Expertenanhörung. In dieser Anhörung hat sich ergeben, daß sich alle Experten damals von denjenigen distanziert haben, die dem Bildungssystem kurzfristig die neuen Technologien aufpfropfen wollen, ohne über Voraussetzungen und Folgen ausreichend nachzudenken. Die Schule dürfe nicht zum Spielball von ungesteuerten Entwicklungen werden, hieß es damals unter dem Strich.
Ich freue mich darüber, daß in der öffentlichen Diskussion weitgehend Übereinstimmung darin herrscht, daß auch in Zukunft die traditionellen Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen nicht an Bedeutung verlieren sondern zunehmen. Ich wünsche mir, solche Übereinstimmung herrschte auch im Hinblick auf die Bildungsziele; denn zum Bildungsauftrag muß angesichts der neuen Entwicklung nach wie vor gehören, zum Ausgleich von Bildungs- und Lebenschancen beizutragen, die persönliche Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu fördern und die Verhältnisse
mindestens so weit durchschaubar zu machen, daß für junge Menschen Chancen zur Mitgestaltung eröffnet werden.
Wir müssen wohl auch zur Kenntnis nehmen, daß Chancengleichheit im Sozialzusammenhang wie auch unter den Geschlechtern in Zukunft erheblich durch den gleichen Zugang zu Information und Informationstechnologien bestimmt wird. Deswegen darf die Schule die Augen vor dieser Entwicklung selbstverständlich nicht verschließen.
Ich warne aber davor, Schule und Bildung darauf zu begrenzen, nur die Akzeptanz neuer Technologien zu sichern. Die bloße Vermittlung einer Art von Computerführerschein, wie dies mitunter anklingt, ist kein bildungspolitischer Beitrag für die Gestaltung der Zukunft.
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, daß sich im vergangenen Jahr Bund und Länder auf ein gemeinsames Rahmenkonzept für die informationstechnische Bildung in Schule und Ausbildung verständigt haben. Wenngleich ein Rahmenkonzept erfahrungsgemäß unterschiedliche Entwicklungen zuläßt, müßte es dennoch möglich sein, in einer Reihe von Punkten übereinstimmend weiter vorzugehen. Auf Grund der begrenzten Redezeit will ich nur einige andeuten, die j a auch schon in Beratungen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft eine Rolle gespielt haben.
Erstens. Wenn Bildung auf die vielfältige und zunehmend durch den Einsatz der neuen Technologien geprägte außerschulische Wirklichkeit vorbereiten soll, darf sie nicht zu früh spezialisiert werden.
Sie darf nicht auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich oder etwa gar ausschließlich auf ein Fach Informatik beschränkt werden. Sie müßte wohl auch für alle Schüler stattfinden, wenn nicht neue Differenzierungen im Blick auf Chancen erfolgen sollen.
Zweitens. Wir denken auch, daß es die Schwierigkeit der Materie gebietet, Kriterien bzw. ein staatliches Zulassungsverfahren für Hard- und Software einzuführen. Es geht ja um Unterrichtsmaterial und nicht nur um ein technisches Gerät.
Drittens. Das dürfte eigentlich auch unumstritten sein: Die Lehreraus- und fortbildung muß mit Nachdruck vorangetrieben werden.
Viertens. Berufliche Bildung, die junge Menschen dazu befähigen soll, sich auf immer neue Anforderungen im Berufs- und Arbeitsleben einzustellen und an der Gestaltung der Arbeitswelt mitzuwirken — darauf legen wir Wert —, muß eine breite Grundbildung vermitteln. Spezialwissen gehört wohl immer stärker in die Weiterbildung.
15464 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986
Kastning
Weiterbildung aber — und das als fünfter Punkt — wird zunehmend als integraler Bestandteil beruflicher Qualifikation angesehen werden müssen; denn sie beginnt häufig unmittelbar nach dem Übergang aus der beruflichen Erstausbildung in das erste Arbeitsverhältnis. Daraus folgt für uns, daß bei der Neubestimmung von Inhalten und Zielen der Erstausbildung dem Aspekt der Grundlegung für Weiterbildungsaktivitäten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß.
Ich freue mich darüber, daß der erste und der letztgenannte Punkt bereits in einer Stellungnahme des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Bericht der Bundesregierung zur Informationstechnik die Zustimmung auch der Kolleginnen und Kollegen von der Koalition gefunden haben. Wir unterstützen auch ausdrücklich — wir haben das ja auch in diesen Beratungen als Forderung aufgestellt — die in derselben Stellungnahme enthaltene Aufforderung an die Bundesregierung, im Hinblick auf den unterschiedlichen Planungsstand und Ausbau der informationstechnischen Bildung in den Schulen darauf hinzuwirken, daß es zu einer gleichmäßigeren Entwicklung im Bundesgebiet kommt. Wir sind allerdings — das möchte ich unterstreichen — nicht bereit, von bestimmten bildungspolitischen und pädagogischen Mindestkriterien abzuweichen. Die Einheitlichkeit bzw. die Gleichwertigkeit der Maßnahmen darf nicht dazu dienen, etwa das, was ich mit dem Stichwort Computerführerschein skizziert habe, gewissermaßen unter dieser umfassenden Decke anzustreben.
Wir möchten mit unserer Initiative für einen Bericht der Bundesregierung dazu beitragen, den gegenwärtigen Entwicklungsstand durchschaubarer zu machen, um einmal eine zusätzliche Diskussionsgrundlage für alle am Bildungswesen Beteiligten — von den Eltern bis hin zu den kommunalen Schulträgern — zu schaffen. Wir möchten dann auch an Hand der Fakten eine Meßlatte haben, um mit Hilfe dieser Meßlatte feststellen zu können, wie die Wirklichkeit tatsächlich aussieht. Schule und Bildung dürfen jedenfalls nicht zur Hilfsinstitution für die Ausfüllung rein ökonomischer Vorgaben verkümmern.
In diesem Sinne bitte ich Sie um Unterstützung unserer Initiative. Angesichts der — nach dem Vorschlag des Ältestenrates — Vielzahl zu beteiligender Ausschüsse gestatten Sie mir auch die Bitte um eine zügige weitere Beratung, damit die Bundesregierung die Fakten zusammentragen kann.