Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende Änderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes hat zum Ziel, die unverhältnismäßig starke Belastung der Gerichte mit Bußgeldsachen im Bagatellbereich abzubauen. Derzeit werden in der Bundesrepublik Deutschland vor unseren Gerichten jährlich ungefähr eine halbe Million Bußgeldverfahren abgehandelt. Die Zahl dieser Verfahren hat sich damit gegenüber 1971 mehr als verdoppelt. 90% der Bußgeldverfahren betreffen Ordnungswidrigkeiten im Bagatellbereich, wo es nur um sehr geringfügige Geldbußen geht. Wir wollen mit einer Reihe von Maßnahmen versuchen, die Flut von gerichtlichen Bußgeldverfahren einzudämmen, damit die Arbeitskapazität der Gerichte für bedeutsamere Sachen verbessert werden kann.
Ich will kurz einige Schwerpunkte der Novellierung hervorheben.
Die Geldbußen im formlosen Verwarnungsverfahren, deren Höhe bisher bei Ordnungswidrigkeiten auf 20 DM und in Verkehrssachen auf 40 DM beschränkt war, werden auf bis zu 75 DM ausgeweitet. Damit besteht die Möglichkeit, daß zukünftig das Verwarnungsverfahren schnell und unbürokratisch mit einer Geldbuße von bis zu 75 DM abgeschlossen werden kann. Wenn der Bürger zustimmt, erspart er sich in diesen Fällen die Gebühr von 10 DM und die Zustellungskosten von 5 DM, die bei einem förmlichen Bußgeldverfahren entstehen würden. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß diese
Änderung keinen Einfluß auf die Höhe der Geldbußen bei den einzelnen Verstößen hat. Es geht nur darum, das formlose Verfahren in erweitertem Umfang anwenden zu können.
Ferner haben wir eine Verbesserung der Rechte des Betroffenen dadurch vorgesehen, daß die Frist für den Einspruch von einer auf zwei Wochen verlängert wird. Es ist heute so, daß schon ein kurzer Urlaub oder eine kurzfristige Abwesenheit dazu ausreicht, daß die einwöchige Einspruchsfrist nicht mehr wahrgenommen werden kann. Dann muß erst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Das heißt, die bisherige kurze Frist trägt dazu bei, daß die Gerichte noch stärker belastet werden.
Wir haben weiterhin vorgesehen, daß die Verwaltungsbehörden in Zukunft eine umfangreichere Prüfungspflicht haben, wenn der Beschuldigte Einspruch einlegt. Die Staatsanwaltschaft kann zukünftig ein Verfahren zur genaueren Aufklärung an die Verwaltungsbehörde zurückgeben. Sofern die Verwaltungsbehörde den Sachverhalt nicht aufklären kann, muß sie selber das Verfahren einstellen, so daß diese Fälle künftig nicht mehr in das gerichtliche Verfahren gelangen. Zur besseren Sachverhaltsaufklärung hat der Betroffene in Zukunft die Möglichkeit, vor der Abgabe der Sache an das Gericht Einwendungen vorzutragen.
Der Gesetzentwurf sieht weiterhin einige Vereinfachungen im Beweisverfahren vor. Mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten kann das Gericht das Verfahren durch eine vereinfachte Beweisaufnahme abkürzen. Ebenso nur mit Zustimmung der Betroffenen können Zeugenvernehmungen durch schriftliche Vernehmungsprotokolle ersetzt werden. Das Gericht kann auch von einer schriftlichen Urteilsbegründung absehen, wenn das Urteil rechtskräftig ist und der Betroffene auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat.
Im Gegensatz zur Regierungsvorlage hielten wir es für wichtig, diese Vereinfachungen der Beweisaufnahme nur in den Fällen zuzulassen, in denen der Betroffene zustimmt. Wir wollten keine Eingriffe in die Rechte des Bürgers vor Gericht, sondern wir haben Verfahrensvereinfachungen nur dort ermöglicht, wo dieses einverständlich, d. h. mit Zustimmung des Betroffenen, erfolgt.
Nicht gefolgt sind wir dem Vorschlag des Bundesrates, eine Kostentragungspflicht einzuführen, wonach der Halter eines Kraftfahrzeuges eine Gebühr zu entrichten hat, wenn der Fahrer, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat, nicht ermittelt werden kann. Wir glauben, daß dieses vom Bundesrat vorgeschlagene Instrumentarium den Grundsatz der Unmittelbarkeit, der bisher im Strafrecht und im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt, abgebaut hätte. Wir halten diesen Grundsatz für nicht ersetzbar. Die Einführung einer Halterhaftung erschien insbesondere in bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten nahestehender Verwandter bedenklich, da dem Halter nur der Konflikt geblieben wäre, einen nahen Angehörigen zu belasten oder selber finanzielle Nachteile hinnehmen zu müssen.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1986 15427
Saurin
Lassen Sie mich kurz auch etwas anderes erwähnen, was der Bundesrat, glaube ich, übersieht. Die Belastung der Gerichte mit Bußgeldverfahren ist zwar absolut deutlich angestiegen, es ist aber nicht die Einspruchsquote angestiegen. Wir haben — nach den Zahlen aus Bayern, die exakt vorliegen — ungefähr eine Vervierfachung der Bußgeldbescheide seit 1971. Interessant ist aber, daß die Quote der Einsprüche gegen Bußgeldbescheide 1971 bei ungefähr 10 % gelegen hat, Mitte der 70er Jahre auf 14 % gestiegen war und jetzt wieder fällt und sich 10 % nähert. Das heißt, der Bürger macht gar nicht verstärkt von seinem Einspruchsrecht Gebrauch. Nur dadurch, daß die absolute Zahl der Bußgeldbescheide gestiegen ist, ist in der Folge die Zahl der Einsprüche nach oben gegangen.
Wir haben eine andere Regelung vorgesehen, um den härtesten Fällen des Rechtsmißbrauchs entgegenwirken zu können. Zukünftig sollen die Anwaltskosten bei Verfahren gegen Bußgeldbescheide bis zu einer Höhe von 20 DM nur noch dann erstattet werden, wenn eine schwierige Sach- oder Rechtslage oder eine besondere Bedeutung der Sache für den Betroffenen vorliegt. Auf diese Weise werden die schlimmsten Fälle des Rechtsmißbrauchs, die bei der derzeitigen Rechtslage bei der Kennzeichenanzeige möglich sind, beseitigt, ohne daß für alle Kraftfahrzeugbesitzer eine Halterhaftung eingeführt wird.
In Anwaltskreisen wird heute schon erzählt, daß es einzelne, gerade jüngere Kollegen gibt, die in ihrem Bekanntenkreis fast die Parole ausgeben, falsch zu parken, nach Möglichkeit dabei noch erwischt zu werden und dann nur das Aktenzeichen in die Kanzlei zu geben, damit man dann mit einem Standardbrief über die Kennzeichenanzeige und die Zeugnisverweigerung dieses Verfahren abwürgt und der Anwalt dann dafür eine nicht unbeträchtliche Gebühr kassiert. Das halten wir für unverhältnismäßig. Es muß möglich sein, daß man bis zu 20 DM auch ohne einen Anwalt, wenn es nur um einen einfachen Parkverstoß geht, die Sache vor Gericht klären läßt.
Ich möchte einen weiteren Punkt hervorheben und ihn damit zugleich ein ganz klein wenig abschwächen. Die Medien haben nach dem Abschluß der Beratungen im Rechtsausschuß im Zusammenhang mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz eigentlich nur darüber berichtet, daß jetzt die Parkkralle, die Parkverriegelung eingeführt werden soll. Dem ist nicht so. In das Gesetz wird lediglich für Versuche zur Erprobung der Auswirkung des vorübergehenden Blockierens von Kraftfahrzeugen mit Parkriegeln bei Verstößen gegen Halte- oder Parkverbote eine Norm aufgenommen, wonach der Bundesverkehrsminister eine entsprechende Verordnung erlassen kann. Wir wollen keine flächendeckende Einführung des Parkriegels. Wir wollen lediglich, daß, sofern ein Antrag vorliegt, ein Versuch ermöglicht wird, um zu sehen, ob mit einem Parkriegel Verbesserungen im ruhenden Verkehr herbeigeführt werden können. Uns lag lediglich ein einziger Antrag vor, und zwar war es die Landeshauptstadt München, die uns gebeten hat, eine solche Versuchsregelung im Gesetz vorzusehen. Wir haben
daraufhin gesagt: höchstens einen Versuch. Dieser Versuch wird auch nur — mit Zustimmung der obersten Landesbehörde — genehmigt, wenn ein entsprechender Antrag eingeht. Da ich weiß, daß der Großteil der Bundesländer selbst an einem Versuch überhaupt nicht interessiert ist, glaube ich, daß es zu einer solchen Versuchsregelung höchstens im Fall der Stadt München kommen wird, sofern diese überhaupt bereit sein wird, einen Antrag zu stellen, und sofern die Bayerische Staatsregierung den Versuch überhaupt ermöglichen sollte.
In England und in Frankreich — das muß man fairerweise sagen — hat der Parkriegel dazu geführt, daß die Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr teilweise um bis zu 30 % zurückgegangen sind.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich glaube, daß der Gesetzentwurf eine Änderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes bringen wird, die unsere Gerichte von Bagatellverfahren entlastet, damit sie wieder mehr Zeit für die wirklich bedeutsamen Angelegenheiten haben, daß diese Entlastung aber geschieht, ohne daß nennenswert in die Rechte der Bürger eingegriffen wird, daß also ein vernünftiger, ausgewogener Kompromiß zustande gekommen ist, der auch von den Ländern mitgetragen werden kann.
Danke.