Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was soll den Studentinnen und Studenten die zehnte Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bringen? Eine Steigerung von 2,8 % ist angesagt. Das bedeutet 20 DM pro Monat.
Und dies für einen Zeitraum von drei Jahren, nämlich von 1983 bis 1986. Gleichzeitig sollen die Freibeträge um ganze 2 % angehoben werden. Damit wird nicht einmal die Steigerung der Lebenshaltungskosten ausgeglichen. Dieses bedeutende Gesetzeswerk steht also nun ins Haus.
Das Einkommen der Studenten ist zwischen 1982 und 1985 real gesunken. Doch jetzt können sie aufatmen. Zwar wird die Inflationsrate für nicht im Elternhaus lebende Studenten nicht einmal ausgeglichen. Aber vielleicht rechnen die Studenten da nicht so genau nach. Es sind ja auch nicht alle Mathematikstudenten. Das scheint mir jedenfalls die Hoffnung der Bundesregierung zu sein. Doch vielleicht verrechnet sich da die Bundesregierung.
Wie sieht die soziale Lage der Studenten heute eigentlich aus? Dafür ziehe ich einige Daten heran, die die 11. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 1985 ergeben hat. Ein Viertel der nicht im Elternhaus lebenden Studenten hatte monatlich weniger als 700 DM zum Leben. Diese finanzielle Knappheit führt dazu, daß an einer Stelle gespart wird, wo die Studenten die Auswirkung nicht sofort spüren, nämlich bei der Ernährung. Die gesundheitlichen Spätfolgen werden aber eines Tages spürbar. Und das merken dann nicht nur die Studenten selber, sondern die Gesellschaft wird für die gesundheitlichen Spätfolgen aufkommen müssen. 1982 gaben die Studenten für die Ernährung noch 212 DM im Monat aus. 1985 waren es nur noch 203 DM. Mehr mußte für die Miete ausgegeben werden, nämlich bis zu 12 %. Dies ist ein Posten, den die Studenten selber am wenigsten beeinflussen können.
Die Studiumfinanzierung durch Elternhaus und/ oder eigenen Verdienst nimmt ständig zu. 53 % der Studierenden sind zumindest gelegentlich erwerbstätig. Wen wundert es da, daß sich die Studienzeiten weiter verlängern? Die Zahl derer, die BAföG als Haupteinnahmequelle bezeichnen, ist zurückgegangen. Die Quote der geförderten Studentinnen und Studenten ist von 1982 bis 1985 um 10 % gesunken. Obwohl die Zahl der erwerbstätigen Studenten weiter steigt, bringt der Job unter den erschwerten Bedingungen des Arbeitsmarkts immer weniger ein.
Auch das ist ein Ergebnis, und zwar ein sehr unerfreuliches, der 11. Sozialerhebung.
Die soziale Herkunft der Studierenden hat sich in den letzten drei Jahren ebenfalls verändert. Studierende aus Arbeiterfamilien und Angestellten-
und Beamtenfamilien aus dem mittleren und einfachen Dienst sind weniger vertreten. Dem gegenüber hat sich die Zahl der Studierenden von Eltern in gehobenen Positionen oder von Beamten im höheren Dienst deutlich erhöht. Die Zahl der Arbeiterkinder ist erstmals rückläufig, auch wenn sie absolut von allen Herkunftsfamilien noch den größten Teil stellt. Man sollte sich dabei allerdings vor Augen führen, daß das BAföG ursprünglich vor allem für diese Zielgruppe verabschiedet wurde.
Angesichts einer insgesamt gesunkenen Förderquote von verbesserter Hilfe zu sprechen, wie es die Bundesregierung tut, ist mehr als zynisch.
Noch ein Wort zu der rückläufigen Zahl der Geförderten. Diese ist, wie gesagt, in den letzten drei Jahren um 10 % zurückgegangen. Das ist ein in der ganzen Geschichte des BAföG seit 1971 bisher nicht dagewesener Rückgang.
Diesen erschreckenden Rückgang will die Regierung verdecken, indem sie mit anderen Zahlen operiert. Die sogenannte Gefördertenquote soll bereinigt werden. Das heißt, die Regierung legt nicht mehr die Zahl aller Immatrikulierten zugrunde, sondern zieht die Zahl der Studenten ab, die nicht im Erststudium sind, die das 30. Lebensjahr vollendet haben, die an wissenschaftlichen Hochschulen nur bis zum 8. Semester und an Fachhochschulen nur bis zum 7. Semester studieren. Auf Grund dieser Ausgrenzungen ergibt sich für die Regierung eine Gefördertenquote von 35 %, während nach den Berechnungen des Deutschen Studentenwerks, das alle Immatrikulierten berücksichtigt, nur noch 25 % der Studierenden gefördert werden. Trotz dieser Zahlenakrobatik bleibt der Rückgang der Zahl der geförderten Studierenden erschreckend.
Die Regierung macht sich die Begründung zu leicht: Die SPD ist schuld, hat sie doch im Jahr 1981 das 7. Änderungsgesetz erlassen, nach dem einige BAföG-Leistungen zusammengestrichen wurden.
Den größten Einschnitt in das BAföG, nämlich die unter dieser Regierung im Jahr 1983 durchgeführte Umstellung auf Volldarlehen, erwähnt die Bundesregierung allerdings nicht bzw. sie tut ihn als unerheblich ab. Diese Umstellung schreckt junge Leute vom Studium ab.
Denn was sind das für Zukunftsaussichten für einen jungen Akademiker oder eine junge Akademikerin, mit zirka 40 000 DM Schulden ins Berufsleben zu gehen? Da hilft es auch wenig, wenn in dem hier zur Debatte stehenden 10. Änderungsgesetz der Freibetrag für die Rückzahlung des Darlehens um 85 DM erhöht werden soll.
Wie unsozial diese Bundesregierung mit den Studenten und Studentinnen umgeht, zeigt ein Vergleich zwischen der zur Debatte stehenden BAföGErhöhung um knapp 3% und den Sozialhilfesätzen.
15366 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 199. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1986
Frau Wagner
Es ist festzustellen, daß in den letzten Jahren in für Studenten und Studentinnen wichtigen Bereichen Teuerungen eingetreten sind, die zum Teil erheblich sind, wie etwa bei den Mieten, den Fahrpreisen beim öffentlichen Personennahverkehr und bei den Stromkosten.
Beim Wohngeld ist die Benachteiligung von Studierenden ebenfalls gravierend, wie ich an einem Beispiel deutlich machen möchte. Ein Studierender erhält bei einer Kaltmiete von 235 DM den maximalen Unterkunftskostenzuschuß als Teil des BAföG in Höhe von 75 DM. Dieser Zuschuß wird heute als Darlehen gezahlt. Wäre der Studierende Mieter mit Wohngeldanspruch, bekäme er 102 DM Mietzuschuß.
Was will die Bundesregierung also mit dieser Gesetzesänderung erreichen? Sie muß der leidigen Pflicht nachkommen, die ihr das Bundesausbildungsförderungsgesetz auferlegt, nämlich die Sätze alle zwei Jahre anzupassen. Das erledigt sie mit dem geringsten Aufwand, der möglich ist. Denn Bildungsförderung ist Ordnungspolitik. Die Zahl der Studierenden soll zurückgehen, damit sich auch die kritischen Geister an den Hochschulen allmählich davonmachen. Die Bildungsförderung gehört zu dem Teil der Staatsausgaben, bei dem die Staatsfinanzen konsolidiert werden sollen.
Diese Gesetzesnovelle packt deshalb die drängenden Probleme in der Ausbildungsförderung in keiner Weise an. Diese Probleme liegen in dem völlig unzureichenden Umfang der Förderung, der nicht einmal das Existenzminimum deckt, in der hohen Verschuldung, in der mangelnden Förderung bis zum Examen, in der fehlenden Förderung während des Zweitstudiums oder des Ergänzungsstudiums, in der kaum noch vorhandenen Förderung in Härtefällen, um nur einige zu nennen.
Die GRÜNEN fordern deshalb eine grundlegende Änderung des BAföG, die folgende Punkte umfaßt.
Erstens. Wir fordern eine elternunabhängige Förderung. Jeder Student und jede Studentin sollen so studieren können, daß sie ein von den Eltern unbeeinflußtes Leben und Studium führen können. Denn schließlich handelt es sich hier um erwachsene Männer und Frauen.
Zweitens. Die Förderungshöchstdauer muß um zirka zwei Semester erhöht werden, da die Studiengänge bis zum Abschluß durchschnittlich zwei Semester länger dauern als die jetzige Förderungshöchstdauer. Oft ist es heute auch so, daß die Förderung gerade in den Examenssemestern aufhört, was zu erheblichen Härten führt.
Drittens. Die Höhe der Förderung muß sich an einer Existenzsicherung orientieren, die zum Lebensunterhalt ausreicht. Das Deutsche Studentenwerk hat jüngst den Minimalsatz von 974 DM monatlich errechnet. Das bedeutet, daß zur Zeit ein Satz von zirka 1 000 DM notwendig wäre.
Viertens. Die Förderung sollte auch bei einem Fachrichtungswechsel und bei einem Zweitstudium gewährleistet werden. Beim Fachrichtungswechsel sollte die Förderung neu berechnet werden, wenn die Studierenden nach dem zweiten Semester auf Grund einer Neuorientierung ein anderes Fach studieren. Ein Zweitstudium könnte gegebenenfalls über ein Volldarlehen finanziert werden.
Fünftens. Es sollte wieder ein Zuschußanteil eingeführt werden. Hier wären verschiedene Modelle denkbar, etwa eine Regelung mit 50 % Darlehen und 50% Zuschuß.
Sechstens. Bei einer existenzsichernden Höhe des BAföG würde auch der ungerechte Wohngeldanteil wegfallen, weil er nun in der Gesamthöhe, die ja zum Teil Zuschuß wäre, eingeschlossen wäre.
Siebtens. Für die Ausländer sollte BAföG auch dann gewährt werden, wenn die Eltern in den letzten drei Jahren in ihr Heimatland zurückkehren. Für diejenigen Ausländer, die das deutsche Bildungssystem durchlaufen und den deutschen Hochschulzugang erworben haben, sollten die gleichen Förderungsmöglichkeiten gelten wie für Deutsche. Ich denke etwa an die Förderung von Auslandsstudien und Auslandspraktika.
Hiermit ist die Richtung für eine Ausbildungsförderung aufgezeigt, die allen jungen Menschen, die es wollen, ein Studium ermöglicht, und zwar unabhängig von der Herkunft der Eltern und auch nicht abhängig von den finanziellen Voraussetzungen, auch nicht von denen am Arbeitsmarkt, damit diese jungen Menschen in der Weise studieren können, daß sie sich Wissen aneignen können, das nicht nur auf eine reine Faktenvermittlung in der kürzestmöglichen Zeit ausgerichtet ist,
sondern auch Zeit für kritisches Denken läßt. Danke schön.