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ID1019604600

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    Vokabeln: 7
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    2. Wort: 1
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    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Brandt.: 1
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    Plenarprotokoll 10/196 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 196. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1986 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Vogel 15137A Erweiterung der Tagesordnung 15137 B Zur Geschäftsordnung Seiters CDU/CSU 15137 B Porzner SPD 15138 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 15139A Bueb GRÜNE 15139 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen — Drucksache 10/4989 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sicherung der Tarifautonomie und Wahrung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen — Drucksache 10/4995 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Erhaltung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften — Drucksache 10/5004 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA 15140D, 15175 D Dr. Vogel SPD 15146A Scharrenbroich CDU/CSU 15150 B Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 15152C Cronenberg (Arnsberg) FDP 15154 B Glombig SPD 15156 C Hauser (Krefeld) CDU/CSU 15159C Tischer GRÜNE 15161 B Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 15163A Dreßler SPD 15166 C Seehofer CDU/CSU 15169 B Kolb CDU/CSU 15171 D Brandt SPD 15173 B Frau Fuchs (Köln) SPD 15177 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1986 — Drucksache 10/4990 — Günther CDU/CSU 15179A Heyenn SPD 15180 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 15182 B Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 15184C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 15185 D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften — Drucksache 10/4741 — II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1986 in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Rapp (Göppingen), Ranker, Oostergetelo, Stiegler, Dr. Schwenk (Stade), Bachmaier, Curdt, Fischer (Homburg), Huonker, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Pfuhl, Reschke, Stahl (Kempen), Vosen, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel — Drucksache 10/5002 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ladenschluß im Einzelhandel — Drucksache 10/5003 — Sauter (Ichenhausen) CDU/CSU . . . . 15188 B Dr. Schwenk (Stade) SPD 15189 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 15191 C Auhagen GRÜNE 15193 C Erhard, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 15195 C Senfft GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 15196 A Nächste Sitzung 15196 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 15196 C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1986 15137 196. Sitzung Bonn, den 5. Februar 1986 Beginn: 11.00 Uhr
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    Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Martiny-Glotz 5. 2. Müller (Schweinfurt) 5. 2. Frau Pack * 5. 2. Pauli 5. 2. Rappe (Hildesheim) 5. 2. Reimann 5. 2. Roth (Gießen) 5. 2. Schäfer (Mainz) 5. 2. Schmidt (Hamburg) 5. 2. Schreiner 5. 2. Schröder (Hannover) 5. 2. Sielaff 5. 2. Stobbe 5. 2. Stücklen 5. 2. Frau Dr. Timm 5. 2. Verheugen 5. 2. Voigt (Frankfurt) 5. 2. Voigt (Sonthofen) 5. 2. Dr. Warnke 5. 2. Frau Dr. Wilms 5. 2. Wischnewski 5. 2. Frau Dr. Wisniewski 5. 2. Dr. de With 5. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Elmar Kolb


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Opposition sollte einmal die Öffentlichkeit aufklären, weshalb sie permanent Arbeitskampfrecht und Sozialversicherungsrecht verwechselt. Ich sage für Sie, Herr Dr. Vogel, zum Mitschreiben: Es denkt niemand in der Koalition daran, das Arbeitskampfrecht zu ändern. Die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 des Grundgesetzes bleibt bestehen. Und weil Sie das so gern verschweigen: Das Arbeitskampfrecht hat in den letzten Jahren zugunsten der Gewerkschaften eine enorme Verbesserung erfahren, 1980 mit dem Urteil zur Verhältnismäßigkeit von Streiks und Aussperrung und am 12. September 1984 mit dem Urteil zur Zulässigkeit von Warnstreiks.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Wie ist das mit dem Betriebsrisiko?)

    Jeder Teil der Tarifpartner hat die Möglichkeit, gegen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu klagen, oder, Herr Kollege Peter, er muß sie ertragen.
    Nur: Eines müssen wir als Parlament hier sicherstellen. Falsches Verhalten der Tarifpartner kann



    Kolb
    nicht mit Hilfe der Steuerkasse oder der Sozialkassen erledigt werden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Wo ist die Steuerkasse? Beiträge! — Zuruf von der SPD: Welcher Steuerkasse?)

    Das Urteil zur Verhältnismäßigkeit von Streik und Aussperrung war für Franz Steinkühler der Anlaß, seine Minimaxtaktik zu propagieren.

    (Zuruf von der SPD)

    — Augenblick, Herr Kollege von der Wiesche. Es war so, daß Franz Steinkühler plötzlich entdeckte: Wenn ich 8 000 Leute streiken lasse, dann müssen die, wenn sie reagieren, mit 170 000 Leuten in die Aussperrung gehen, um den Streik zu verkürzen.

    (Dr. Vogel [SPD]: „Müssen"?)

    — Herr Dr. Vogel, wenn Streik und Aussperrung dazu führen sollen, daß der Arbeitskampf relativ bald beendet wird, muß man dies tun. Wenn man sehr lange Streik haben will, darf man, da stimme ich Ihnen zu, nicht reagieren.

    (Dr. Vogel [SPD]: Lesen Sie mal das Buch von Blüm! Da steht es ganz anders!)

    — Ja, ich lese Ihnen etwas anderes vor, Herr Dr. Vogel.
    Wenn man weiß, daß dieser Nadelstich ausreicht, Schwierigkeiten zu machen, dann sollten Sie einmal das nachlesen, was Herr Janzen am 14. März 1973 gesagt hat, bevor dieses Urteil da war. Er meinte, mit dieser Anordnung könne man durchaus leben. Allerdings würden es sich die Gewerkschaften in Zukunft nicht mehr leisten können, zentrale Forderungen aufzustellen oder zentrale Tarifverhandlungen zu führen, wenn sie beabsichtigten, ihre tarifpolitischen Vorstellungen gegebenenfalls mit Streik durchzusetzen. — Warum hat denn Herr Janzen dies 1973 erkannt? Er hatte erkannt: Es gibt keine Stellvertreterstreiks.
    Zum § 116, meine Damen und Herren: Der § 116 ist überhaupt keine Frage des Deutschen Gewerkschaftsbundes, er ist eine Frage der IG Metall und hier speziell in der Automobilbranche.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das sagen Sie mal dem Herrn Fehrenbach!)

    — Das darf ich dem Herrn Fehrenbach sagen. Herr Dr. Vogel, auf Ihren Zwischenruf habe ich gewartet. Ich war vorhin erstaunt. Ich bin, Gott sei Dank — habe ich schon manchmal gesagt —, kein Jurist. Aber entweder wollen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen oder wir wollen sie vorsätzlich verursachen.

    (Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: Letzteres!)

    Streik hat Folgen. Angesichts von vorsätzlicher Verursachung eines Arbeitsausfalls hat mich gewundert, daß Sie als Jurist gesagt haben: Das müssen andere, Unbeteiligte, bezahlen, die Sozialkassen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Das ist Unsinn!)

    — Herr Dr. Vogel, Sie können darüber urteilen. Nur,
    für mich ist der § 116 eine Art Versicherung für diejenigen, denen Elefanten mutwillig das Gemüse im Garten zertreten, aber nicht der Heuschober für Elefanten, die dies tun.

    (Zuruf von der SPD: Sie sind der Elefant im Porzellanladen!)

    Ich bedaure, daß der Kollege Rappe nicht da ist.

    (Dreßler [SPD]: Der hetzt zur Zeit seine Mitglieder auf, Herr Kollege!)

    Ich hätte ihm nämlich die Frage gestellt, ob er mir sagen kann, wie er seinen Mitgliedern klarmacht, daß ihre Beiträge dazu verwendet werden sollen, daß die IG Metall fahrlässig streiken kann.

    (Zurufe von der SPD: Unverschämt!)

    — Sagen Sie mir einen einzigen Fall, wo die IG Chemie durch diesen § 116 auf Grund von Kurzarbeitergeld profitieren kann, wenn sie einen Streik verursacht. Dieser Beweis wird Ihnen sehr schwerfallen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, des Pudels Kern werden wir jetzt finden: In der IG Metall sind zur Zeit heftige Profilierungskämpfe im Gange.

    (Lachen bei der SPD)

    Wenn der Vorsitzende nicht gehen will, aber der Stellvertreter kommen möchte und nicht darf, ist alles in Ordnung, was nach draußen Unfrieden bringt.

    (Dreßler [SPD]: Fällt euch sonst nichts mehr ein? — Dr. Vogel [SPD]: Darum machen Sie dieses Gesetz?)

    Wäre der Herr Mayr nicht in dieser Situation, hätte er gesagt: Das, was Norbert Blüm gebracht hat, hilft der IG Metall wesentlich mehr als das alte Gesetz.

    (Dreßler [SPD]: Jetzt sollten Sie mal über den Umkehrschluß nachdenken! Ist aber platt!)

    — Ja, lieber Kollege Dreßler, ich weiß, in Agitation sind Sie hervorragend, aber in klarem Nachdenken ist es schwierig.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

    Schauen Sie, wenn der IG-Metall-Hauptvorstand jetzt 6 bis 7,5% fordert, also eine Spreizung vornimmt, dann weiß er, daß es in Zukunft kaum mehr eine Möglichkeit geben wird, bei Streiks wegen Lohnforderungen die Zahlungen auszusetzen. Es wird für ihn keine Schwierigkeit sein, diese Spreizung in Zukunft noch zu verstärken.
    Herr Mayr hat dazu sehr deutlich geschrieben — „Handelsblatt" vom 30. Dezember 1985:
    Das bedeutet einen ungeheuerlichen, noch nie dagewesenen Eingriff in die gewerkschaftliche Willensbildung bei der Festlegung der Tarifforderungen. Eine Verständigung über tarifpolitische Ziele, eine einheitliche tarifpolitische Orientierung wäre nicht mehr möglich. Die Tarifkommissionen wären gezwungen, völlig unterschiedliche Forderungen zu erheben und die Gewerkschaften müßten in den einzelnen Tarifgebieten für völlig unterschiedliche Ziele mo-



    Kolb
    bilisieren. Das wäre das Ende einer autonomen gewerkschaftlichen Tarifpolitik durch gesetzlich erzwungene Entsolidarisierung der Mitglieder.
    Meine Damen und Herren, dies zeigt: Ich kriege die Leute von Flensburg bis Friedrichshafen nicht mehr für eine einheitliche Forderung hinter die Fahne, wenn dies nicht mit einem Stellvertreterstreik durchgeführt wird. Spreizen Sie die Lohnforderungen, dann wird es in der Frage der Lohnforderungen stets einen Nutzen zu Lasten der Nürnberger Kasse geben. Es gibt einen einzigen Punkt, bei dem das nicht funktioniert, nämlich bei einer nochmaligen zentralen Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche. Da würde es dann kein Kurzarbeitergeld geben. Wir sagen das heute in aller Deutlichkeit.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten jetzt nicht so beklagen, daß die Gewerkschaften insgesamt getroffen werden. Es ist lediglich die IG Metall, die hier getroffen wird.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Wenn Herr Steinkühler seine Leute hinter die Fahne kriegt, wenn sie von Flensburg bis Friedrichshafen hinter dieser Forderung stehen, dann soll das doch in Ordnung sein. Aber wenn es nur mit einem Stellvertreterstreik zu lösen ist und man glaubt, mit dieser Minimax-Taktik dann den gemeinsamen Erfolg zu haben, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir dagegen sein. Wer die Musik bestellt, Herr Dr. Vogel, muß sie in der Regel auch bezahlen. Wer andere dafür zahlen lassen will, handelt unfair.

    (Zuruf des Abg. von der Wiesche [SPD])

    — Ja, mein lieber Kollege von der Wiesche, ich zahle diese Beiträge j a auch. Ich wehre mich dann schon dagegen, wenn sie mutwillig verbraucht werden. —

    (Widerspruch bei der SPD)

    Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir die Tarifpartner in Zukunft wieder ein bißchen mehr an ihre eigene Verantwortung erinnern; dies sage ich beiden Seiten. Es hat nämlich auch in der Vergangenheit, Herr Kollege Dreßler, sehr viele gegeben, die die zweite Unterschrift ganz fahrlässig geleistet haben und dann, wenn es schwierig wurde, entweder zum Bund oder zu den Ländern kamen und sagten: Hilf mir aus diesen Schwierigkeiten, in die ich mich selbst hineinbegeben habe. Die Tarifhoheit ist ein hohes Gut. Aber sie sollte auch von denen, die sie fordern, respektiert werden. Man sollte uns nicht sozusagen zum Helfershelfer beim Plündern der Nürnberger Kasse machen.
    Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willy Brandt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen Ende dieser Debatte bleibt aus unserer Sicht festzustellen: Es ist unvernünftig, es ist ganz und gar unvernünftig, worauf sich die Bundesregierung hier eingelassen hat.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

    Es ist leider überhaupt nicht zu erkennen, wie die Regierung und die Koalition wieder aus der Ecke herausfinden wollen, in die hinein sie sich verrannt haben.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Da machen Sie sich mal keine Sorgen, da kommen wir raus! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Schnellverfahren,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zwei Jahre!)

    dem wir hier ausgesetzt sind, widerspricht nicht nur der parlamentarischen Übung, sondern es steht auch im Gegensatz zu dem,

    (Broll [CDU/CSU]: Was Sie früher gesagt haben!)

    was die CDU selbst noch vor wenigen Wochen angekündigt und verbreitet hat.

    (Dreßler [SPD]: Sehr wahr!)

    Aber Sie sind wohl heute auch nicht so sicher: Sie auf der Regierungsbank und Sie, werte Kolleginnen und Kollegen aus der Union oder der Regierungskoalition. Sie können gar nicht sicher sein, daß Sie aus diesem Gesetzgebungsverfahren so herauskommen, wie Sie in es hineingegangen sind.
    Sie riskieren,

    (Berger [CDU/CSU]: Daß es besser wird!)

    schwere Belastungen für den Arbeitsfrieden herbeizuführen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das kann nicht im Interesse unserer Volkswirtschaft und des Staatsganzen liegen — das kann es nicht!

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

    Diese Sorge teilt, wie wir wissen — trotz mancher Polemik des heutigen Tages —, mancher Kollege aus den Reihen der Union.
    Man hat jedoch das bedrückende Gefühl, daß hier — neben der von manchen verfolgten engen Interessenpolitik — Prestigeerwägungen die Oberhand gewonnen haben.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Nun weiß ich, der Bundeskanzler ist auf dem Weg zu einer Begegnung mit dem französischen Staatspräsidenten. Das ist zu respektieren. Sonst hätte ich dem Herrn Bundeskanzler persönlich gesagt: Die Tatsache, daß er sich 1984 zu ganz einseitigen und höchst unsachlichen Auslassungen zum Thema Arbeitszeit hat hinreißen lassen, hätte doch nicht dazu führen dürfen, daß er die Gegensätze



    Brandt
    erneut sich verschärfen läßt, statt sie überwinden zu helfen.

    (Beifall bei der SPD)

    Prestige ist ganz gewiß ein schlechter Ratgeber bei dem, was hier auf dem Spiel steht. Zum Jammer der Menschen gehöre es, daß sie Mauern errichten, wo Brücken fehlen; so habe ich es von jemandem gelernt, der die Verhältnisse in einem Land schilderte, dessen Schwierigkeiten mit denen bei uns überhaupt nicht zu vergleichen sind. Aber einen Zusammenhang gibt es doch. Und ich kann der Regierung den Vorwurf nicht ersparen, daß sie durch das, was hier über die Bühne gehen soll — wenn es denn über die Bühne geht —, Brücken beschädigt, die im Interesse des sozialen Friedens nicht beschädigt werden dürften, sondern verstärkt werden müßten.

    (Beifall bei der SPD)

    Hier ist, wie ich finde, überzeugend dargelegt worden — und ich fasse es in meinen Worten zusammen —: Die Regierung hat nicht dartun können, daß hier Handlungsbedarf besteht. Er besteht nämlich nicht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Dann haben Sie nicht aufgepaßt!)

    Hier wird, wenn die Regierungsvorlage Gesetz werden sollte, nicht Rechtssicherheit geschaffen, sondern zu Lasten aller Beteiligten wird sich Rechtsunsicherheit ausbreiten,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    und zwar wegen der eklatanten Unklarheiten, die in der Debatte nicht ausgeräumt, sondern bestätigt worden sind. Langwierige Auseinandersetzungen vor Gericht werden die Folge sein. Die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit wird nicht positiv geklärt, sondern schwerwiegende Verletzungen der Neutralitätspflicht werden festgeschrieben. Das ungefähre Gleichgewicht der Tarifpartner wird zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften aufgehoben. Das stärkt und respektiert nicht, sondern verletzt die Tarifautonomie.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Eingriff in wohlerworbene Versicherungsansprüche der Arbeitnehmer

    (Berger [CDU/CSU]: Wer greift denn ein?)

    trifft gewerkschaftlich Organisierte und Nichtorganisierte gleichermaßen. Der Weg zum Sozialamt wird aus Gründen, die hier schon dargelegt worden sind, den meisten der betroffenen Arbeitnehmer nicht offenstehen. Für den Rest jedoch werden die Haushalte der Gemeinden und Länder erneut belastet, wenn Leistungen der Bundesanstalt ausfallen.

    (Beifall bei der SPD)

    Vor allem und über allem, der soziale Friede, um den uns viele beneidet haben, wird aufs Spiel gesetzt. Wenn das erst einmal anfängt, weiß man nicht, wo es aufhört.

    (Broll [CDU/CSU]: Das weiß man bei Ihnen auch nie!)

    Die heutige Debatte und die notwendigerweise mit ihr verbundenen Kontroversen sollten die Möglichkeit nicht ausschließen, die Zusammenhänge neu zu überdenken. Und wenn man es nicht über sich bringt, ein überflüssiges Vorhaben überhaupt fallen zu lassen, dann spräche die Vernunft dafür, sich in der Ausschußberatung über sachlich fundierte Kritik nicht hinwegzusetzen, sondern sie ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Wenn das nicht geschieht, wenn man statt dessen mit dem Kopf durch die Wand will, dann wird durch veränderte Mehrheitsverhältnisse dafür zu sorgen sein, den sozialen Frieden nicht in dauerhafte Gefahr zu bringen,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    sondern ihn neu zu festigen.
    Nun geht es j a nicht allein um die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften, obwohl das allein wichtig genug wäre. Es geht um etwas, was den Nerv des demokratischen und sozialen Bundesstaates trifft, auf den wir durch die Verfassung verpflichtet sind. Es gehört zu den schwerwiegenden Mängeln der Regierung, daß sie nicht einmal eine einwandfreie Klärung der verfassungsrechtlichen Lage abgewartet hat. Eine solche Klärung läßt sich nachholen.

    (Frau Steinhauer [SPD]: Hoffentlich!)

    Die Unruhe, die sich nicht allein in vielen Betrieben, sondern weit darüber hinaus in der Offentlichkeit ausgebreitet hat, sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Sie sollte ernst genommen und nicht rechthaberisch übertönt werden.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Werner [Westerland] [GRÜNE])

    Lassen Sie mich nach dem Verlauf der heutigen Debatte hinzufügen: Die Hektik und Verkrampfung, die das Vorgehen der Regierung und auch die Haltung der Koalitionsfraktionen kennzeichnen, sind — so finde ich — bedrückend. Dies gilt auch für die eigenartige Koppelung durchaus fremder Sachgegenstände innerhalb der Koalition, wie man das eine gegen das andere aufrechnet und das eine mit dem anderen verbindet. Das gilt im besonderen für das flackernd aggressive Verhalten des Herrn Bundesarbeitsministers.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Ich bin auch betroffen, Herr Bundesarbeitsminister, daß sich ein Bundesarbeitsminister angesichts von 2,6 Millionen Arbeitslosen heute so gibt, wie er sich gegeben hat.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich finde es schlimm, daß der Bundesarbeitsminister Norbert Blüm nicht mehr hinhört: Er hört nicht auf die Gewerkschaften, er hört auch nicht auf kritische Freunde in seinen eigenen Reihen,

    (Beifall bei der SPD)

    auch nicht auf Bedenken von Arbeitsrechtlern, Sozialwissenschaftlern und namhaften Juristen. Der
    Bundesarbeitsminister nimmt nicht mehr ernst,



    Brandt
    was ihm an Einwänden, Sorgen, Befürchtungen nahegebracht wird.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Dummes Zeug! Er hat mit allen gesprochen!)

    Statt hinzuhören, überfällt er die Öffentlichkeit mit stereotypen, sich immer wiederholenden Sätzen: am Freitag im Bundesrat, gestern im Fernsehen und heute. Man konnte zum Teil schon aus der Erinnerung verfolgen, was im nächsten Satz kommen würde.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie bringen doch auch nichts Neues!)

    So dürfte man die Beantwortung einer grundlegenden gesellschaftspolitischen Frage nicht vernachlässigen.

    (Beifall bei der SPD — von Hammerstein [CDU/CSU]: Wissen Sie eigentlich, was Sie bisher vorgetragen haben?)

    Nur am Rande: Herr Blüm hat — wie im Bundesrat, wie im Fernsehen — auf das Bezug genommen, womit wir schon vor 20 Jahren in der Großen Koalition zu tun hatten. Ich hätte es für fair gehalten, wenn sich Herr Blüm bei Hans Katzer — er war damals Bundesarbeitsminister — sachkundig gemacht hätte.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das haben Sie unterschrieben!)

    Im übrigen geht es im Bundestag nicht um das, was uns 1969 und 1973 beschäftigte, sondern es geht —

    (Kolb [CDU/CSU]: Das haben Sie unwissend unterschrieben! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Was soll denn dieser Zuruf? Natürlich hat der Stellvertreter in einer gemeinsamen Koalition, wenn der Bundeskanzler verhindert ist, die Vorlagen des Kabinetts an den Bundesrat bzw. den Bundestag zu unterschreiben.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie waren einverstanden! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Das ist doch jetzt eine Ablenkung. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Deshalb sage ich noch einmal: Jetzt geht es allein um das, was die Regierung meint aus den Auseinandersetzungen des Jahres 1984 ableiten zu sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Da steht unsere Auffassung gegen Ihre Auffassung.

    (Berger [CDU/CSU]: Damals war der Nerv der Demokratie nie berührt! — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Es geht um Prinzipien und Ihre Haltung!)

    Der Bundeskanzler, dem ich auch dies nicht direkt sagen kann, beruft sich, wie es für den Vorsitzenden der CDU naheliegt, gerne auf das Erbe Konrad Adenauers.

    (Kolb [CDU/CSU]: Auf was haben Sie sich damals berufen?)

    Nur: Was bedeutet eine solche Berufung, wenn dabei ausgeblendet wird, wie sehr sich Adenauer in den Aufbaujahren um einen Ausgleich mit den Gewerkschaften bemüht hat? Seine konservativen Grundüberzeugungen haben ihn daran nicht gehindert.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Die Gewerkschaften haben damals auch nicht nur SPD-Parteipolitik gemacht!)

    — Ich würde an Ihrer Stelle diesem Gedanken einen Augenblick Aufmerksamkeit schenken.
    Ich sage: Ohne die wiederholte Verständigung zwischen Konrad Adenauer und Hans Böckler, dem damaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes,

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das war noch einer!)

    wäre unsere Bundesrepublik wirtschaftlich nicht so rasch auf die Beine gekommen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    — Ich finde es sehr gut, wenn wir darin übereinstimmen. Nur füge ich dann hinzu — und bin nicht mehr sicher, dafür Ihren Beifall zu finden —: Gegenwärtig geht man leider nicht den Weg der Verständigung,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sagen Sie das Herrn Steinkühler!)

    sondern den Weg der Konfrontation.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Das kann zu nichts Gutem führen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wen meinen Sie damit?)

    Deshalb kann hier nicht deutlich genug gewarnt werden: Das, was man hier durchdrücken will, kann nicht Bestand haben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD sowie Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)