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ID1019601500

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    Plenarprotokoll 10/196 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 196. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1986 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Vogel 15137A Erweiterung der Tagesordnung 15137 B Zur Geschäftsordnung Seiters CDU/CSU 15137 B Porzner SPD 15138 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 15139A Bueb GRÜNE 15139 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen — Drucksache 10/4989 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sicherung der Tarifautonomie und Wahrung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen — Drucksache 10/4995 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Erhaltung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften — Drucksache 10/5004 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA 15140D, 15175 D Dr. Vogel SPD 15146A Scharrenbroich CDU/CSU 15150 B Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 15152C Cronenberg (Arnsberg) FDP 15154 B Glombig SPD 15156 C Hauser (Krefeld) CDU/CSU 15159C Tischer GRÜNE 15161 B Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 15163A Dreßler SPD 15166 C Seehofer CDU/CSU 15169 B Kolb CDU/CSU 15171 D Brandt SPD 15173 B Frau Fuchs (Köln) SPD 15177 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1986 — Drucksache 10/4990 — Günther CDU/CSU 15179A Heyenn SPD 15180 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 15182 B Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 15184C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 15185 D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wirtschafts- und verbraucherrechtlicher Vorschriften — Drucksache 10/4741 — II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1986 in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Rapp (Göppingen), Ranker, Oostergetelo, Stiegler, Dr. Schwenk (Stade), Bachmaier, Curdt, Fischer (Homburg), Huonker, Meininghaus, Müller (Schweinfurt), Pfuhl, Reschke, Stahl (Kempen), Vosen, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel — Drucksache 10/5002 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Ladenschluß im Einzelhandel — Drucksache 10/5003 — Sauter (Ichenhausen) CDU/CSU . . . . 15188 B Dr. Schwenk (Stade) SPD 15189 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 15191 C Auhagen GRÜNE 15193 C Erhard, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 15195 C Senfft GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 15196 A Nächste Sitzung 15196 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 15196 C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 196. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1986 15137 196. Sitzung Bonn, den 5. Februar 1986 Beginn: 11.00 Uhr
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    Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Dr. Martiny-Glotz 5. 2. Müller (Schweinfurt) 5. 2. Frau Pack * 5. 2. Pauli 5. 2. Rappe (Hildesheim) 5. 2. Reimann 5. 2. Roth (Gießen) 5. 2. Schäfer (Mainz) 5. 2. Schmidt (Hamburg) 5. 2. Schreiner 5. 2. Schröder (Hannover) 5. 2. Sielaff 5. 2. Stobbe 5. 2. Stücklen 5. 2. Frau Dr. Timm 5. 2. Verheugen 5. 2. Voigt (Frankfurt) 5. 2. Voigt (Sonthofen) 5. 2. Dr. Warnke 5. 2. Frau Dr. Wilms 5. 2. Wischnewski 5. 2. Frau Dr. Wisniewski 5. 2. Dr. de With 5. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
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    Rede von Dr. Philipp Jenninger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Hamburg-Neustadt).
    Schmidt (Hamburg-Neustadt) (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wenn die Arbeitslosenzahlen in Deutschland über die Zwei-Millionen-Grenze gehen und die Konservativen an der Macht sind, dann geht es gegen die Gewerkschaften und das Streikrecht. Anfang der 30er Jahre ging das per Notverordnung, heute braucht man dazu Sondersitzungen, um ein Gesetz durchzubringen, das wir schon heute unter die geltenden Notstandsgesetze einordnen müssen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Dabei ist die übergroße Hast, die die Regierung an den Tag legt, mehr als verräterisch. Sie verrät, daß die Regierung genau weiß, welchen Anschlag sie hier vorhat. Und weil sie das weiß, wird in dieser Sache hemmungslos gelogen oder, was die aktuelle Steigerungsform davon ist, es wird „verblümt" gelogen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Denn was hat Herr Blüm nicht schon alles vom 116er verschwiegen oder verkündet? Erst hat er gesagt, er will mit den Gewerkschaften reden, sich einigen, weil er für Partnerschaft ist, Gesetzesänderung aber wäre Klassenkampf. Dann hat er das Gesetz geändert und behauptet, das wäre nur Klarstellung, sozusagen verschärfte Partnerschaft. Wenn jetzt die Gewerkschaften gegen diesen Klassenkampf von oben ihrerseits Maßnahmen ergreifen, dann ist das angeblich Sabotage. Herr Blüm, hören Sie auf, den Bettelmönch der Arbeiterklasse zu spielen; denn es wird Ihnen nicht gelingen, Ihre Schäfchen zum Schafott zu führen, ohne daß sie merken, wohin die Reise geht.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Und niemand wird so dumm sein, Sie auch noch im Gewand des Scharfrichters für den lieben Beichtvater von der IG Metall zu halten. Und damit Ihnen das nicht gelingt, werden wir unermüdlich aufklären, aus welchem Stoff das Fallbeil ist und was passiert, wenn es auf die Arbeitnehmer niedersaust.
    Dabei stellen wir GRÜNEN zunächst fest: Wir waren und sind auch gegen den geltenden 116er, weil auch er die kalte Aussperrung legalisiert, und wir sind auch gegen die sogenannte Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit. Denn wir stehen auf dem Standpunkt, die Arbeitnehmer haben als Beitragszahler immer und überall einen Anspruch auf Lohnersatzleistung. Und wo kämen wir denn hin, wenn das gesetzlich verfügte Ruhen von Versicherungsansprüchen Schule macht? Dann werden wohl bald auch die Rentenansprüche ruhen. Das vorneweg.
    Und nun zu den heutigen Verschlechterungen des § 116.
    Erstens ist festzuhalten: Mit der sogenannten Neutralitätsanordnung von 1973 wurde eine eindeutige Rechtslage geschaffen; denn die Formulierung „nur nach Art und Umfang gleiche Forderungen führen zum Ruhen von Ansprüchen" wurde bewußt gewählt, damit in aller Regel Arbeitslosengeld gezahlt werden muß. Und es wurde schon damals zu Protokoll genommen — ich zitiere wörtlich aus dem



    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    Protokoll von 1973 —, daß jede Formulierung, die nicht nahe an der Identität ist, zu einem allgemeinen Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führen muß. Und das sollte 1973 ausgeschlossen werden. Wer das Protokoll und den Beschluß von 1973 auch nur flüchtig gelesen hat, muß also schon erbärmlich die Unwahrheit sagen, wenn er behauptet, es geht um notwendige Klarstellung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweitens ist festzuhalten, daß, wer den Beschluß im Protokoll von 1973 gelesen hat, nur zu dem Urteil kommen kann, daß der Franke-Erlaß von 1984 ein eindeutiger Rechtsbruch war, ein Rechtsbruch, den die Regierung jetzt nachträglich legalisieren will. Und das ist ja nicht das erste Mal.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Drittens ist festzuhalten, daß die Arbeitgeber 1973 gegen den Beschluß gestimmt haben, weil sie wollten, daß die Bundesanstalt bei kalter Aussperrung nie zahlt. Und wir stellen fest, daß die Unternehmer 13 Jahre warten mußten, bis sie die Regierung hatten, die diese Forderung erfüllt und mit der Formulierung „gleiche oder ähnliche Forderungen" sinngemäß dasselbe macht, was die Arbeitgeber 1973 gefordert hatten.
    Viertens ist festzuhalten: Der heutige Gesetzentwurf ist die nachträgliche Rache der Regierung für den 1984er Streik um die 35-Stunden-Woche.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Solche Streiks werden jetzt quasi verboten. Und was bedeutet das? Das bedeutet die Ungeheuerlichkeit, daß eine Regierung, deren Politik die Arbeitslosigkeit verschärft hat, jetzt auch noch den Gewerkschaften verbieten will, ihrerseits gegen die Arbeitslosigkeit anzukämpfen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein gesetzliches Verbot der Solidarität der Beschäftigten mit den Arbeitslosen. Und wenn dieses Solidaritätsverbot durchgesetzt werden kann, dann gnade Gott all den anderen solidarischen und demokratischen Bewegungen, der Friedensbewegung, der Frauenbewegung, der Ökologiebewegung.
    Fünftens stelle ich fest, wer Streiks erschwert und unmöglich macht, wer darüber die Gewerkschaften schwächen will, der hat vor allem ein Ziel: Er will die Löhne nach unten drücken. In Wirklichkeit geht es überhaupt nicht um Neutralität oder Juristerei; es geht schlicht ums Geld. Wer daran zweifelt, muß nur die Dutzenden von Reden nachlesen, die hier Herr Bangemann, Herr Lambsdorff oder Herr Kohl gehalten haben und in denen immer wieder zu hören war, daß die Arbeitslosigkeit vor allem dadurch verursacht sei, daß die Löhne und Lohnnebenkosten zu hoch seien.

    (Kolb [CDU/CSU]: Letzteres!)

    Sie wollen die Einführung von Billiglöhnen. Ihre äußerst zynische Formel ist: Je mehr Armut, desto weniger Arbeitslose. Das ist auch Teil dieses Gesetzentwurfes. Diese Strategie soll damit durchgesetzt werden.

    (Müller [Remscheid] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

    Wohin das führt, kann man an dem großen Vorbild, das Ihnen vorschwebt, nämlich an den USA sehen: Dort hat nämlich das sogenannte Beschäftigungswunder dazu geführt, daß es inzwischen 35 Millionen Erwerbstätige gibt, die ganztags arbeiten, aber trotzdem Woche für Woche vor den Fürsorgestellen um Lebensmittel anstehen, weil sie buchstäblich Hungerlöhne erhalten. Wer sagt, die Sache mit § 116 sei ihm egal, und womöglich hinzufügt, er werde auch beim nächsten Mal noch die geistigmoralische Wende wählen, sollte sich schon einmal erkundigen, wieviele Lebensmittel denn die Sozialhilfe hierzulande vorsieht, damit die Ware Arbeitskraft bei Kräften bleibt.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Ist das ein Schwachsinn!)

    Wir haben heute und in den Kommentaren zuvor diverse Warnungen vor gewerkschaftlichem Widerstand und vor Streiks gehört. Das Erfreuliche daran ist: Die Regierungsparteien haben offensichtlich schon jetzt massiv Angst vor dem, was auf sie zukommt — zu Recht!

    (Zuruf von der FDP: Denkste!)

    Das Ärgerliche daran ist, daß ausgerechnet die Parlamentarier, die jeden Militärputsch von Chile bis zur Türkei frenetisch mit Beifall bedacht haben und jüngst die Drohung mit Investitionsstreiks im rotgrünen Hessen absolut demokratisch fanden, jetzt demokratische Sitzbeschwerden kriegen, wenn gegen Ihre Politik die Arbeiter aufstehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dabei ist klar: Die wichtigste Tarifrunde 1986 ist der Kampf für das Streikrecht, denn es ist nun einmal so: Wer 1986 nicht bereit ist, gegen § 116 zu streiken, wird ab 1987 womöglich auch nicht in der Lage sein, für höhere Löhne oder kürzere Arbeitszeit zu kämpfen.

    (Müller [Remscheid] [CDU/CSU]: Unverschämt ist das! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Blödsinn!)

    Denjenigen, die sagen, die Streiks, die politischen Aktionen und möglicherweise der Generalstreik seien illegal, und hier staatsrechtliche Vorträge halten, muß gesagt werden: Wenn es tatsächlich zu den Massenaktionen kommt, die IG Metall und DGB fordern, wenn es dazu kommt, daß bei der zweiten Lesung alle Räder stillstehen — wenn nötig, im Mai noch einmal —, was wird denn dann von Ihnen, den Herren Staatsrechtlern, gemacht? Werden Sie dann alle aussperren? Das ganze Volk in den Knast? — Natürlich nicht. Auch Sie werden dann nämlich begreifen, daß Sie nicht nur eine große Sauerei gemacht haben, sondern auch eine große Dummheit. Der erste, der das zu spüren bekommt, wird Herr Albrecht in Hannover sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)




    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    Es ist jetzt, wo es um die Aktionen draußen geht, nicht Aufgabe von politischen Parteien, zu Streiks oder zu politischen Streiks aufzurufen. Das ist Sache der Belegschaften, das ist Sache der Gewerkschaften. Aber jetzt, wo die Arbeitsniederlegungen begonnen wurden und absehbar im nächsten Monat zunehmen werden und von der Regierungsseite unerbittlich diffamiert werden, ist es unsere Pflicht, deutlich zu sagen, daß diese Aktionen das einzige sind, was jetzt noch helfen kann, und daß sie von uns GRÜNEN mit allem, was wir haben, unterstützt werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Entscheidung über Mehrheit und Minderheit, für und gegen den § 116 im Bundestag ist längst gefallen. Die Ausführungen des Herrn Scharrenbroich haben das eben wieder deutlich gemacht.

    (Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

    Jetzt geht es um die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, jetzt geht es um die Frage: entweder „gelbe Karte" für die gewerkschaftlichen Streiks oder „rote Karte" für diese Regierungspolitik. Jetzt heißt die Frage: entweder der kleine Blüm oder der große DGB. Für uns ist klar, auf welcher Seite wir da stehen werden: auf der Seite der Streikenden und des DGB.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Gott schütze mich vor meinen Freunden! Gegen meine Feinde kann ich mich selbst wehren!)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Cronenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen wurde immer wieder behauptet, die Koalition wolle das Streikrecht einschränken.

    (Zuruf von der SPD: So ist es auch!)

    Deswegen muß ich in der Diskussion um den Neutralitätsparagraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes zunächst eine Feststellung treffen, dieselbe Feststellung nämlich, wie sie Hermann Rappe am 12. Dezember 1985 von diesem Pult aus getroffen hat. Das Streikrecht wird nicht geändert.
    Damit das klar ist: Niemand in der FDP will das Streikrecht oder das Arbeitskampfrecht ändern. Es geht allein um die Spielregeln für Streik und Aussperrung, also legale Mittel im Arbeitskampf. Es geht darum, diese Spielregeln klarzustellen.

    (Zuruf von der SPD)

    Nun wird von interessierter Seite — wie auch durch einen Zwischenruf eben — behauptet, die Streikfähigkeit werde durch den Regierungsentwurf zu § 116 beeinträchtigt. Meine Damen und Herren, mein Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit deutscher Gewerkschaften ist offensichtlich um vieles, vieles größer als das der Gewerkschafter selber.

    (Zuruf des Abg. Gattermann [FDP])

    Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern: Bis 1969 erhielten mittelbar vom Arbeitskampf Betroffene grundsätzlich kein Arbeitslosengeld, und dennoch wurde gestreikt, in Schleswig-Holstein sehr lange und ausdauernd. Deswegen ist die Behauptung einfach falsch, daß dadurch die Streikfähigkeit beeinträchtigt würde.

    (Peter [Kassel] [SPD]: Was hat denn 1980 das Arbeitsgericht gesagt?)

    Ich möchte auch zur Frage der Gleichgewichtigkeit, der sogenannten Waffengleichheit ein Wort sagen. Tatsache, meine Damen und Herren, ist, daß z. B. in der Metallindustrie jeder zweite Arbeitnehmer in einem kleinen, in einem mittelständischen Betrieb beschäftigt ist. Tatsache ist, daß die reichste Gewerkschaft der Welt, die IG Metall, in Nordrhein-Westfalen sieben kleine Handwerksbetriebe bestreikt hat. Wenn ausgerechnet diese IG Metall behauptet, es gebe keine Waffengleichheit, dann kommt mir das so vor, als ob sich die gutgerüstete Schweizer Armee darüber beschwert, daß die Waffengleichheit mit der Schweizergarde des Vatikan nicht gegeben ist.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Nun zu der Behauptung, hier würden eiskalte, glasklare Arbeitgeberpositionen vertreten.

    (Urbaniak [SPD]: So ist es doch!) Dies ist falsch.


    (Urbaniak [SPD]: So ist es!)

    — Kollege Urbaniak, dies ist falsch. Sonst hätten wir nicht in dem Novellierungsantrag zu § 72 AFG eindeutig klargestellt, daß der Arbeitgeber nicht nur darzulegen, sondern auch glaubhaft zu machen hat, worauf die Betriebsstillegung zurückzuführen ist, und daß eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen ist. Es ist ebenso eindeutig klargestellt, daß die Bundesanstalt für Arbeit, daß das örtliche Arbeitsamt soweit die Möglichkeit zur Überprüfung vor Ort hat.
    Das sind bei Gott keine Arbeitgeberpositionen. Aber das sind, verehrte Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, Positionen, deren Sinnhaftigkeit mir anläßlich einer Protestversammlung des DGB in der Beethovenhalle am 13. Dezember 1985 deutlich gemacht wurde, eine Protestveranstaltung des DGB, auf der ich nicht gerade besonders freundlich behandelt worden bin, wie sich jedermann denken kann, aber auf der ich auch nicht - Gott sei's gepriesen und gedankt — verprügelt worden bin.

    (Beifall bei der FDP — Zuruf von der CDU/ CSU: Glück gehabt!)

    Übrigens ist dies ein Beweis dafür, daß es sich durchaus lohnen kann, mit der FDP Argumente auszutauschen. Ich wäre den Kollegen von der SPD dankbar, wenn sie einmal ihrem Kollegen Breit, dem DGB-Vorsitzenden, mitteilen würden, daß es sich durchaus lohnen kann, mit der FDP zu diskutieren, nachdem er erklärt hat, es lohne sich nicht mehr, mit uns zu reden.



    Cronenberg (Arnsberg)

    Nun sind ein paar Bemerkungen zur notwendigen Klarstellung des § 116 geboten.
    Die Unternehmen haben, betriebswirtschaftlich vernünftig, ihre Lagerhaltung drastisch reduziert. Die Gewerkschaften haben dies bei ihrer Streiktaktik berücksichtigt. Sie wollen mit Hilfe der „Minimax"-Strategie ihre Kosten senken. Dies geschieht, indem man ausgewählte Zulieferbetriebe mit dem Ziel bestreikt, daß der wirtschaftliche Druck möglichst unmittelbar durchschlägt. So sagt es jedenfalls Frau Kurz-Scherf im Gewerkschaftsbuch 1985. Damit setzen die Gewerkschaften Fernwirkungen in Drittbetrieben, also bei mittelbar Betroffenen, als Mittel des Arbeitskampfes ein. Mit anderen Worten: die beitragsfinanzierte Bundesanstalt soll zahlen, um so die Streikkasse der IG Metall zu schonen.
    Für das urkapitalistische Prinzip der Kostenminimierung habe ich immer Verständnis. Das nehme ich auch den Gewerkschaften keineswegs übel. Übel nehme ich es allerdings, wenn sie behaupten, die Inanspruchnahme der Bundesanstalt für alle unmittelbar Betroffenen sei praktizierte Neutralität. Dies ist einfach unwahr.

    (Beifall bei der FDP)

    Wer die Neutralität will, muß sie so regeln, wie dies der Gesetzgeber 1969 wollte, und darf sie nicht so regeln, wie dies die Große Koalition 1967 wollte. Man kann es nicht oft genug betonen: das Dokument 5/2291 trägt die Unterschrift von Willy Brandt. In dieser Stellungnahme heißt es wörtlich: „Die Gewährung von Arbeitslosengeld an mittelbar Betroffene würde die Bereitschaft zur Solidarität stärken und den Arbeitskampf beeinflussen." Und man höre und staune: „Das würde die Neutralität der Bundesanstalt verletzen."
    Wie notwendig eine Klarstellung ist, beweist auch die Feststellung des renomierten Kronberger Kreises,

    (Zurufe von der SPD)

    — Kronberg mit K, Herr Kollege Vogel! — wonach z. B. 7 500 Streikende 1,5 Millionen Arbeitnehmern in der Automobil- und Zulieferindustrie die Möglichkeit zu arbeiten, nehmen können. Deswegen ist es einfach falsch, zu behaupten, wir könnten Gesetz und Anordnungen so lassen, wie sie jetzt sind, wir könnten die Hände in den Schoß legen und abwarten, wann die Gerichte entscheiden werden, ob und in welchem Umfang beim nächsten Arbeitskampf die Nürnberger Kassen in Anspruch genommen werden.
    Und auch die Frau Kollegin Fuchs hat dankenswerterweise die Feststellung getroffen — gestern war es wohl —, die Schiedsstelle habe keinen Stinn, so hat sie gesagt, „weil wir eine rechtliche Klarstellung, eine rechtliche Normierung brauchen". Sie hat also geradezu unsere Forderung bestätigt. Verständlicherweise meinen Sie allerdings eine andere Änderung, aber zunächst einmal haben Sie die Notwendigkeit der Normierung eindeutig klargestellt.
    Nun zur These, wir verletzten eigentumsähnliche Rechte. Auch dieser Vorwurf geht ins Leere, denn das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang einen sehr weiten Spielraum zugebilligt. Eine unverantwortlich hohe Inanspruchnahme der Nürnberger Kassen — wenn ich heute polemisch werden wollte, würde ich sagen: eine Plünderung der Kassen — infolge von Tarifauseinandersetzungen führt doch notwendigerweise zu Beitragserhöhungen, und vermeidbare Beitragserhöhungen berühren auch die Eigentumsrechte der Beitragszahler. Wer behauptet, die Beiträge seien ausschließlich von Arbeitnehmern erbracht, von dem muß ich auch erwarten können, daß er konsequenterweise, Herr Kollege Schmidt von den GRÜNEN, den Antrag im Deutschen Bundestag einbringt, daß die Arbeitnehmer 100 % der Beiträge auch bezahlen. Das wäre die logische Konsequenz einer solchen Position.

    (Zurufe von der SPD)

    Nun zum Gesetzentwurf selbst. — Er enthält viele Elemente, die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften unumstritten sind. Aber es darf auch keine Mißverständnisse geben. Sympathiestreiks, politische Streiks und betriebliche Arbeitsniederlegungen können und dürfen nicht aus den Kassen der Bundesanstalt finanziert werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nun zu der vieldiskutierten Frage, in welchem Umfang Forderungen in der gleichen Branche im aber nicht umkämpften Tarifgebiet zu einer Zahlungsverpflichtung der Bundesanstalt führen sollen. Daß eine Formulierung „nach Art und Umfang gleich" nicht bedeuten kann, daß die Identität der Forderung gegeben ist, hat ja wohl Kollege Rappe am 12. Dezember ebenfalls von dieser Stelle aus angedeutet.
    Klar ist auch, daß die Bundesanstalt zahlen muß, wenn in den einzelnen Tarifgebieten unterschiedliche Forderungen erhoben werden, so z. B., wenn in einem Bereich für die Senkung der Arbeitszeit von 42 auf 40 Stunden gestreikt wird, während in einem anderen Gebiet — was weiß ich — 30 oder 35 Stunden gearbeitet wird.
    Ebenso klar ist, daß nicht gezahlt werden kann, wenn die Streikenden sozusagen für „die ganze Truppe die Kastanien aus dem Feuer holen" wollen. Daran knüpft sich die Frage: Wann ist dies der Fall?
    Deswegen weist die Begründung zu Recht darauf hin, daß es nicht geboten ist, die Forderung expressis verbis z. B. per eingeschriebenem Brief dem Tarifpartner mitzuteilen, sondern daß es vielmehr genügt, daß sie auf Grund der Gesamtumstände als erhoben zu gelten hat.

    (Lambinus [SPD]: Was ist denn das eigentlich?)

    Ich gehe davon aus, daß selbst interpretationswütige Juristen nicht zu einem anderen Ergebnis kommen können.

    (Beifall bei der FDP)

    Meine Damen und Herren, wenn man sich verdeutlicht, wie häufig in der Zukunft möglicherweise gezahlt werden muß, ist es schon ein tolles Ding, zu



    Cronenberg (Arnsberg)

    behaupten, der Anspruch auf Arbeitslosengeld werde bei Tarifauseinandersetzungen generell gestrichen; ganz abgesehen davon, daß bewußt verschwiegen wird, daß die bestehende Härteklausel des Abs. 4 des § 116 uneingeschränkt weiter Bestand hat. Ich habe schon in der letzten Debatte gesagt: Wer sich den § 116 und die von der Regierung vorgeschlagene Klarstellung ernsthaft durchliest, der hat — davon bin ich überzeugt — keinen vernünftigen Grund, zu demonstrieren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch und Zurufe von der SPD)

    Zusammenfassend darf ich für die FDP feststellen: Es gibt keinen Eingriff in das Streikrecht. Die Gefährdung der Streikfähigkeit der Gewerkschaften ist eine Mär. Die Klarstellung der Neutralität der Bundesanstalt ist eine Notwendigkeit. All dies sind unbestreitbare Fakten.

    (Beifall bei der FDP)

    Mit denjenigen, die bereit sind, im Gesetzgebungsverfahren sich mit diesen Fakten auseinanderzusetzen, werden wir sicherlich ernsthaft diskutieren. Mit denen, die das Gesetzgebungsverfahren mit allen Mitteln verzögern oder gar filibustern wollen, ist eine sinnvolle Diskussion nicht möglich.

    (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    Aber all denjenigen, denen an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen ist, möchte ich sagen: Wir sind für vernünftige Verbesserungsvorschläge immer offen.