Nein, Herr Präsident. Ich bin von den Fraktionen gebeten worden, die Redezeit der Regierung zu begrenzen. Ich müßte dagegen sündigen. Deswegen bitte ich um Verständnis.
Wie gesagt, sind es im wesentlichen zwei Gründe, die diese Forschungsanstrengungen notwendig erscheinen lassen.
Der erste Grund liegt in den sowjetischen Anstrengungen auf diesem Gebiet. Die Sowjetunion ist nicht nur die einzige Macht — ich erinnere immer wieder daran —, die ein funktionierendes Raketenabwehrsystem hat. Sie ist nicht nur die einzige Macht, die ein einsatzfähiges Antisatellitensystem hat. Die Sowjetunion selbst betreibt seit Jahren intensive Forschungen auf dem Gebiet der strategischen Raketenabwehr.
Kollege Lange, wir haben es Ihnen x-mal gesagt; Sie argumentieren auch nicht dagegen. Hier ist die
Sache genau umgekehrt zu dem, wie Sie es darstellen: Die amerikanischen Anstrengungen sind die Folge der sowjetischen, nicht umgekehrt.
Ich frage nicht nur Sie, ich frage auch die SPD: Warum eigentlich protestieren Sie jetzt, wo die Amerikaner das machen, und haben nicht damals protestiert, als die Sowjets damit angefangen haben?
Es muß doch nachdenklich stimmen, daß Ihre Proteste erst dann einsetzen, wenn wir uns gegen eine Bedrohung zu schützen beginnen, aber nicht dann, wenn die Bedrohung gegen uns aufgebaut wird.
Der zweite Grund ist noch wichtiger. Diese Forschungsanstrengungen dienen auch einem anderen Zweck.
Wir alle suchen nach einer besseren Fundierung der strategischen Stabilität. Wir alle bemühen uns, diese Welt sicherer zu machen. Wir suchen nach Wegen, auf denen das möglich sein könnte.
— Jetzt hören Sie — Herr Dregger hat es schon gesagt, ich wiederhole es noch einmal: Ich verstehe Sie nicht; Sie stellen sich hier pausenlos hin und attackieren die Landschaft wechselseitiger Abschreckung. Nun sucht der amerikanische Präsident nach einem Ausweg, und jetzt sind Sie plötzlich die glühendsten Verfechter der Abschreckungsstrategie, die Sie vorher angegriffen haben.
Nein, um was es geht ist, den Versuch zu machen, das Gleichgewicht im strategischen Bereich so zu untermauern und so sicher zu machen,
daß die Gefahr der Erstschlagfähigkeit ausgeschaltet wird. Es wäre, meine Damen und Herren, ein enormer Fortschritt, wenn es gelänge, die strategische Stabilität mehr auf Verteidigungswaffen als auf Angriffswaffen zu stützen.
Noch weiß keiner, ob das gelingen kann. Wir reden
über Forschungen, und das Ergebnis dieser For-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1985 14101
Bundesminister Dr. Wörner
schungen kann im Augenblick keiner, absehen; auch Sie nicht. Deswegen wundert es mich, Herr Ehmke, wie Sie mit einem fertigen Urteil kommen können, ohne daß die Forschungen überhaupt ein Ergebnis gehabt haben, so oder anders. Ich finde eine solche Handlungsweise
und eine solche Denkweise alles andere als verantwortlich. Gut, das müssen Sie mit sich selber abmachen.
Aber wenn Sie andere anklagen, sich an einem „Krieg der Sterne" zu beteiligen, und selbst ablehnen, auch nur Forschungsergebnisse zu bewerten, wenn sie vorliegen,
dann kennzeichnet das Ihre Argumentation als Polemik.
Ergeben die Forschungen zu SDI, daß Abwehrsysteme wirksam konstruiert und kostengünstig produziert werden können — was noch niemand sagen kann —, dann ließen sich in der Tat die Gefahren der Erstschlagfähigkeit wesentlich reduzieren, wenn nicht gar beseitigen. Dann wäre die Welt sicherer.
Die Welt wäre sicherer, wenn sich die beiden Supermächte verständigen könnten, einen Großteil ihrer Angriffswaffen abzubauen und dafür Verteidigungswaffen aufzubauen. Das ist eines der wesentlichen Ziele der Genfer Verhandlungen. Dieser Versuch muß gemacht werden. Deswegen sagt diese Bundesregierung auch: Ein kooperativer Ansatz der beiden Supermächte verdient den Vorrang; das muß in Genf Thema der Verhandlungen sein — und ist es auch.
Meine Damen und Herren, wenn die Sowjets heute am Verhandlungstisch sitzen, dann ist es nicht zuletzt der Verwirklichung des Doppelbeschlusses und SDI zu danken. Darum ist es abwegig, SDI als ein Hindernis für Abrüstungsverhandlungen darzustellen. Ebenso absurd ist es, von Militarisierung des Weltraums und gar vom „Krieg der Sterne" zu reden.
Herr Ehmke, Sie wissen es so gut wie jeder andere
hier: Die Militarisierung des Weltraums hat eingesetzt, als man anfing, Raketen durch das Weltall zu
schicken. Das ist die Militarisierung des Weltraums.
Das Ziel von SDI ist ja gerade, dieser Bedrohung Herr zu werden.
Verschweigen Sie nicht: Hier geht es um Verteidigungswaffen, nicht um Angriffswaffen.
Diese Waffen sind konventionell und nicht nuklear. Sie zerstören Raketen und nicht Menschen. Jetzt frage ich Sie: Warum eigentlich sollten wir Verteidigungswaffen gegen Panzer und Flugzeuge konstruieren, nicht aber gegen die gefährlichsten aller Angriffswaffen, nämlich Raketen?
Natürlich wirft — der Kollege Mischnick hat völlig zu Recht darauf hingewiesen — das SDI-Forschungsvorhaben eine Reihe von Fragen und Problemen auch für Europa auf.
Daher muß Europa zum einen in den strategischen Schutz mit eingeschlossen werden; das hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU zu Recht unterstrichen, das ist auch die Position der Bundesregierung. Zweitens. Natürlich brauchen wir fortlaufend Informationen. Natürlich muß im Bündnis konsultiert werden. Aber es wird sehr eingehend konsultiert und informiert. Natürlich brauchen wir einen dauernden Dialog im Bündnis über die politischen und strategischen Konsequenzen der Forschungsergebnisse in dem Ausmaß, wie sie anfallen.
Aber das geschieht j a bereits. Hier gilt: Wer mitmacht, hat mehr Einfluß als der, der außensteht und nur Kritik übt.
Was die zweite Frage, den Schutz gegen Kurzstreckensysteme ballistischer und nichtballistischer Art anlangt, so ist klar: Europa braucht langfristig einen Schutz gegen diese Waffen, und zwar auch dann, wenn es SDI überhaupt nicht gäbe. Warum? Weil die Sowjets eine immer größere Zahl dieser Kurzstreckenwaffen stationieren, die nicht nur atomar, sondern auch konventionell oder gar mit chemischen Gefechtsköpfen eingesetzt werden können. Die gesteigerte Treffgenauigkeit dieser Systeme eröffnet der Sowjetunion neue konventionelle Angriffsmöglichkeiten und erlaubt es ihr, die nukleare Abschreckung unter Umständen zu unterlaufen. Daher ist eine Erweiterung unserer Luftverteidigung langfristig erforderlich. Eine solche Erweiterung hat nichts mit dem Weltall zu tun. Die Abwehrsysteme wären luft- oder bodengestützt und nichtnuklear.
Die Notwendigkeit zum Aufbau eines solchen Verteidigungssystems würde im übrigen noch ver-
14102 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1985
Bundesminister Dr. Wörner
stärkt, wenn SDI-Systeme auf beiden Seiten stationiert wären.
Aber ich sage noch einmal: Diese Notwendigkeit bestünde auch dann, wenn es SDI nicht gäbe. Daher müssen die Europäer entsprechende Überlegungen anstellen und entsprechende Anstrengungen unternehmen. Dies kann und soll in enger Zusammenarbeit mit den Amerikanern geschehen. Wir meinen jedenfalls, es wäre unverantwortlich, unsere Bürger gegenüber einer solchen Bedrohung schutzlos zu lassen.
Nun zu Ihren Argumenten — ich habe Ihren Antrag durchgelesen —: Ihre Argumente sind unlogisch und widersprüchlich. Einerseits wenden Sie sich gegen die Abwehr von ballistischen Raketen, andererseits fordern Sie selbst die Abwehr von Marschflugkörpern — das eine mit der Begründung — das ist sehr interessant —, die Gefahr liege in einem neuen Rüstungswettlauf zwischen Offensiv-und Defensivwaffen. Wenn das, was Sie hier sagen, richtig wäre, warum, lieber Herr Ehmke, warum, lieber Herr Gansel, gilt das dann nicht auch für Marschflugkörper?
Sie können irgend jemandem draußen doch nicht allen Ernstes erklären, daß Sie den Umstand, ob Sie sich gegen eine bestimmte Waffe zu schützen beabsichtigen, von der Flugbahn dieser Rakete, dieser Waffe abhängig machen: ob sie nun flach oder in einem Bogen daherkommt.
Also, diese Logik, meine Damen und Herren, ist so abenteuerlich, daß sich die Auseinandersetzung damit fast nicht lohnt. Entscheidend ist — ich sage es noch einmal —: Wir müssen alles tun, um einer neuen sich einstellenden Bedrohung langfristig zu begegnen — im Interesse der Bürger unseres Landes und im Interesse des Friedens, den wir sicherer machen werden.