Rede von
Dr.
Horst
Ehmke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat auf dieser Debatte noch vor den Weihnachtsferien bestanden, weil wir
— wie sich inzwischen herausgestellt hat, zu Recht
— befürchten mußten, daß die Bundesregierung eine wichtige Entscheidung für unser Land und Europa wieder einmal am Parlament vorbei treffen würde.
90 Minuten Debatte — zu mehr war die Koalition nicht bereit — reichen nicht aus, das Thema wirklich zu diskutieren. So können wir nur die Grundzüge unserer Haltung zu zwei Fragen darlegen. Erstens: Soll die Bundesrepublik Deutschland mit der Regierung der Vereinigten Staaten eine Vereinbarung über die Beteiligung bundesdeutscher Firmen am SDI-Programm treffen? Zweitens: Soll die Bundesrepublik zusammen mit anderen westeuropäischen Ländern ein eigenes SDI-Programm zur Abwehr von auf Europa gerichteten ballistischen Raketen beginnen?
Auf beide Fragen hat die SPD klare Antwort gegeben. Unsere Anträge liegen vor. Es gibt für uns keinen Grund, heute auch nur ein Jota von der Position abzuweichen, die wir bereits zu Beginn dieses Jahres zu SDI entwickelt haben. Unsere Bedenken werden heute weltweit geteilt.
Die SDI-Befürworter in der Wende-Koalition dagegen führen geradezu einen Eiertanz auf, um dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit zu entgehen. Nichts kennzeichnet die Unklarheit und die Unaufrichtigkeit Ihrer Position besser als der groteske Streit um die Frage, welches Kabinettsmitglied denn nun den ungeliebten Wechselbalg unterschreiben soll. Heute wird dokumentiert, wer die Verantwortung für eine Entscheidung trägt, die zu einem neuen gigantischen Wettrüsten zu führen droht. Unsere Anträge enthalten nichts, was nicht auch von zahlreichen Skeptikern aus dem Regierungslager gesagt und gefordert worden ist. Ich bin der Meinung, Sie sollten den Bürgern dieses Landes reinen Wein einschenken. Sie wollen nicht bei dem Versuch mitwirken, zu verhindern, daß, nachdem auf unserem Planeten Land, Wasser und Luft mit Waffen vollgestopft worden sind, nun das Wettrüsten auch noch in den Weltraum getragen wird.
14090 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1985
Dr. Ehmke
Sagen Sie doch offen — Herr Kollege Klein —, daß Ihr Wahlspruch „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" nur ein Tarnvorhang war, hinter dem Sie immer neue Rüstungen befürworten.
Die Verrenkung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen in Sachen SDI waren in den letzten Wochen und Monaten nicht nur akrobatisch, sondern teilweise direkt peinlich. Verkaufen Sie die Bürger unseres Landes doch nicht für dumm,
versuchen Sie doch nicht, durch die Aufzählung angeblicher Bedingungen über die wahre Sachlage hinwegzutäuschen! Sie laufen mit SDI mit, weil Bitburg seinen Preis fordert und weil Strauß und die deutsche Rüstungsindustrie Ihnen im Nacken sitzen,
die das Märchen vom SDI-Sterntaler träumen.
Schwerwiegende politische und strategische Bedenken gegen SDI wischen Sie beiseite, obwohl SDI und EVI die Einheit der NATO und die vereinbarte NATO-Strategie ganz offensichtlich gefährden. Sie taktieren in einer Frage, die die Aussichten auf Fortschritte in den Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen auf Jahre hinaus blockieren kann. Die Erörterung der Frage, was von der europäischen Mitwirkung im NATO-Bündnis noch bleiben würde, wenn diesem NATO-Bündnis ein SDI-Weltraumhelm der Weltmacht Nr. 1 übergestülpt würde, überlassen Sie anderen, etwa dem konservativen britischen Außenminister. Sie beschränken sich in der ganzen Debatte auf die Erörterung von absolut zweitrangigen Fragen, und selbst dabei sind Sie nicht aufrichtig.
Wie können Sie z. B. behaupten, eine Beteiligung am amerikanischen SDI-Programm sei notwendig, um technologisch nicht abgehängt zu werden, wenn Ihnen zwar nicht — natürlich nicht — die Lobbyisten der Industrie, wohl aber unabhängige Forscher an Hand eindrucksvoller Studien nachweisen, daß es nichts Unproduktiveres als Rüstung und Rüstungsforschung gibt?
Hat etwa Japan einen Nachteil dadurch erlitten, daß es sich über die Jahrzehnte hinweg nicht an der Rüstungsforschung beteiligt hat, so wie es sich jetzt auch nicht an SDI beteiligt? In den Vereinigten Staaten beginnt sich gerade die Einsicht durchzusetzen, daß die weitgehende Militarisierung von Forschung und Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu einem Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie geführt hat.
Meine Herren, wir sind doch nicht gegen moderne Hochtechnologie.
Auch die Japaner sind nicht gegen moderne Hochtechnologie. Aber wir beantworten die Frage anders, in welcher Form man sie entwickelt: unter den Bedingungen militärischer Geheimhaltung oder unter denen der Wissenschaftsfreiheit.
Wie können Sie glauben, Sie würden die Amerikaner ausgerechnet über eine Beteiligung am SDI-Programm von ihrer übersteigerten COCOM-Philosophie und ihrer Politik ständig wachsender Beschränkungen des Wissenschaftsaustausches und des Technologietransfers abbringen? Das Gegenteil wird der Fall sein: Nicht Sie werden die Amerikaner beeinflussen, sondern die Amerikaner werden unsere Unternehmen ihren Vorstellungen von Geheimhaltung, Verwertbarkeit, Exportrestriktionen und Preisgestaltung unterwerfen. Es steht ja auch nichts anderes im Teltschik-Bericht drin, außer ein paar freundlichen Worten. Selbst einzelne Zugeständnisse im SDI-Bereich — das sei der Industrie gesagt — würden nur noch einmal die Restriktionen im großen übrigen Industriebereich bestätigen, gegen die Sie bisher schon darum fast gar nichts getan haben, weil Sie es j a noch nicht einmal wagen, die Dinge auf diesem Gebiet endlich beim Namen zu nennen.
Wenn deutsche Industrieunternehmen glauben, vom SDI-Programm profitieren zu können, so sollen sie es selbstverständlich tun. Die politisch Verantwortlichen aber dürfen in für Westeuropa existentiellen Fragen solche begrenzten materiellen Interessen nicht zum Maßstab deutscher Außenpolitik machen. Welch ein jammervolles Bild, verehrte Kollegen von der Regierungskoalition,
bietet Westeuropa inzwischen in der SDI-Frage, Westeuropa, dessen gemeinsame Stellungnahme und Interessenvertretung Sie zwar verbal gefordert, aber real verhindert haben.
Im SDI-Zusammenhang muß ich ein besonderes Wort an die Kollegen von der FDP richten. Sie erweisen sich einmal mehr als eine Partei,
die ihre Überzeugungen aus Gründen des blanken Machterhalts über Bord wirft.
Sie haben — von Äußerungen des Bundesaußenministers bis zu Beschlüssen von FDP-Parteigliederungen — monatelang schwere Bedenken gegen eine deutsche Beteiligung am SDI-Programm erhoben, und nun laufen Sie doch mit. Herr Bangemann
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 185. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1985 14091
Dr. Ehmke
hat sich dabei als Bannerträger des Opportunismus ausgezeichnet. Die Rolle, die Herr Kollege Genscher in dieser Frage als Außenminister gespielt hat, kann leider nur als kläglich bezeichnet werden.
Die FDP insgesamt hat wieder einmal mit ihrem Charakter als Umfallerpartei ihre politische Unzuverlässigkeit unter Beweis gestellt.
Zu dem wenig erbaulichen Bild, das die WendeKoalition in der SDI-Frage geboten hat, gehört auch, meine verehrten Damen und Herren, die Sie in der Morgenstunde schon so munter sind,
daß Sie zu feige waren, das Thema SDI und EVI hier im Bundestag zum Gegenstand einer wirklich ausführlichen Debatte zu machen. Aber nicht nur das.
Die von uns gewünschte Teilnahme amerikanischer Experten am SDI-Hearing des Deutschen Bundestages wurde von der Regierungsmehrheit mit fadenscheinigen Begründungen verhindert.
Sie hatten wohl Sorge, manch einer von Ihnen könne doch noch das Nachdenken anfangen, wenn prominente Amerikaner, unter ihnen ehemalige Verteidigungsminister, ABM- und SALT-Unterhändler der Vereinigten Staaten, vor dem Deutschen Bundestag ihre Argumente gegen das SDI-Programm hätten vorbringen können. Vielleicht hatten Sie auch Angst, ein solcher Auftritt könne das Bild von den Unionsparteien als den treuesten Hintersassen der Administration in Washington gefährden.
War es eine bewußte Provokation oder nur eine unbedachte Vorabinformation, Herr Kollege Rühe, daß Sie am letzten Wochenende — also noch bevor das Hearing des Deutschen Bundestages zu SDI überhaupt begonnen hatte — gegenüber der deutschen Presse erklärt haben, die Grundsatzentscheidung zu SDI sei längst gefallen? Ich bin der Meinung: Ihr Verhalten in der SDI-Diskussion hat wieder einmal gezeigt, wie verächtlich Sie mit dem Parlament und den Bürgern umgehen.
Kein Wunder, daß bei dieser Politik des „Augen zu und durch" — schneidig wie Ihr Fraktionsvorsitzender — die Bundesregierung nicht mehr zur Kenntnis nimmt, was allein in den letzten Monaten in den USA und bei uns an zusätzlichen Argumenten und Bedenken gegen das SDI-Programm zusammengetragen worden ist.
Die Bundesregierung nimmt nicht zur Kenntnis, daß der ehemalige Leiter der Verhandlungsdelegation der Vereinigten Staaten beim ABM-Vertrag, Gerald Smith, erhebliche Bedenken gegen die Interpretationskünste der Reagan-Administration erhoben und die amerikanische Regierung aufgefordert hat, nicht den Geist des ABM-Vertrages zu verletzen.
Die Bundesregierung hat geflissentlich Darstellungen in der amerikanischen Presse übersehen, daß sich die amerikanische Industrie inzwischen zwar ganz auf einen SDI-Geldsegen einstellt, sich aber die skeptischen Stimmen über die Realisierbarkeit eines solchen Projekts selbst in ihren Reihen mehren.
Es interessiert die Bundesregierung nicht, daß in den letzten Wochen immer mehr und immer detailliertere Studien vor den Folgen von SDI und EVI warnen. Um nur einige bei uns erschienene Arbeiten zu nennen und Ihnen zur Lektüre zu empfehlen: Ich denke an das vorzügliche Papier von Thomas Risse-Kappen von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, den Report von Bernd Kubbig über die Auswirkungen von SDI auf den ABM-Vertrag oder den Beitrag des Hamburger Wirtschaftswissenschaftlers Klaus Bolz in der Monatszeitschrift „Wirtschaftsdienst", der vor der negativen Auswirkungen eines offiziellen Rahmenabkommens über eine deutsche Industriebeteilung an SDI warnt.
— Ich nehme an, daß Sie all diese kritischen Stimmen eigentlich für Subversive halten. Wir haben das ja auch bei den „Ärzten gegen Atomkrieg" schon von Ihnen gehört.
Das ist ein etwas begrenztes Weltbild von Ihnen, aber keines, das uns überrascht.
Es berührt diese angeblich so europaorientierte Bundesregierung auch nicht, daß zahlreiche europäische Verbündete, besonders unser wichtigster Partner Frankreich, eine Beteiligung am SDI-Projekt ausdrücklich ablehnen und daß dies auch für Kanada und Japan gilt.
Nein, meine Herren: Diese Politik reißt Gräben im Bündnis, in Westeuropa, vor allem aber zwi-
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Dr. Ehmke
schen Frankreich und uns auf. Sie nehmen damit eine schwere Verantwortung auf sich. In der satten Selbstgefälligkeit des Herrn Bundeskanzlers ist ihm das vielleicht gleichgültig. Nur: Das Wohlgefühl des Kollegen Helmut Kohl als Bundeskanzler kann nicht die verantwortungsvolle Wahrnehmung deutscher Lebensinteressen ersetzen.
Mein Kollege Gansel wird im Lauf der Debatte noch darlegen, was nach unserer Meinung für die Wahrnehmung dieser Interessen erforderlich ist.