Rede von
Ludwig
Stiegler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Lieber Herr Kleinert, Sie kennen mich aus der Zusammenarbeit im Rechtsausschuß. Ich bemühe mich immer, die Dinge mit intellektueller Redlichkeit zu machen. Aber hier haben Sie nicht recht. Ich komme gleich darauf zu sprechen, daß Sie eben mehr einreißen, als durch Karlsruhe notwendig war,
und daß es gewaltige Rückschritte gibt. Wir kommen gleich darauf zurück. Ich muß mich mit Ihrem Kartoffelpatent am Anfang Ihrer Rede noch befassen.
Meine Damen und Herren, bisher ist überhaupt nicht davon gesprochen worden, daß Ihre Verschlechterungen bis in das Getrenntleben bei der Ehe hineinreichen. Das Getrenntleben soll dazu dienen, zu prüfen, ob man wieder zusammenkommen kann. Das belasten Sie jetzt mit dieser Auseinandersetzung um den Unterhalt; und damit erschweren Sie, daß die beiden wieder zusammenfinden.
Wenn die erst einmal streiten, daß die Fetzen fliegen, um für sich den normalen Lebensbedarf zu sichern — dann sollen sie eventuell nach dieser Probezeit wieder zusammenkommen? Das erschwert das Beisammenbleiben unnötig und ist geradezu familienfeindlich, weil es eben nicht dazu beiträgt, daß das Zusammenleben wieder harmonisch wird.
Meine Damen und Herren, die zwei Hauptschritte, die Sie außerhalb von Karlsruhe tun, sind die Gefährdung des Unterhalts bei Arbeitslosigkeit und die Gefährdung des Lebensstandards, und zwar ohne jeden verhaltensbedingten Vorwurf. Hier wird nicht für Leute, die sich gegenüber dem Partner unschön benommen haben, der Unterhalt abgesenkt, sondern eine ganz normale faire Scheidung wird zum Anlaß genommen, daß der Frau der Lebensstandard gekürzt wird. Das ist der Sachverhalt.
Da kommt der Justizminister und singt hier ein trauriges Lied über die armen ausgebeuteten Männer, von bösen Frauen malträtiert. Hier geht es, Frau Hellwig, um die anständigen, um die grundanständigen Frauen. Gleichwohl wird ihnen der Unterhalt und der Lebensstandard gekürzt.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985 14061
Stiegler
Das hätten Sie sehen müssen. Ich fürchte, Sie haben es nicht sehen dürfen, weil Ihre Altherrenriege Ihnen hier eine Kappe aufgesetzt hat.
Meine Damen und Herren, der Sauter ist zwar jung an Jahren, aber denken tut er wie ein 90jähriger.
Mit dem § 1573 BGB gefährden Sie den Unterhalt bei Arbeitslosigkeit, gefährden Sie den gemeinsam erworbenen Lebensstandard. Sie haben keinen Maßstab für die zeitliche Begrenzung. Sie reden von einem Rechtsstaat. In Wirklichkeit machen Sie ein Richterermächtigungsgesetz,
wo die einen glauben, Billigkeit heiße, daß es billig sein muß.
Die werden sich hier gewaltig täuschen, sowohl die, die etwas befürchten, als auch die, die etwas bekommen sollen. Das ist ein Anschlag gegen den Rechtsstaat.
Es ist ein Anschlag gegen den Rechtsstaat, wenn man den Gerichten keine klaren Regelungen mehr gibt. Beim § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes wollen Sie Überklarheit, und hier wollen Sie eine uferlose Billigkeitsklausel, meine Damen und Herren.
Es ist bezeichnend, daß Sie nicht bereit waren, Ihren Satz aus der Begründung, daß Verschuldenselemente nur bei § 1579 BGB Platz greifen sollen, in den § 1573 und den § 1578 BGB aufzunehmen. Hier haben Sie praktisch nur ein bißchen camoufliert, aber für die Rechtsprechung bleibt es leider offen.
Meine Damen und Herren, § 1578 BGB begründet einen neuen Unterhaltstatbestand. Ich nenne ihn Absenkungsunterhalt. Das ist der Unterhalt, wo nach einiger Ehezeit der Lebensstandard abgesenkt wird. Viele von Ihnen haben übersehen, daß diese Absenkung auch für den Alterstatbestand, für den Krankheitstatbestand, für den Gebrechenstatbestand und unter bestimmten Umständen sogar für den Unterhaltstatbestand der Kindererziehung gilt. So weit reicht Ihr Wunsch, den gemeinsam erworbenen Lebensstandard abzusenken. Sie schaffen dabei Unsicherheit, weil keiner weiß, was angemessen ist, und keiner weiß, wie man die Dinge begründen soll.
Meine Damen und Herren, Sie verletzen das Rechtsstaatsprinzip. Im Scheidungsverfahren gibt es ohnehin Statusunsicherheit. Sie erschweren sie durch Rechtsunsicherheit. Sie haben drei offene Klauseln. Die erste Klausel ist „Billigkeit". Sie haben dann die Klausel „insbesondere". Mit diesem Wort „insbesondere" machen Sie die Tür für alle denkbaren Erwägungen auf. Und es ist bezeichnend, daß Sie nicht bereit waren, diese Klausel zu streichen. Und mit der Klausel „in der Regel" gefährden Sie sogar den Unterhalt bei Kindesbetreuung.
In Zukunft wird keine Prognose mehr möglich sein. In der famosen Begründung steht drin, daß man schon bei der Antragsbegründung auch den Tag bestimmen muß, an dem der Unterhalt abgesenkt wird. Die können gleich zum Lottospielen statt zum Amtsgericht gehen, um das Richtige her-auszuwürfeln, herauszubekommen.
Das, meine Damen und Herren, ist vom Rechtsstaat her nicht geboten.
Nun noch ein Wort zu den Übergangsvorschriften, die uns eine Serie von Prozessen bescheren werden. Wir reden über die Verstopfung der Gerichte und über die knappe Ressource Recht, und hier wird für nacheheliche Rachegefühle im Grunde ein großer Kriegsschauplatz eröffnet, und die Amtsgerichte werden vollgestopft. Das, meine Damen und Herren, ist diesem Rechtsstaat auch nicht zumutbar.
Ich betone noch einmal: Selbst ohne persönlichen Vorwurf reißen Sie beim Arbeitslosigkeitsunterhalt und beim Lebensstandard alle abgeschlossenen Fälle wieder auf. Und viele, die sich etwas davon erhoffen, werden zu Gericht ziehen.
Meine Damen und Herren, was hier gelaufen ist, ist ein fauler Koalitionskompromiß,
ein ganz übelriechender Koalitionskompromiß. Die CSU wollte das totale Roll-back. Wenn ich hier den Kollegen Lowack neben der Frau Hellwig sitzen sehe, finde ich: Wenn man die Positionen der beiden in dieser Sache bestimmen wollte, müßte der Lowack hinter dem Kleinert und die Frau Hellwig irgendwo bei uns sitzen. — Die CSU wollte ganz hartes Roll-back. Die CDU wollte eine leichte Korrektur. Da muß ich der Damenriege durchaus Anerkennung zollen, daß sie wacker gekämpft
und auch ein paar kosmetische Korrekturen durchgesetzt hat. Sie haben ein bißchen Rouge aufgelegt. Nur, Frau Hellwig: Wo man Schmuck und Schminke schauet, tut törlich, wer der Farbe trauet — in diesem Bereich.
Hier ist die Korrektur nicht ausreichend.
Die FDP wollte ursprünglich gar nichts, hat sich dann in diesem Bereich aber gewendet.
14062 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 184. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1985
Stiegler
Herr Kleinert, Sie haben von den Kartoffeln erzählt, die Sie essen. Ich glaube, die sind nicht genießbar. Der Kollege Ertl wird Ihnen sagen, daß sie in keine Marktordnung reinpassen und auch keine Brennerei sie annehmen würde.
Sie haben auch die Harmonie in der Koalition erwähnt. Ich finde, Sie hätten eben nicht die Tonart wechseln sollen. Es ist eine sehr seltsame Harmonielehre, die Sie hier aufgebracht haben. Sie haben vielleicht Harmonie in der Koalition, zerstören aber die Harmonie in zigtausend Einzelpersonenhaushalten, die nicht wissen, wie sie in den nächsten Monaten überkommen sollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein paar Worte zum Gesetzgebungsverfahren sagen. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich mit der Koalition sowohl beim Urheberrecht als auch bei der Bilanzrichtlinie und auf anderen Gebieten anständig zusammengearbeitet habe.
Wir von der Sozialdemokratie haben nicht von vornherein gesagt: Weil die anderen es sagen, ist es Mist. — Wir waren vielmehr bereit, mit Ihnen zu reden. Sie aber haben nicht das Gespräch mit der Opposition gesucht. Sie waren so zerstritten, daß Sie mit keinem anderen mehr reden konnten. Damit haben Sie die parlamentarischen Beratungen schwer belastet. Sie haben die Verbände überhaupt nur widerwillig angehört. Wir haben den Verbänden mit Gewalt Gehör verschaffen müssen, weil Sie sie nicht hören wollten.
Sie haben auf dem Familiengerichtstag nicht auf den versammelten Sachverstand in diesem Bereich gehört, und Sie haben auch den Fachbeamten das Rückgrat gebrochen.
— Ich sage das, weil ich empört bin. Es war geradezu peinlich, als die Herren Beamten bei der Beratung im Rechtsausschuß gesagt haben: Diese Koalition trägt uns; wir tragen diese Koalition; sonst haben wir nichts zu sagen. —
Das war die Realität bei den Beratungen im Rechtsausschuß. Ich finde, das ist unwürdig gegenüber dem Parlament. Es gibt Gott sei Dank viele unter Ihnen, denen dieser Sachverhalt auch peinlich ist. Ich will keinen namentlich benennen, um ihn nicht der Ächtung auszusetzen. Meine Damen und Herren, dies ist kein gutes Beispiel für die Rechtspolitik in einem so sensiblen Bereich.
Die Sozialdemokratie war zu Korrekturen nach der Karlsruher Anforderung bereit. Wir sehen, daß das, was Sie tun, die Probleme nicht löst. Ich komme auf das zurück, was Frau Mätthäus-Maier gesagt hat: Schlüsselproblem ist die Arbeitslosigkeit. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, damit sich nicht nur der wirtschaftlich Stärkere rücksichtslos durchsetzen kann, sondern damit auch der wirtschaftlich Schwächere seine soziale Absicherung hat und wieder in das Erwerbsleben eingegliedert wird. Diese Reform ist kein Glanzstück.
Friedrich Karl Fromme hat — wie so oft — unrecht, wenn er diese Reform heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lobt. Er hat die Vorschriften auch nicht angeschaut. Er hat wieder einmal gegen die richtige Überzeugung angeschrieben.
Wir werden unsere Änderungsanträge zur Abstimmung stellen und Ihre Vorschläge ablehnen, weil sie frauen-, familien- und kinderfeindlich sind und weil sie den sozialen Frieden gefährden.
Vielen Dank.