Rede von
Dr.
Alfred
Emmerlich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU und die FDP wollen mit diesem Unterhaltsänderungsgesetz ihre Handlungsfähigkeit auch in der Rechtspolitik unter Beweis stellen.
Handlungsfähigkeit ist in der Politik in der Tat erforderlich. Sie allein reicht jedoch keineswegs aus. Worauf es letztlich ankommt, ist der Inhalt der Politik.
Die Rechtspolitik der Koalition ist dadurch gekennzeichnet, daß sie dort, wo Handlungsbedarf besteht, nicht handlungsfähig ist.
Wenn die Koalition rechtspolitisch aktiv wird, dann geht die Aktivität in die falsche Richtung, nicht nach vorn, sondern zurück.
Welche rechtspolitischen Impulse gehen von dem Bundesjustizminister aus? Er ist unfähig, sich den rückwärts gewandten Kräften der Gegenreform entgegenzustellen, und entschuldigt sich mit Koalitionszwängen. Er hilft den Konservativen dabei, das Rad der Geschichte zurückzudrehen,
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so bei der Verringerung des Mieterschutzes, bei der Beerdigung der Reform der Juristenausbildung und bei der Einschränkung des Demonstrationsrechts,
bei der Aushöhlung des Kündigungsschutzes und bei dem fälschlich als Beschäftigungsförderungsgesetz bezeichneten Entlassungsförderungsgesetz, und auch dabei, kalt ausgesperrten Arbeitnehmern ihre durch Beiträge erworbenen Ansprüche auf Kurzarbeitergeld
verfassungswidrig wegzunehmen und das Streikrecht auszuhöhlen.
Auch beim Roll-back im Eherecht, bei der Rückwärtswende gegen die Eherechtsreform hat der Bundesjustizminister fleißig mitgemacht und durch von ihm erfundene Retortenbeispiele und Phantom-fälle
kräftig Stimmung für die Patriarchen und gegen geschiedene Frauen und Mütter gemacht.
Auch sein heutiges Verhalten unterstreicht das wieder. Wovon er hinsichtlich der öffentlichen Reaktion auf seinen Gesetzentwurf zu berichten hatte, waren Emotion und Polemik. Von den berechtigten Sorgen von den Frauen und den Kindern,
denen durch dieses Gesetz die Existenzgrundlage entzogen wird und die auf Sozialhilfe zurückgeworfen werden,
von diesen berechtigten Sorgen ist beim Bundesjustizminister nicht mit einem Wort jemals die Rede gewesen.
Ich frage den Bundesjustizminister, ob er der Kritik der Familien- und Frauenverbände, der Sachverständigen, die wir im Deutschen Bundestag gehört haben, insonderheit des Deutschen Familiengerichtstages, nichts anderes entgegenzustellen hat als den Vorwurf der Emotion und der Polemik. Der Bundesjustizminister hat heute in diesem Zusammenhang von ,,Neurotik" geredet. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, auf wessen Seite denn hier Neurotik anzutreffen ist.
Die heutige Aussprache hat bereits bestätigt und wird in ihrem weiteren Verlauf vermutlich weiterhin bestätigen, was die bisherige Diskussion über die Gegenreform im Eherecht, insbesondere das
Hearing des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, bereits ergeben hat.
Erstens. Das Unterhaltsänderungsgesetz wird zu einer mindestens jahrelangen, möglicherweise dauernden Rechtsunsicherheit im nachehelichen Unterhaltsrecht führen, einer Rechtsunsicherheit, unter der nicht nur die betroffenen Bürger zu leiden haben werden, sondern auch die Gerichte. Auf die Gerichte wird eine Flut von zusätzlichen Rechtsstreitigkeiten zukommen.
Das ist zum einen auf die vielen neuen, unbestimmten Rechtsbegriffe dieses Gesetzes zurückzuführen — Frau Matthäus-Maier hat darauf bereits hingewiesen —, bei denen niemand voraussehen kann, wie die Rechtsprechung sie einmal nach jahrelangem Hin und Her auslegen wird.
Diese Rechtsunsicherheit wird aber auch durch die Übergangsregelung für Altfälle herbeigeführt, durch die bei zigtausenden von Unterhaltspflichtigen Hoffnungen geweckt werden, sich ihrer Unterhaltspflicht ganz oder zum Teil entledigen zu können. Kein Rechtsanwalt wird hinreichend sicher darüber Auskunft geben können, ob diese Hoffnungen berechtigt sind oder nicht.
Weit über hunderttausend Bürgerinnen und Bürger werden wahrscheinlich in neue, entnervende Prozesse hineingetrieben, und die Familiengerichte werden von dieser Woge von Rechtsstreitigkeiten auf lange Zeit überrollt werden.
Zweitens. Dies alles geschieht, weil CDU und CSU in der Zeit ihrer Opposition, nachdem sie zunächst die Eherechtsreform mit verabschiedet hatten, aus opportunistischen und parteiegoistischen Gründen Front gegen die Eherechtsreform gemacht und Erwartungen geschürt haben, die sie jetzt in der Regierungsverantwortung glauben einlösen zu müssen.
Diese Gesetzgebung, meine sehr geehrten Damen und Herren, findet statt, obwohl ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nicht im mindesten belegt ist. Der Nachweis dafür, daß mehr Einzelfallgerechtigkeit erzielt wird, wenn der Unterhalt von Frauen und Kindern zusammengestrichen wird, ist nie geführt, nicht einmal versucht worden.
Herr Bundesjustizminister, wenn Sie zu Recht darauf hinweisen, daß die Verantwortung füreinander auch nach einer Scheidung keine einseitige ist, frage ich sie: Wie wird denn diese Verantwortung bei den sozial stärkeren Ehegatten, also insbesondere bei den Männern, zum Tragen kommen, wenn sie sich gegenüber ihrer Ehefrau schuldhaft verhal-
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ten? Bei der Ehefrau erfolgt die Sanktion: Unterhaltsentzug. Was passiert den Männern? — Nichts!
Drittens. Das Roll-Back im Eherecht geht zu Lasten des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten und der Kinder. Es geht auch zu Lasten naher Angehöriger, weil sie als Unterhaltspflichtige einspringen müssen, und zu Lasten der Allgemeinheit, weil viele Betroffene — ich sagte es schon — Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Das sind konkrete Auswirkungen der Parole dieser Wende-Koalition „Leistung muß sich wieder lohnen", einer Parole, die die mitmenschliche Verantwortung kalt und unbarmherzig beiseite schiebt.
Viertens. Bundesregierung und Koalition wollen glauben machen, die schwerwiegenden Mängel ihres Gesetzentwurfes, auf die wir von Anfang an hingewiesen haben und die durch die Sachverständigen in der Anhörung bestätigt worden sind, seien weitgehend beseitigt. Diese Behauptung ist unzutreffend. Bei den Änderungen des ursprünglichen Gesetzestextes handelt es sich überwiegend um Schminke und Tünche. Im übrigen kann es sich die Koalition kaum als Verdienst anrechnen, wenn sie die ursprünglich geplanten Benachteiligungen von
Frauen und Kindern zu einem minimalen Bruchteil zurücknimmt.
— Herr Kleinert, jetzt hören Sie bitte ganz besonders gut zu. Jetzt kommt etwas in Ihre Richtung, was für Sie vielleicht schwer verdaulich ist.
Fünftens. Bei der Reform des Scheidungsrechtes bestand Einvernehmen, daß der Übergang zum Zerrüttungsprinzip nicht auf das Recht der Scheidungsgründe beschränkt werden dürfe und daß bei den Scheidungsfolgen das Verschuldensprinzip durch den Grundsatz der fortbestehenden Verantwortung des sozial Stärkeren für eine ehebedingte Unterhaltsbedürftigkeit des sozial Schwächeren ersetzt werden müsse. Dieser Grundsatz der auf der Eheschließung und Eheführung beruhenden fortwirkenden Verantwortung wurde bei der Eherechtsreform gerade von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, mit Nachdruck betont und unterstrichen.
— Sie haben es gesagt, nur handeln Sie bedauerlicherweise nicht danach, Frau Hellwig.
Nunmehr führen diese, sich christlich nennenden Parteien das Verschuldensprinzip im nachehelichen Unterhaltsrecht wieder in vollem Umfang ein und heben die fortwirkende Verantwortungsgemeinschaft dadurch zum großen Teil auf.
Ich will Ihnen, von der CDU/CSU, zusätzlich sagen: Diese Idee von der fortwirkenden Verantwortungsgemeinschaft haben wir Sozialdemokraten mit großer Mühe und mit großer Energie gegenüber der FDP durchgesetzt. Die FDP hatte nichts anderes im Sinn, als zu fordern: „Weg von dem Verschuldensprinzip bei den Scheidungsgründen zugunsten des Zerrüttungsprinzips. Wenn die Frauen nach der Scheidung nicht mehr zurechtkommen," — Herr Kleinert, Sie wissen, wovon ich rede — „haben sie Pech gehabt; dann haben sie sich eben den falschen Mann ausgesucht". — Das war Ihr Prinzip.
Es ist bedauerlich, daß Sie, die jeden Sonntag von Frauen- und Familienpolitik reden, nunmehr die Steigbügelhalter für diese verfehlte Auffassung der FDP sind.
Das, was CDU und CSU damals zu Unrecht an die Wand gemalt haben, nämlich die Einführung der Verstoßentscheidung, wird jetzt Realität, und zwar durch diese Koalition.
Sechstens. Die weitgehende Aufgabe des Grundsatzes der über die Scheidung hinaus fortwirkenden Verantwortung bei ehebedingter Bedürftigkeit führt zu einer Diskriminierung des sozial schwächeren Ehegatten. Da die sozial schwächeren Ehegatten überwiegend die Frauen sind, bewirkt dieses Gesetz eine Diskriminierung von Frauen. — Herr Engelhard, Sie können reden, was Sie wollen: Tatsachen können Sie durch Ihre Camouflagen nicht hinwegwischen.
Aufgabe unserer Zeit ist es, den Frauen endlich die volle Gleichberechtigung und Gleichstellung zu geben, nicht aber, sie entgegen dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes durch Gesetze erneut zu benachteiligen.
Siebtens. Die bei einer Scheidung den Frauen und Müttern drohende Sanktion des Unterhaltentzugs führt zwangsläufig zu einer Disziplinierung auch während der Ehe, dazu, daß Frauen in der Angst vor dem Verlust des Unterhalts im Falle der Scheidung klein beigeben müssen, daß sie sich dukken müssen, daß sie ihren Anspruch auf Gleichberechtigung in der Ehe nicht verwirklichen können,
daß eine partnerschaftliche Eheführung erschwert und nicht erleichtert wird. Das vorliegende Gesetzgebungsvorhaben ist somit auch ein Angriff auf die partnerschaftliche Ehe.
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Dr. Emmerlich
Es ist ehe- und familienfeindlich, weil nur die partnerschaftliche Ehe, nicht aber die patriarchalische Ehe Zukunft hat.
Wer die Ehe schützen und bewahren will, wer für Partnerschaft in der Ehe eintritt, der muß, Frau Hellwig, mit uns gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung stimmen. — Vielen Dank!