Rede von
Hans H.
Gattermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Steuerbereinigungsgesetz 1986 dürfte eines der schwierigen steuerlichen Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode sein. Insgesamt werden 23 Gesetze, rund 150 Einzelvorschriften geändert oder neu eingeführt. Damit werden neun Drucksachen der Bundesregierung, des Bundesrats, der Opposition und diverse ergänzende Zusatzanträge der Koalitionsfraktionen erledigt.
Hinter uns liegt ein beträchtliches Arbeitsvolumen. Ich kann das nur unterstreichen, was eben der Kollege Schulhoff getan hat, nämlich den ausdrücklichen Dank an die kooperativen Kollegen von der SPD-Fraktion aussprechen an die das durchschnittliche Maß weit übersteigende Arbeit leistenden Herren des Finanzministeriums und last, not least dem Ausschußsekretär und seiner Mannschaft. Herzlichen Dank auch von mir.
Meine Damen und Herren, es ist allerdings die Frage, ob man auf ein solches Arbeitspensum auch stolz sein darf; denn eigentlich geht unser Wunsch dahin, weniger und nicht mehr Gesetze zu haben und nicht ständig neue zu machen und ständig Änderungen vorzunehmen. Aber diese Frage läßt sich eigentlich nur beantworten, wenn man den materiellen Kern dessen, was man da beschlossen hat, im Detail bewertet. Mein Gesamturteil lautet: Sowohl als auch.
Es sind vier Gruppen von Rechtsänderungen, die wir hier verarbeitet haben: erstens Regelungen, die Rechtsbereinigungen enthalten, wie die Anpassung an Rechtsprechung insbesondere des Europäischen Gerichtshofs, zweitens vereinfachende Vorschriften — da ist erfreulicherweise das eine oder andere auch gestrichen worden —, drittens die Einführung neuer oder die Ausweitung bestehender Steuervergünstigungen und viertens neue Rechtsgrundlagen, fortentwickelte Rechtsgrundlagen für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat.
Das als Gesamturteil von mir genannte „sowohl als auch" ergibt sich aus unterschiedlicher Bewertung dieser vier Titelgruppen. Den rechtsbereinigenden Regelungen kommt eine neutrale Bewertung zu; da kann man meist gar nicht anders. Bei den den Ausbau von Steuervergünstigungen bringenden Vorschriften überkommt einen zumindest ein ungutes Gefühl. Den vereinfachenden Regelungen und jenem Teil der Gesetzesvorlage, der das von der Natur der Dinge her spannungsgeladene Verhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Fiskus erfaßt, kann man dagegen das Prädikat befriedigend oder voll befriedigend geben.
Meine Damen und Herren, die Ausweitung von Steuervergünstigungen kann — wer wollte das bestreiten — vom Grundsatz her nicht gefallen. Bei näherem Hinsehen sind die neuen Vergünstigungen jedoch unabweisbar und sinnvoll. Es darf aber nicht sein, wie ich das gelegentlich aus Kreisen der Opposition höre, daß die Hilfen, zu denen sich die Koalitionsfraktionen durchringen, abgelehnt werden, eigene Hilfen, die man beantragt hat, dann aber für gut und richtig gehalten werden, so nach dem Motto: Hilfen für die Stahlindustrie sind gut, Hilfen für die Landwirtschaft sind schlecht.
Da muß man sich schon einheitlich bekennen.
Meine Damen und Herren, bei den Stahlinvestitionszulagen, bei denen nunmehr in gewissem Umfang auch Anzahlungen auf Herstellungskosten begünstigungsfähig sind, stellen wir damit lediglich — sozusagen als Abschlußgeste — sicher, daß die Stahlunternehmen und ihre Arbeitnehmer keinen Schaden daraus erleiden, daß ihre geplanten Investitionsvorhaben zur Strukturanpassung durch EGBürokratie oder Lieferengpässe verzögert wurden.
Ich spreche deshalb von einer Abschlußgeste, weil diese unglückselige Subventionierung im Stahlbereich nunmehr zu Ende geht. Hier ein Dank an die Bundesregierung, insbesondere ein Dank an den zuständigen Bundeswirtschaftsminister, aber auch an den ihn massiv unterstützenden Bundesfinanzminister dafür, daß sich die Bundesregierung durchgesetzt hat, damit dieser Unsinn der Subventionitis in diesem Bereich ein Ende findet.
Meine Damen und Herren, es ist auch nicht wahr — ich glaube, es besteht Veranlassung, dies hier nach der gestrigen Debatte über Wackersdorf anzumerken —, daß die Änderungen des Investitionszulagengesetzes eine Lex Wackersdorf sind. Es ist gut und richtig, daß wir dem Kriterium Beschäftigung bei den Voraussetzungen für die Investitionszulagen in Zukunft mehr Gewicht beimessen. Es ist auch gut und richtig, daß wir für innovative Vorhaben das Verbot einer Kumulation der regionalen
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Investitionszulage mit der Zulage für Forschungs-und Entwicklungsinvestitionen aufheben.
Selbstverständlich und übrigens auch verfassungsmäßig geboten ist es, daß man in die geplanten Vorhaben mit den Änderungen aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht eingreift. Das gilt eben auch für Wackersdorf. Wir machen nach unserem Verfassungsverständnis Gesetze für alle. Wir machen keine Spezialgesetze gegen alles, was mit der Kernenergie zu tun hat, oder Spezialgesetze für alles, was alternativen Wirtschaftsformen dient.
Meine Damen und Herren, bei der Landwirtschaft haben wir in der Tat deutliche Hilfen gewährt durch Verbesserung der Freibetragsregelungen bei der Betriebsaufgabe, bei der Abfindung weichender Erben, bei der Tilgung von Altschulden. Diese Maßnahmen sind im Zuge des laufenden Strukturanpassungsprozesses der Landwirtschaft bitter notwendig.
Sie sind befristet und entsprechen damit den Kriterien einer modernen Subventionspolitik.
Meine Damen und Herren, es ist in dieser kurzen Debatte nicht möglich, die von mir zahlenmäßig angesprochene Fülle der Detailregelungen im einzelnen darzulegen und zu bewerten. Teilweise ist das schon geschehen. Wir sind jedenfalls sicher, daß wir keine Schelte dafür beziehen werden, daß Stiftungen Rücklagen bilden können, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren, daß Amateursportvereine ihren Gemeinnützigkeitsstatus bei der Durchführung von wirtschaftlichen Veranstaltungen mit Berufssportlern nicht mehr riskieren.
Wir glauben auch, daß es uns die Wirtschaft dankbar abnehmen wird, daß wir die vom Bundesfinanzhof aufgegebene Geprägerechtsprechung mit einer großzügigen Vertrauensschutzregelung für die Übergangszeit nunmehr gesetzlich verankern.
Wir glauben auch, daß die Lohnsteuerzahler nicht undankbar dafür sind, daß wir den SPD-Antrag verarbeitet haben und nunmehr eine zweijährige Frist läuft, die mit den Fristen bei der Einkommensteuer vergleichbar ist. Das alles sind gute und vernünftige Regelungen.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein paar Worte über das Verhältnis zwischen Steuerbürger und Staat verlieren. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß wir eine der effektivsten Finanzverwaltungen der Welt haben. Dennoch sind wir uns bewußt — einen Punkt hat Herr Kollege Schlatter eben angesprochen —, daß in der Praxis der Finanzverwaltung Durchsetzungslücken bestehen, die nicht nur nach Meinung der Opposition allein durch eine noch größere Regelungsdichte geschlossen werden könnten. Dies genau ist der Punkt, an dem sich die Grundsatzfrage stellt, ob eine Steigerung der Effizienz der Steuerverwaltung durch mehr Kontrollmitteilungen, mehr flächendeckende Betriebsprüfungen, mehr Steuerfahndung, noch zu erreichen und eine generell stärkere Durchleuchtung des Steuerbürgers noch vertretbar ist.
Für die FDP hat das Steuerbereinigungsgesetz den Einstieg dafür geboten, umgekehrt ihre klare Präferenz für mehr Bürgerfreundlichkeit der Steuerverwaltung zu suchen und zu finden. Aber unter Effizienzgesichtspunkten muß man sich darüber im klaren sein, daß dies à la longue Wirkungen nur dann haben kann, wenn zugleich am Abbau des Steuerwiderstandes gearbeitet wird, und zwar durch fairere, transparentere und weniger belastende Steuergesetze. Diesen Zusammenhang muß man sehen.
Wir halten den bei den Kontrollmitteilungen nach langer Diskussion gefundenen Kompromiß für eine akzeptable Lösung: Kontrollmitteilungen nur von jenen Behörden und Institutionen, bei denen keine Betriebsprüfungen durchgeführt werden, und Kontrollmitteilungen nach bayerischem Vorbild — sozusagen nach der bayerischen Lösung —: Zahlenangaben nicht gegenüber der Steuerverwaltung, aber gegenüber den Betroffenen.
Wir glauben auch, daß wir im Interesse der deutschen Wirtschaft den richtigen Weg gefunden haben, um unseren Auskunftsverpflichtungen gegenüber den EG-Partnern zu entsprechen. Wir halten es besonders für richtig, daß Spontanauskünfte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zulässig sind, daß im übrigen aber die Betroffenen vorher zu informieren sind, so daß die Chance der Anrufung der Gerichte gegen Verwaltungsentscheidungen gegeben ist.
Wir glauben aber, auch anmerken zu sollen, daß die in der EG-Amtshilfe-Richtlinie gefundenen Prinzipien Gültigkeit auch für die Doppelbesteuerungsabkommen mit Ländern außerhalb der EG haben müssen. Dies sind die Grundsätze, die wir uns jetzt gesetzt haben. Deswegen müssen noch in der Verhandlung befindliche oder auch bereits paraphierte, aber noch nicht unterzeichnete Doppelbesteuerungsabkommen auf diesen Punkt hin überprüft werden. Für alle schon bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen ist dies ein Merkposten für jedwede Änderung, die irgendwann einmal ansteht.
In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß Datenschutz etwas Umfassendes ist und daß das Recht der informationellen Selbstbestimmung, wie das Bundesverfassungsgericht es formuliert, wirklich nicht auf Hotelanmeldungen oder auf Datenabgleich von Einwohnermeldeämtern beschränkt sein kann. Es ist irgendwie merkwürdig, daß jene, die bei den soeben von mir genannten Punkten auf den Barrikaden stehen, um dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger zu verteidigen, im Bereich der Steuern und der Finanzverwaltung offenbar nicht einmal etwas dagegen hätten, wenn nach schwedischem Vorbild jeder Private dem Finanzamt mitteilen müßte, daß er einige hundert Mark Reparaturkosten an einen Handwerksmeister gezahlt hat.
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Aber lassen wir das. Wir werden den Vorwurf, unsere Bemühungen um Bürgerfreundlichkeit hätten etwas mit dem Schutz von Steuerhinterziehern zu tun, zu widerlegen wissen.
Ein Punkt steht nicht im Gesetz, der vor 14 Tagen noch drinstand: die verbindliche Auskunft. Wir bedauern dies. Aber wir haben einen Entschließungsantrag, der der Bundesregierung einen Auftrag gibt. Ich gehe davon aus, daß dieser Auftrag zügig ausgeführt wird. Ich stelle anheim, sich vielleicht einmal in den Vereinigten Staaten Wissen und Kenntnisse vom Funktionieren eines solchen Systems durch die Beamten des Bundes und der Länder zu verschaffen. Ich merke nur noch an: Dieses Anliegen ist uralt. Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hat bereits 1963 die Bundesregierung aufgefordert, hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen. Auch der Bundesrat war damals, als der Regierungsentwurf vorgelegt wurde, sehr dafür. Die Begründung war: Ein so kompliziertes Steuerrecht, wie wir es haben, erfordert die Möglichkeit verbindlicher Auskünfte. Unser Steuerrecht ist komplizierter geworden, als es 1963 war. Das Erfordernis ist heute dringlicher denn je.
Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.