Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als das erste Gespräch zwischen den Tarif-
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Bundesminister Dr. Bangemann
partnern und der Bundesregierung beim Bundeskanzler stattfand, wurde schon die Frage erörtert, ob es ein Einverständnis zwischen den Tarifpartnern über die Frage einer Klarstellung der Neutralitätsverpflichtung der Nürnberger Anstalt geben könne. Damals erklärten die Arbeitgeber, sie sähen hier einen Handlungsbedarf, und zwar einen Handlungsbedarf, den nur der Gesetzgeber erfüllen könne, während der DGB eindeutig und sehr klar das Gegenteil erklärte, nämlich er sehe erstens keinen Handlungsbedarf und zweitens schon gar nicht irgend etwas, was der Gesetzgeber zu regeln hätte.
Es gab also ein breites Auseinander der Standpunkte, und die Regierung stand vor der Frage, was man angesichts dieser Sachlage tun solle. Hätten wir uns damals entschieden, bei dieser offenbaren Gegensätzlichkeit der Standpunkte auf beiden Seiten ein Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen, wäre das sicher kritisiert worden, aber es wäre durchaus denkbar gewesen. Man hätte es erklären können. Dennoch, meine Damen und Herren, die Regierung hat sich entschieden, auch angesichts dieser offenbaren Gegensätzlichkeit den Versuch zu unternehmen, die Standpunkte anzunähern oder zumindest, wenn das nicht möglich gewesen wäre, abzuklären, was denn eigentlich strittig zu behandeln sei.
Dieser Versuch ist in zwei Gesprächen zwischen fünf Ministern der Regierung und Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften und zum Schluß am Dienstag dieser Woche noch einmal durch ein Gespräch unternommen worden, zu dem der Bundeskanzler eingeladen hatte. Die beiden ersten Gespräche haben ungefähr 15 Stunden gedauert. Hinzu kam am Dienstag das Gespäch mit, ich glaube, drei Stunden. Das sind 18 Stunden, in denen man versucht hat, die Standpunkte anzunähern. Das ist auch gelungen. Es ist nicht wahr, daß diese Gespräche überhaupt kein Ergebnis gehabt hätten. Eine Reihe von Fragen wurde von manchen als unstrittig bezeichnet, weil die Antwort, die ihnen jeweils paßt, als die einzig richtige angenommen wird. Darin liegt ein Stück Verböserung der Situation, daß Leute, die eine Meinung haben, nicht nur das Recht für sich in Anspruch nehmen, diese Meinung zu vertreten, was selbstverständlich ist, sondern jede andere Meinung von vornherein in eine Ecke stellen, verketzern und dadurch eine Diskussion unmöglich machen, die in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte.
Wir haben also bei diesen Gesprächen festgestellt, außerhalb eines Fachbereiches wird immer gezahlt. Dies ist j a nicht von uns in Zweifel gezogen worden, sondern dieser Zweifel entstand durch das Gutachten eines Mannes, dem man wahrhaftigen Gottes nicht unterstellen kann, daß er von der Sache nichts verstünde. Man mag ihm unterstellen, daß er eine bestimmte Meinung hat, aber das sollte doch wohl in einer Demokratie nicht strafbar sein. Dieser Mann hat gesagt: Man muß prüfen, ob es nicht auch außerhalb eines Fachbereiches Fälle geben kann, in denen die Zahlung den Streik, die Aussperrung, generell gesagt: den Arbeitskampf beeinflußt. Das haben wir in diesen Gesprächen klarstellen können, und zwar — weil das auch immer wieder bestritten wird — durch eine klare Aussage der Arbeitgeber. Wir mußten die Arbeitgeber in diesem Punkt nicht über den Tisch ziehen — wie ich gehört habe —, wir mußten sie nicht dazu pressen und drängen, sondern sie haben von sich aus gesagt, wenn das Beeinflussungsprinzip ein geltendes Prinzip in dieser Abgrenzung der Streitfragen ist, dann muß klar sein: Außerhalb des Fachbereichs kann ein solcher Einfluß nicht auftreten, auch kein Binnendruck, und dann muß dort gezahlt werden. Das ist die erste Klarstellung.
Die zweite Klarstellung, die in der Öffentlichkeit vollkommen unter den Tisch gefallen ist, weil sie nicht in das allgemeine Bild paßt, das manche hervorrufen wollen, ist, daß die Arbeitgeber von vornherein gesagt haben: Selbstverständlich muß die Anstalt in Nürnberg nachprüfen, und die Arbeitgeber müssen glaubhaft machen, daß ein Unternehmen, das keine Arbeit mehr hat, feststellen muß, daß der Arbeitsausfall durch den Streik verursacht ist; es darf nicht etwa durch Tricks oder auf andere Weise den Arbeitsausfall herbeiführen. Dies ist auch ein Teil der gesetzgeberischen Vorlage, die wir gemacht haben. Das ist eine wichtige Klarstellung im Interesse der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften.
Wir sind dann auf den Streitpunkt, nämlich die Frage gekommen — das ist der einzige Streitpunkt, der übriggeblieben ist —: Was hat zu geschehen, wenn im selben Fachbereich, aber in verschiedenen Tarifbezirken, eine Forderung erhoben wird? Hier muß ich übrigens auch einmal Norbert Blüm insoweit in Schutz nehmen, als immer wieder behauptet wird, alles das, was in dem Gesetzgebungsvorschlag der fünf Minister steht, der zur Grundlage der Kabinettsentscheidung geworden ist, sei sozusagen ein Diktat der FDP; das ist alles Blödsinn.
— Frau Fuchs, wenn Sie Behauptungen über einen Sachverhalt aufstellen, den Sie gar nicht so kennen können, weil Sie an dem Gespräch nicht teilgenommen haben, dann sollten Sie sich wenigstens, wenn Sie objektiv sein wollen,
vergewissern, was Inhalt dieses Gespräches war. Inhalt des Gespräches am Mittwoch, d. h. an dem Tag, als wir zum letzten Mal vor dem Dienstaggespräch dieser Woche zusammenkamen, war: Wie kann man den unstreitig strittigen Fall definieren?
— Zu bestreiten, daß das nach dem Franke-Erlaß
und nach verschiedenen Gerichtsurteilen strittig
geworden ist, ist nun wirklich das allerletzte. Daß
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da ein Streit vorliegt, wollen Sie ja nun nicht auch noch bestreiten.
Wie kann man also den strittig gewordenen Fall besser formulieren? Da hat Norbert Blüm von Anfang an in diesen Gesprächen gesagt: Wir müssen eine Formulierung finden — wir schlagen eine Formulierung vor — die etwa folgendermaßen lautet: Es muß auf die Hauptforderung abgestellt werden, denn es kann ja nicht sein, daß irgendwelche belanglosen Nebenforderungen ausreichen, um die Identität zu zerstören. Wir müssen also auf die Hauptforderung abstellen. Wir müssen bei der Hauptforderung von dem Grundsatz der Identität, der vom Gesetzgeber nicht gewollt war, sondern der durch die Gerichtsurteile in den Willen des Gesetzgebers hineininterpretiert worden ist, weg. Wir müssen deutlich machen, daß wir nicht Identität wollen, sondern annähernde Gleichheit.
— Es ist ja unbestritten, daß Sie das nicht wollen. Das bestreitet Ihnen doch niemand.
Nun unterstellen Sie aber doch nicht — was Sie getan haben —, daß Norbert Blüm die Gewerkschaften hinters Licht geführt hätte.
Er hat genau das in diesen Gesprächen gesagt. Das war von Anfang an klar. Fragen Sie doch die Gesprächsteilnehmer, die daran beteiligt waren, ob wir ihnen nicht in Deutlichkeit diese Formulierung vorgeschlagen haben.
— Ich trage dazu bei, daß diese Diskussion in Kenntnis der Tatsachen stattfindet.
Daß Sie dafür kein Interesse haben, die Tatsachen Ihrer Wertung zugrunde zu legen, entwertet Ihr Urteil von vornherein selbst.
Frau Fuchs hat auch kritisiert,
daß wir das Gespräch vom Dienstag dieser Woche zum Anlaß genommen haben, noch einmal zu prüfen, in welchen Punkten wir bessere Formulierungen finden mußten. Das wird hier kritisiert. Ich frage mich, was geschehen wäre, wenn wir diese Prüfung nicht ernsthaft vorgenommen hätten, sondern wenn wir einfach den Gesetzesformulierungsvorschlag, den wir j a für das Gespräch ausgearbeitet hatten, genommen und ohne Änderung verabschiedet hätten. Dann hätte es hier geheißen, daß
das Gespräch nur angeblich zur Klärung der Fronten dienen sollte, in Wahrheit hätten sie schon längst gewußt, was sie tun wollten.
Jetzt haben wir fünf offene Fragen nach dem Gespräch festgestellt. Was geschieht? — Das wird kritisiert. Da kann man sehen, mit welcher ,,Unvoreingenommenheit" die Opposition an diese Frage herangeht.
Diese fünf Fragen, die wir noch beantworten wollen, sind wie ich meine, wichtig für Arbeitnehmer und für den sozialen Frieden in unserem Land.
Erstens. Wir prüfen, ob nicht trotz der Unstreitigkeit im Gesetzestext klargestellt werden soll, daß außerhalb des Fachbereichs immer gezahlt wird. Das ist zwar nicht strittig, aber es festzuhalten könnte einem zukünftigen Streit vorbeugen. Deswegen scheint es mir wichtig zu sein, daß wir das prüfen.
Übrigens ist das wichtig für Arbeitnehmer.
Zweitens. Wir wollen prüfen, wann eine Hauptforderung als erhoben gilt; denn es kann ja sein, daß auch über den Zeitpunkt der Erhebung solcher Forderungen noch Streit entsteht.
Drittens. Wir wollen prüfen — das war ein Wunsch von beiden Seiten —, ob die Formulierung des Beeinflussungsprinzips, die wir in Abs. 4 der neuen Regelung festgehalten haben, nicht neue Mißverständnisse schafft.
Wir wollen außerdem prüfen, meine Damen und Herren, ob diejenigen Betriebe, die auf Grund einer Aussperrung keine Arbeit mehr haben, in jedem Fall für die Arbeitnehmer, wenn diese durch einen solchen Umstand arbeitslos werden, beantragen müssen, daß Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Meine Damen und Herren, wie kann man denn hier behaupten, daß diese Regierung ungleichgewichtig nur die Interessen von Arbeitgebern im Auge hat, wenn wir hier einen Fall aufnehmen, der in diesen Gesprächen bisher nicht einmal von den Gewerkschaften angesprochen wurde, der uns aber bei den Gesprächen auffiel, nämlich daß ein Betrieb, der infolge einer Aussperrung keine Arbeit mehr hat, sehr wohl, und zwar verpflichtenderweise, Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld beantragen muß?
Wir wollen prüfen, ob der Betriebsrat, wenn sich dieser Betrieb weigert, ein originäres Recht bekommen soll, dieses Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld zu beantragen. Wo ist denn hier die Ungleichgewichtigkeit der Standpunkte der Regierung? Das ist nicht nur im Sinne des sozialen Friedens notwendig, sondern es ist die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen, was wir hier machen.
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— Ihnen fällt j a dazu außer den bekannten Vorwürfen nichts ein. Das sind ganz sachliche Verbesserungen, die wir hier vorhaben.
— Herr Kleinert ist Arbeitnehmersprecher; das ist sehr gut!
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen allgemeinen Gesichtspunkt erörtern, der auch von Frau Fuchs durch das Zitat einer Ausführung von Herrn Katzer hier in die Diskussion eingeführt wurde. Warum eigentlich — so lautet die Frage — warten wir denn nicht, bis die Urteile der Gerichte vorliegen?
— Ich wiederhole das, was Frau Fuchs hier zitiert hat, um dann darauf einzugehen, wenn Sie erlauben, falls eine Debatte wenigstens in diesem Hause noch möglich sein sollte.
Warum warten wir nicht auf die Gerichtsurteile, vor allen Dingen diejenigen nicht, die, wie Frau Fuchs in dem Zitat meint, sich immer darum bemühten, den Einfluß des Staates zurückzudrängen?
Ich frage mich wirklich, welche Auffassung von Staat und Demokratie hinter einer solchen Frage steht.
— Ich sage j a: Es war ein Zitat von Herrn Katzer. Aber ich hatte den Eindruck, daß sich Frau Fuchs dies ein bißchen zu eigen macht. Aber ich will das hier gar nicht sagen; ich rede jetzt zu dieser Auffassung.
Ich frage mich, meine Damen und Herren: Was ist denn eigentlich eine parlamentarische Demokratie anderes als ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Kräften, die den Staat insgesamt ausmachen? Gerichte sind Staat, Gerichte sind nicht etwas außerhalb des Staates. Die Regierung ist Staat, sie ist nicht etwas außerhalb des Staates. In einer parlamentarischen Demokratie ist der Gesetzgeber, wenn Sie so wollen, der wichtigste Partner in diesem Zusammenhalt einzelner staatlicher Elemente.