Rede von
Heinz
Suhr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmitz, ich nehme die Einladung gern an. Ich hoffe, daß Sie die bisherigen Vorschläge und Programme der GRÜNEN zur Agrarpolitik in Ihrem Schreibtisch liegen haben — ich hoffe, nicht in der untersten Schublade;
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1985 13599
Suhr
vielleicht werden die jetzt nach den Haushaltsberatungen wieder oben auf den Tisch gelegt —, so daß Sie sich einmal damit auseinandersetzen können.
Wir GRÜNEN lehnen den Einzelplan 10 des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ab.
— Also, nur weil wir hier in der Agrardebatte sind, brauchen Sie doch noch nicht zu blöken. Lassen Sie mich doch erst einmal ein paar Sätze sagen. —
Der Einzelplan 10 ist weder der Landwirtschaft noch den Verbrauchern bzw. dem Forst oder dem sterbenden Wald dienlich. Ich kann in meinen fünf Minuten leider nicht auf die ganzen Themen eingehen,
die die Vorredner angesprochen haben. Aber ich möchte doch so viel sagen: Wir haben in den letzten Wochen und Monaten doch ziemlich schlimme Erfahrungen gemacht,
was die Qualität der Lebensmittel angeht.
Die ganzen Lebensmittel- und Weinskandale haben einen Flurschaden angerichtet, der in seinem Ausmaß noch kaum erkennbar ist.
Vergeudet wurde und wird dabei das wichtigste Kapital, das Kapital, das die Landwirtschaft genauso braucht wie gesunde Böden, gesundes Wasser und ausreichend Sonne, nämlich das Vertrauen der Verbraucher. Viele Bauern und Winzer nehmen mit Empörung und Verbitterung zur Kenntnis, daß die Verunreinigung in den Lebensmitteln nicht bei ihnen, sondern in der Weiterverarbeitung entsteht, dort, wo das große Geschäft mit den Produkten der Bauern gemacht wird. Da wird gemischt und gepanscht, denaturiert und verpackt,
daß es nicht nur der Sau graust, sondern eben auch vielen Verbrauchern.
Die Nahrungsmittelindustrie interessiert an den Agrarprodukten offensichtlich nur, daß sie als möglichst billiger Rohstoff zur Weiterverarbeitung zur Verfügung stehen. Hier, bei der Weiterverarbeitung, ist der Nahrungsmittelindustrie vor allem wichtig, daß die natürliche Beschaffenheit von Milch, von Fleisch, von Getreide, von Wein der industriellen Verwertbarkeit nicht im Wege steht.
Mit dieser Agrarpolitik werden dann jährlich für 25 Milliarden DM in der EG die Kühlhallen und Lagerhäuser gefüllt. Wie skandalös bei dieser Kontrolle der Lebensmittel und der bäuerlichen Landwirtschaft mit unterschiedlichen Maßstäben vorgegangen wird, das kann jeder ermessen, der sich erinnern kann, wie damals die Milchgüteordnung selbst im kleinsten Kuhstall mit äußerster Penibilität durchgeführt worden ist. Frostschutz und Sprengstoff im Wein, Bakterien im Flüssigei, Salmonellen in Brathähnchen, Formaldehyd in der Wurst, bei diesen ganzen Schweinereien wird deutlich: Die Nahrungsmittelindustrie und die großen Weinhändler gehen offenbar davon aus, daß die Verbraucher zu dumm sind, etwas davon zu merken, wie diese Lebensmittel degeneriert werden.
— Ja, ich hoffe, Sie haben schon zu Abend gegessen, Herr Kollege Kühbacher. Diese Haltung in der Nahrungsmittelindustrie wird kräftig unterstützt durch diese Agrarpolitik, die sich in erster Linie an den Großbauern und an der industriellen Verwertbarkeit orientiert, die nicht auf die Informationsbedürfnisse der Verbraucher Rücksicht nimmt.
Deswegen haben wir im Haushaltsplan 10 verschiedene, wirklich relativ kleine Anträge gestellt, um mal zu testen, inwieweit die vollmündigen Ankündigungen des Agrarministers in die Tat umzusetzen sind. Wir haben zum Beispiel 1 Million DM gefordert für einen Untersuchungsauftrag über die sinkende Lebensmittelqualität durch Lebensmittelzusatzstoffe sowie durch die industrielle Verarbeitung und Verpackung. Wir haben vorgeschlagen, läppische 380 000 DM für eine Verbraucheraufklärungskampagne über Rückstände in Lebensmitteln sowie über Vollwerternährung anzustellen.
— Ich meine Vollwerternährung, Herr Kollege, nicht Vollbier. Wir wollten von dem Gesamtetat von 6,814 Milliarden DM 5,1 Millionen DM einstellen für die Förderung der ökologischen Landbewirtschaftung als Umstellungsbeihilfe, weil das unserer Auffassung nach die einzige Landwirtschaft ist, die wirklich Zukunft hat. Mittlerweile stelle ich fest — ein kleiner Schritt vorwärts —, daß der Sohn von Herrn Kiechle jetzt immerhin schon vom Euro-Schwein abgekommen ist und jetzt streng wissenschaftlich versucht, wieder Ferkel nach alter Väter Sitte zu züchten. Aber der Vater läßt immer noch die Sau raus und betreibt eine Agrarpolitik, die zu Lasten der kleinen Bauern geht.
Jetzt komme ich zum Schluß. Es dauert sehr lange, bis Bauern zornig werden. Ich kann leider nicht alles sagen, was so an den Stammtischen der Bauern gesprochen wird. Dann bekäme ich hier minde-
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stens 50 Ordnungsrufe und müßte verschwinden. Es dauert lange, bis Bauern zornig werden. Wenn es aber so weit ist, dann werden der Herr Kiechle und der Freiherr, der leider heute keine Zeit gehabt hat, an dieser Debatte teilzunehmen, Angst kriegen, wenn sie vor den Mistgabeln davonlaufen müssen. Wir sind sehr gespannt auf die Wahlergebnisse der CSU im nächsten Jahr im Oktober in Bayern. Die Stimmung, Herr Kiechle, werden Sie spätestens am Aschermittwoch in Vilshofen testen können, wenn die GRÜNEN einen Bauerntag organisieren. Wir hoffen, daß Sie uns da besuchen kommen. — Ich danke Ihnen.