Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat des Bundesjustizministeriums nimmt sich im Vergleich zum Gesamthaushalt geringfügig aus. Ganze 1,46 Promille vom Gesamthaushalt macht er aus. Einnahmen in Höhe von 226 Millionen DM stehen Ausgaben von 386 Millionen DM gegenüber, die gegenüber 1985 nur um 2 % gestiegen sind. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Die drei obersten Gerichte im Einzelplan 07 — Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht und Bundesfinanzhof — kosten aus Bundesmitteln ganze 60 Millionen DM. Für diesen Betrag bekommt der Bundesverteidigungsminister heute wohl keinen einzigen Tornado.
Ich betone das, weil durch die sogenannte Geringfügigkeit in der Öffentlichkeit leicht das Bewußtsein dafür verlorengeht, welche Bedeutung die obersten Gerichte unserer Republik für den Rechtsstaat haben.
Vor wenigen Wochen fand in Karlsruhe eine Feierlichkeit zum 175. Geburtstag von Eduard von Sim-son statt, dem Präsidenten der Nationalversammlung in der Paulskirche und späteren ersten Präsidenten des Reichsgerichts. An Bundesprominenz hat es nicht gefehlt. Der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, der Bundeskanzler, der Bundesjustizminister haben Reden gehalten und der Präsident des Bundesgerichtshofes hat die Bedeutung einer wirklich unabhängigen, auch gegenüber dem angeblichen „Nutzen des Staates" unabhängigen Justiz in eindrucksvoller Weise am Beispiel der Personen des ersten und letzten Reichsgerichtspräsidenten gezeigt. Die überregionalen Medien haben nach meiner Kenntnis außer einer knappen Meldung auf den hinteren Seiten der einen oder anderen Zeitung von diesem Ereignis keine Kenntnis genommen. Dafür sind wir im Fernsehen aber aufs ausführlichste über die Bierseidelfröhlichkeit des CSU-Geburtstages informiert worden. So viel zum Stellenwert der Justiz in der Öffentlichkeit.
Meine Damen und Herren, man sollte die relative Geringfügigkeit des Justizhaushaltes vor allem dann vor Augen behalten, wenn immer wieder unter Berufung auf die Belastung der Gerichte, insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, an der immer stärkeren Beschränkung von Rechtsmitteln für den einzelnen Bürger herumgebastelt wird. Dahinter steht mangelndes Bewußtsein von der Bedeutung der Instanzenzüge, von der Wichtigkeit der Selbstkontrolle der Justiz.
Sozialdemokratische Rechtspolitik sieht es durchaus als eine ihrer Aufgaben an, auch die Rechtsprechung kritisch zu begleiten. Sie verwechselt nicht, wie dies zum Instrumentarium der Wende zu gehören scheint, die Qualität der Gerichte mit ihrer Willfährigkeit gegenüber der Administration. Darum halten wir die angemessene personelle und sachliche Ausstattung gerade der obersten Bundesgerichte für notwendig und nicht die Einschränkung der Rechtsmittel für den kleinen Mann.
Der Einzelplan 7 enthält keine spektakulären Veränderungen. Ich will nur zwei Punkte erwähnen.
Das juristische Informationssystem JURIS hat nach langjährigen Vorarbeiten ein solches Entwicklungsstadium erreicht, daß es in diesem Jahr ausgegliedert werden konnte, und zwar in eine GmbH mit Sitz in Saarbrücken, an der sich künftig auch private Gesellschafter beteiligen sollen. Der Haushalt sieht Ausgaben für die Einrichtung und Erweiterung von Dokumentationsstellen bei den Bundesgerichten vor.
Es sei daran erinnert, daß die Entwicklung von JURIS unter der sozialliberalen Regierung in Angriff genommen worden ist und daß dem Aufbau von seiten der Union damals allzu häufig Steine in den Weg gelegt worden sind. Wir stehen hinter dem Konzept von JURIS auf der Grundlage des im letzten Jahr vom Haushaltsausschuß einmütig verabschiedeten Beschlusses, daß der Bund auch in der ausgegliederten Gesellschaft die Mehrheit und damit die Kontrolle behalten wird. Wir werden sorgfältig darauf achten, daß die Beteiligung privater Gesellschafter an dem Projekt den Zielen von JURIS entspricht und dabei auch eine angemessene Beteiligung an den beträchtlichen Entwicklungs-und Anlaufkosten erfolgt.
Ein zweiter Punkt: Als Vorstufe zum Aufbau einer elektronischen Datenbank beim Bundespatentamt sieht der Haushalt eine Kosten-Nutzen-Analyse mit einem Aufwand von 800 000 DM vor. Auch dies halten wir für einen richtigen Ansatz. Die Modernisierung und Beschleunigung des Verfahrens zur Prüfung angemeldeter Erfindungen gehört zu den Voraussetzungen für Entwicklung und Austausch fortschrittlicher Technologie.
Meine Damen und Herren, in Haushaltsdingen pflegt man mit Soll-Ist-Vergleichen zu arbeiten. Lassen Sie mich einen solchen Soll-Ist-Vergleich in einem weiteren Sinn ziehen. Die Ansätze des Einzelplans spiegeln die im wesentlichen sachgerechten, man kann eher sagen: bescheidenen Bedürfnisse der Gerichte und Justizbehörden des Bundes wider. Insofern ist ein Soll-Ist-Vergleich nicht problematisch.
Fatal hingegen fällt ein Soll-Ist-Vergleich dann aus, wenn man die Rechtspolitik dieser Regierung
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1985 13575
Frau Zutt
betrachtet, das Defizit zwischen dem, was die Regierung auf dem Gebiet des Rechts tun sollte, und dem, was sie getan und nicht getan hat. Die Opposition lehnt Ihren Haushalt, Herr Bundesminister der Justiz, ab, weil Ihre Rechtspolitik in den Zielen und in der Durchführung verfehlt ist. Wir haben unter einem freidemokratischen Bundesminister erlebt, wie die Novellierung des Versammlungs- und Demonstrationsstrafrechts unter wiederholter Nichtachtung der Regeln eines geordneten Gesetzgebungsverfahrens durchgedrückt worden ist, auf Kosten wesentlicher liberaler und demokratischer Rechtspositionen, zur höheren Willfährigkeit gegenüber den Axiomen der Wendepolitik.
— Wachen Sie doch nicht gerade da auf. Lassen Sie mich ausreden.
Hier ist einmal mehr deutlich geworden, daß dieser Minister einer anderen FDP angehört als zum Beispiel sein Vorgänger Thomas Dehler.
Ich kann nur das Schiller-Wort aufgreifen, das der BGH-Präsident Pfeiffer kürzlich bei der Ehrung Simsons der Justiz vorhielt:
Mißtraut Euch, edler Lord, daß nicht der Nutzen des Staates Euch als Gerechtigkeit erscheine.
Die Harmonisierung des Auslieferungsrechts mit dem Asylverfahren ist ein anderes Beispiel. Wie beschämend, daß Art. 16 des Grundgesetzes — ,,... Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." —, dem angesichts der deutschen Geschichte ein so hoher Rang zukommt, langsam immer weiter stranguliert werden soll, um ihn handhabbarer zu machen, um Kosten zu sparen und um Friktionen mit Staaten zu vermeiden, zu deren Instrumentarium die erbarmungslose Verfolgung politischer Gegner nach wie vor gehört.
Einem freidemokratischen Justizminister stünde es wohl an, auf diesem Gebiet des Asylrechts Gesetzesvorhaben zu unterstützen, die dem Geist unserer Verfassung entsprechen und ihn nicht verkümmern lassen.
Daß die gegenwärtige Rechtspolitik an der Realität vorbeigeht, ja vor ihr die Augen verschließt, um der Selbstzufriedenheit zu huldigen, die das Markenzeichen dieser Regierung ist,
läßt sich an einem Beispiel aus dem Einzelplan belegen. Für die Erforschung von Rechtstatsachen, also für die Analyse der Lebenssachverhalte, in die wir als Gesetzgeber hineinwirken sollen, hat der Haushalt in den letzten Jahren jeweils 600 000 DM vorgesehen; ein minimaler Betrag, wenn man an die vielfältigen kürzer- und längerfristigen Gesetzesvorhaben denkt. Aber noch nicht einmal dieser geringe Kostenansatz ist ausgenützt worden. Der Herr Bundesminister meint — so hat es den Anschein —, daß Tatsachen seinen legislatorischen Vorhaben nur hinderlich sein können.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die überfällige Reform des Insolvenzrechts. Sie kommt nicht voran, weil das Justizministerium die Hinzuziehung von unabhängigen Experten aus der Praxis und der Wissenschaft und die Verwertung ihrer Erkenntnisse scheut.
Dasselbe Schauspiel erleben wir in noch traurigerer Weise beim Scheidungsfolgenrecht. Entgegen allen Rechtstatsachen, entgegen der Überzeugung aller Sachverständigen, insbesondere auch der Richter, läßt der Justizminister offenbar nicht von den Plänen ab, dem Verschuldensprinzip durch Hintertüren wieder Eingang zu verschaffen, zu Lasten vor allem der Frauen und der Kinder aus geschiedenen Ehen.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion kann dem Haushalt der Justiz aus diesen Gründen nicht zustimmen.