Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1986 des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit weist eine Steigerungsrate von 13% auf.
Von Sozialabbau kann hier nicht die Rede sein. Ich denke auch nicht, daß Steigerungsraten dieser Art schon gleich etwas mit Ideologie zu tun haben. Ich füge aber gleich hinzu: Ich habe etwas gegen falsche Familienideologien. Allerdings gibt es keine Familienpolitik ohne entsprechende Grundüberzeugungen; diese müssen auch die Politik leiten.
Sie haben davon gesprochen, es sei unvertretbar, zunächst soziale Wunden zu schlagen und dann Pflästerchen aufzusetzen. Ich kann in diesem Haushalt keine Pflästerchen entdecken, sondern ganz im Gegenteil entscheidende Verbesserungen der familienpolitischen Leistungen, die wir vielleicht weniger durch dieses Haus als durch die Familien selbst beurteilen lassen, die sie ab 1. Januar in Anspruch nehmen können.
Ich kann jedenfalls in der Vielzahl der Leistungen für die Familie, die in diesem Jahr erbracht wurden und 1986 erbracht werden, keinen Sozialabbau erkennen. Es sind in einem wesentlichen Umfang Leistungen dabei, die 1982 gekürzt werden mußten.
Ich halte es für unerträglich, daß wir uns gegenseitig soziale Kürzungen um die Ohren schlagen, wenn zuvor und gegenwärtig auch von anderen Regierungen — gerade von der SPD — in bezug auf die sozial Schwachen, in bezug auf die Familien einschneidende Kürzungen erfolgen, ohne daß darüber ein Wort verloren wird.
— Ich denke, daß es entscheidend ist, daß ich zunächst die Mittel beschaffe, die notwendig sind, um die Familien in den Stand zu setzen, den sie brauchen. Es gibt in gewissen Zeiten Notlagen, bei denen finanzielle Kürzungen notwendig sind. Deswegen halte ich es für ein Unding, sie so der einen Gruppe zuzuordnen.
— Es ist völlig unglaubwürdig, was da passiert.
Ich finde die Behauptung noch unsinniger, daß die 1983 notwendigen Einsparungen im Familienbereich weit über das hinausgehen, was 1986 den Familien an zusätzlichen Leistungen zugute kommt. Wir können sehr wohl nachweisen, daß die finanziellen Verbesserungen für die Familien drei- bis viermal so hoch sind wie die Einsparungen 1983 und 1984. Dies läßt sich in Mark und Pfennig nachweisen.
Nun zu der Frage, wieviel uns denn die Familien wert seien, ob sich das am Einkommen entscheide. Zunächst möchte ich noch einmal nachdrücklich darauf verweisen, daß bei den Familien, die keine Steuern zahlen, ein Kindergeldzuschlag von 46 DM gezahlt wird. Er wird einkommensunabhängig gezahlt, ohne Anrechnung auf sonstige Gelder.
Zum anderen möchte ich Sie fragen, ob Sie denn zukünftig alle Steuerabzüge abschaffen wollen, bei denen immer auch die Familiengesichtspunkte eine entscheidende Rolle spielen. Sie wissen, daß alle Abzüge vom jeweiligen Steuersatz abhängig sind. Entscheidend ist, daß diejenigen, die Steuern zahlen, ebenso wie diejenigen, die keine Steuern zahlen, Freibeträge haben.
Sie haben auf die Kindergeldleistungen von 1975 verwiesen. Dazu möchte ich sagen: In der Familienpolitik war nichts so unsicher wie das Rauf und Runter der Kindergeldleistungen. Ich denke, daß das Steuersystem einen großen Vorteil hat, nämlich daß es für die Familien je nach Haushaltslage weni-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1985 13515
Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
ger herauf- und heruntergeht, als das bei den sozialpolitischen Leistungen der Fall ist.
Wir gehen jedenfalls von der Maxime aus, daß die Familie in dem Maße Zukunft hat, wie ihr die gebührende Anerkennung durch Gesellschaft und Staat entgegengebracht wird.
Dies bedeutet, daß wir eine familienfreundliche Grundeinstellung in unserem Lande auch und gerade mit Hilfe der Politik herbeiführen sollten. Sie drückt sich ebenso in den Maßnahmen aus, die zur Förderung der Familie unternommen werden, wie in dem Klima, das wir zugunsten der Familie öffentlich schaffen. Denn das eine sind die Geldleistungen, das andere ist die Bewertung, die Familie tatsächlich erfährt.
Ihre Kritik am Familienlastenausgleich kann nichts daran ändern, daß vom 1. Januar 1986 an für die Familie entscheidende, wesentliche Verbesserungen erreicht werden, und zwar in einer Höhe, für die wir uns nur bedanken können und von der wir nicht sagen müssen: Ach, hätten wir doch all dieses Geld nicht bekommen! Das wäre ja wirklich ein lächerlicher Grundsatz in der Haushaltspolitik.
Sie erwecken in der SPD mit manchen Erklärungen den Eindruck, als verfolgten Sie in der Familienpolitik dieselben Ziele wie die Bundesregierung. Wenn wir wirklich von Entideologisierung und Gleichbehandlung sprechen, dann verstehe ich nicht, wie Sie in Ihrem Elternurlaubsgesetz noch einmal die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, zwischen leiblichen Eltern und Adoptivmüttern herstellen,
indem Sie denjenigen benachteiligen, der Familienpflichten wahrnimmt. Bei aller Gleichberechtigung, für die ich eintrete, heißt das, daß wir spätestens im Jahre 1985 erkannt haben sollten, daß die alte Spaltung in Erwerbs- und Familienarbeit der Vergangenheit angehört
und wir hier einen neuen Weg beschreiten.
Ich möchte an dieser Stelle auch noch etwas zum Kündigungsschutz beim Erziehungsgeld, etwas zum Erziehungsurlaubsgesetz sagen. Gegenwärtig wird behauptet, der Kündigungsschutz sei ein völlig ungesicherter. Dies ist unwahr.
Ich sage erstens, wir sind in der jetzigen Regelung auf den Kündigungsschutz zurückgegangen, der auch beim Mutterschutz bestand, und gegen den haben Sie in all den Jahren nie Einwendungen er-
hoben und Maßnahmen ergriffen, um ihn zu verändern. Von daher ist auch bei einem Kleinbetrieb, wie es jetzt vorgesehen ist, nur eine Kündigung in Ausnahmefällen möglich, nämlich nur dann, wenn der Arbeitgeber zur Fortführung des Betriebs dringend auf eine Ersatzkraft angewiesen ist, die er nur einstellen kann, wenn er mit ihr einen unbefristeten Arbeitsvertrag abschließt.
— Ich halte dagegen, daß der Arbeitgeber den Beweis erbringen muß, daß er von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch macht, und Sie wissen, wenn Sie die gesetzlichen Vorschriften kennen, daß das mit einem ganz erheblichen Aufwand verbunden ist. Die Zahlen der Vergangenheit zeigen, wie selten davon Gebrauch gemacht wird.
Von daher würde ich sagen, warten Sie erst einmal die Praxis ab.
Es ist viel davon die Rede gewesen, daß angeblich Arbeitslose vom Erziehungsgeld ausgeschlossen werden. Dies stimmt so nicht; es ist unwahr.
Wie ist es denn gegenwärtig nach der Mutterschaftsurlaubsregelung? Wer arbeitslos ist, muß wählen, ob er das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe auf der einen oder das Mutterschaftsurlaubsgeld auf der anderen Seite in Anspruch nehmen will. Beides nebeneinander hat es bei der Mutterschaftsurlaubsregelung nicht gegeben.
Bei den Einkommensschwachen, etwa einer alleinerziehenden Frau, die sonst über kein Einkommen verfügt, wird das Mutterschaftsgeld in vollem Umfang von der Sozialhilfe aufgezehrt.
Sie haben eben gesagt, Sie wollten eine Familienpolitik, eine Sozialpolitik mit Rechtsansprüchen. Ich bin zwar der Auffassung, daß bestimmte Leistungen über Rechtsansprüche gehen müssen, wie sich gerade bei der Stiftung „Mutter und Kind" zeigt. Aber ich denke, daß im Bundeserziehungsgeldgesetz dieser Rechtsanspruch auf gleichzeitige Inanspruchnahme von Sozialhilfe und Erziehungsgeld durchgesetzt worden ist und für viele eine ganz entscheidende Verbesserung darstellt.