Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Guten Morgen auf der Seite , und da (zu den Regierungsfraktionen) werde ich ihn versauen.
Das Schicksalsbuch der Nation nannte der ZDFKommentator Klaus Rommerskirchen den Bundeshaushalt, als er die Übertragung der Haushaltsdebatte im Fernsehen am vergangenen Dienstag einleitete.
Er führte weiter aus — ich zitiere —: „Drückt sich doch im Haushalt der Kurs aus, den die Regierung steuern will." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur, den Zuhörern und den Zuschauern sollte eines verdeutlicht werden: Es ist der Kurs der Regierung und nicht der Kurs der Oppositionsparteien, den dieser Bundeshaushalt aufzeigt.
Mir graut immer vor dem gegenseitigen Schulterklopfen hier in diesem Parlament, wenn man die angeblich fairen Beratungen im Ausschuß herausstellt. Fakt ist aber — dies sollte der Bürger und die Bürgerin draußen erfahren —, daß hier im Plenum des Bundestages, aber auch im Ausschuß die arrogante Dampfwalze der CDU/CSU/FDP-Stimmenmehrheit die meisten Anträge der GRÜNEN und in den meisten Fällen auch der SPD gnadenlos niederwalzt.
Somit besteht keine echte Chance für die Oppositionsparteien, an diesem von der Regierung eingeschlagenen Kurs Wesentliches zu bewegen. Das ist eine Sache, die man draußen registrieren muß.
Dies ist besonders dann sehr schlimm, wenn es sich — wie bei diesem Haushalt — um einen Bundeshaushalt handelt, der sich gegen die Beschäftigten, gegen die Arbeitslosen, gegen die Sozialhilfeempfänger, gegen die Schwerbehinderten und insbesondere gegen die Frauen richtet.
Gerade im Bereich der Sozialpolitik und der Familienpolitik, über die es heute zu diskutieren gilt, wird erkennbar, wo und auf wessen Seite die jeweils amtierende Regierung steht. Besonders in der Sozialpolitik wird auch erkennbar, wo eine Regierung lügt, trügt oder redlich mit der Mehrheit der Bevölkerung umgeht.
Als junges Bundestagsmitglied, das vor drei Jahren noch hinter der Werkbank in der Fabrik stand, muß ich sagen, daß ich noch nie eine Regierung erlebt habe, die ihre Mitbürger so übel hinters Licht führt, finanziell so ausbluten ließ und insbesondere die ärmsten der Armen so übel schröpfte, wie es sich die derzeitige Bundesregierung erlaubt.
Da helfen auch die Kabarettstücke eures Ministers Blüm nicht. Vom hohen „C" dieser unchristlichen Partei ist nichts, aber auch gar nichts mehr übriggeblieben.
Jene falschen Christen in der CDU/CSU wissen heute aus der Geschichte des barmherzigen Samariters ebensowenig wie vom Dritten Buch Mose, in dem es heißt — ich zitiere hier einmal aus der Bibel —: „Ihr sollt nicht stehlen noch lügen noch betrügerisch handeln einer mit dem anderen."
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich erinnere Sie an die Auseinandersetzung im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung, als die GRÜNEN und die SPD Einwände dagegen erhoben, daß das Gesetz zur Beförderung unserer
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 28. November 1985 13483
Tischer
schwerbehinderten Mitmenschen den Titel „Kostenlose Beförderung Schwerbehinderter" auf Verlangen der CDU/CSU tragen sollte, obwohl die Beförderung Schwerbehinderter real eben nicht kostenlos ist.
Schwerbehinderte bekommen nur einen Teil der Beförderungskosten ersetzt; den Rest haben sie selbst zu tragen.
Trotz dieser Tatsache bestanden Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, auf der Überschrift „Kostenlose Beförderung". Diese Formulierung entspricht nicht den Tatsachen; sie ist trügerisch.
Daß Ihre angebliche Christlichkeit nichts taugt und die Liberalität der FDP ebensowenig wert ist, zeigt sich auch an Ihrem Verhalten gegenüber behinderten Mitmenschen. Statt ihnen die Chance zu geben, als Menschen zu leben, halten Sie sie auch weiterhin in den Heimen wie die Hühner im Käfig.
— Hören Sie doch erst einmal zu!
Sie geben diesen Menschen durch die Gestaltung des Haushaltsplans keine Möglichkeit, sich in Wohngemeinschaften, in denen sie die notwendige Unterstützung erfahren, in ein menschenwürdigeres Leben einfinden zu können, ja, Sie sind nicht einmal so fair und lassen diese Menschen reden, wenn ihnen der Faden einmal reißt und wenn sie sich — wie vor zwei Wochen hier im Hause geschehen — in einer Protestaktion hier im Bundestag außerhalb der geplanten Tagesordnung einmal zu Wort melden.