Rede:
ID1017708000

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 11
    1. Frau: 1
    2. Abgeordnete: 1
    3. Simonis,: 1
    4. gestatten: 1
    5. Sie: 1
    6. eine: 1
    7. Zwischenfrage: 1
    8. des: 1
    9. Abgeordneten: 1
    10. Dr.: 1
    11. Lammert?: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. November 1985 Inhalt: Begrüßung des Sekretärs des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeitspartei Dr. Matyás Szurös . . . . 13433 B Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofs und des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs 13448 D Ergebnis 13453 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 (Haushaltsgesetz 1986) — Drucksachen 10/3700, 10/4101 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksachen 10/4151 bis 4180 — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksachen 10/4158, 10/4180 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 10/4173 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 10/4177 — in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksachen 10/4167, 10/4180 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 — Drucksachen 10/3701, 10/4102, 10/4256 — Dr. Apel SPD 13365 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 13375 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE . . 13381D, 13406A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 13386 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 13389C, 13422 C Dr. Posser, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 13399 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 13405 C Dr. Hackel CDU/CSU 13407 A Dr. Solms FDP 13409 B Austermann CDU/CSU 13411 D II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1985 Wieczorek (Duisburg) SPD 13413C Roth (Gießen) CDU/CSU 13417 B Spilker CDU/CSU 13419 B Präsident Dr. Jenninger 13381 D Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 10/4159, 10/4180 — Frau Simonis SPD 13424 B Glos CDU/CSU 13428 B Auhagen GRÜNE 13433 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13435 B Wissmann CDU/CSU 13438 B Dr. Mitzscherling SPD 13440 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 13445 C Frau Simonis (Erklärung nach § 30 GO) 13448A Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksachen 10/4171, 10/4180 — Zander SPD 13449 D Austermann CDU/CSU 13453 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 13456 D Dr.-Ing. Laermann FDP 13458 B Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 13460C Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksachen 10/4172, 10/4180 — Dr. Diederich (Berlin) SPD 13463 C Dr. Rose CDU/CSU 13465 B Frau Zeitler GRÜNE 13467 C Neuhausen FDP 13468 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 13470 D Nächste Sitzung 13472 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 13473*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1985 13365 177. Sitzung Bonn, den 27. November 1985 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28. 11. Antretter * 29. 11. Bahr 29. 11. Bueb 29. 11. Büchner (Speyer) * 29. 11. Collet 29. 11. Frau Dr. Däubler-Gmelin 27. 11. Frau Eid 29. 11. Ertl 29. 11. Frau Fischer * 29. 11. Franke (Hannover) 29. 11. Dr. Haack 27. 11. Haase (Fürth) * 29. 11. Dr. Hauff 27. 11. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 27. 11. Graf Huyn 27. 11. Jäger (Wangen) * 29. 11. Junghans 29. 11. Kittelmann * 29. 11. Klose 29. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kohl 27. 11. Dr. Kreile 29. 11. Lamers 28. 11. Leonhart 29. 11. Lowak 27. 11. Dr. Müller * 29. 11. Nagel 29. 11. Dr. Olderog 29. 11. Oostergetelo 27. 11. Rühe 27. 11. Schlaga 29. 11. Frau Schmidt (Nürnberg) 29. 11. Schmidt (Wattenscheid) 29. 11. Dr. Schwenk (Stade) 27. 11. Dr. Todenhöfer 29. 11. Frau Wagner 28. 11. Werner (Dierstorf) 29. 11. Frau Dr. Wex 29. 11. Witek 27. 11. Wittmann (Tännesberg) 27. 11. Zierer 29. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Richard Stücklen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Nein, Sie dürfen. Frau Simonis (SPD): Danke.
    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein weiter Weg, den die beiden Koalitionsfraktionen von den Zeiten zurückgelegt haben, als die CDU im Bewußtsein ihrer christlichen Wurzeln ihrer Verantwortung für wirtschaftspolitisches Handeln im Ahlener Programm nachkam und die FDP in den Freiburger Thesen die große liberale Tradition ihrer Partei fortsetzte. In der Zwischenzeit zeigt sich bei beiden Parteien ein tiefer Gesinnungswandel. An Stelle von sozialem Anstand und von sozialer Gerechtigkeit wurden Egoismus und Selbstbedienungsmentalität in den Vordergrund geschoben.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Wenn Herrn Stoltenberg heute morgen zum Stichwort Barmherzigkeit als einziges die ehrenamtliche
    Tätigkeit von Bürgern einfällt, dann zeigt das eigentlich mehr, als wir es je gekonnt hätten, um was es sich bei Ihnen handelt. Anstatt von Barmherzigkeit in der Politik zu sprechen, wird die ehrenamtliche und unbezahlte Tätigkeit von Bürgern und Bürgerinnen herangezogen. Das ist sozusagen die ausgleichende Gerechtigkeit, die Sie zu bieten haben.
    Gemessen an der zu beobachtenden empörenden sozialen Ungerechtigkeit, die die CDU und die CSU bzw. die FDP heute praktizieren, ist die christliche Partei, die dem Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz aus dem Jahr 1967 zugestimmt hat, fast als eine soziale Veranstaltung zu betrachten. Das Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz hat aus heutiger Sicht der Sozialdemokraten einige Fehler. Es sagt nichts zum Zustand der Umwelt. Es sagt nichts zur Verteilungsgerechtigkeit. Es sagt nichts zu den sozialen Nebenkosten unseres wirtschaftlichen Handelns. Aber es sagt aus, daß gehandelt werden muß, wenn sich wirtschaftliche Ungleichgewichte und Arbeitslosigkeit einstellen. Das genau will die jetzige Koalition um eines Prinzipes willen nicht machen. Sie kann und will diesem Gesetz nicht folgen, obgleich sie sehr viel darüber redet.
    Es ist schon merkwürdig, mit welcher Affinität Sie vom Wachstums-und-Stabilitäts-Gesetz sprechen. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, daß Sie wirklich an Wunder glauben, d. h. an die Allheilkraft von wirtschaftlichem Wachstum bzw. an den funktionierenden Markt. Allen Realitäten zum Trotz scheint sich in Ihrem Kopf festzusetzen, daß man nur das richtige Knöpfchen drücken müsse, um quasi automatisch die richtigen Resultate aus der großen Maschinerie „Markt" herauszulocken. Ein bißchen Wachstum, kombiniert mit Preisstabilität, ergibt ein ideales Beschäftigungsmuster. Ausreichende Beschäftigung sorgt für Wachstum, und alle drei Faktoren zusammen bewirken eine ausgeglichene Handelsbilanz.
    Wer an diese mechanistischen Formeln glaubt, muß sich auch gefallen lassen, daß seine Politik daran gemessen wird. Dabei zeigen sich auch die Defizite Ihrer Regierungsarbeit. Zwei Zielvorgaben — Wachstum und Preistabilität — scheinen erreicht zu sein und dienen als Begründung für das relative Nichtstun der Regierung.

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Bitte langsamer lesen!)

    Das dritte Ziel, Vollbeschäftigung, oder besser: Abbau der bestehenden Arbeitslosigkeit, ist jedoch nicht erreicht. Ihre Tatenlosigkeit ist in keiner Weise gerechtfertigt, die hohe Arbeitslosigkeit verbietet sie sogar.
    Sie hätten auch keinen Grund zur Selbstzufriedenheit, wenn Sie schon heute behaupten könnten, daß die zu beobachtenden Wachstumsraten tatsächlich der Beginn eines dauerhaften Erholungsprozesses wären. Gott sei Dank tun Sie das auch nicht. Wir Sozialdemokraten fragen uns: Was ist der Preis für dieses Wachstum? Wer zahlt dafür? Wer profitiert davon? Wo sind die Schattenseiten?
    Wir bestreiten überhaupt nicht, daß wirtschaftliches Wachstum stattgefunden hat, daß wir uns in



    Frau Simonis
    einer Phase einer — wenn auch labilen — konjunkturellen Erholung befinden. Dieses Wachstum hat jedoch nur die Gewinnhoffnungen von Unternehmen erfüllt, nicht die Beschäftigungshoffnungen von 2,3 Millionen Arbeitslosen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es erfüllt nicht die Hoffnung auf gerechte Teilhabe am Wohlstand. Es erfüllt nicht die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit.
    Sie haben dieses Wachstum erkauft mit brutalen Kürzungen bei Rentnern, bei Arbeitslosen, bei Frauen, bei BAföG-Empfängern, bei Schülern, bei Studenten, eigentlich bei jedem, der in dieser Republik nicht zu den Starken und nicht zu den Reichen gehört.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieses Wachstum ist erkauft bzw. gleichzeitig einhergegangen mit einer Arbeitslosenzahl, die eigentlich nicht mehr zu entschuldigen ist.
    Jeden Monat hat Ihre Regierung den höchsten Nachkriegsstand an Arbeitslosigkeit zu verantworten. Sie haben den traurigen Rekord zu verantworten, die Arbeitslosenzahl durch wirtschaftspolitische Abstinenz innerhalb von zwei Jahren noch um 400 000 gesteigert zu haben. In einzelnen Regionen sind mehr als 20 und 25 % der erwerbsfähigen Menschen arbeitslos. Dazu fällt Ihnen nichts ein außer der Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Was da zum Ausdruck kommt, ist nicht Zuversicht, sondern die Gewöhnung an die Massenarbeitslosigkeit. Ich habe mir eigentlich nicht vorstellen können, daß das bei einer Regierung möglich sein könnte, die doch mit dem Versprechen angetreten ist, in diesem Jahr auch dem letzten Arbeitslosen wieder einen Arbeitsplatz zu verschaffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber Sie müßten eigentlich auch eine gewisse Beunruhigung verspüren, wenn Sie einzelne Wachstumsfaktoren analysieren. Zu mehr als der Hälfte ist dieser Wachstumserfolg in der Vergangenheit auf die gestiegenen Exporte zurückzuführen. Dies ist leider nicht Zeichen unserer gestiegenen Wirtschaftskraft, sondern Ergebnis des wahnwitzigen Defizits im amerikanischen — —

    (Zuruf der Abg. Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU])

    — Danke schön, Frau Berger. Ich versuche, langsamer zu reden, damit auch Sie mir folgen können.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Dieser gestiegene Export ist leider nicht Zeichen unserer gestiegenen Wirtschaftskraft, sondern Ergebnis des wahnwitzigen Defizits im amerikanischen Budget bzw. des Defizits in der amerikanischen Handelsbilanz. Die gestiegenen amerikanischen Zinsen und der ungesund hohe amerikanische Dollar haben dazu beigetragen, daß deutsche Exporte so groß wie noch nie waren.
    Niemand kann voraussagen, ob ein sinkender Dollar und eine energischere Bekämpfung des Defizits in Amerika unsere Exportchancen auf die Dauer beeinträchtigen werden. Niemand kann auch voraussagen, in welchem Maße und gegebenenfalls wann es geschehen wird. Niemand kann aber bestreiten, daß davon Gefahren ausgehen, und niemand kann bestreiten, daß diese Gefahren nicht ganz unbeträchtlich sind. Wir werden damit zu rechnen haben, daß die Amerikaner, weil sie Fehler über Fehler in der Wirtschaftspolitik gemacht haben und zu feige sind, sie zuzugeben und abzustellen, noch mehr nach Protektionismus schreien werden. Wir werden auch erleben, daß die langsam werdende Konjunktur in Amerika beträchtliche Auswirkungen auf den Weltmarkt hat. Und noch ist nicht klar, welche Folgen dies für unsere Wirtschaft haben wird.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Genauso ist es!)

    Es ist aus der Sicht der Regierung dann vielleicht sogar schon weise, schon heute dafür zu sorgen, daß als eine Art Auffangnetz für den Fall der Fälle Waffenexporte erleichtert und gefördert werden. Diese gefährlichen, j a geradezu tödlichen Exporte, deren Tücken sich auf die Dauer noch zeigen werden, sind unter Ihrer Regierung in einem geradezu unvorstellbaren Maß gestiegen. Waffenexporte in alle Teile der Welt sollen die Exportbilanz schönen helfen. Sie vergessen dabei völlig, daß die weise Beschränkung auf die Exporte nichtmilitärischer Produkte den Ruf der deutschen Wirtschaft wie übrigens auch den Ruf der japanischen Wirtschaft im Ausland begründet und uns zur größten Außenwirtschaftsnation gemacht hat. Das hat der deutschen Wirtschaft genützt, das hat den deutschen Arbeitnehmern genützt, jedenfalls dauerhafter und friedensbewahrender als die Akquirierungsreisen in Sachen Waffenexporte, die der Bundeskanzler nach dem Motto unternimmt,

    (Jungmann [SPD]: Und der Verteidigungsminister!)

    daß Deutschland nicht schaden, was schon Frankreich und England in der Vergangenheit nichts genützt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Gekürzt wird die Werftenhilfe. Dafür dürfen Fregatten gebaut und exportiert werden. Panzer werden in Spannungsgebiete geschickt. Firmenanlagen zur Herstellung von Waffen werden genehmigt. Das ist Ihre Alternative zu einer ausgleichenden, aktiven und sozialen Wirtschaftspolitik.
    Parallel dazu verläuft eine nicht abebbende Welle von Firmenzusammenbrüchen. Auch hier haben Sie einen traurigen Rekord zu verzeichnen und zu verantworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Pleiten finden ja nicht bei den Großfirmen, sondern bei kleinen und mittelständischen Unternehmen statt. Sie vernichten auf diese Art und Weise nicht nur Arbeits- und Ausbildungsplätze. Es ist auch das Versagen der Politik, die angeblich mittelstandsfreundlich und marktgerecht ist und den risikofreudigen Einzelunternehmer unterstützt. Se-



    Frau Simonis
    henden Auges lassen Sie einen Konzentrationsprozeß in unserer Wirtschaft zu, der sich unter anderem in prestige- und öffentlichkeitsträchtigen Fusionen zeigt. Für Kohle, Stahl und Werften wird der Markt verordnet; Dornier, MBB, AEG, BMW, Mercedes dürfen sich der Gunst christdemokratischer Ministerpräsidenten als Chefunterhändler und Chefverkäufer beim Zusammenzimmern von Großunternehmen erfreuen.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!)

    Da wird „unter einem guten Stern" fusioniert, daß die marktwirtschaftlichen Gedankengebäude nur so ächzen. Ganze Wirtschaftsimperien bauen sich unter den schützenden Händen marktwirtschaftlicher Tugendwächter auf. Im Lehrbuch der Marktwirtschaft steht das wirklich nicht, und es hat mit Marktwirtschaft auch nichts zu tun. Dahinter steckt etwas ganz anderes —

    (Jungmann [SPD]: Stamokap!)

    wie gestern meine Kollegin Traupe hier aufgewiesen hat. Sie leisten sich diese „Fehltritte", weil Sie einem militärisch-industriellen Komplex die Hand reichen, der die Bundesrepublik in der Herstellung von Militärgütern an die Spitze katapultieren soll. Nicht einmal der strammste Stamokap-Anhänger bei der SPD hätte sich das in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, was Sie heute machen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Weil Sie die Großindustrie so fördern, passiert bei uns etwas, was sich auf Dauer noch als ein Handicap Ihrer Politik herausstellen kann. In den Großindustrien findet nämlich im wesentlichen das Wachstum statt, weil sich dort arbeitsplatzsparende und arbeitsplatzvernichtende Investitionen vollziehen, die Sie ja fördern. Es stimmt doch nicht, was der Bundeskanzler hier gestern aufführte — aber von Wirtschaftspolitik braucht er ja auch nichts zu verstehen —, daß Investitionen immer Arbeitsplätze schaffen. Sogar die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" erklärt heute in einem sehr ausgewogenen Kommentar, daß wir damit rechnen müssen, daß die gestiegenen Investitionen in der deutschen Wirtschaft dazu führen könnten, im Zweifelsfalle sogar dazu führen werden, daß Arbeitsplätze vernichtet werden und daß die Dynamik der Rationalisierung den Arbeitsmarkt in seiner Unausgeglichenheit auf die Dauer zementieren wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Baufirmen, vor allem in Norddeutschland, gehen in einem geradezu dramatischen Maße kaputt, Kaufhäuser im Ruhrgebiet schließen, Mitarbeiter werden herausgesetzt — und Sie reden von einer ausgeglichenen Wachstumspolitik. Nein, das ist eine Wachstumspolitik, die Arbeitsplätze kaputtmacht.
    Das, was Sie machen, ist wirklich nicht im Interesse der Arbeitslosen. Es ist auch nicht im Interesse der kleinen Unternehmer, es ist nicht im Interesse der mittelständischen Firmen, sondern es ist im Interesse der Festigung Ihrer konservativen Wahlinteressen getan. Weil Sie dies im Hinblick auf die
    Wahl im nächsten Jahr benötigen, werden Sie sich in Ihrer Politik auch nicht ändern.
    Wer sagt Ihnen aber, wer garantiert Ihnen aber, daß die immer noch schwache heimische Nachfrage als Folge Ihrer Spar-, Einkassier- und Wegnehme-politik nicht der Stolperstein auf dem Weg einer dauerhaften konjunkturellen Erholung sein kann? Fast flehentlich nehmen sich die Appelle des Finanzministers und der Fünf Weisen aus, daß doch die heimische Nachfrage zum Wachstumsmotor werden müsse und daß sich die Gewerkschaften doch bitte für ordentliche Lohnerhöhungen statt für andere gewerkschaftliche Ziele einsetzen sollten. Nach den Kreuzritter-Feldzügen gegen zu hohe Löhne in der Vergangenheit dürfen es auf einmal 3% bis 5% sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sind sich vielleicht doch ein bißchen dessen bewußt, daß das, was Sie uns als ein so herrliches Bild darstellen, seine Schattenseiten hat. Es ehrt den Finanzminister, daß er in seiner Replik auf meinen Kollegen Wieczorek die allzu strahlenden Bilder, die die Kollegen von der CDU hier gemalt haben, noch einmal ausdrücklich ein bißchen relativiert hat. Die geringen Lohnzuwächse bzw. die Lohnzuwächse, die nicht stattgefunden haben, die Null-Runden im Sozialbereich kneifen nicht nur die Nachfrage ab, sondern sie haben auch negative Auswirkungen auf die im Stoltenbergschen Haushaltsentwurf zugrunde gelegten Steuereinnahmen. An dieser Stelle liegt der Schlüssel zum Verständnis für die plötzlichen und unerwarteten sozialen Züge beim Wirtschaftsminister, beim Finanzminister und bei den Fünf Weisen.

    (Beifall bei der SPD)

    Was die Preisstabilität betrifft: Es ist richtig, wir haben die Inflation bei uns bekämpft. Wir haben dort scheinbar einen Erfolg zu buchen.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wer ist „wir"?)

    — Die Deutschen, dazu dürfen wir dann ja auch noch gehören, vielleicht erlauben Sie das doch noch.
    — Richtig ist aber auch, daß der Prozeß der Inflationsbekämpfung weltweit zu beobachten ist. Angesichts der Verflechtung unserer Wirtschaft könnte die Bundesrepublik allein — bei allem guten Willen
    — in der Inflationsbekämpfung nämlich nicht erfolgreich sein. Anzuerkennen, daß es auf dem Gebiet der Inflationsbekämpfung Erfolge gibt, heißt aber nicht, daß wir die Methoden, die Sie dazu eingesetzt haben, anerkennen werden. Sie haben den Beziehern kleiner Einkommen, den Beziehern von kleinen Renten, den Schülern, den Frauen mit Mutterschaftsgeld, den Behinderten eine derart radikale Abmagerungskur verabreicht,

    (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Und Sie den Familien!)

    daß die Preisstabilität mit realen Einkommensverlusten in diesen Einkommensklassen „erwirtschaftet" worden ist, und einige wenige Große haben sich dabei dumm und dösig verdient. Reale Einkom-



    Frau Simonis
    mensverluste aber bedeuten Nachfrageeinbußen, und dies bedeutet sinkende Preise.

    (Beifall bei der SPD)

    Richtig ist — das sagt der Blüm ja auch immer —, daß Empfänger kleiner Einkommen von den geringen Preissteigerungsraten irgendwann einmal profitieren. Aber sehr viel richtiger ist, daß die Bezieher hoher Einkommen davon sehr viel mehr profitieren, wenn wir Preisstabilität haben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Diese Logik verstehe ich nicht!)

    — Sie können es ja einmal nachrechnen, was Sie sich von Ihren Diäten alles leisten können

    (Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP]: Was leisten Sie sich denn?)

    und was sich ein Rentner von seiner Rente leisten kann; da werden Sie dann feststellen, daß Sie viel größere Sprünge machen können als der kleine Rentner.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU])

    — Nun schrei doch nicht so, Rose; deine Rede war gestern so miserabel, daß ich an deiner Stelle heute leise sein würde.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Den Beziehern hoher Einkommen wird auch nicht durch die — selbst vom Finanzminister zugegebenen — heimlichen Steuer- und Abgabeerhöhungen der letzten Jahre mehr aus der Tasche genommen, als durch eine Antiinflationspolitik in dieselben Taschen überhaupt jemals hineingebracht worden ist.
    Die entscheidendste und unsere Gesellschaft dauerhaft am meisten belastende Fehlleistung der Regierung sind die Verfestigung und Zunahme der Massenarbeitslosigkeit. Frauen, Jugendliche und Behinderte sind am stärksten Opfer Ihrer Tatenlosigkeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Und was machen Sie? Sie atmen begeistert auf, wenn die Arbeitslosenzahl von 2,3 Millionen im Oktober um ganze 2 800 zurückgegangen ist. Und Sie können uns nicht einmal beweisen, daß dies nicht eine statistische Schönfärberei bei der Bundesanstalt für Arbeit gewesen ist.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    So wie der Finanzminister mit deutlicher Genugtuung die erwirtschafteten Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit mit der zunehmenden Dauerarbeitslosigkeit erklärt, muß man sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen; er sagt mit aller Zufriedenheit: Die zunehmende Dauerarbeitslosigkeit führt dazu, daß mehr Geld in der Kasse übrigbleibt.

    (Jungmann [SPD]: Sauerei!)

    Genauso unbewegt und genauso ohne Mitleid mit
    den Betroffenen registriert die Regierung, daß die
    dahinterstehenden Zahlen der Arbeitslosigkeit eigentlich viel schlimmer sind als die ausgewiesenen 2,3 Millionen.
    3,1 Millionen Menschen haben bis zum Oktober in diesem Jahr das Schicksal von Arbeitslosigkeit erlebt. Einige, viele sogar, konnten wieder zurückvermittelt werden. Sehr viele aber bleiben arbeitslos, werden länger arbeitslos, und die Dauerarbeitslosigkeit währt in der Zwischenzeit bei sehr vielen schon fast zwei Jahre.
    Es stört Sie nicht, daß in Ihrer Regierungszeit 400 000 Menschen mehr in die Arbeitslosenstatistiken gekommen sind. Es stört Sie nicht, daß die durchschnittliche Arbeitslosenzahl steigt. Es stört Sie auch nicht, daß die fünf Weisen Ihnen für 1986 keine Besserung voraussagen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Im Gegenteil, Sie verweisen auf die Zunahme der Beschäftigung als Beweis für den Erfolg Ihrer Politik. Schauen Sie sich einmal die Zahlen bei der Zunahme der Beschäftigung an! Fast drei Viertel kommen aus der sogenannten „stillen Reserve", sind Hausfrauen, die in nicht zumutbaren oder nur in unzureichenden Beschäftigungsverhältnissen im Dienstleistungsbereich eine Arbeit gefunden haben. Gleichzeitig wird durch Technisierung und Automatisierung die Produktivität erhöht und werden mehr Leute in die Massen- und Dauerarbeitslosigkeit entlassen, als Sie Hausfrauen auf der anderen Seite in Dienstleistungsbereichen untergebracht haben.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Abgeordnete Simonis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lammert?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heide Simonis


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wenn es nicht angerechnet wird.