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    Plenarprotokoll 10/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 27. November 1985 Inhalt: Begrüßung des Sekretärs des Zentralkomitees der Ungarischen Sozialistischen Arbeitspartei Dr. Matyás Szurös . . . . 13433 B Wahl des Präsidenten des Bundesrechnungshofs und des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs 13448 D Ergebnis 13453 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1986 (Haushaltsgesetz 1986) — Drucksachen 10/3700, 10/4101 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksachen 10/4151 bis 4180 — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksachen 10/4158, 10/4180 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 10/4173 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 10/4177 — in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksachen 10/4167, 10/4180 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1985 bis 1989 — Drucksachen 10/3701, 10/4102, 10/4256 — Dr. Apel SPD 13365 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 13375 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE . . 13381D, 13406A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 13386 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 13389C, 13422 C Dr. Posser, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 13399 A Dr. Graf Lambsdorff FDP 13405 C Dr. Hackel CDU/CSU 13407 A Dr. Solms FDP 13409 B Austermann CDU/CSU 13411 D II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1985 Wieczorek (Duisburg) SPD 13413C Roth (Gießen) CDU/CSU 13417 B Spilker CDU/CSU 13419 B Präsident Dr. Jenninger 13381 D Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 10/4159, 10/4180 — Frau Simonis SPD 13424 B Glos CDU/CSU 13428 B Auhagen GRÜNE 13433 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13435 B Wissmann CDU/CSU 13438 B Dr. Mitzscherling SPD 13440 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 13445 C Frau Simonis (Erklärung nach § 30 GO) 13448A Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksachen 10/4171, 10/4180 — Zander SPD 13449 D Austermann CDU/CSU 13453 D Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 13456 D Dr.-Ing. Laermann FDP 13458 B Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 13460C Einzelplan 31 Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Drucksachen 10/4172, 10/4180 — Dr. Diederich (Berlin) SPD 13463 C Dr. Rose CDU/CSU 13465 B Frau Zeitler GRÜNE 13467 C Neuhausen FDP 13468 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 13470 D Nächste Sitzung 13472 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 13473*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. November 1985 13365 177. Sitzung Bonn, den 27. November 1985 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28. 11. Antretter * 29. 11. Bahr 29. 11. Bueb 29. 11. Büchner (Speyer) * 29. 11. Collet 29. 11. Frau Dr. Däubler-Gmelin 27. 11. Frau Eid 29. 11. Ertl 29. 11. Frau Fischer * 29. 11. Franke (Hannover) 29. 11. Dr. Haack 27. 11. Haase (Fürth) * 29. 11. Dr. Hauff 27. 11. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 11. Heyenn 27. 11. Höffkes 27. 11. Graf Huyn 27. 11. Jäger (Wangen) * 29. 11. Junghans 29. 11. Kittelmann * 29. 11. Klose 29. 11. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Kohl 27. 11. Dr. Kreile 29. 11. Lamers 28. 11. Leonhart 29. 11. Lowak 27. 11. Dr. Müller * 29. 11. Nagel 29. 11. Dr. Olderog 29. 11. Oostergetelo 27. 11. Rühe 27. 11. Schlaga 29. 11. Frau Schmidt (Nürnberg) 29. 11. Schmidt (Wattenscheid) 29. 11. Dr. Schwenk (Stade) 27. 11. Dr. Todenhöfer 29. 11. Frau Wagner 28. 11. Werner (Dierstorf) 29. 11. Frau Dr. Wex 29. 11. Witek 27. 11. Wittmann (Tännesberg) 27. 11. Zierer 29. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Austermann, bei Ihrer Zahlenspielerei habe ich nur darauf gewartet, daß Sie irgendwann im Plus gewesen wären.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wenn wir die Regierung früher übernommen hätten, wären wir auch schon im Plus!)

    Das hätte mich angesichts Ihrer Eigenschaft als Berichterstatter für den Einzelplan 32, der „Bundesschuld" heißt, doch sehr gewundert. Diese Zahlenspielereien, Herr Kollege, können wir alle anstellen, und ich werde heute mit Ihnen einige anstellen. Es kommt immer nur darauf an, welche Zeiträume man sich aussucht. Sie vergleichen einmal ein Jahr mit einer Legislaturperiode, dann vergleichen Sie zwei Legislaturperioden, und dann konsumieren Sie schlicht und einfach das, was die frühere Regierung schon mal mitgemacht hat. Können wir uns nicht darauf verständigen, daß wir nur Zahlen vergleichen, die vergleichbar sind? Sonst kann sich der Bürger draußen im Lande doch überhaupt kein Bild von dem machen, was Sie hier an Zahlenfriedhof hinterlassen.

    (Beifall bei der SPD — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Eröffnungsbilanz und Schlußbilanz!)

    Ich werde mich darum schlicht und einfach auf den Planungszeitraum konzentrieren, den wir jetzt vor uns haben, also den Zeitraum bis 1989. Und ich werde den Zeitraum dazunehmen, in dem Sie begonnen haben, die Verantwortung in diesem Land zu übernehmen. Und dann sollten wir abwägen, wie das mit den Schulden auf der einen Seite und auf der anderen Seite ist, und dann sollten wir uns auch klarwerden, was Konsolidierung eigentlich ist. Darüber unterhalten wir uns dann heute morgen, nein:



    Wieczorek (Duisburg)

    heute nachmittag. — Ich war eigentlich auf heute morgen programmiert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Umdenken, bitte!)

    Lassen Sie mich zunächst aber feststellen: Johannes Rau ist heute nicht hier. Aber er wird selbstverständlich in einer Debatte des Bundestages reden.

    (Vosen [SPD]: Als Bundeskanzler!)

    Und wenn Sie einmal richtig nachgucken, werden Sie sehen, daß auch der jetzige Bundeskanzler Kohl in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident nie in einer Haushaltsdebatte hier geredet hat. Die Haushaltsdebatte ist etwas für Leute, die sich als Insider mit den Dingen beschäftigt haben. — Das hat uns der Herr Kohl doch sehr gut vorgemacht. Darum lassen Sie also dieses Geschwätz!

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Posser kann ebenfalls nicht hier sein, weil er gerade versucht, als Ländervertreter gemeinsam mit unseren Kollegen im Vermittlungsausschuß ein Gesetz konform zu bekommen. Also auch da keinerlei Probleme.
    Ich muß Ihnen aber nach wie vor sagen, daß Ihr Haushalt, den Sie vorgelegt haben, Herr Friedmann, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einfach nicht ernst genug nimmt — das wiederhole ich —, daß die Bundesregierung Versprechungen macht, die sie später nicht einhalten kann, daß sie der Bevölkerung vorgaukelt, wir lebten in einer heilen Welt. Ungerechtigkeiten sind nach der Vorstellung dieser Regierung „Randprobleme", mit denen man noch lange und gut leben kann. Es sind „Randprobleme", die Ihnen lästig sind und mit denen Sie sich auch nicht ernsthaft auseinandersetzen wollen.
    Auch der vierte Haushalt in Ihrer Verantwortung wird den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen nicht gerecht. Trotz der auch von uns begrüßten positiven Entwicklung der Konjunktur sind immer noch über 2,2 Millionen Menschen ohne Arbeit. Dazu kommen noch die Arbeitslosen aus der stillen Reserve, die ja nicht mitgezählt werden. Auch hier wollen Sie noch einmal beginnen, eine Zahlenmanipulation vorzunehmen. Man kann nicht über Statistiken Arbeitslose von der Straße bringen, sondern man muß ihnen schon Arbeit verschaffen. Wie alle Sachverständigen in diesem Land erwarten, wird sich durch die Politik dieser Bundesregierung auf diesem Gebiet überhaupt nichts ändern.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!)

    Wir Sozialdemokraten lehnen den Kurs dieser Bundesregierung ab; denn für uns steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an erster Stelle.

    (Beifall bei der SPD)

    Das haben auch die fünf wirtschafswissenschaftlichen Institute in ihrem Herbstgutachten gefordert,
    und das fordert der Sachverständigenrat, der so oft zitiert wird, in seinem jüngsten Jahresgutachten.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Mit dem Programm „Arbeit und Umwelt"?)

    Die Bundesregierung hat derweil nichts anderes zu tun, als sich an Eigenlob zu berauschen, Wachstum, niedrige Preise und die weitere wirtschaftliche Entwicklung hochzuloben und von den wahren Problemen abzulenken.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Das glaubst du selber nicht!)

    Wenn der Bundeshaushalt in der jetzigen Form verabschiedet wird, werden die investiven Ausgaben 1986 um 800 Millionen DM zurückgehen.

    (Zuruf von der SPD: Genau!)

    Diese 800 Millionen DM weniger tragen zu Ihrer hausgemachten Arbeitslosigkeit bei.

    (Beifall bei der SPD)

    Wären Sie unseren Vorschlägen von vornherein gefolgt, wäre nicht nur nicht die Kürzung um 800 Millionen DM zustandegekommen, sondern 1 Milliarde DM für weitere, zusätzliche Investitionen beschlossen worden. Damit wäre wiederum für 50 000 Menschen Arbeit beschafft worden. Und reden Sie nicht davon, daß das nur vorübergehend wäre! Jeder Bauarbeiter arbeitet nur vorübergehend. Wenn sein Bauwerk fertig ist, ist seine Arbeit insoweit beendet.
    Reden Sie nicht davon, daß über Beschäftigungsprogramme keine nachhaltige Wirkung erzielt werden könne! Fragen Sie doch einmal die Bauarbeiter, ob sie lieber unter Ihrer Regie Arbeitslosengeld beziehen oder auf Grund eines sozialdemokratischen Beschäftigungsprogrammes Arbeit haben, die noch dazu sinnvoll ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist genauso eine fadenscheinige Diskussion wie die, die über den Subventionsabbau geführt wird. Ich will nicht wiederholen, was dazu gesagt wurde. Herr Minister Stoltenberg, Sie werden der Subventionsminister dieser Republik sein. Sie kündigen Einsparungen an und erhöhen so kräftig, wie es keiner Ihrer Vorgänger jemals getan hat.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Das ist nicht richtig. Was hat er denn erhöht?)

    — Was er erhöht hat? Die Kokskohlenbeihilfe? Er hat die Anteile für die Großbauern erhöht, für die landwirtschaftlichen Fleischfabriken. Dahin ist das Geld geflossen. Herr Kollege, machen Sie nicht so dumme Zwischenbemerkungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich würde mich jetzt eigentlich noch gerne mit den Steigerungsraten des Bundeshaushaltes beschäftigen. Ich will das nicht tun. Ich sage Ihnen nur: Die Steigerungsrate beträgt nicht 2,2 %, sie beträgt 1,6 %. Als seriöser Finanzminister sollte man sich wirklich beherrschen und nicht zu einem Trick greifen. Ich kann nicht in einem Jahr einen Posten als Ausgabe einsetzen — wie die EG-Leistungen —



    Wieczorek (Duisburg)

    und sie bei der Steigerungsrate mitrechnen und dann im anderen Jahr, wenn es mir nicht gefällt, diesen Posten wieder herausnehmen und dann eine neue Steigerungsrate errechnen. Herr Finanzminister, das ist unseriös

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    und intellektuell unredlich. Hier wird dem deutschen Volk Sand in die Augen gestreut. Das haben Sie, wenn man Ihr normales Auftreten bewertet, doch eigentlich gar nicht nötig. Oder sollte sich dahinter doch etwas mehr verbergen, als Sie uns bisher gesagt haben? Zahlenmanipulationen darf sich ein Finanzminister an keiner Stelle erlauben. An keiner Stelle! Das darf kein Finanzminister. Herr Stoltenberg, Sie manipulieren hier Zahlen, indem Sie dem Bundestag andere Zahlen nennen; Zahlen die Sie haben wollen. Ich kann nicht mit Indexzahlen arbeiten und da und dort etwas verstecken. Vergleichen Sie die richtigen Zahlen miteinander. Dann können wir uns darüber unterhalten.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Bringen Sie mal ein Beispiel!)

    Manipulation oder gewolltes Am-Parlament-Vorbeijonglieren ist für mich auch die Frage bei Ihren Haushaltsresten, die Sie immer bilden. Überlegen wir uns doch einmal, meine Kollegen — jetzt schließe ich den Herrn Finanzminister mal aus —, was in den letzten drei Jahren eigentlich passiert ist. Der Bundesfinanzminister hat 1983 6 1/2 Milliarden DM weniger Ausgaben als geplant ausgegeben. Da kann man eigentlich sagen: Hervorragend. Er hat 1984, 5,4 Milliarden weniger ausgegeben, als wir beschlossen haben. Und er hat 1985 wieder rund 2 Milliarden DM Minderausgaben. Feiern Sie das bitte nicht als einen Erfolg! Hier wird Ihr Wille, den Haushalt zu fahren, nicht vollzogen. Er spart an Stellen ein, wo wir im Grund genommen die Mittel brauchen, um sie der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, um damit Arbeit zu schaffen. Das kann man nicht als Erfolg feiern, sondern das geht am Haushalt, am Parlament vorbei. Denn solche Haushaltsreste darf man nicht bilden, sondern hier muß man sauber und ordentlich arbeiten.
    Wenn wir das Ganze vor dem Hintergrund sehen, was wir an Beschäftigungsprogrammen und im Programm „Arbeit und Umwelt" als Finanzierung gefordert haben und was Sie unter dem Gesichtspunkt „Es wäre ja richtig; aber wir haben kein Geld dafür!" zurückgewiesen haben und wir nicht durchsetzen konnten, und wenn wir dann auf einmal sehen, wieviel im Haushalt bleibt, dann ist das gegenüber der deutschen Wirtschaft und den arbeitenden Menschen in diesem Land nicht zu verantworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich komme damit zum Thema Konsolidierung, Herr Bundesfinanzminister. Die Sozialdemokraten haben schon 1981 begonnen, den Bundeshaushalt auf eine neue Basis zu stellen. Auch wir haben seinerzeit schon sehr schmerzhafte Eingriffe vornehmen müssen. Diese Konsolidierung — das hat der Sachverständigenrat bestätigt — wird von Herrn Dr. Stoltenberg fortgesetzt.
    Aber was hat er daraus gemacht? Für 1983 hat er die Vorschläge der sozialliberalen Koalition aus dem Jahr 1982 in der Größenordnung von immerhin über 9 Milliarden DM zum Großteil übernommen, verschärft und noch drauf gesattelt. Und was bei ihm auf Grund der Einsparungen ab dem Jahr 1984 übrigblieb, hat er in andere Bereiche umgeleitet. Und hier setzt unsere eigentliche Kritik ein. Denn wo ist dieses Geld geblieben? Der Herr Bundesfinanzminister hat umverteilt, umverteilt an Unternehmen und an die deutschen Großbauern, wie ich es Ihnen eben schon gesagt habe.

    (Glos [CDU/CSU]: Was verstehen Sie unter Großbauern?)

    Damit hat er die soziale Ausgewogenheit und den sozialen Anstand verletzt, Herr Kollege Glos.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Glos [CDU/CSU])

    Er hat durch soziale Unbarmherzigkeit dazu beigetragen, den sozialen Frieden in unserem Land zu stören.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Du bist ein Samariter!)

    Er hat diesen wichtigen Produktivfaktor, nämlich den sozialen Frieden, ernsthaft gefährdet. Wer den sozialen Frieden nicht als einen Produktivfaktor ansieht, der hat nicht beide Füße auf der Erde, sondern er guckt aus einem Wolkenkuckucksheim auf die Erde.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Für Zwischenfragen habe ich keine Zeit, Herr Kollege Glos. Wir können das dann hinterher irgendwann klären.
    Sozialdemokraten sagen: Nur Gerechtigkeit kann sozialen Frieden schaffen.
    Ich wende mich nun einem anderen Bereich zu, der hier ebenfalls besprochen werden muß, nämlich den längerfristigen Aspekten der Haushaltspolitik dieses Bundesfinanzministers. Ich versuche, diese Finanzpolitik durchsichtiger und vielleicht auch intellektuell etwas redlicher zu machen. Ich bediene mich dabei der Argumentation dieser Bundesregierung. Ich will versuchen, abzuklopfen, was Propaganda und was Wirklichkeit ist. Ich sage nicht „Werbung", sondern ich sage bewußt „Propaganda", und ich meine das so.
    Die erste Frage. Baut die Regierung eigentlich wirklich Schulden ab? Senkt die Regierung tatsächlich die Steuern, und schenkt sie den Bürgern 20 Milliarden DM mit der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten? Begrenzt die Bundesregierung den staatlichen Ausgabenanstieg auf 3 % und senkt damit den Staatsanteil?
    Das Durcheinanderwerfen von Milliarden-Größenordnungen, Herr Kollege Austermann, bei den Steuersenkungen und Prozentsätzen bei den Ausgaben löst — eine für mich beabsichtigte — Verwirrung aus.

    (von Hammerstein [CDU/CSU]: Wie ein Pädagoge gleich Demagoge!)




    Wieczorek (Duisburg)

    Richtig muß es nämlich heißen: Der Bundesfinanzminister hat die Schulden des Bundes mit dem Haushalt 1986 seit seinem Amtsantritt, also von 1983 bis 1986, um 108 Milliarden DM erhöht.

    (Zander [SPD]: Hört! Hört!)

    Nach dem neuen Finanzplan, über den wir uns gerade unterhalten, wird die Verschuldung des Bundes bis zum Ende der Planungsperiode gegenüber 1982 — darauf haben wir uns ja verstanden — um 181 Milliarden DM steigen. Meine Damen und Herren, ich wiederhole das: In der Zeit, die Herr Dr. Stoltenberg hinter sich hat

    (Austermann [CDU/CSU]: Die er vor sich hat!)

    und die er vorher geplant hat, werden die Schulden des Bundes um 181 Milliarden DM steigen.

    (Austermann [CDU/CSU]: Falsch!)

    Hier wird nichts zurückgeführt, sondern die Zahlen steigen an.

    (Austermann [CDU/CSU]: Falsch!)

    Die Propaganda, daß der Bundesfinanzminister Schulden abbaut, ist falsch; der Schuldenberg wächst.
    Für die neuen Schulden, die diese Regierung seit 1983 zu verantworten hat, werden allein 1989 mehr als 11 Milliarden DM Zinsen zu zahlen sein,

    (Vogel [München] [GRÜNE]: So ist es!)

    also für Ihre Schulden, die Sie in dieser Zeit gemacht haben, und nicht etwa für die, die Sie übernommen haben. Wenn Sie den Bundesbankgewinn noch eliminieren, dann werden es 16 Milliarden DM sein — das, was Sie da vorhin in dem Zusammenhang gesagt haben, Herr Austermann, ist nicht zutreffend —, die diese Bundesregierung dem deutschen Volk zusätzlich aufdrückt. Das Ganze wird dann unter dem Gesichtspunkt verkauft, Sie führen Schulden zurück. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, daß hier mit Zahlen unredlich umgegangen, ja, daß manipuliert wird.

    (Beifall bei der SPD — Austermann [CDU/ CSU] und Krey [CDU/CSU]: Ich denke, wir sparen uns kaputt?)

    Ich will nicht darüber reden, daß der Bundesfinanzminister bis zum Ende des Planungszeitraumes 76 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen eingerechnet hat; darauf will ich überhaupt nicht eingehen. Ich will dem nur entgegensetzen, daß Helmut Schmidt in der ganzen Zeit, in der er regiert hat, 13 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen zur Verfügung gehabt hat. Er hat diese 76 Milliarden DM in seiner Zeit zwar erarbeitet, erwirtschaftet, aber verfrühstücken tut es ein anderer. Das ist in der Politik nun einmal so, das ist die Kontinuität der Politik: Der eine erwirtschaftet etwas, und der andere hat den Nutzen davon. Auch so etwas kann man ja erben.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ein weiterer Grund, warum der Schuldenberg unter dieser Regierung nicht noch schneller wächst — denn eigentlich hätte er schneller wachsen müssen, meine Damen und Herren —, ist das, was jetzt als Erfolg gefeiert wird, nämlich die Ursache für die Steuerreform. Mit dieser Steuerreform werde ich mich jetzt etwas kritisch auseinandersetzen, damit wir wissen, wovon wir hier eigentlich reden. Niemals in den Jahren der sozialliberalen Koalition, meine Damen und Herren, hat es einen so langen und konsequenten Marsch in den Lohnsteuerstaat gegeben wie bei dieser Bundesregierung. Niemals hat es eine Zeit gegeben, in der die Lohnsteuerzahler so lange auf eine tarifliche Anpassung warten mußten. Niemals wurde dem Lohnsteuerzahler so viel weggenommen und so wenig belassen wie bei der Regierung Kohl.

    (Zander [SPD]: Von der Regierung zahlt ja auch keiner Lohnsteuer!)

    Von 1982 bis einschließlich 1989 wird das Lohnsteueraufkommen nach den Beschlüssen dieser Bundesregierung um 62 Milliarden DM steigen. Wenn man das Aufkommen aus der veranlagten Einkommensteuer noch hinzurechnet, wird sich dieser Betrag um fast 70 Milliarden DM erhöhen — und das trotz der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten, meine Damen und Herren, die eine tarifliche Entlastung um 14 Milliarden DM bringen wird. Es werden also den Bürgern immer noch rund 70 Milliarden DM mehr aus der Tasche gezogen als vorher. Das ist natürlich auch ein Teil der Konsolidierungspolitik, die hier auf Kosten der Steuerzahler betrieben wird.
    Auch das angebliche Steuergeschenk von Geißler und der Bundesregierung in Form einer neuen Familienpolitik entpuppt sich, meine Damen und Herren, bei näherem Hinsehen eindeutig als Etikettenschwindel.

    (Beifall bei der SPD)

    Es geht hier bei dieser „Reform" um eine einseitig ausgerichtete Steuerpolitik zugunsten der reichen Familien. Das ist ja heute schon einmal angesprochen worden.
    Meine Damen und Herren, Herr Geißler spricht nicht umsonst von der notwendigen Besserstellung des ersten Kindes durch den steuerlichen Familienlastenausgleich. Er verschweigt dabei die Umverteilungswirkung zu Lasten der Mehrkinderfamilie. Er hat auch allen Grund, sie zu vertuschen; das wissen Sie ganz genau.
    Die Bundesregierung hat auf unsere Fragen hin zugeben müssen, daß jeder Arbeitnehmer, der ein durchschnittliches Einkommen bezieht, Jahr für Jahr schon ab 1987 höher belastet wird, wenn er drei, vier oder fünf Kinder hat. Und das nennen Sie eine familienpolitische Komponente, auf die Sie stolz sind.
    Es drängt sich die Frage auf, warum die Anpassung des Tarifs an die inflationäre Entwicklung, also das, was Herr Häfele immer als heimliche Steuererhöhung bezeichnet hat, nur so niedrig ausfällt. Die Antwort ist einfach. Bevor nämlich die Regierung die ersten 5 Milliarden DM an heimli-



    Wieczorek (Duisburg)

    chen Steuererhöhungen zurückgibt, hat sie die öffentlichen Kassen schon durch Milliardensteuergeschenke für die Unternehmensbereiche in Höhe von 13 Milliarden DM jährlich geleert. Damit es nicht verlorengeht, nenne ich hier die Stichworte, Herr Dr. Stoltenberg: Gewerbesteuer- und Vermögensteuersenkung, Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft, Abschreibungserleichterungen.
    Das Ergebnis dieser angeblichen Konsolidierungspolitik ist offenkundig: Nur immer herunter mit den Investitionen und immer herauf mit den Subventionen! Der Sachverständigenrat umreißt das mit den schönen Worten — ich zitiere —: Bei der qualitativen Haushaltskonsolidierung ist die Finanzpolitik weiter zurückgefallen.

    (Frau Traupe [SPD]: Oh!)

    Aber das sind nur andere Worte für die gleiche Feststellung, Herr Stoltenberg.
    Wie verhält es sich denn mit Ihrer dritten Propagandathese zur Finanzpolitik des Bundesfinanzministers, nämlich die Staatsquote zu senken? Bezüglich der Staatsquote wird Ihnen vom Sachverständigenrat im Gutachten sehr deutlich gesagt — auch das zitiere ich wörtlich —: Wenn die Zuwachsrate der Staatshaushalte nicht 3, sondern 31/2 % beträgt, läßt sich an der nahezu unveränderten Staatsquote ablesen — ich wiederhole: an der nahezu unveränderten Staatsquote ablesen —, daß von der Ausgabenpolitik kein Konsolidierungsbeitrag mehr zu erwarten ist.
    Wer dies zur Kenntnis nimmt, dem wird klar, wie abenteuerlich die Aussagen des Bundesfinanzministers sind, wenn er groß davon tönt, den Staatsanteil von 49 auf 45 und dann auf 40% senken zu wollen. Gerade dieser Subventionserhöhungsminister redet von Rückführung der Staatsquote.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich fordere Sie auf, Herr Bundesfinanzminister, noch in dieser Debatte zu erklären, wie Sie zu einer so dramatischen — ich würde sogar sagen: unsere Gesellschaft verändernden — Absenkung des Staatsanteils kommen wollen. Ich fürchte, dies ist die Abkehr von unserem sozialverpflichteten Staat. Wollen Sie den gesamten Bereich der sozialen Sicherung so radikal zusammenstreichen, Herr Bundesfinanzminister? Wollen Sie den Bildungsbereich so stark zusammenschneiden? Oder wollen Sie den Abbau staatlicher Leistungen mit einem solchen Volumen vornehmen?
    Meine Zeit ist beendet. Ich breche meine Rede hier ab. Den Antworten des Bundesfinanzministers sehe ich mit großer Spannung entgegen.
    Ich danke Ihnen, daß Sie mir so nett zugehört haben.

    (Beifall bei der SPD)