Rede von
Norbert
Mann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf des Bundesrats über den Widerruf von Haustürgeschäften wollen die Koalitionsfraktionen unter dem populären Oberbegriff Verbraucherschutz rechtspolitische Handlungsfähigkeit demonstrieren.
Herr Kollege Sauter, ich möchte vor allen Dingen Sie ansprechen, aber natürlich auch Herrn Dr. Stark. Immerhin ist es der CDU/CSU in etwas über einem halben Jahr seit der ersten Beratung dieses Entwurfs gelungen, langjährige Widerstände des „feinen" demokratischen Koalitionspartners gegen ein derartiges Gesetz zu überwinden.
Zu der langen und aufschlußreichen Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs wurde in der De-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1985 13113
Mann
batte vom 26. April 1985 einiges gesagt. Ich selbst habe mir gerade noch einmal die vergilbte Drucksache 7/4778 vom 1. Oktober 1975 herausgesucht. Die liegt jetzt gut zehn Jahre zurück. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf des Bundesrates, in dessen Zielsetzung es heißt:
Häufig hat er
— gemeint ist der Bürger —
nicht einmal einen wirklichen Bedarf an der angebotenen Ware oder Leistung, vielmehr schließt er einen Vertrag nicht selten nur deshalb ab, um einen aufdringlichen Vertreter wieder loszuwerden.
So viel aus der Begründung des damaligen Entwurfs.
Ich finde, es ist schon ein Skandal — Herr Kleinert, ich wende mich an die FDP, die Sie dafür verantwortlich sind —, daß es so lange gedauert hat, bis ein solch bescheidenes Gesetz hier verabschiedet werden kann. Herr Erhard, ich schließe mich hier nicht dieser allgemeinen Euphorie an.
Entscheidend ist, wie es der Volkskanzler aus Oggersheim auszudrücken pflegt, was hinten herauskommt. Deswegen möchte ich etwas zu einem Aspekt sagen, der sehr bemerkenswert ist, nämlich zu den Früchten der Bonner Landschaftspflege, welche die Versicherungswirtschaft in der Sondersitzung des Rechtsausschusses am 9. Oktober 1985 erntete.
In dieser Sitzung, die eigentlich aus Anlaß der Beratung des Zweiten Gesetzes zur Wirtschaftskriminalität angesetzt war, präsentierten die Koalitionsfraktionen in der inzwischen im Rechtsausschuß leider üblichen Überraschungsmanier einen Änderungsantrag, durch den der Abschluß von Versicherungsverträgen vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen wird. Gerade beim Abschluß von allzu häufig unüberlegt und überflüssig abgeschlossenen Versicherungsverträgen mit langer rechtlicher Bindung wäre ein Widerrufsrecht notwendig.
Wenn die Bundesregierung, wie im Rechtsausschuß geschehen, dieses akute rechtspolitische Regelungsbedürfnis unter Hinweis auf eine angeblich vorbildlich funktionierende Versicherungsaufsicht sowie die von der Versicherungswirtschaft zaghaft praktizierte Einführung freiwilliger Widerrufsmöglichkeiten verneint, so spricht dies für ihr Verständnis von Verbraucherschutz Bände.
Langjährige Erfahrungen begründen eben die Notwendigkeit von Schutzgesetzen vor allem zugunsten älterer und im Geschäftsverkehr unerfahrener Menschen.
Wir sollten uns, Herr Kleinert, auch nicht durch das Gerede vom mündigen Bürger, der aus schlechten Erfahrungen zu lernen imstande ist, von der klaren Erkenntnis derartiger Binsenweisheiten einer sozial verantwortlichen Rechtspolitik ablenken lassen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wie der Zentrale Kreditausschuß, also die Bankenlobby, in seiner Stellungnahme vom 29. Oktober 1985 die Sonderbehandlung der Versicherungsverträge kritisiert. Mit der Behauptung einer wettbewerblichen Benachteiligung der Kreditwirtschaft wird eine Gleichbehandlung — ich möchte das einmal so bezeichnen — im Unrecht jedenfalls für Wertpapiergeschäfte gefordert. Hier zeigt sich, auf was für gefährliche Abwege sich die Koalitionsfraktionen mit der Ausnahmeregelung für Versicherungsverträge begeben haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluß andeuten, in welche Richtung in einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit, Sozialbbau und immer weiter wachsender privater Verschuldung eine Politik zu entwickeln ist, die den Namen Verbraucherschutz tatsächlich verdient. Wir benötigen gesetzliche Grundlagen für richterliche Vertragshilfe bei überschuldeten Kreditnehmern, insbesondere unter jeweiliger Berücksichtigung von deren finanzieller und sozialer Situation. Das bedeutet beispielsweise die Anordnung von erträglichen Stundungsvereinbarungen, die Korrektur von maßlos beutelschneiderischen Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie auch die Festlegung von Zinshöchstgsrenzen für den Bereich des Konsumentenratenkredits und einen weiteren Ausbau der Schuldnerberatung.
Dies sind unabdingbare Bestandteile der sozialstaatlichen Verpflichtung des Gesetzgebers, Herr Kleinert, von der Sie nach Ihrer jetzigen Wählerklientel verständlicherweise nichts wissen wollen.
Zwar scheiterten solche Reformvorschläge bei der Beschlußfassung auf dem 53. Deutschen Juristentag im Jahre 1980, was Sendler in seinem Beitrag „Juristentag mit preußischem Charme" in der „Zeitschrift für Rechtspolitik", 1980, Seite 289, zu der Bemerkung veranlaßte, daß „wohl eine bestimmte Gruppe mit wirtschaftlichen Interessen den Inhalt der Beschlüsse maßgeblich beeinflußt" habe. Ich bin dennoch zuversichtlich, daß es den Bürgern im Land nicht entgeht, daß nur mit den GRÜNEN solche sozialstaatlich längst überfälligen Reformen durchsetzbar sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.