Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Paul-Henri Spaak hat einmal gesagt:
Nur diejenigen können entmutigt werden, die sich einbilden, daß Europa durch ein Sesam-öffne-Dich oder durch eine riesige Welle des Enthusiasmus geschaffen werden könnte. Nichts dergleichen wird geschehen. Ein organisiertes und vereinigtes Europa wird das Ergebnis langer und mühevoller Anstrengungen sein.
So weit das Zitat. Wie recht Spaak doch damit hatte!
Dies wird durch die zurückliegenden Verhandlungen bestätigt, die nicht immer ganz einfach zu führen waren. Um so mehr freue ich mich, daß mit der heutigen abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs über den Beitritt des Königreichs Spanien und der portugiesischen Republik zu unserer Europäischen Gemeinschaft ein glücklicher Schlußstrich gezogen werden kann. Für meine Fraktion kann ich sagen, daß wir der vorliegenden Beschlußempfehlung uneingeschränkt zustimmen.
Ich bin glücklich, dies heute hier sagen zu können, weil ich mich als Vorsitzender der deutsch-spanischen Parlamentariergruppe in unserem Bundestag der iberischen Halbinsel in besonderem Maße verbunden fühle.
Meine Damen und Herren, die FDP hat sich schon lange für den Eintritt Spaniens und Portugals in die Europäische Gemeinschaft eingesetzt. Es war Außenminister Genscher, der sich sehr früh in der Erkenntnis der immensen politischen Dimension um die richtige Weichenstellung für diesen Beitritt bemüht hat
und dabei keine Auseinandersetzung insbesondere mit denjenigen EG-Mitgliedstaaten, die weniger an einem Beitritt dieser Länder interessiert waren, gescheut hat.
Wir freuen uns nun, daß wir auch heute abend hier in diesen zentralen Fragen eine gemeinsame Haltung der großen Fraktionen dieses Hauses feststellen können. Wir gehen davon aus, daß die Ratifizierungsverfahren in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft so rechtzeitig abgeschlossen werden können, daß der Beitritt beider Länder wie vorgesehen am 1. Januar 1986 wirksam werden kann.
Meine Damen und Herren, der Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft ist
eine Entwicklung von historischer Bedeutung für ganz Europa.
Beide Länder gehören in kultureller, historischer, wirtschaftlicher und geopolitischer Sicht zur engeren Gemeinschaft der europäischen Völker, wie wir sie uns vorstellen. Dies sollte auch, so meine ich, auf wissenschaftlichem Gebiet Wirklichkeit werden.
Es hatte noch vor wenigen Jahren großer Phantasie und eines starken Optimismus bedurft, vorherzusehen, daß diese beiden Länder nunmehr gleichberechtigte Partner unserer Gemeinschaft sein würden. Nachdem sie zu demokratischen Strukturen zurückgefunden haben, blicken beide mit Hoffnung und Zuversicht auf die Europäische Gemeinschaft, in der sie, verehrte Kollegen von den GRÜNEN, einen Hort für das Wohlergehen ihrer Völker und eine solide Basis für ihre politische Zukunft sehen. Diese beiden Länder, Herr Kollege von den GRÜNEN, benötigen keinen politischen Nachhilfeunterricht durch Ihre Fraktion; sie wissen aus eigener historischer Erfahrung, wie sie politisch zu handeln haben.
Unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, hat wesentlich dazu beigetragen, daß diese Beitritte jetzt möglich werden. Wir können stolz darauf sein, und ich glaube, daß man auch in Spanien und in Portugal um diesen Anteil weiß.
Es waren Weitblick und Entschlossenheit seitens der politischen Führung Spaniens und Portugals wie auch der derzeitigen Mitgliedstaaten notwendig, um den Wunsch nach Mitgliedschaft in die Realität umzusetzen. Wir wissen aus den schwierigen und langjährigen Beitrittsverhandlungen, daß sich die volle Integration Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft nicht ohne Anpassungsprobleme für die Altgemeinschaft und die neuen Mitgliedstaaten vollziehen lassen wird und daß mit dem Beitritt darüber hinaus auch finanzielle Belastungen verbunden sind. Diese finanziellen Lasten, die durch den Beitritt auf uns zukommen, müssen indessen nach unserem Verständnis im Verhältnis zu den politischen und auch wirtschaftlichen Vorteilen gesehen werden, die die Süderweiterung für uns und für die Gemeinschaft insgesamt mit sich bringt.
Unabhängig von dem für uns positiven Saldo im wirtschaftlichen Bereich, auf den ich hier nicht näher eingehen möchte, sind vor allen Dingen die politischen Auswirkungen von weittragender Bedeutung.
Erstens. Die Erweiterung der EG um zwei iberische Länder, zu denen wir traditionell gute Beziehungen pflegen, stärkt das politische Gewicht der Gemeinschaft insgesamt im internationalen Kräftespiel.
Zweitens. Die Einbindung Spaniens und Portugals in die Gemeinschaft ist gleichzeitig auch ein Beitrag zur innenpolitischen Stabilisierung dieser beiden jungen Demokratien.
Drittens. Die vielfältigen engen Kontakte Spaniens und Portugals mit Lateinamerika sowie
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1985 13083
Beckmann
mit den arabischen und afrikanischen Ländern eröffnen neue außenpolitische Dimensionen, die Europa gemeinsam nutzen kann.
Viertens. Das westliche Verteidigungsbündnis, insbesondere aber der europäische Pfeiler dieses Bündnisses, wird erheblich gestärkt.
Meine Damen und Herren, Winston Churchill hat in seiner berühmten Rede in Zürich im Jahre 1946 die Vision verbreitet — ich zitiere —:
Wenn Europa einmal in der Wahrung seines gemeinsamen Erbes vereint wäre, gäbe es keine Einschränkung für sein Glück, den Wohlstand und den Glanz, den seine 300 oder 400 Millionen Menschen genießen könnten.
Der Beitritt Spaniens und Portugals stellt einen Markstein auf dem Wege zu diesem Ziele dar. Der europäische Aufbau ist für die Völker unserer Staaten, wie Simone Veil sagt, eine Hoffnung und eine Zukunftsvision, und deshalb muß Europa auf die Herausforderung unserer Zeit eine wahrhaft europäische Lösung finden.
Ich meine, die Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal ist eine solche wahrhaft europäische Lösung. Portugal hat im Juni dieses Jahres für die Unterzeichnung des EG-Abkommens einen Platz gewählt, der ebenso prächtig wie symbolhaft war: das Hieronymitenkloster in Belém vor den Toren Lissabons. Dieses Bauwerk im Stil des 16. Jahrhunderts entstand zur Erinnerung an Portugals große Entdeckungsfahrten. Meine Damen und Herren, gehen wir nunmehr gemeinsam auf große Fahrt: Wir heißen Spanien und Portugal in der europäischen Gemeinschaft demokratischer Staaten herzlich willkommen.
Vielen Dank.