Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schmidt, Ihnen müssen heute schon die Argumente ausgegangen sein, wenn Sie so irrationale Ängste schüren müssen, wie Sie das heute getan haben, und wenn Sie die Argumente so an den Haaren herbeiziehen. Ich jedenfalls habe Sie schon häufig besser erlebt. Sie haben mich heute fast enttäuscht.
Ich weiß nicht, ob wir die Situation verbessern, wenn Sie die sanfte Gewalt, die Sie anwenden wollen, durch einen mit Lächeln vorgetragenen Klassenkampf ergänzen.
— Sie wissen ganz genau, Frau Schmidt, daß unser Gesetz besser ist. Warum verschweigen Sie denn, daß bei Ihnen bisher die Sozialhilfeempfängerinnen nichts erhalten haben? Warum verschweigen Sie denn, daß die Arbeitlosenhilfeempfängerinnen bisher bei Ihnen leer ausgingen, daß natürlich auch die Männer bei Ihnen leer ausgingen? Warum verschweigen Sie, daß die Alleinerziehenden keinen Pfennig mehr erhalten haben?
Das sagen Sie natürlich nicht. Sie verschweigen auch, daß Arbeitslosengeldempfängerinnen nach unserem Gesetz besser dastehen als nach Ihren Vorstellungen. Sie wissen ganz genau, daß der Anspruch auf Arbeitslosengeld keineswegs aufgegeben wird, sondern im Gegenteil der Anspruch verlängert wird, wenn Erziehungsgeld bezogen wird.
Sie haben hier einen sehr wichtigen Teil unterschlagen. Sie nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, wenn es nicht ins Konzept paßt.
Frau Wagner, die jetzt leider auch schon weg ist
— sie ist ganz dahinten irgendwo —, hat vorhin von der Windeseile gesprochen, mit der dieses Gesetz beraten worden sei. Ich glaube, Sie hätten das nicht so empfunden, wenn Sie die ganze Zeit dabeigewesen wären. Sie haben sich j a an den Beratungen nicht so sehr beteiligt.
Das will ich Ihnen nachsehen. Aber daß Sie nicht einmal den Gesetzentwurf gelesen und nicht festgestellt haben, daß in § 15 ganz deutlich steht, daß dann, wenn ein Ehegatte arbeitslos ist, Mutterschaftsurlaubsgeld in Anspruch genommen werden kann, und daß Sie hier etwas Falsches sagen, das nehme ich Ihnen schon übel.
Meine Damen und Herren, mit dem heute zu verabschiedenden Bundeserziehungsgeldgesetz wird ein wichtiger Schritt hin zur Gleichwertigkeit von Erziehungsleistungen, die Männer und Frauen — erwerbstätige und nichterwerbstätige — erbringen, erzielt. Ich möchte behaupten, daß in dieser Anerkennung der Gleichwertigkeit die grundsätzliche Position der Unionspolitik deutlich wird, daß mit der Aussage „Erziehungstätigkeit ist ebenso viel wert wie außerhäusliche Erwerbstätigkeit" so etwas wie eine Neuorientierung der Politik überhaupt erfolgt.
Die politischen Voraussetzungen für die Durchsetzung des Modells der Wahlfreiheit werden mit diesem Gesetz endlich geschaffen. Wahlfreiheit von Mann und Frau — ich weiß, daß Sie von diesem Modell nicht sehr gerne hören — ist ein Modell der Partnerschaft. Es wurde in den letzten Monaten viel diskutiert. Vieles wurde geklärt. Manchmal sind auch neue Mißverständnisse hinsichtlich der Aufgabenbereiche und der Aufgabenverteilung von Männern und Frauen aufgekommen.
Leider machen heute Leitbilder mit Ausschließlichkeitscharakter die Runde. Ich habe es auch heute wieder gemerkt, daß Sie von der SPD diesen Ausschließlichkeitscharakter der Leitbilder nach
wie vor vertreten. Ich mcinc, darüber kann auch ihr
Modell des Erziehungsurlaubs, mit dem in Anpassung an unseren Gesetzentwurf der nicht erwerbstätigen Frau noch schnell etwas gegeben werden soll, nicht hinwegtäuschen.
Wurde jahrzehntelang die außerhäusliche Berufstätigkeit von Frauen verpönt, ja geradezu als der Frau wesensfremd betrachtet, so scheint sich der Begründungszwang nun zuungunsten derjenigen
13056 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 174. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1985
Frau Männle
zu verschieben, die das Berufsbild Hausfrau und Erzieherin der Kinder für eine bestimmte Zeit oder auch als umfassende Lebensperspektive wählen möchten. Frauen, die sich heute bewußt für Familientätigkeit entscheiden, leiden unter diesem Rechtfertigungsdruck der fehlenden Anerkennung ihrer so wichtigen Leistungen und sehen sich in die Rolle von Verwalterinnen eines als defizitär beschriebenen Aufgabenfeldes gedrängt.
Diesen Frauen möchte ich heute sagen: Eure Tätigkeit ist nicht nur für euch persönlich, nicht nur für eure Familie wichtig, sie ist eine unersetzliche Leistung auch für die Gemeinschaft.
Mit dem Erziehungsgeld für alle Mütter, erwerbstätige wie nicht erwerbstätige, sagen gerade wir auch jenen sogenannten Nur-Hausfrauen: Ihr arbeitet nicht in einer überholten Frauendomäne, in die ihr auf Grund einer falschen Erziehung quasi hineingedrängt worden seid.
Das Raster, das aufgestellt wird — außerhäusliche Erwerbstätigkeit ist gleich gelungene Selbstbestimmung und Familientätigkeit ist gleich Ergebnis einer erzwungenen gesellschaftlichen Rollenfestlegung —, greift zu kurz und ist für uns alle, und zwar für Männer und Frauen, fatal. Gesellschaftliche Attraktivität des Tätigkeitsfeldes zum alleinigen oder wichtigsten Bestimmungsfaktor des Selbstbestimmungsrechts zu erheben bedeutet, Frauen dieses Rechts zu berauben, bedeutet auch, ihnen Entscheidungsfreiheit abzusprechen. Zur Wahlfreiheit gehört, daß ich mich entscheiden können darf, ob ich Familie und Beruf miteinander verbinden möchte, ob ich berufstätig sein will oder mich ausschließlich der Familie widmen möchte. Die Entscheidung für die Familie wird jedoch diskriminiert.
Da Frau Wagner vorhin gerade davon gesprochen hat, gestatten Sie mir, ein Zitat von einer sogenannten Szene-Frau zu bringen, nachzulesen in Horx' „Das Ende der Alternativen" — für DIE GRÜNEN ein sehr interessantes Buch —, wo es heißt:
Wenn ich ehrlich bin: Ich will eigentlich gar nicht meine Erfüllung im Beruf. Ich will Mutter sein. Und verdammt,
— das ist Zitat —
das darf man eben in unserem ach so alternativen Normen- und Wertesystem nicht wollen. Plötzlich muß man sogar Rollen, die man freiwillig übernehmen will, verteidigen, weil es sie früher nur zwangsweise gab.
Ich meine, Sie von der SPD sind auch nicht weit entfernt von dieseer Position, die vorhon angedeutet worden ist.
Bei Ihnen wird eben nicht die von Männern und Frauen erbrachte Erziehungsleistung in gleicher Weise finanziell anerkannt, unabhängig davon, ob sie im Interesse des Wohles des Kindes ihre Berufstätigkeit lediglich unterbrechen oder sich schon bisher voll den familiären Aufgaben widmen. Letzteres wird bei Ihnen nach wie vor geringer bewertet und zudem von der Einkommenssituation abhängig gemacht.
Nach Ihrem Gesetzentwurf werden unabhängig von der finanziellen Situation zwei außerhäuslich Erwerbstätige für ihre Familienleistungen belohnt. Familien mit höherem Einkommen, in denen sich die Frau ausschließlich der Familie widmet, gehen jedoch leer aus.
Ich darf einmal ein eigenes Beispiel bringen. Ich verstehe wirklich nicht, wieso bei Ihnen Erwerbstätige und Nichterwerbstätige anders behandelt werden sollen. Ich habe mich für Erwerbstätigkeit entschieden. Würde ich ein Kind bekommen, bekäme ich nach Ihrem Entwurf 750 DM. Meine Schwester, die mit Leib und Seele Hausfrau und Mutter ist, würde 600 DM bekommen.
Nehmen wir einmal an, ich hätte einen Kollegen geheiratet, also einen Mann, der auch berufstätig ist, dann bekäme ich selbstverständlich auch 750 DM. Aber bei meiner Schwester, die einen Bankangestellten geheiratet hat, hätte man nachgeschaut, wieviel sie insgesamt verdienen, und sie hätte dann entweder nur 600 DM oder gar nichts bekommen. Meine Damen und Herren, ist das denn gerecht?
Ich finde die unterschiedliche Bewertung, die Sie damit vornehmen, nicht gerecht.
Ich meine, die Selbstverständlichkeit, mit der die Gleichstellung von Frau und Mann hinsichtlich der Bewertung ihrer Erziehungsleistungen erfolgt, sollte dringend durch die Gleichstellung von Frau und Frau ergänzt werden. Es geht nicht nur um die Gleichstellung von Mann und Frau, sondern auch um die Gleichstellung von Frau und Frau.
Aber ich kann verstehen, daß Sie sich von Ihren alten Vorstellungen nur halbherzig lösen,
von Ihrer Skepsis gegenüber einer finanziellen Honorierung der in der Familie erbrachten Leistungen.
Eines ist bei Ihrem Entwurf auffallend: Widmet sich der Mann der Erziehung und ist er bereit, Erziehungsgeld in Anspruch zu nehmen, so erhält die Familie sozusagen einen Bonus. Diese Tätigkeit des Mannes wird zusätzlich gewertet. Es ist ein kleines Zuckerstückchen für den Mann, das Sie in Ihren Gesetzentwurf einbeziehen. Aber es ist interessant,
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Frau Männle
daß dies auch bei Ihnen skeptisch betrachtet wird. Sie kennen Gisela Erler. Sie sagt:
Wir sind zwar theoretisch nicht mehr grundsätzlich gegen das Kinderkriegen, aber den zentralen Stellenwert von Familienpolitik möchten wir uns nicht klarmachen.
Die einzige Familienpolitik, die uns einfällt, besteht darin, einen Vaterschaftsurlaub zu fordern. Als Zusatz gern, als Kernstück — eine bizarre Verleugnung unserer eigenen Interessen!
Ich darf ein Fazit ziehen. Das Erziehungsgeld ist keine ausschließlich sozialstaatliche Leistung. Das Erziehungsgeld ist nicht nur materielle Hilfe für Familien; es ist auch ein Beitrag zur gesellschaftlichen Bewußtseinsbildung.
Mit dem Erziehungsgeldgesetz wird ein erster entscheidender Schritt getan. Die derzeitige Bezugsdauer — endend nach dem zehnten Monat oder später nach einem Jahr — erscheint jedoch unter pädagogischen Gesichtspunkten nicht ausreichend.
Viele Mütter erfahren dies schmerzlich. Die frühkindliche Entwicklung ist mit einem Jahr noch keineswegs abgeschlossen. Eine Verlängerung des Erziehungsurlaubs ohne staatliche Zuwendungen, ein unbezahlter Familienaufenthalt, wie der SPD-Entwurf ihn vorsieht, wäre ein großzügiges Geschenkpaket des Gesetzgebers, jedoch ohne nennenswerten Inhalt. Dieses wohlklingende, aber hohle Angebot grenzt insbesondere Familien mit geringem Einkommen aus.
Statt solcher Scheinangebote auf Bundesebene ist die Mitbeteiligung der Länder an der Lastenverteilung der Familienförderung geboten.
Unionsregierte Länder waren schon bis jetzt vorbildlich; sie haben sogar eine Schrittmacherfunktion für den Bund ausgeübt. Ihnen allen möchte ich heute von hier aus einen herzlichen Dank sagen, den ich mit der Aufforderung verbinden möchte, das bisherige Erziehungsgeld als Anschlußprogramm zu entwickeln und auszubauen. Auch von Bayern, dem Bundesland, aus dem ich komme, erwarte ich, daß es die bisherigen Familiengründungsdarlehen in ein Erziehungsgeld für ein zweites Jahr umwandelt.
Wir machen in Verzahnung von Bund und Ländern Familienpolitik aus einem Guß. Wir fordern die SPD-regierten Länder auf, nicht beiseite zu stehen. Benachteiligen Sie in Ihren Ländern nicht länger die Frauen, die Männer und die Familien! Wir werden überprüfen, ob Sie das tun.
Meine Damen und Herren, das Erziehungsgeldgesetz hat viele Väter und Mütter. Heute, nachdem das Kind endlich in die Wiege gelegt werden kann, bekennen sich alle zu ihm. Frauen und Männer innerhalb der Union, die Landesregierungen und Parteigremien haben Entscheidendes beigetragen. Ihnen allen meinen Dank!
Wir alle wissen, daß es mit der Geburt nicht getan ist. Vielfältige weitere Bemühungen sind notwendig. Wir werden die nächsten Schritte verantwortungsvoll tun.