Rede von
Gerd Peter
Werner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier begründen, warum ich dem Entschließungsantrag der GRÜNEN zustimmen mußte. Ich bin Pazifist geworden. Ich war sechs Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Auf einer Dorfstraße in Schleswig-Holstein erlebte ich in dieser Zeit — wie gesagt, als Sechsjähriger —, wie zwei Männer in militärischer Uniform einen dritten, ebenfalls in Uniform, regelrecht massakrierten, den reglosen Körper in den Straßengraben rollten. Ich habe dieses Bild nie vergessen können.
Ich war etwa zwölf Jahre alt, als zum erstenmal bekannt wurde, daß Adenauer Pläne für eine deutsche Wiederbewaffnung hatte. Da wußte ich schon mit Entschiedenheit: Ich werde niemals Soldat werden.
Ich war etwa 15, als mein Lehrer mich für ein Schüleraustauschjahr in den USA vorschlug. Ich wurde zu einem Interview der Schulbehörde geladen und habe dort auf Befragen schon damals, als 15jähriger, meine Zweifel an Adenauer geäußert, insbesondere meine Befürchtung, Adenauer habe heimlich, ohne vorher eine öffentliche Meinungsbildung herbeizuführen, den Amerikanern deutsche Soldaten angeboten. Nun, ich wurde nicht in die USA geschickt, und andere, die ausgewählt und dorthin geschickt wurden, haben mich später ausgelacht wegen meiner mangelnden Bereitschaft zur Anpassung.
So waren die 50er Jahre: muffig! Und in diesen Jahren wurde die Bundeswehr gegründet.
Kurz bevor ich meinen Termin zur Anerkennung, zur Überprüfung meines Gewissens als Kriegsdienstverweigerer hatte, erfuhr ich, wie es einem Onkel von mir im letzten Krieg ergangen war. Er war als Soldat in Polen als Bewacher in einem KZ eingesetzt worden. Nach kurzer Zeit wählte er den einzigen ihm möglichen Ausweg: Selbstmord. In meiner Verhandlung wurde mein Gewissen anerkannt, und ich muß hier erklären, ich bin sehr dankbar, daß ich als Bundesbürger die Möglichkeit nach unserem Grundgesetz habe, diese Gewissensentscheidung zu wählen. Mein Onkel, wie gesagt, hat diese Möglichkeit nicht gehabt.
Meine Zweifel an der heutigen wie damaligen Praxis der Gewissensüberprüfung will ich hier nicht darlegen. Ich möchte aber doch kurz auf einen Punkt hinweisen. Das Wort Gewissen kommt in unserem Grundgesetz nicht nur in Art. 4 für die Kriegsdienstverweigerer vor, sondern auch in Art. 38 für uns Abgeordnete, dort allerdings ohne die Möglichkeit irgendeiner rechtlichen Überprüfung. Sonst wäre es ja wohl auch nicht möglich, daß sich Gewissensentscheidungen in diesem Hause exakt entlang einer gewissen Linie — so hier in der Mitte des Hauses — vollziehen.
Ich habe bereits 1961 meinen damals so genannten „zivilen Ersatzdienst" geleistet, hier in Bonn, oben auf dem Venusberg, in der Klinik. Da ein dortiger Verwaltungsdirektor uns KDVer, wie man uns im alten Jargon nannte, auf Grund seiner politischen Vergangenheit als suspekt betrachtete, durfte ich nicht in der Krankenpflege arbeiten, sondern mußte Rasen mähen, das Heizkraftwerk bewachen, Mülltonnen leeren und z. B. auch in einem großen Gasofen Tierleichen verbrennen — die Ergebnisse wissenschaftlicher Experimente mit Hunden, Katzen, Schafen, Kaninchen usw.
Ich denke, daß diese kurzen biographischen Notizen deutlich machen, warum ich hier nicht anders kann, als dem Entschließungsantrag der GRÜNEN zuzustimmen.
Ich kenne wohl das Argument, daß ich hier nur deshalb reden kann, weil die anderen meine Freiheit mit Hilfe von Waffen schützen.
Aber dem steht immer noch gegenüber, was ich schon in den 50er Jahren empfunden habe: Die Wiederbewaffnung ist ohne vorherige öffentliche Meinungsbildung durchgeführt worden — um den Preis der Wiedervereinigung Deutschlands.