Rede von
Norbert
Mann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der GRÜNEN lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab,
weil er trotz einer an sich löblichen Zielsetzung der Verbesserung der strafprozessualen Garantien für Gefangene ein Sondergesetz festschreibt, das mit den Grundsätzen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, vor allem mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nicht vereinbar ist.
Erinnern wir uns: In einem in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte beispiellosen Schnellverfahren wurde im Herbst 1977, genau am 28. und 29. September, aus Anlaß der Entführung Schleyers das Kontaktsperregesetz verabschiedet. Der Verdacht, diese Aktion, die Entführung, werde über die Verteidiger zwischen den inhaftierten und den in Freiheit befindlichen RAF-Terroristen gesteuert, diente als Rechtfertigung, der Exekutive die Befugnis einzuräumen, Gefangene vollständig von der Außenwelt und innerhalb der Anstalt zu isolieren.
Heute, acht Jahre nach dem Herbst 1977, sollte die Zeit eigentlich reif sein, die damals getroffene gesetzliche Fehlentscheidung zurückzunehmen. Das setzt allerdings voraus, daß in dieser unserer Republik eine rationale Auseinandersetzung mit dem Terrorismus möglich wäre. Herr Kollege Dr. Stark und meine Kollegen vor allem von dieser Seite des Hauses, nach dem, was ich hier bisher gehört habe und auch von der Atmosphäre vernommen habe, ist es offenbar leider immer noch nicht möglich, sich hier mit dem Phänomen des Terrorismus rational auseinanderzusetzen.
Aus Anlaß des heimtückischen und abscheulichen Mordes an Dr. Ernst Zimmermann hat der Herr Bundestagspräsident Dr. Jenninger am 7. Februar 1985 an dieser Stelle u. a. erklärt:
Diese zweite deutsche Republik — der freiheitlichste Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hat —
wird niemals durch die Taten einiger irregeleiteter Gewalttäter aus den Angeln gehoben werden können.
Betrachten wir die unter dem Oberbegriff der Terrorismusbekämpfung zwischen 1970 und 1980 verabschiedeten Maßnahmen zur Änderung des materiellen und des formellen Strafrechts in ihrer Gesamtheit, so läßt sich leider feststellen, daß die sich als staatstragend bezeichnenden politischen Kräfte unter der Devise, der Rechtsstaat werde auf die konkrete Situation abgestellt — das ist übrigens ein Zitat des damaligen Justizministers Dr. Hans-Jochen Vogel —, selbst den demokratischen Rechtsstaat an seinen Wurzeln gefährden. Die systematische Erweiterung der Befugnisse der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften und der Strafgerichte hat nämlich zu einer strukturellen Verkehrung der traditionellen Funktion der Grund- und Verfahrensrechte geführt. Diese Rechte wandeln sich von Schutznormen der Bürger gegen und gegenüber dem Staat zu Staatsschutznormen.
Unsere Fraktion sieht in dieser gefährlichen Tendenz der Verrechtlichung der Entrechtung, die in den alltäglichen Strafprozeß ausstrahlt, substantielle Gefahren für den Rechtsstaat.
Ich möchte noch einmal Hans-Jochen Vogel zitieren, diesmal aus der Sitzung des Bundestages vom 11. Oktober 1974:
Der fundamentale Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und einem Machtstaat offenbart sich nicht zuletzt darin, wie ein Staat mit einem Beschuldigten, mit einem angeklagten Bürger umgeht,
12410 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Oktober 1985
Mann
dem gegenüber er von seiner Strafjustiz Gebrauch macht.
An diesem Maßstab gemessen, handelt es sich beim Kontaktsperregesetz einschließlich der heute anstehenden scheinliberalen Nachbesserung um eine machtstaatliche Maßnahme.
In Übereinstimmung mit dem Republikanischen Anwaltsverein und der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins fordern die GRÜNEN im Bundestag die Aufhebung des Kontaktsperregesetzes.
Ich will noch auf zwei wichtige Kritikpunkte des Änderungsentwurfs eingehen. Mit der Kontaktperson wird die Figur des doppelter Loyalität verpflichteten Rechtsanwalts, der die Funktion eines strafprozessualen Staatskommissars wahrnimmt, geschaffen. Wie der RAV befürchten wir, daß dadurch in der Öffentlichkeit das Vertrauen in den Anwalt als Garanten zur Verwirklichung der Rechte des Beschuldigten beeinträchtigt werden kann. Der Deutsche Anwaltverein sieht im Kontaktsperregesetz zu Recht ein Mißtrauen gegenüber der Anwaltschaft, das sich durch die Änderung noch verstärken würde. Waren nämlich bisher alle Verteidiger von einer Kontaktsperre betroffen, sozusagen gemeinsam diskriminiert, so würde nunmehr der Verteidiger des Beschuldigten diskriminiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Inhumanität von schallisolierten Einzelzellen, Hochsicherheitstrakten, Trennscheiben und der steingewordene Irrtum von Stammheim mahnen uns zur Umkehr.
Stimmen Sie mit uns für eine Aufhebung des Kontaktsperregesetzes!
Ich möchte hiermit schon ankündigen, daß ich gleich den entsprechenden Antrag kurz begründen werde.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.