Rede von
Kurt
Vogelsang
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Danke, Herr Präsident.
Frau Minister Wilms, wenn Sie meinen, das Trennende müßte hervorgehoben werden, möchte ich Ihnen einen Hinweis geben.
Sie haben die Erblast nicht erwähnt. Werfen Sie uns doch einfach vor, daß wir Ihnen die geburtenstarken Jahrgänge überlassen haben. Das wäre doch ein Erblastargument. Das wäre etwas Neues. Das hat bisher noch keiner gebracht.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer Situation, in der nicht nur die Zahl der Ausbildungsplätze, sondern auch die Zahl der Unversorgten zunimmt. Ich sage Ihnen: Nichts spricht dafür, daß wir im nächsten Jahr günstiger dran sind. Es mag ja Schätzungen geben, etwa in der Form, daß man sagt: Auf Grund des Rückgangs der Zahl der Schüler wird die Nachfrage geringer. Wir erleben, daß die Zahl der Schüler zwar zurückgeht — so z. B. in diesem Jahr —, daß aber die Nachfrage trotzdem zunimmt. Das ist auch leicht zu erklären. 30% der Jugendlichen, die in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz haben wollten, haben die Schule bereits früher als 1985 verlassen. Wir haben also ein großes Potential von jungen Leuten, die zwar bereits aus den Schulen entlassen wurden, die aber in den jeweiligen Schulentlaßjahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Deshalb sind wir zum Handeln aufgerufen.
— Wenn von der Regierungsbank auch keine Zwischenrufe gemacht werden dürfen, so will ich Ihren
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Oktober 1985 12399
Vogelsang
Zuruf trotzdem aufnehmen; meine Altersschwerhörigkeit ist noch nicht so weit, Frau Minister. — Ich korrigiere mich: Wenn wir nicht mehr tun, dann werden wir auch in den nächsten zwei, drei Jahren Situationen erleben, die denen der letzten drei Jahre ähnlich sind.
Wir haben Ihnen mit unserem Sofortprogramm ein Angebot gemacht. In bezug auf Ziffer 1 gibt es Meinungsübereinstimmung. In bezug auf Ziffer 2 gibt es auch Meinungsübereinstimmung. Wenn ich richtig sehe, herrscht in bezug auf Ziffer 3 ebenfalls Meinungsübereinstimmung. In bezug auf Ziffer 4 ist das offensichtlich auch der Fall — ich finde, die Aufzählung ist ganz nützlich, denn einige lesen jetzt einmal nach, was im Sofortprogramm drinsteht —,
weil Sie ja selber mit Recht darauf hinweisen können, daß die Zahl der Ausbildungsplätze im Verantwortungsbereich des Bundes gestiegen ist.
Nun komme ich zu Ziffer 5. Es ist falsch zu sagen: Die Wirtschaft bildet aus.
Ich freue mich ja, daß der CDU-Antrag wenigstens in einem Punkte meine Zustimmung findet, nämlich dort, wo in ihm von der „ausbildenden" Wirtschaft die Rede ist.
Frau Minister, niemand will die Wirtschaft verunsichern. Das will niemand, auch wir nicht. Das ist eine Unterstellung.
— Das ist nicht wahr. Sie behaupten hier in Abwehrhaltung etwas, ohne zu differenzieren. Sie können es doch; bitte tun Sie es doch einmal.
— Wir sind ja immerhin zusammen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft.
Ich denke, es sollte doch unser gemeinsames Bestreben sein, uns an die Betriebe zu wenden, die eben nicht ausbilden, an denen unsere Appelle, an denen Ihre Appelle, an denen die Appelle anderer Leute bisher abgetropft sind wie das Wasser an der Ente.
Das sind feste Blöcke. Es ist ja nicht so, daß es ein Hin und Her zwischen ausbildenden Betrieben und nicht ausbildenden Betrieben gäbe. Wenn wir uns auf genau diese Zielrichtung verständigen könnten, dann, meine ich, könnten wir für den Herbst nächsten Jahres mehr bewegen, als wir das bis jetzt tun können. Das habe ich gemeint, als ich soeben davon sprach, wir müßten mehr tun.
Denjenigen, der meint, das habe keine Bedeutung, den will ich mit Zahlen langweilen. Wenn nur 25% der nicht ausbildenden Betriebe je einen Auszubildenden einstellen würden, dann wären das zusätzlich 100 000 Ausbildungsplätze.
So groß ist nämlich die Zahl derer, die nicht ausbilden.
Wenn wir wenigstens in dieser Zielrichtung einig sind, dürfen wir durchaus in einen edlen Wettstreit der Lösungsvorschläge eintreten. Wenn Sie uns dann bessere Lösungsvorschläge machen, als wir sie haben, sind wir gern bereit, sie zu übernehmen.
Zum Abschluß darf ich dazu noch eine persönliche Meinung äußern. Frau Minister Wilms, es hat keinen Sinn, auf diesem Feld in Abwehrhaltung gegen die Auffassung, es werde zuwenig getan, die Ausbildungsrekorde immer wie einen Schild, wie ein Banner vor sich herzutragen.
— Ich räume ein: Das macht sich gut. Sie müssen aber auch diejenigen sehen, die keine Ausbildungsplätze bekommen; denn das sind in den letzten drei Jahren, Gott sei es geklagt, immer mehr geworden.
Der Bundeskanzler hat gestern bezüglich der Ausbildung und der Lehrstellen gesagt
— das würde ich nicht sagen; aber was sollten Sie anderes dazwischenrufen. Herr Daweke, das sehe ich ein; das fördert die Karriere —, daß es die jungen Menschen, die eine Ausbildung bekommen, eine persönliche berufliche Perspektive haben, daß sich durch diejenigen, die eine Ausbildung bekommen, die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, daß diejenigen, die eine Ausbildung bekommen, außerdem auch persönlich auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger sind. Das heißt aber doch im Umkehrschluß: All diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, haben keine Perspektive; sie fördern die Wettbewerbsfähigkeit nicht, und sie haben auch selber wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ich meine, das sollte auch Grundlage für unser zukünftiges politisches Handeln sein.