Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man soll Chancen nicht wahrnehmen, wenn sie sich so leicht bieten. Lieber Gert Weisskirchen, Sie haben verheißungsvoll angefangen. Ich wollte auch auf die gestrige Jugend-Fragestunde zu sprechen kommen. Denn als im ersten Arbeitskreis über das Thema Ausbildungsplätze berichtet wurde, gab es ja, wie an Beifall und Widerspruch leicht zu erkennen war, offenbar sehr verschiedene Ansichten unter den jungen Leuten.
Ich finde — ich greife das auf, was Sie sagen, ganz ernst —, daß wir uns — das Internationale Jahr der Jugend nähert sich seinem Ende — alle gemeinsam anstrengen sollten, den jungen Leuten in unseren verschiedenen Vorschlägen, in unseren verschiedenen Denkansätzen das zu bieten, was sie eigentlich verdienen, nämlich den Wettstreit um die möglichst beste Lösung der Probleme. Dazu gehört, so meine ich, auch, daß wir uns einerseits — ich hatte wirklich die Hoffnung, das wäre heute besser möglich — nicht zu Horrorgemälden verleiten — und es kam dann doch wieder dazu — und uns anderer-
12392 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 165. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Oktober 1985
Neuhausen
seits nicht zu Verharmlosungen verführen lassen. Man nimmt ja den verbleibenden Problemen nichts von ihrer Dringlichkeit, wenn man die Proportionen zunächst einmal richtig beleuchtet — das hat Kurt Rossmanith getan — und feststellt, daß ein Ausbildungsplatzangebot von 730 000 Lehrstellen ein Ergebnis ist, das eben dem allergrößten Teil der Schulabgänger einen Einstieg in das berufliche Leben bietet, und daß von einer, wie manchmal behauptet wird — das klang soeben an —, „verlorenen Generation" überhaupt keine Rede sein kann. Man nimmt, meine Damen und Herren, diesem Erfolg andererseits nichts von seiner tatsächlichen Bedeutung, wenn man Sorge um die zum Stichtag, um mich auf das Datum zu beziehen, unversorgten 60 000 Bewerber trägt. Es gibt eben kein Licht ohne Schatten. Beides zusammen stellt erst die ganze Wirklichkeit dar.
Deswegen müssen wir zunächst einmal ganz konkret sein und sagen, die Bemühungen um eine weitere Mobilisierung des Ausbildungsstellenangebots und der Nachvermittlung müssen fortgesetzt werden. Trotz allem, was hier soeben kritisch gesagt worden ist, meine ich: Die Erfolge der Nachvermittlung des letzten Jahres können sich doch sehen lassen. Auch in diesem Jahr können Bund, Länder und Gemeinden — ich will einmal an die öffentlichen Hände appellieren — weiterhin einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
Zu diesen Bemühungen gehört natürlich auch der Wunsch, das „Programm des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zur Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher" noch einmal aufzustocken. Hier ist in den vergangenen Jahren Erhebliches geleistet worden, und zwar im Haushalt und im Ministerium für Bildung und Wissenschaft ebenso wie in den Einrichtungen, überall mit großem Engagement. Wenn ich von der Notwendigkeit der Aufstockung spreche, will ich Sie nicht mit Schätzwerten oder irgendwelchen Zahlen belästigen, sondern einmal ein konkretes Beispiel nennen und aus einem Brief der Leiterin des Berufsförderungswerkes Gütersloh, das vom KolpingBildungswerk getragen wird, zitieren. Sie schreibt:
Es liegen also wesentlich mehr Bewerbungen jetzt vor, als Ausbildungsplätze zu besetzen sind. Die Not dieser jungen Menschen und die Sorgen der Eltern kann ich kaum schildern. Viele haben bereits zwei oder drei Jahre gewartet: Berufsvorbereitungsjahr, MBSE, Berufsgrundschuljahr. Sie erfüllen die Eingangsvoraussetzungen; vom Arbeitsamt wurden die Förderungskriterien geprüft. Trotzdem müssen wir
— die Einrichtung —
sagen: Es tut uns leid, wir können euch nicht in die Ausbildung nehmen. Wir hätten die räumlichen Möglichkeiten, aber helfen kann nur eine Aufstockung des Benachteiligtenprogramms.
Ich bedanke mich ausdrücklich nicht nur bei den Mitgliedern unseres Ausschusses, sondern auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, vor allem — Sie werden das verstehen — bei meiner Kollegin Frau Seiler-Albring dafür, daß sie sich für eine solche Aufstockung eingesetzt haben.
Meine Damen und Herren, wie in diesem Fall muß man natürlich auch andere Lösungsvorschläge an konkreten Beispielen messen. Herr Weisskirchen hat welche genannt. Ich meine damit die erneut in die Diskussion eingebrachte Umlagefinanzierung. Sie wissen — ich brauche das nicht zu wiederholen —, ich bin ein gebranntes Kind. Ich habe bei mehreren sehr ausbildungsintensiven Betrieben vornehmlich im Handwerk in meinen Diskussionen der letzten Wochen keinerlei Zustimmung, sondern nur einhellige Ablehnung dazu erfahren, gerade von denen, die ausbilden.
Das hängt natürlich auch mit den Vorschlägen, wie sie auf dem Tisch liegen, zusammen. Denn im Antrag der SPD über ein Sofortprogramm heißt es, die Abgabe solle für gar nicht oder unterdurchschnittlich ausbildende Betriebe gelten. Im gestrigen Antrag der Fraktion der GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung wird die Abgabe für Betriebe, die kein hinreichendes Angebot zur Verfügung stellen, gefordert. Heute liegt ein weiterer Antrag vor, aber die Grenzen, die Bezugsgrößen, die Verhältnisse bleiben im unklaren. Und wenn ich dann noch sehe, was die Konferenz der SPD-Fraktionsvorsitzenden im März 1985 erwogen hat — eine Ausbildungsquote von 4 % zugrunde zu legen —, dann muß ich den Schluß ziehen, daß man mit solchen Ideen den mittelständischen Betrieb — das wird einem deutlich gemacht — praktisch verunsichert, der bei 100 Beschäftigten 14 Lehrplätze zur Verfügung stellt, vom Handwerksmeister mit 3 Gesellen und 4 Lehrlingen ganz zu schweigen.
Meine Damen und Herren, die Folgen kann man sich leicht vorstellen. Es darf auf dem Hochplateau der Ausbildungsstellennachfrage keine neue Verunsicherung der ausbildenden Betriebe durch neue Bürokratien, neue Erhebungs- und Verteilungsgremien geben. Das alles wäre jetzt kontraproduktiver denn je.
Meine Damen und Herren, es gibt schon Verunsicherungen genug. In einer Aktuellen Stunde der letzten Sitzungswoche ist die angebliche Erkenntnis in die Diskussion eingeführt worden, daß das Handwerk seine Ausbildungsintensität mit dem Abbau von Arbeitsplätzen für Vollerwerbskräfte kompensiere. Ich habe in den Diskussionen das Echo erleben müssen. Wie alle undifferenzierten Behauptungen dieser Art hilft auch das niemandem. Es schreckt ab und wird als Undank für große Anstrengungen empfunden.