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ID1016403300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/164 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 164. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 16. Oktober 1985 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. George . . . . 12261 A Begrüßung von 520 jugendlichen Mitbürgern 12269 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung Dr. Kohl, Bundeskanzler 12261 D Dr. Vogel SPD 12269 D Dr. Dregger CDU/CSU 12279 D Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 12283 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 12285 D Dr. Waigel CDU/CSU 12289C, 12291 C Roth SPD 12289 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 12295 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 12301 B Bueb GRÜNE (zur GO) 12305 A Seiters CDU/CSU (zur GO) 12305 B Frau Fuchs (Köln) SPD 12305 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 12307 D Dr. Hauff SPD 12312 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 12314 B Dr. Ehrenberg SPD 12321 C Urbaniak SPD 12324 B Oostergetelo SPD 12325 C Vizepräsident Frau Renger 12321 C Namentliche Abstimmung 12327 D Nächste Sitzung 12329 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 12330* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Oktober 1985 12261 164. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 164. Sitzung, Seite W A; Vier mal ist statt „Dr. Florian BML" „Dr. Florian BMP" zu lesen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein *** 18. 10. Dr. Ahrens * 18. 10. Antretter 18. 10. Bahr 16. 10. Dr. Bangemann 16. 10. Biehle *** 17. 10. Brandt 16. 10. Büchner (Speyer) * 17. 10. Dr. Corterier *** 17. 10. Egert 16. 10. Dr. Ehmke (Bonn) 17. 10. Ertl 16. 10. Francke (Hamburg) *** 16. 10. Funk 18. 10. Gansel *** 16. 10. Dr. von Geldern 16. 10. Gerstein 18. 10. Glos 16. 10. Haase (Fürth) * 18. 10. von Hammerstein 16. 10. Horn *** 16. 10. Dr. Hüsch 16. 10. Dr. Hupka *** 16. 10. Ibrügger *** 16. 10. Jungmann *** 16. 10. Dr.-Ing. Kansy *** 17. 10. Kolbow *** 16. 10. Dr. Kreile 18. 10. Frau Krone-Appuhn *** 16. 10. Kühbacher 18. 10. Dr. Kunz (Weiden) *** 17. 10. Dr.-Ing. Laermann 18. 10. Lange *** 17. 10. Lattmann *** 16. 10. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich * 17. 10. Frau Dr. Lepsius 18. 10. Frau Dr. Martiny-Glotz 18. 10. Dr. Mertens (Bottrop) 16. 10. Dr. Müller * 18. 10. Müller (Remscheid) 16. 10. Neumann (Bramsche) 18. 10. Dr.-Ing. Oldenstädt 18. 10. Pfeffermann 16. 10. Reddemann ** 18. 10. Frau Roitzsch (Quickborn) 18. 10. Ronneburger *** 16. 10. Roth 18. 10. Sander 17. 10. Sauer (Salzgitter) *** 17. 10. Dr. Schneider (Nürnberg) 18. 10. Schröer (Mülheim) 17. 10. Schulte (Unna) ** 18. 10. Frau Simonis *** 16. 10. Dr. Todenhöfer 18. 10. Frau Traupe *** 17. 10. Verheugen 18. 10. Voigt (Frankfurt) 18. 10. Dr. Warnke 17. 10. Dr. von Wartenberg *** 18. 10. Weiß *** 17. 10. Frau Dr. Wex 16. 10. Dr. Wörner 18. 10. Würtz *** 16. 10. Zierer *** 16. 10. Dr. Zimmermann 18. 10. *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich gewußt hätte, daß der Kollege Roth unerwartet schwach ist, hätte ich nicht verzichtet.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber ich hatte gehofft, es käme etwas Besseres. Doch ich räume Ihnen gern ein: Die Zeit war zu kurz. Das hat er selber angedeutet. Ihm haben die zehn Minuten gefehlt, die ihm sein Fraktionsvorsitzender in der bekannten Ellbogenmanier in der Fraktionsspitze der SPD weggenommen hat,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    wobei ich sie rein ökonomisch bei Herrn Vogel gern entbehrt und dem Kollegen Roth durchaus zugebilligt hätte, denn dann wäre wahrscheinlich etwas Vernünftigeres herausgekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich wundere mich nur, Herr Kollege Roth, daß Sie vor der Verschuldung in den Vereinigten Staaten zu sehr warnen — zu Recht warnen — und die Risiken für die Weltwirtschaft darstellen, aber im eigenen Bereich die Verschuldung fortführen wollen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wo denn? Das ist doch falsch, was Sie da sagen!)

    Wenn es stimmt, daß diese hohe Verschuldung in Amerika und für die Weltwirtschaft zu den Problemen führt, dann müssen Sie doch vor Ihrem Kanzlerkandidaten Rau warnen; denn der führt das doch fort.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie will ich denn auf der einen Seite Solidität, eine vernünftige Finanzpolitik mit Senkung von Zinsen und höhere Investitionen ermöglichen, wenn ich andererseits alle Kürzungen, die notwendig waren, um die Mißwirtschaft der SPD zu beseitigen,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Vermögensteuer! Ergänzungsabgabe!)

    rückgängig mache, dadurch wieder mehr Schulden mache und damit dem Beispiel folge, mit dem im Augenblick jedenfalls die Amerikaner trotz guter Ansätze ihre Probleme haben, Probleme, die sie sozusagen auch in die Welt exportieren?
    Die dritte Vorbemerkung. Wir freuen uns, wenn die SPD bei der Europapolitik mitzieht. Nur: Sehr viel Aktivität, sehr viel Initiative war hier in den letzten Jahren nicht zu vermerken, während wir mit Bundeskanzler Kohl in der Europapolitik unter den europäischen Freunden ganz vorn waren und bei jeder entsprechenden Konferenz die Bahnbrecher dafür waren, um das Notwendigste durchzusetzen

    (Zuruf der Abg. Dr. Vogel [SPD] und Dr. Hauff [SPD])

    und um schlimmere Dinge zu verhindern, die durchaus hätten eintreten können.



    Dr. Waigel
    Wir haben in diesem europäischen Konzert durchaus die wirtschaftspolitische Führungsfunktion. Ihre Freunde in Frankreich, die Sozialisten, mußten ja einen dramatischen Kurswechsel ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik durchführen, um wieder zu einer insgesamt vernünftigen nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu kommen.
    Von den vier Zielen des Stabilitätsgesetzes — darauf hat der Kanzler hingewiesen — sind drei Ziele erreicht. Unsere Wirtschaft ist im dritten Jahr der konjunkturellen Aufwärtsbewegung. Das Stabilitätsziel ist mit einer Preissteigerungsrate von rund 2 % praktisch erreicht. Die Handels- und Leistungsbilanz weist Rekordüberschüsse auf. Diese Überschüsse sind nicht nur ein Resultat der Dollarkurs-Entwicklung, sondern in ihnen spiegelt sich die wiedergewonnene internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wider.
    Wer behauptet — das ist wieder versucht worden —, die konjunkturelle Erholung habe sich auf dem Arbeitsmarkt nicht niedergeschlagen, betreibt Demagogie oder ist geistig unfähig, Fakten zur Kenntnis zu nehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Auf dem Arbeitsmarkt hat sich mittlerweile eine eindeutige Trendwende vollzogen, abzulesen an der Entwicklung der Zahl der Kurzarbeiter,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Und den mehr als 2 Millionen Arbeitslosen auf Dauer!)

    der Beschäftigten und der Lehrstellen; das kann niemand leugnen.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Übergang von einer roten auf eine schwarze Regierung brachte in wirtschaftlicher Hinsicht einen Übergang von den roten in die schwarzen Zahlen. Das wird auch so bleiben, über 1987 hinaus.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit, Herr Dr. Vogel, hat das reale Sozialprodukt zugenommen. Der Saldo der Leistungsbilanz, die Realeinkommen der Arbeitnehmer,

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie haben Einkommensabbau betrieben!)

    die Zahl der Ausbildungsverträge und — das Wichtigste — die Zahl der Beschäftigten nehmen wieder zu,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben die Abgaben erhöht, Sie haben die Steuern erhöht!)

    während die Zahl der Beschäftigten am Ende Ihrer Regierungszeit dramatisch nach unten gegangen ist. Die Beschäftigtenzahl ging nach unten und die Arbeitslosenzahl nach oben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich würde Ihnen, Herr Kollege Vogel, wenn Sie wieder wirtschaftspolitische Reden halten, wenigstens raten, vorher in der „Zeit" bei Helmut Schmidt nachzulesen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Der gilt nichts mehr bei denen! — Dr. Vogel [SPD]: Das sagt der jetzt zum hundertsten Mal! Langweiler!)

    Mit dem Mann waren wir in vielen finanz- und wirtschaftspolitischen Dingen zwar nicht einverstanden, aber daß er davon — im Gegensatz zu Ihnen — etwas versteht,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege!)

    wird man nicht bestreiten. Er jedenfalls hat schon vor Wochen festgestellt, daß diese Arbeitslosigkeit, diese leider jetzt immer noch währende Massenarbeitslosigkeit natürlich nicht zu Lasten dieser Regierung geht.

    (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    — Entschuldigung, wenn Helmut Schmidt — „Schmidt statt Kohl", sagt er — heute eine Wertung abzugeben hätte, wem er ökonomisch, finanzpolitisch, wirtschaftspolitisch näherstünde, dann würde er sich,

    (Kolb [CDU/CSU]: Wenn er ehrlich wäre!)

    wenn er nicht noch einmal zu Ihnen in die Fraktion kommen müßte, jedenfalls für diese Seite hier entscheiden, gar keine Frage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Jeder, der diese Fragen ernsthaft debattiert, weiß natürlich, daß die demographische Herausforderung, d. h. die Frage des Zugangs vieler junger Menschen zum Arbeitsmarkt, das große Problem ist und daß die absolute Zahl hinsichtlich der Arbeitslosigkeit deswegen noch nicht entscheidend gesenkt werden konnte. Wir müssen die Fakten zur Kenntnis nehmen und sehen, daß in den Jahren 1977 bis 1984 1,4 Millionen junge Menschen zusätzlich auf den Arbeitsmarkt gedrängt sind

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Deswegen müssen Sie etwas tun!)

    und wir deswegen jedes Jahr neue Arbeitsplätze schaffen müssen,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Tun Sie es mal!)

    um die Arbeitslosigkeit, die Massenarbeitslosigkeit bewältigen zu können.
    Meine Damen und Herren, wenn ich aus den Reihen der Opposition höre, binnen eines Jahres sei es möglich, die Zahl der Arbeitslosen um 500 000 bis 1 Million zu senken,

    (Dr. Vogel [SPD]: Was hat denn der Herr Geißler gesagt?)

    so kann ich dies nur als den Versuch der Opposition ansehen, mit Hilfe traumtänzerischer Versprechungen auf Wählerjagd zu gehen. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum — das wird niemand bestreiten — ist die Zahl der Beschäftigten gegenwärtig um rund 200 000 angewachsen. Wenn es uns gelingt, unseren finanz- und wirtschaftspolitischen Kurs fortzusetzen — die Zeichen sind günstig, auch die Prognosen



    Dr. Waigel
    der Bundesbank und vor allen Dingen die internationaler Experten, die uns betrachten —, dann heißt es übereinstimmend, daß wir vor einem exzellenten wirtschaftspolitischen Jahr stehen, daß wir damit rechnen können, daß sich die Daten eher günstiger entwickeln, als bisher angenommen wird, und daß wir — vorausgesetzt, der Dollarkurs entwickelt sich weiter nach unten — hinsichtlich der Inflationsrate eher noch günstigere Ergebnisse erzielen können, als sie ohnehin schon erreicht worden sind.
    Wenn man sich diese Bilanz, diese Aspekte, diese Möglichkeiten, diese Entwicklung vor Augen stellt, dann ist doch das, was Sie hier betreiben, Traumtänzerei. Damit können Sie doch das Volk nicht beeindrucken, schon gar nicht den Arbeitnehmer, der weiß, daß sein Arbeitsplatz unter unserer Regierung sicherer geworden ist, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden, während er in Ihrer Regierungszeit Angst um seinen Arbeitsplatz haben mußte.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich wiederhole, was Norbert Blüm zu dem Thema Arbeitslosenstatistik gesagt hat: Wir bekämpfen nicht die Arbeitslosenstatistik, sondern wir bekämpfen die Arbeitslosigkeit. Aber auch in dem Zusammenhang muß es erlaubt sein, die Frage zu stellen, warum es völlig untergeht, daß die Kurzarbeiterzahlen seit längerer Zeit kräftig zurückgehen. Und bisher ist in der öffentlichen Diskussion auch völlig untergegangen, daß die Beschäftigtenzahlen seit Ende 1984 wieder kräftig ansteigen. Es ist auch nicht hinreichend deutlich geworden, welch enorme regionale Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Das hat jüngst die Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in Baden-Württemberg gezeigt. Im Großraum Stuttgart haben wir heute nicht nur einen Mangel an Facharbeitern, die Unternehmen sehen sich heute dort nicht mehr in der Lage, ihren Bedarf an Hilfsarbeitern zu decken.
    Hier bestehen offensichtlich Probleme insoweit, als die Mammutbehörde Arbeitsverwaltung in manchen Bereichen überfordert ist. Ich verstehe das nicht als eine Kritik an der Bundesanstalt, aber als eine Anregung, hier die Arbeit noch effizienter zu gestalten. Es hat nicht nur mit Zufall zu tun, wenn sich vor allem kleine und mittlere Unternehmen immer wieder massiv an uns, an die Politiker wenden, die jeweils zuständigen Arbeitsämter seien trotz örtlicher Arbeitslosenquoten von 10 % und mehr nicht in der Lage, Arbeitskräfte zu vermitteln. Das ist die andere Seite der Medaille, die auch zu einem differenzierten Bild bei der Diskussion über die Arbeitslosigkeit gehört.
    Die Arbeitslosenzahlen sind nicht statisch. Es ist nicht dauernd eine hohe Zahl von gleichen Arbeitslosen. Täglich gibt es Tausende von Vermittlungen in neue Arbeitsverhältnisse. So haben beispielsweise in diesem Jahr über 1,4 Millionen Arbeitsvermittlungen stattgefunden. Interessant ist auch folgende Zahl: Während 1981 von der Meldung bis zur Besetzung eines freien Arbeitsplatzes noch 54 Tage vergangen sind, hat sich die Laufzeit bis Mitte 1985 auf 25 Tage verkürzt. Nur, man muß natürlich auch wissen, daß die Meldung auf dem Arbeitsamt vielfach Voraussetzung für den Bezug bestimmter Transferleistungen darstellt, auch wenn damit keine konkrete Absicht zur Aufnahme einer Arbeit verbunden ist.
    Auch viele Firmen konstatieren zwischenzeitlich einen erheblichen Mangel an qualifizierten Facharbeitern. Das gilt auch in Regionen, in denen die Arbeitslosenquote zum Teil — bedauerlicherweise — 15 % beträgt.
    Die Arbeitslosigkeit können wir letztlich nur auf der Grundlage eines dauerhaften wirtschaftlichen Wachstumsprozesses bekämpfen. Andere Maßnahmen — so etwa die von Ihnen propagierte Arbeitszeitverkürzung oder auch gezielte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen — kommen nur flankierend in Betracht. Das sollte die Opposition endlich zur Kenntnis nehmen. Ich zitiere hierzu das der Opposition nicht gerade feindlich gesonnene Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wörtlich:
    Vieles spricht aber dafür, daß die bisher beobachteten Einstellungen auf das Wachstum dieser Branchen und die günstige konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen sind, zumal mit den vermehrten Einstellungen schon lange vor dem Inkrafttreten der Arbeitszeitverkürzungen begonnen wurde. Ausreichendes Wachstum ist also nach wie vor der wichtigste Weg zur Beschäftigung.
    Trotzdem wurde nie eine aktivere Arbeitsmarktpolitik betrieben als in den letzten Jahren unter Bundesarbeitsminister Norbert Blüm.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    1984 erhielten über 170 000 Jugendliche aus einkommensschwachen Familien Berufsausbildungsbeihilfe zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. 1983 und 1984 nahmen über 58 000 Jugendliche an berufsvorbereitenden Maßnahmen teil. Dazu kommen Hilfen zur Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen, wobei 1985 256 Millionen DM bereitgestellt wurden. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Mit dem neuerlichen Programm zur Qualifizierung haben wir eine neue Offensive für Arbeitslose begonnen.
    Meine Damen und Herren, auch durch die weitere Verlängerung des Bezuges von Arbeitslosengeld bei älteren Arbeitnehmern verbessern wir entscheidend deren soziale Situation. Aber ich frage die SPD: Was haben Sie eigentlich in Ihrer Zeit arbeitsmarktpolitisch getan, bewegt oder auf die Beine gebracht? Sie haben die Einschränkung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu verantworten, Sie haben die Kürzung des Kurzarbeitergeldes durchgeführt, Sie haben die Verschärfung der Voraussetzungen für die Zahlungen von Schlechtwettergeld und Winterbauförderung zu verantworten, und Sie haben das Kindergeld beim zweiten und dritten Kind um 20 DM pro Monat gekürzt. Meine Damen und Herren, das ließe sich beliebig fortsetzen. Ich frage nur den großen Finanztheoretiker, Herrn Ministerpräsidenten Rau, ob er diese Kürzungen auch zurücknehmen möchte und wie er das noch finanzieren will, dieser finanzpolitische Tau-



    Dr. Waigel
    sendsassa, der wohl als Finanzminister in Mexiko oder in Brasilien geeignet wäre, aber nicht für die solide Wirtschaftsführung eines mitteleuropäischen Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich nehme den berechtigten Protest aus meinen eigenen Reihen zur Kenntnis und nehme den Vorschlag, daß er als Finanzminister woanders geeignet wäre, ebenfalls zurück.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir dagegen haben ein Beschäftigungsförderungsgesetz in Kraft gesetzt, um damit neue Voraussetzungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu schaffen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Aber keine zusätzlichen Arbeitsplätze!)

    Wir haben arbeitslose Jugendliche wieder in den Kindergeldbezug gebracht und in die Krankenversicherung eingeführt. Wir haben sichergestellt, daß durch ein neues Jugendarbeitsschutzgesetz gezielt Beschäftigungshemmnisse für Jugendliche abgebaut werden. Wir haben die illegale Beschäftigung härter bestraft — angesichts der zunehmenden Schwarzarbeit notwendig und unumgänglich —, und wir haben dafür gesorgt, daß die Ansprüche der Mütter, die ins Erwerbsleben zurückkehren wollen, länger erhalten bleiben. Meine Damen und Herren, ich weise wiederum den pharisäischen Vorwurf, wir hätten für die Frauen der Trümmergeneration nichts getan, zurück.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Stimmt doch!)

    Sie haben zu dem Zeitpunkt, als die Kassen voll waren, nichts vorgeschlagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist Pharisäismus, es ist Bösartigkeit und nicht nur Ignoranz,

    (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und wider besseres Wissen etwas anderes behaupten.

    (Dr. Vogel [SPD]: Unwahr, Herr Lehrer! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben es wieder nicht verstanden, Herr Kollege!)

    Die Frauen wissen, warum wir so handeln und nicht anders, und Sie werden sich von Ihren Lügen nicht beeindrucken lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Wir haben Kurbeschränkungen für ältere Arbeitnehmer wieder gelockert, wir haben den Arbeitslosenversicherungssschutz für ältere Arbeitnehmer verbessert, und wir haben die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wesentlich erweitert.
    Ich habe erwartet, daß wenigstens heute von der SPD etwas Neues zur Wirtschaftspolitik käme. Es ist nichts passiert. Der Kollege Vogel reist durch die Lande und fordert die Schonung der Massenkaufkraft, gleichzeitig glaubt er jedoch, durch die saftige, genau die Massenkaufkraft belastende Energieverbrauchsteuer seine Idee mit dem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" schmackhaft machen zu können.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das haben Sie nicht verstanden, Herr Kollege!)

    — Frau Kollegin Fuchs, damit haben wir uns so oft auseinandergesetzt. Wir wissen doch, daß der Weg der Steuererhöhung kein Weg ist, um mehr Arbeit zu schaffen. Der gegenteilige Weg ist notwendig,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    die Senkung von Steuern und Abgaben und eine solide Finanzpolitik ohne zusätzliche Verschuldung. Nur das ist der kombinierte richtige Weg, den wir in den letzten drei Jahren gemeinsam in der Koalition gegen härteste Widerstände durchgesetzt haben und der nun Früchte zeitigt. Das macht Sie ja so nervös; Sie haben doch im nächsten Jahr, wenn die Konjunktur gut läuft — und sie läuft gut —, nicht die Spur einer Chance,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, wir sind nicht nervös, wir sind zuversichtlich!)

    an die Regierung zu kommen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Man wählt doch nicht eine erfolgreiche Regierung ab,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist richtig, aber Sie sind nicht erfolgreich!)

    und Sie werden eher noch kleiner wiederkommen; Sie könnten höchstens davon profitieren, daß auch die GRÜNEN weniger werden, aber das nützt nicht viel.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Hochmut kommt vor dem Fall, oder wie heißt es?)

    — Ja, das ist bei Ihnen der Fall gewesen!

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Bei Ihnen auch!)

    — Ihr Hochmut kommt vor dem Fall, und das hat sich bei Ihrem Nachbarn zur Linken, dem Herrn Vogel, schon gezeigt; dem hat man sogar die Kanzlerkandidatenwürde weggenommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD: Das war ziemlich dumm, was Sie da gesagt haben! — Primitiv!)

    Allerdings könnte ich möglicherweise mit dem Kollegen Vogel in der Beurteilung des Ministerpräsidenten Rau durchaus wieder innere Gleichklänge verspüren, aber er kann das natürlich hier nicht sagen.

    (Duve [SPD]: Haben Sie Ihren Ministerpräsidenten völlig verdrängt?)

    — Unser Ministerpräsident in Bayern? Das ist ein sehr guter Mann; bei dem siedelt sich die Industrie an, die von Herrn Rau wegmarschiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich habe es da natürlich
    etwas leichter, denn wir in Bayern — wenn ich für
    die CSU sprechen darf — haben z. B. keine Abwan-



    Dr. Waigel
    derungsabsichten großer Industrieunternehmen. Bei uns ist die Gutehoffnungshütte willkommen,

    (Zuruf von den GRÜNEN: Und die Maxhütte machen Sie zu!)

    und ebenso freuen wir uns auf das zunehmende Engagement der Firma Nixdorf in Bayern.

    (Kuhlwein [SPD]: Und was ist mit der Maxhütte?)

    Wie will denn ein Mann Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Maxhütte!)

    dem die Unternehmen davonlaufen, meine sehr verehrten Damen und Herren?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Sie haben ja in Bayern auch keinen Kanzlerkandidaten! — Kuhlwein [SPD]: Sagen Sie einmal etwas zur Maxhütte!)

    — wir haben einen Kanzler, und das ist der Kanzlerkandidat!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wie lange noch?)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien sind bereit, mit allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen zusätzliche Anstrengungen zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme zu erörtern. Das ist aber nur sinnvoll, wenn dies auf sachlicher Grundlage erfolgt. Arbeitsplätze werden nicht durch politisch motivierte Streiks, nicht durch Demonstrationen gegen notwendige Energieanlagen oder Großvorhaben und nicht durch Agitation gegen eine erfolgreiche Regierung geschaffen, die ein sozialistisches Erbe übernommen und positiv bewältigt hat. Arbeitsplätze entstehen durch das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, durch eine solide Finanzpolitik, durch niedrige Zinsen, stabile Preise, Wachstum, Investitionen und Innovationen.
    Dagegen entwickelt sich die SPD zum Trittbrettfahrer von Verweigerern, Aussteigern und Berufsdemonstranten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Funktionärsstaat!)

    Der neue Spitzenmann der bayerischen SPD — für den Fall, daß die meisten hier das nicht wissen: er heißt Hiersemann

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Doch, das wissen wir!)

    — Sie sind aber die einzige, die das jetzt gewußt hat;

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    brav, Frau Fuchs, sehr ordentlich —, der neue Spitzenmann der bayerischen SPD also sah bei der
    Großdemonstration der Wiederaufarbeitungsgegner in München noch schlechter aus als auf dem Plakat, das ihn großspurig angekündigt hatte.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von den GRÜNEN: Sie sehen auch nicht besser aus!)

    Ich habe in der Zeitung gelesen, daß Sie, Herr Kollege Vogel, Ihrem „Enkel", dem roten Rudi, mehr Erfolg gewünscht haben, als seinem Vorgänger Rothemund und Ihnen beschieden war.
    Dr. Vogel [SPD]: So selbstlos sind wir!)
    Es ist schon nett, wenn man sich den Herrn Kollegen Vogel als Großvater von Schöfberger vorstellt,

    (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    aber Sie können versichert sein: Er und Hiersemann, Sie und Rau, Sie werden mit Ihrer Konzeption in den nächsten Jahren genauso wenig erfolgreich sein, wie Sie es in der Vergangenheit gewesen sind.

    (Ströbele [GRÜNE]: Das müssen Sie aber immer wieder sagen, damit Sie es auch glauben! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Denn mit einer Politik billiger Polemik, destruktiver Kritik und Anbiederung bei GRÜNEN und Aussteigern werden Sie bei den Arbeitnehmern keinen Erfolg erreichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Und im Saarland und in Nordrhein-Westfalen?)

    Wir setzen unsere Politik im Interesse aller Bürger — gerade der Arbeitnehmer — unbeirrt fort.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gott sei Dank dürfen bei uns Arbeiter demonstrieren und brauchen nicht an Regierungslogen vorbeizuparadieren, wie das in Ost-Berlin und in Moskau am 1. Mai notwendig ist.

    (Kolb [CDU/CSU]: Geschehen muß!)

    Gott sei Dank ist das bei uns so. Auch gegen Regierungen kann und darf in einer freien Gesellschaft demonstriert werden. Da gibt es niemanden in diesem Haus, der dies bestreitet. Keine Regierung, die mit den Füßen auf dem Boden bleibt, wird sich als fehlerlos darstellen. In sozialistischen Diktaturen darf die Kritik nur an den Vorgängern geübt werden; die Amtsinhaber, die Machthaber sind tabu. Von dieser menschenverachtenden Überheblichkeit müssen sich demokratische Regierungen freihalten. Kritik ist keine Majestätsbeleidigung; das ist der Vorzug der Demokratie.

    (Zurufe von der SPD)




    Bundesminister Dr. Blüm
    Die Bundesregierung ist nicht überempflindlich. Wir sind nicht die Prinzessin auf der Erbse.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Frau Holle!)

    — Wenn schon Bilder, dann würde ich sagen: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Dies entspricht mehr unserer Mentalität.

    (Bueb [GRÜNE]: Sie als Prinzessin, das ist auch schwer vorstellbar! — Frau Fuchs [Köln]: [SPD]: Prinzessinnen sind schöner, Herr Kollege!)

    Aber der demokratische Meinungskampf ist etwas anders als Haß und Vernichtung, demokratischer Meinungskampf ist etwas anderes als Klassenkampf.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wer seinen Protest als Dauerkrieg ausgibt, von Kriegserklärungen, vom Zurückschießen spricht — an ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen —, denen kann ich nur sagen: Rüstet erst einmal in eurem Kopf ab, bevor ihr über Abrüstung insgesamt redet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Den Scharfmachern im DGB — Gott sei Dank sind es nicht alle, und Gott sei Dank sind die Scharfmacher in der Arbeitnehmerschaft eine verschwindende Minderheit, so daß wir die Schreier nicht mit der Arbeitnehmerschaft verwechseln sollten —

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    rufe ich zu: Sie sollen mit der Entmilitarisierung in ihrer Sprache beginnen.

    (Dr. Vogel [SPD]: „Verbrannte Erde" ist friedlich?!)

    — Was habe ich von „verbrannter Erde" gesagt?

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Herr Kohl hat davon gesprochen!)

    Ich rede im Moment gegen Klassenkampf, Kriegserklärung, Zurückschießen und Dauerkrieg, die Spache der Klassenkämpfer.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: „Verbrannte Erde"! Rüsten Sie in Ihrem Kopf ab! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: „Verbrannte Erde"! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, diese Republik ist von Männern wie Hans Böckler und Walter Freitag mit aufgebaut worden.

    (Dr. Vogel [SPD]: Die werden immer gelobt, wenn sie tot sind!)

    Die Demokratie verdankt und der Sozialstaat verdankt Männern und Frauen aus allen Parteien vieles. Wir stehen auf ihren Schultern, und wer jetzt sagt, diese Republik sei ein Armenhaus, der beschädigt auch das Ansehen der Leute, die diesen Sozialstaat mit aufgebaut haben, und das waren nicht nur Christdemokraten.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Nanu?) — Sie machen wirklich Nestbeschmutzung.

    Wir haben eine Rentenversicherung, eine Krankenversicherung, eine Arbeitslosenversicherung, die sich in der Welt sehen lassen können. Ein Drittel unseres gesamten Bundeshaushaltes geben wir für Sozialleistungen aus. Von welcher Republik reden Sie, wenn Sie sagen, der Sozialstaat sei zertrümmert und zerstört?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Im übrigen hat dieser Sozialstaat, Herr Kollege Ehrenberg, zwei Seiten: nicht nur die Seite der Empfänger, sondern auch die Seite der Zahler. Soziale Gerechtigkeit beginnt nicht erst auf der Ausgabenseite.

    (Dr. Ehrenberg [SPD]: Wer hat denn die Beiträge erhöht?)

    Wenn die Arbeitnehmer, die Unternehmer überlastet werden, dann kann das weder Sozialstaat noch soziale Gerechtigkeit sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Für wen sparen wir, wenn wir sparen? Ich wende mich auch an die Kolleginnen und Kollegen draußen. Wir sparen doch nicht für irgendwelche anonymen Kassen, wir sparen für die Arbeitnehmer, die Beitrag zahlen und die an die Grenze ihrer Beitragslast gekommen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es ist heute morgen schon über Johannes Rau gesprochen worden, der alle sozialen Kürzungen zurücknehmen will. Herr Vogel hat gesagt, das sei eine Verkürzung. Ich weiß nicht, was eine Verkürzung ist, aber wir können ja einmal öffentlich klären, was er mit „allen sozialen Kürzungen" gemeint hat. Hat er auch die gemeint, die von der SPD vor unserer Zeit durchgeführt wurden? Hat er auch die 94 Milliarden DM Sozialleistungskürzungen der SPD gemeint? Oder hat er gar die Kürzung der Sozialleistungen in Nordrhein-Westfalen gemeint? Das könnte ja auch sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Da will ich einmal einige Kürzungen vorlesen: Bildungsaufgaben 35% Kürzung, Jugenderholung 56% Kürzung, Kindererholung 73 % Kürzung, Berlin-Fahrten 60 % Kürzung, freiwillige soziale Dienste 100% Kürzung, Landesjugendplan 53 % Kürzung, Familienerholung 73 % Kürzung, Kinder- und Müttererholung 43 % Kürzung, Adoption- und Pflegekinderdienst 90% Kürzung, Altenerholung 35% Kürzung, Förderung von Behinderteneinrichtungen 52 % Kürzung, Personalkostenzuschüsse für freie Verbände 10 % Kürzung, Zuschüsse zur Rehabilitation von Obdachlosen 100 % Kürzung, soziale Betreuung von Vertriebenen und DDR-Bürgern 36 % Kürzung, Kulturarbeit der Vertriebenenverbände 57 % Kürzung, Ausbildung in den nichtärztlichen Heilberufen 79 % Kürzung. Hat der Herr Rau diese Kürzungen gemeint, die er zu verantworten hat? Was ist das eigentlich für eine Politik, wenn man kürzt und dann auf andere hinweist? Das ist doch eine Politik nach dem Motto „Haltet den Dieb!"

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Bundesminister Dr. Blüm
    Jetzt komme ich zum Bundeshaushalt. Wer alle Einsparungen aufheben will, müßte die Beiträge enorm steigern, in der Sozialversicherung um 5 Prozentpunkte, also in der Rentenversicherung von 19,2 % auf 24,2 %. Die Steuern müßten um 17 % angehoben werden. Mit anderen Worten: Der durchschnittliche Arbeitnehmer müßte, wenn Rau sich durchsetzte — die Gefahr besteht nicht, denn er bekommt nicht die Zustimmung der Wähler —,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    im Jahr 1 590 DM mehr an Steuern und Sozialabgaben bezahlen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Herzlichen Glückwunsch!


    (Kolb [CDU/CSU]: Rau als Räuber!)

    Ich kann nur sagen: Wenn mehr Geld ausgegeben, als eingenommen wird, und wenn man sich dann darüber beklagt, es sei zuwenig Rücklage in der Sozialkasse, dann erinnert mich das an klein Fritzchen, der wenig in seine Sparbüchse hineinwirft, viel herausholt und darüber schimpft, daß nichts in der Sparbüchse ist.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich schlage deshalb Johannes Rau für seinen Vorschlag, alle Sozialkürzungen zurückzunehmen, für den Klein-Fritzchen-Preis in der Sozialpolitik vor. Nichts anderes ist nämlich dieses Denken.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Er hat sich über Zeitverträge beschwert. Coop, eine gewerkschaftsnahe Gesellschaft, hat Zeitverträge angeboten, warum auch nicht? Mir ist jedenfalls die Coop mit Zeitverträgen, mit befristeten Arbeitsverträgen, lieber als die Neue Heimat mit unbefristeten Mieterschädigungen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Da lese ich in dieser etwas verunglückten Kandidaten-Erklärung im heutigen „Express" — wenn das der Probelauf war, dann hat er voll in den Ofen geschossen —,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    er plane nach der Sommerpause eine Verbesserung der Arbeitslosenunterstützung. Jetzt Originalton Rau:
    Wer lange gearbeitet hat, soll länger als bisher Arbeitslosenunterstützung erhalten.
    Guten Morgen, Herr Rau, kann ich nur sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Herbst 1986 will er durchführen, was wir im Oktober 1985 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben.
    Ich will diesen Morgen in der Tat auch dazu benutzen, auf Ursachen hinzuweisen, die es zu beseitigen gilt. Wenn jemand glaubt, ein Arbeitsminister hätte nichts Schöneres zu tun, als zu sparen, dann hat er sich jedenfalls in mir getäuscht. Nur: Wir zahlen 29 Milliarden DM an Zinsen für die Schulden, die uns die SPD hinterlassen hat.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Was könnte ein Sozialminister mit 29 Milliarden DM anfangen? Er könnte das Kindergeld erhöhen, er könnte all das machen, was gefordert wird.

    (Dr. Vogel [SPD]: Sie waren doch überall dabei! Sie wollten doch noch mehr!)

    — Herr Vogel, hätten Sie uns, hätten Sie Gerhard Stoltenberg den Sozialhaushalt so übergeben wie Franz Josef Strauß ihn 1969 der SPD übergeben hat, dann gäbe es in der Sozialpolitik überhaupt keine Probleme.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Bleiben Sie bei der Wahrheit! — Abg. Urbaniak [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)