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ID1016401200

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    Plenarprotokoll 10/164 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 164. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 16. Oktober 1985 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. George . . . . 12261 A Begrüßung von 520 jugendlichen Mitbürgern 12269 C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung Dr. Kohl, Bundeskanzler 12261 D Dr. Vogel SPD 12269 D Dr. Dregger CDU/CSU 12279 D Schmidt (Hamburg-Neustadt) GRÜNE 12283 D Dr. Graf Lambsdorff FDP 12285 D Dr. Waigel CDU/CSU 12289C, 12291 C Roth SPD 12289 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 12295 D Kleinert (Marburg) GRÜNE 12301 B Bueb GRÜNE (zur GO) 12305 A Seiters CDU/CSU (zur GO) 12305 B Frau Fuchs (Köln) SPD 12305 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 12307 D Dr. Hauff SPD 12312 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 12314 B Dr. Ehrenberg SPD 12321 C Urbaniak SPD 12324 B Oostergetelo SPD 12325 C Vizepräsident Frau Renger 12321 C Namentliche Abstimmung 12327 D Nächste Sitzung 12329 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 12330* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 164. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. Oktober 1985 12261 164. Sitzung Bonn, den 16. Oktober 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 164. Sitzung, Seite W A; Vier mal ist statt „Dr. Florian BML" „Dr. Florian BMP" zu lesen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein *** 18. 10. Dr. Ahrens * 18. 10. Antretter 18. 10. Bahr 16. 10. Dr. Bangemann 16. 10. Biehle *** 17. 10. Brandt 16. 10. Büchner (Speyer) * 17. 10. Dr. Corterier *** 17. 10. Egert 16. 10. Dr. Ehmke (Bonn) 17. 10. Ertl 16. 10. Francke (Hamburg) *** 16. 10. Funk 18. 10. Gansel *** 16. 10. Dr. von Geldern 16. 10. Gerstein 18. 10. Glos 16. 10. Haase (Fürth) * 18. 10. von Hammerstein 16. 10. Horn *** 16. 10. Dr. Hüsch 16. 10. Dr. Hupka *** 16. 10. Ibrügger *** 16. 10. Jungmann *** 16. 10. Dr.-Ing. Kansy *** 17. 10. Kolbow *** 16. 10. Dr. Kreile 18. 10. Frau Krone-Appuhn *** 16. 10. Kühbacher 18. 10. Dr. Kunz (Weiden) *** 17. 10. Dr.-Ing. Laermann 18. 10. Lange *** 17. 10. Lattmann *** 16. 10. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lemmrich * 17. 10. Frau Dr. Lepsius 18. 10. Frau Dr. Martiny-Glotz 18. 10. Dr. Mertens (Bottrop) 16. 10. Dr. Müller * 18. 10. Müller (Remscheid) 16. 10. Neumann (Bramsche) 18. 10. Dr.-Ing. Oldenstädt 18. 10. Pfeffermann 16. 10. Reddemann ** 18. 10. Frau Roitzsch (Quickborn) 18. 10. Ronneburger *** 16. 10. Roth 18. 10. Sander 17. 10. Sauer (Salzgitter) *** 17. 10. Dr. Schneider (Nürnberg) 18. 10. Schröer (Mülheim) 17. 10. Schulte (Unna) ** 18. 10. Frau Simonis *** 16. 10. Dr. Todenhöfer 18. 10. Frau Traupe *** 17. 10. Verheugen 18. 10. Voigt (Frankfurt) 18. 10. Dr. Warnke 17. 10. Dr. von Wartenberg *** 18. 10. Weiß *** 17. 10. Frau Dr. Wex 16. 10. Dr. Wörner 18. 10. Würtz *** 16. 10. Zierer *** 16. 10. Dr. Zimmermann 18. 10. *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Heinz Westphal


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Hamburg-Neustadt).
    Schmidt (Hamburg-Neustadt) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dregger, Sie sollten sich mal als Kabarettist versuchen, aber nicht den anderen europäischen Völkern mit diesem Bundeskanzler drohen.

    (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN sowie Heiterkeit bei der SPD)

    Das Bemerkenswerteste an der Rede des Bundeskanzlers heute morgen war, daß er mit keinem Wort auf das eingegangen ist, was in dieser Woche abläuft. Ich meine die millionenfachen Proteste gegen die Politik dieser Regierung.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn? — Wo sind die Millionen?)

    Er ist mit keinem Wort auf die 2 Millionen Leute eingegangen, die Arbeit nachsuchen, und auf die Millionen, die diese Suche schon aufgegeben haben. Er hat kein Wort gesagt über die Auszubildenden, die kein BAföG mehr bekommen, und nichts gesagt über die Behinderten, denen die Freikarten gestrichen wurden. Er hat nichts dazu gesagt, daß die Witwenrenten heute bei 770 DM im Monat liegen und daß die Arbeitslosenhilfe zwischen 800 und 900 DM beträgt.
    Herr Dregger hat eben den kalten Zynismus gehabt zu sagen, statt zu protestieren, sollten die Arbeitnehmer und Rentner ein Oktoberfest feiern. Das ist kältester Zynismus und soziale Demagogie, Herr Dregger.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    Der Kanzler seinerseits ist mit keinem Wort auf ein gewaltiges Problem eingegangen, auf die neue Armut. Gleichzeitig hat er festgestellt, bei jetzt 3 Millionen Arbeitslosen ist „die Trendwende an der Beschäftigungsfront" — ein militärischer Ausdruck — „erreicht".
    Zur Beschäftigungskrise, Herr Kohl, will ich Ihnen sagen: Hören Sie endlich auf, den Erwerbslosen mit statistischen Tricks einzureden, daß es sie eigentlich gar nicht gibt, oder schlimmer, was Sie auf dem CDA-Kongreß gemacht haben, ihnen zu sagen, ihnen, deren Arbeitslosigkeit Sie mitverschuldet haben, daß sie eigentlich gar nicht arbeiten wollten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat er gar nicht so gesagt!)

    In denselben Tagen habe ich in der „Welt am Sonntag" gelesen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann haben Sie falsch gelesen!)

    daß ein Bauunternehmer in Schleswig-Holstein eine Anzeige aufgegeben und Arbeitsplätze für 800 DM im Monat angeboten hat, und es haben sich Dutzende von Leuten beworben. Das ist ein Zeichen dafür, wie dreckig es den Leuten geht, aber der Bundeskanzler attestiert ihnen: alles faule Schmarotzer.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unwahr!)

    Nun zu dem, was Sie uns hier als beschäftigungspolitische Erfolge verkaufen, erstens zu den Qualifizierungsmaßnahmen. Halten wir da einmal fest: Die werden zum großen Teil über Arbeitnehmerbeiträge finanziert. Man kann darüber streiten, ob das nicht Zweckentfremdung von Beitragsmitteln ist,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    denn das Medizinstudium wird j a schließlich auch nicht von der Bundesärztekammer finanziert.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Die zweite Großtat: Sie rühmen sich, daß die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit zur längeren Zahlung des Arbeitslosengeldes verwendet wurden. Ja, wo sind wir denn? Wofür denn sonst sollen Beiträge verwendet werden? Das als Verdienst herausstellen, kann doch nur jemand, der schon gewohnheitsmäßig und jahrelang in die Taschen anderer Leute faßt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das schönste, absurdeste Argument ist aber immer wieder: Was wollt ihr denn, ihr Protestanten,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Protestierer!)

    der Wirtschaft geht's doch glänzend! — Oggersheimer Dialektik! Wir bezweifeln gar nicht, Herr Kohl, daß es der Wirtschaft glänzend geht. Nur, die Leute protestieren, weil sie begriffen haben: Damit die Industrie heute 30 % höhere Gewinne als 1982 haben kann, mußten sie entlassen werden. Das haben die Leute begriffen. Sie protestieren, weil sie begriffen haben: Arbeitslosengeld und -hilfe mußten gekürzt
    werden, damit die Unternehmer dieses Jahr wieder 30 Milliarden ins Ausland verschieben können.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Klassenkampfsprüche!)

    Schließlich protestieren die Leute, Hunderttausende in dieser Woche, weil sie begriffen haben: Jedesmal, wenn es ein neues Großprojekt gibt — Rüstung, Wackersdorf, Verkabelung, SDI oder Eureka —, spielen Milliarden überhaupt keine Rolle; nur wenn es um das Taschengeld von Altenheimbewohnern, wenn es um die Rente von Behinderten in Werkstätten geht, dann fehlt jeder Pfennig, dann ist Herr Stoltenberg total pleite.
    Weil dies so ist, protestieren Hunderttausende gegen die Politik der Regierung.
    Damit bin ich bei dem Punkt „neue Armut".

    (Zuruf von der CDU/CSU: Neue Heimat!)

    Es wurde gesagt: Die neue Armut gibt es nicht. Gleichzeitig werden die Leute, die tatsächlich arm sind, für dumm verkauft. In dem Argumentationspapier gegen den DGB aus dem Hause Blüm kann man lesen, daß durch Absenken der Inflationsrate die Arbeitnehmerhaushalte 15 Milliarden gewonnen hätten

    (Zurufe von der CDU/CSU: Kaufkraft, richtig! — Stimmt das etwa nicht?)

    und daß die Rentnerhaushalte 6 Milliarden gewonnen hätten. Der Kanzler hat das vorhin wiederholt: 20 Milliarden Gewinne für Rentner und Arbeitnehmer. Ja, glauben Sie denn, daß einer von denen so bescheuert sein wird, jetzt unters Sofa zu gucken, um zu sehen, ob da vielleicht die Milliarden liegen? Was Sie hier präsentieren, ist doch eine absolute Milchmädchenrechnung.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Und was Sie hier präsentieren, ist billig!)

    Nun zu der Frage: Ist die soziale Armut eine Erfindung aus der Giftküche des DGB oder des Klassenkampfes? Meine Damen und Herren, es gibt ein Dokument, das erbarmungslos ehrlich definiert, was bei uns Armut ist. Ich meine den Warenkorb der Sozialhilfe. Da wird Gramm für Gramm vorgerechnet, was sich die Ärmsten in dieser Gesellschaft im Monat leisten dürfen, von 250 Gramm Frischnudeln und 50 Gramm Ketchup über die Fertigsuppen in Beuteln, über die zwei Rollen Klopapier im Monat und die 100 Gramm Seife bis hin zum Fahrschein für 30 Kilometer Bundesbahn oder bis hin zu den 10 Telefongesprächen, die sie im Monat führen dürfen.
    Dies ist ein Dokument, das nicht ethisch kalkuliert, was Menschen brauchen, um würdevoll zu leben. Da wird kalkuliert, Herr Geißler, wieviel ein Mensch braucht, um nicht zu krepieren, nichts anderes. Das ist Armut!

    (Beifall bei den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Geißler [CDU/ CSU]: Das ist unwahr!)




    Schmidt (Hamburg-Neustadt)

    Gleichzeitig hat dieser Warenkorb zwei wichtige ideologische Funktionen. Erstens erlaubt er denjenigen, die über sechsstellige Jahreseinkommen verfügen, zu sagen: Es gibt keine Armut, solange — das ist die Begründung — keine Hungertoten anfallen.
    Zweitens — das ist das Wesentlichere — führt er tatsächlich zu so bitterer Armut, daß jeder Arbeitnehmer sagt: In die Sozialhilfe möchte ich nie kommen. Deshalb akzeptiert er jede Drecksarbeit und auch jeden gesundheitsschädigenden Arbeitsplatz.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Diese Armut ist deshalb neu, weil in den letzten zehn Jahren in diese sozialen Einkommen, auch in die Sozialhilfe, hineingekürzt worden ist.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Sie ist erhöht worden!)

    — Es ist hineingekürzt worden. Herr Geißler, der Warenkorb ist seit den 60er Jahren unverändert geblieben.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Es ist erhöht worden!)

    — Ja, jetzt ist einmal erhöht worden; die Erhöhung ist oft begrenzt worden. Trotzdem ist die reale Kaufkraft in diesen zwölf Jahren gesunken; das sagen alle Sozialwissenschaftler. Es ist kein Wunder, wenn man das sieht: Sogar Ihr eigenes Finanzministerium berechnet, daß die Kürzungen sowohl in der sozialliberalen Ara als auch auf Grund Ihrer Verschärfungen in den letzten Jahren mehr als 200 Milliarden DM betragen haben.

    (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Keine Verschärfung, wir haben erhöht! Das ist falsch!)

    Zur familienpolitischen Programmatik. Erstens haben Sie beim Erziehungsgeld eine Kürzung zurückgenommen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nicht ganz!)

    — Nicht ganz; das ist richtig.
    Schlimmer ist, daß der Kündigungsschutz nicht mehr ohne Ausnahme gilt. Das erste Mal ist der absolute Kündigungsschutz bei Mutterschaft aufgeweicht worden.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Wesentlich ist, wo dieses einzuordnen ist: Beschäftigungspolitik und Familienpolitik wachsen bei Ihnen in folgender Weise zusammen. Sie schaffen Jobs, die weder ihren Mann noch ihre Frau ernähren. Die Leute sollen zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit oder, anders gesagt, zwischen Lohn und Fürsorge hin- und herwechseln. Diese neue Grauzone wollen Sie etablieren. Das ist das Ziel und wesentlichster Bestandteil Ihrer Familienpolitik.

    (Zuruf: Sie müssen noch einmal nachlesen, was da steht!)

    Sehen Sie sich an, was Teilzeitarbeit heute ist, die Sie so propagieren: Teilzeitarbeit ist zu 95% Frauenarbeit. Ebenso werden Heimarbeit und Job sharing und all diese modernen Kürzel genau dasselbe sein. Da ist der entscheidende Hebel bei dieser Regierung nach unserer Einschätzung, Frauenemanzipation kaputtzumachen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir fürchten, da wird viel mehr kaputtgemacht, als Sie je mit Ihrem Geschwätz über die deutsche Familie, mit Ihrer Stiftung „Mutter und Kind" oder Ihrer Drohung, den § 218 wieder zu verschärfen, anrichten könnten.
    Zum Schluß: Wir stimmen dem DGB ausdrücklich zu. Wichtige Forderungen: ökologische und soziale Investitionen, 35-Stunden-Woche, Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung, gesetzliches Verbot der Aussperrung, Berufsbildungsabgabe und die Sicherung menschenwürdiger Mindesteinkommen. Diese Forderungen können nicht nur durch irgendeinen Regierungswechsel durchgesetzt werden. Um sie durchzusetzen, ist vielmehr eine neue Politik notwendig, um die es in dieser Woche in besonderer Weise geht. Auch deshalb unterstützen wir die Aktionswoche des DGB, und deshalb rufen wir auch von dieser Stelle dazu auf, die Demonstrationen am Wochenende zahlreich zu be suchen.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die FDP-Fraktion begrüße ich es, daß die Bundesregierung, daß der Herr Bundeskanzler die heutige Gelegenheit benutzt haben, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Diese Bilanz, Herr Bundeskanzler, ist in unseren Augen positiv, sie ist eindrucksvoll. Die FDP steht zu dieser Politik und zu ihren Ergebnissen. Sie wollte diese Politik, und sie wird zur Fortsetzung und Weiterarbeit beitragen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, Anlaß unserer heutigen Debatte — der letzte Beitrag hat es besonders deutlich gemacht — ist nicht zuletzt die Aktionswoche des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und man fragt sich: Was treibt den DGB auf die Straßen?

    (Zuruf von den GRÜNEN: Das haben Sie doch soeben gehört!)

    Ist es die Arbeitslosigkeit? Durch Demonstrationen kommen vielleicht einige Arbeitslose auf die Straße, aber kein einziger Arbeitsloser von der Straße.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es ist eine — das wissen wir alle in solchen wirtschaftlichen Lagen — für Gewerkschaften schwierige Situation. Unter den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen sind Erfolge im herkömmlichen Sinne für ihre Mitglieder nicht leicht vorzuzeigen; es ist nicht viel zu holen. Was kann eine Gewerkschaft für ihre Mitglieder tun? Ist die Aktionswoche eine Ersatzbefriedigung für Mitglieder? Soll sie der Entsolidarisierung in den eigenen Reihen entgegenwirken? Muß die Bundesregierung zum Watschen-



    Dr. Graf Lambsdorff
    mann gemacht werden, um so Solidarität herbeizuzwingen?

    (Zuruf von den GRÜNEN: Das machen Sie doch!)

    Wieviel gewerkschaftspolitischer, wieviel organisationspolitischer Aktionismus steckt in dieser Aktionswoche? Soll sie dem Mitgliederabbau entgegenwirken?
    Meine Damen und Herren, dem Deutschen Gewerkschaftsbund geht es nicht anders als fast allen monolithischen Großorganisationen unserer Tage. Es fällt Ihnen und auch ihm schwer, sich auf die Veränderungen von Industrie-, Arbeits-, Freizeit-, Verbrauchsstrukturen angemessen einzustellen und darauf angemessen zu reagieren. Sie werden es aber auf lange Sicht gesehen tun müssen.
    Der im Gleichschritt marschierende Einheitsarbeitnehmer bestimmt ganz gewiß nicht die Zukunft. Die Teilzeitarbeit-Diskussion, die Frage der Frauen, die gleichzeitig in Familie und Beruf arbeiten wollen, die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen, die damit einhergeht, überhaupt der Anspruch auf neue Arbeitsordnungen: das alles sind Fragen, die sich stellen, Fragen, die flexible Antworten erfordern.
    Meine Damen und Herren, dieser Wandel wird übrigens nicht nur den DGB, sondern die Gesellschaft insgesamt fordern. Beispiele für solche Problemstellungen und die Schwierigkeit, Antworten zu geben, kann man heute landauf, landab schon sehen: Arbeitgeberverbände wehren sich gegen Differenzierungen in der Tarifpolitik. Es ist vorhin erwähnt worden: Gewerkschaften und Arbeitgeber wehren sich gemeinsam gegen mehr Minderheitenrechte im Betriebsverfassungsgesetz. Beide sind Großorganisationen; überhaupt kein Wunder. Einzelhandelsverbände verteidigen den Ladenschluß wie das heiligste Gut der Nation. Gewerkschaften bekämpfen die Flexibilität bei der Arbeitszeitverkürzung. Herr Kollege Vogel, hier muß man wirklich fragen: Was ist hier konservativ, reaktionär, fortschrittlich?

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Bei Ihnen ist es leicht auszumachen, Herr Kollege!)

    Betriebsräte wehren sich gegen die Vorschläge ihrer Gewerkschaften zur Überstundenbegrenzung. Und große Volksparteien sehen sich vor parallelen Problemen im politischen Raum.
    Wir, die FDP, verfolgen diese Entwicklung gespannt, mit Interesse. Ich sage überhaupt nicht, daß wir etwa für jedes einzelne Problemfeld eine Patentantwort parat hätten, aber ich sage, daß wir diesen Weg zu mehr Individualität, zu mehr Selbständigkeit, zu mehr Unabhängigkeit und Freiheit gerne sehen, daß wir ihn fördern und daß wir ihn nicht behindern wollen. Nicht zuletzt deshalb wollen wir Privatisierung, wollen wir den Abbau der Staatsquote. Deshalb wollen wir neben allen wirtschaftlichen Gründen eine durchgreifende Steuerreform und einen durchgreifenden Subventionsabbau. Deshalb, meine Damen und Herren, sind eben Mittelstand, Selbständige, freie Berufe, Handwerker, für die Antworten auf diesen unvermeidlichen Wandel unserer gesellschaftlichen Strukturen so außerordentlich wichtig.
    Man sieht, wie sich die Organisationen — sinnlos, wie ich finde — im Raume stoßen, wenn man in Nordrhein-Westfalen beobachten muß, daß die größte Einzelgewerkschaft der Welt, die IG Metall, Punktstreiks gegen Handwerksbetriebe in Münster und Oberhausen führt. Ist das Waffengleichheit?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Deutsche Gewerkschaftsbund leistete in der konkreten Situation mehr für den Abbau der Arbeitslosigkeit durch verantwortungsbewußtes Verhalten als Tarifpartner denn durch diese Aktionswoche.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD)

    Die nächste Tarifrunde, Herr Vogel — das scheint sich aus den Diskussionen herauszustellen —, wird wohl eher eine Lohn- als eine Arbeitszeitverkürzungsrunde werden. Das scheint mir vernünftig zu sein.
    Was heißt denn nun — ich komme auf Ihren Einwurf zurück — in diesem Zusammenhang verantwortungsbewußte Tarifpolitik? Es hat Erklärungen von Regierungsmitgliedern gegeben, seien sie mißverständlich gewesen oder seien sie bewußt mißverständlich interpretiert worden — ich will das gar nicht untersuchen —, die jedenfalls nach dem Motto interpretiert worden sind, das sei die Aufforderung: Nun bedient euch mal. Aber ganz gewiß gilt die Spendierhosenmentalität ebensowenig wie bei staatlichen Ausgaben auch auf diesem Gebiet noch lange nicht wieder. Eine Lohnrunde des Jahres 1986 muß im Rahmen verteilungspolitischer Spielräume bleiben, also unterhalb des Produktivitätszuwachses.

    (Beifall bei der FDP)

    Immerhin, meine Damen und Herren, das bedeutet in der gegebenen Situation realen Einkommenszuwachs. Das hilft sowohl den Arbeitnehmern wie auch den Arbeitslosen. Es ist ein Ergebnis der Stabilitätspolitik dieser Regierung, daß bei 2 % Preissteigerungsrate nahezu jeder Tarifabschluß reale Einkommensverbesserungen mit sich bringt.
    Die Diskussion dieser Tage — und wir haben das eben noch einmal gehört — konzentriert sich schon wieder auf das Stichwort Beschäftigungsprogramme. Ich weiß sehr wohl, daß die Zuhörer im Lande sagen: Ein Programm für Beschäftigung, das muß doch etwas Gutes, das muß doch etwas Vernünftiges sein, das wollen wir doch.

    (Amling [SPD]: Ist es auch!)

    Nein, meine Damen und Herren, so wie Beschäftigungsprogramme heute nur finanziert werden können, nämlich entweder durch mehr Schulden oder durch mehr Steuern, so wie Beschäftigungsprogramme auf die strukturellen Veränderungen in der deutschen Wirtschaft nicht mehr so antworten können wie auf die konjunkturellen Verwerfungen des Endes der 60er und des Anfangs der 70er Jahre,



    Dr. Graf Lambsdorff
    so sind Beschäftigungsprogramme nicht nützlich, sondern sie sind schädlich. Und ich sage hier noch einmal — und in voller Übereinstimmung mit dem Kollegen Dregger —: Einen neuen Weg in die Schuldenpolitik werden wir, wird diese Koalition nicht unternehmen. Es wird dafür, ebensowenig wie es dafür, wie ich gehört habe, die Zustimmung der CDU/CSU geben wird, auch die Zustimmung der FDP nicht geben. Es darf nicht sein, daß wir Schulden zu Lasten der nächsten Generation machen, um unsere eigenen Probleme zu lösen. Wir dürfen die Zukunft unserer Kinder nicht verfrühstücken.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Nun ist es allerdings besonders unerfreulich, wenn die Forderung nach Beschäftigungsprogrammen von solchen erhoben wird, die in Wirklichkeit in praxi dagegenhandeln. Es tut mir leid, Herr Vogel — ich weiß, das Stichwort Neue Heimat hat Sie schon in der Aktuellen Stunde nicht erfreut —, wir werden Ihnen noch manche ungelegene Stunde mit diesem Stichwort bereiten, und so auch jetzt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wodurch ist denn die Neue Heimat eigentlich in ihre schwierige finanzielle Situation und Klemme geraten? In allererster Linie durch massive Bodenspekulation, durch den Aufkauf von Bauland und Bauerwartungsland. Die Sozialdemokraten hier im Hause haben seit Jahren die Bodenspekulation kritisiert und Sie, Herr Vogel, an vorderster Front, an vorderster Stelle. Aber wer hat denn raffgierig, in einem Anfall von finanziellem Größenwahn Bauland und Bauerwartungsland in diesem Ausmaß gehortet? Wer hat damit die Grundstückspreise für Eigenheimer nach oben gejagt?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Neue Heimat unter dem Aufsichtsratsvorsitz des jeweiligen DGB-Vorsitzenden hat diese Politik betrieben, meine Damen und Herren. Hier im Bundestag beklagen Sie die Entwicklung der Bodenpreise. In der Praxis treiben Ihre Genossen die Preise rauf.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist absurdes Theater.

    Und nun werden zu Hunderttausenden Mietwohnungen verhökert. Damit wird der Markt verdorben. Damit werden Arbeitsplätze im Bauhauptgewerbe gefährdet und vernichtet. Das Fazit heißt: Der DGB vernichtet über die Wohnungsverkäufe der Neuen Heimat Arbeitsplätze. Und das heißt auf deutsch: Auf den Straßen und Plätzen der Bundesrepublik veranstalten in dieser Woche die Arbeitsplatzvernichter Demonstrationen gegen die Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)