Rede:
ID1015102600

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 10151

  • date_rangeDatum: 3. September 1985

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  • short_textOriginal String: Doch zurück zur politischen Verantwortung, Herr Bundeskanzler, um die es geht. Da ist in den letzten Tagen im Zusammenhang mit Ministerrücktritten von noblem oder weniger noblem oder auch dickfelligem Verhalten die Rede gewesen. Es mag wohl so sein, daß die Wertung so oder so ausfallen kann, und es ist auch wahr, daß ein rechtzeitiges Beiseitetreten hier honorig sein und beispielgebend wirken kann. Hinzuzufügen wäre vor allem, Herr Bundeskanzler: info_outline

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    Plenarprotokoll 10/151 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 151. Sitzung Bonn, Dienstag, den 3. September 1985 Inhalt: Nachruf auf die Abg. Dr. Marx und Polkehn 11285B, 11285 D Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Frau Dr. Neumeister, Engelsberger, Bundesminister Dr. Zimmermann, Vogelsang und Dr. Hupka 11285A, B Eintritt des Abg. Schultz (Wörrstadt) in den Deutschen Bundestag 11286 B Eintritt des Abg. Eickmeyer in den Deutschen Bundestag 11286 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entlassung des Bundesministers des Innern — Drucksache 10/3762 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Entlassung des Bundesministers des Innern — Drucksache 10/3596 — Dr. Vogel SPD 11286 C Dr. Miltner CDU/CSU 11290 D Ströbele GRÜNE 11294A Dr. Hirsch FDP 11295 D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 11298C Dr. Kohl, Bundeskanzler 11301 D Dr. Penner SPD 11303C Dr. Dregger CDU/CSU 11307A Mann GRÜNE 11310D Namentliche Abstimmungen . . 11312B, 11314 B Nächste Sitzung 11316 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 11317*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 151. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 3. September 1985 11285 151. Sitzung Bonn, den 3. September 1985 Beginn: 14.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 146. Sitzung, Seite 10777 A: In den Zeilen 3 und 4 ist statt „Dr. Möller (GRÜNE)" „Dr. Möller (CDU/CSU)" zu lesen. Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 9. Böhm (Melsungen) * 5. 9. Büchner (Speyer) * 5. 9. Frau Eid 5. 9. Dr. Enders * 5. 9. Frau Fischer ** 6. 9. Frau Geiger ** 6. 9. Götzer 6. 9. Heyenn * 5. 9. Dr. Holtz ** 6. 9. Frau Krone-Appuhn 6. 9. Dr. Kübler 4. 9. Frau Dr. Lepsius ** 6. 9. Dr. Müller * 4. 9. Dr.-Ing. Oldenstädt 6. 9. Pfuhl 6. 9. Dr. Schierholz 6. 9. Schily 3. 9. Dr. Sperling 6. 9. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 6. 9. Dr. Stercken ** 6. 9. Frau Dr. Timm ** 6. 9. Dr. Unland * 5. 9. Verheugen 6. 9. Frau Dr. Wex 6. 9. Wischnewski 3. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 74. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Willfried Penner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben es mit der Moral, Herr Bundeskanzler; oder besser gesagt: Sie führen die Moral gerne im Munde. Es weiß allerdings niemand so genau, was Sie damit meinen. Die einen glauben, daß dahinter etwas Bedeutendes steckt. Andere vermuten eher die moralinsäuerlichen Niederungen der frühen Nachkriegsjahre, weil Sie sich ja so gerne zum Enkel Konrad Adenauers stilisieren.
    Jedenfalls ist das Reklamieren von Moral ein, wenn nicht d a s Leitmotiv Ihrer Tätigkeit als Bundeskanzler. Das bleibt Ihnen unbenommen. Sie können als Oppositionsführer die geistig-moralische Wende fordern und nach dem Rollenwechsel zum Bundeskanzler verkünden, sie sei nun eingetreten.
    Das können Sie alles tun. Sie werden es sich dann aber auch gefallen lassen müssen, daß besonders die Opposition Ihren Anspruch aufgreift und prüft.

    (Beifall bei der SPD)

    Da ist es kein Geheimnis, daß nicht nur der Opposition Ihre Art von Wende eher als Ausflucht erscheint, als Ausflucht in die wabernde Unverbindlichkeit eines Nebels, in dem die drängenden kantenscharfen politischen Fragen unserer Zeit verschwinden, in dem sie einfach keinen Platz haben.
    Herr Bundeskanzler, so mag man über Ihre verbale Wende urteilen, solange man freundlich bleibt. Wenn man sich an die Tatsachen hält, dann wird die Diagnose unfreundlicher, ja beklemmender, aber um so genauer. Dafür genügt es, Namen zu nennen: Geißler zuvörderst, Schwarz-Schilling, Manfred Wörner und mehr und mehr Zimmermann — zugleich Zeugen, Wegmarken und Symbole Ihres Wendeverständnisses.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Ihre persönlichen Schmähungen sind unanständig!)




    Dr. Penner
    Diese Namen allein sind sprechender als alle möglichen gegenteiligen Beteuerungen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das paßt doch nicht zu Ihnen, Herr Penner!)

    Weil Sie, Herr Bundeskanzler, die geistig-moralische Wende, was das auch immer sei, stets aufs neue propagieren, zwingen Sie die Opposition, Sie an Ihren eigenen Maßstäben zu messen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Opposition kommt bei allen Deutungsschwierigkeiten gar nicht umhin, das Verhältnis zwischen dem moralischen Anspruch Ihres Wendevokabulars und Ihren Taten unter die Lupe zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gilt auch für die Behandlung des Problemfalles Zimmermann. Keiner kann von der Opposition erwarten, daß sie nur andächtig Ihren Worten lauscht oder Ihr Schweigen registriert,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir erwarten von Ihnen auch nichts!)

    ohne Ihre Taten zu gewichten. Und für die Taten stehen in der Politik Namen, die zum Vergleich herausfordern. Deshalb kann es auch keiner der SPD verübeln, Herr Bundeskanzler, wenn sie dabei an eigene Persönlichkeiten denkt, die durch ihr Tun und ihr Handeln unabhängig von Parteizugehörigkeit Vorbild für andere hätten sein müssen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wienand zum Beispiel!)

    an Georg Leber etwa oder Fritz Halstenberg, um nur zwei zu nennen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nachdem Sie ihn abgehalftert haben, wird er posthum gefeiert!)

    Solche Beispiele hat es übrigens auch in Ihren eigenen Reihen gegeben, nur muß man sich fragen, Herr Bundeskanzler, ob unter Ihrer Ägide ein Rücktritt wie der des früheren baden-württembergischen Justizministers Traugott Bender überhaupt vorstellbar wäre. Dieser Mann hatte weiß Gott nichts mit den Vorgängen in Stammheim, die letztlich Anlaß für seinen Rücktritt waren, zu tun, und trotzdem wich er nicht aus, stellte sich der Verantwortung, die er auf keinen Dritten abwälzen konnte und wollte, der politischen Verantwortung nämlich. Wer vor den Konsequenzen, auch bitteren Konsequenzen der einmal übernommenen politischen Verantwortung nicht kneift, der handelt moralisch.

    (Beifall bei der SPD)

    Für diese schlichte Erkenntnis bedarf es Ihrer aufgesetzten Moralproklamationen überhaupt nicht, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD)

    Im Gegenteil, das Amtsbeharrungsvermögen Ihrer Kabinettsmitglieder steht zu Ihrem moralgetränkten Selbstverständnis in kennzeichnendem Widerspruch.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber es geht hier nicht nur und auch nicht in erster Linie um die Courage zum fälligen Amtsverzicht — das könnte letztlich eine Frage der persönlichen Moral bleiben —, der Fall Zimmermann hat eine viel weitreichendere Dimension; es geht auch um ein Staatsinteresse und, wenn das zu prosaisch ist, es geht um Staatsräson.

    (Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg)

    Und dann fallen Tatsachen noch mehr ins Gewicht.
    Was die Fakten im Fall Zimmermann angeht, so steht jetzt schon im wesentlichen folgendes fest: Der Mann ist weg, in der DDR, Regierungsdirektor Tiedge nämlich, seit fast 20 Jahren beim Bundesamt für Verfassungsschutz tätig, seit gut drei Jahren als Leiter der Gruppe IV b in dieser Behörde. Das sind die nüchternen Verwaltungsfakten. Diese Abteilung ist zuständig für Nachrichtendienste der DDR. Das macht nicht nur sachliche Details aus, das macht nicht nur Pläne, Methoden, Akten, Register aus, vielmehr noch, das sind Namen, das sind Menschen, das sind Schicksale, die allesamt bedroht, im wahrsten Sinne des Wortes betroffen sind.
    Günther Bading in der „Welt" vom 28. August 1985 hat es so formuliert: Spätestens seit Juli 1982 — zu dieser Zeit wurde Tiedge Gruppenleiter — war er „über alle Tätigkeiten im Bereich der ,DDR`-Nachrichtendienste informiert", und daran ist nicht zu deuteln.
    Und weiter: Tiedge war seit Jahren alkoholabhängig und auch sonst in erheblichen persönlichen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Regierungsdirektor Tiedge ist nicht der einzige Alkoholkranke im Bundesamt für Verfassungsschutz. Von weiteren 30 Alkoholabhängigen ist die Rede.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Kein Wunder bei dem Job!)

    Die Schwächen von Tiedge waren bekannt und führten auch zu dienstlichen Reaktionen. Und der frühere Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Hellenbroich, ist in den Einstweiligen Ruhestand versetzt worden.
    Herr Bundeskanzler, in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen, der Sie ja beim Bundesnachrichtendienst ganz nahe in der Verantwortung stehen — der Bundesnachrichtendienst ist beim Bundeskanzleramt aufgehängt —, bohrende Fragen nicht ersparen. Was hat Sie eigentlich geritten, die Entlassung Hellenbroichs noch zu begründen, wo aus guten gesetzlich vorgesehenen Gründen der sogenannte politische Beamte jederzeit ohne Angabe von Gründen in den Ruhestand versetzt werden kann?

    (Beifall bei der SPD)

    Haben Sie denn gar nichts aus dem Fall der Entlassung von General Kießling gelernt? Nicht einmal wie man handwerklich solche Fragen löst?

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Penner
    Sind Sie sich eigentlich im klaren darüber, daß Ihre Gründe im Falle eines Falles voll gerichtlich nachprüfbar wären, übrigens auch die verständnisvollen Äußerungen, die amtlicherseits der Entscheidung Hellenbroichs entgegengebracht werden? Der Rechtsvertreter von General Kießling hat Ihnen doch vorexerziert, was man aus einer solchen Fallgestaltung herausholen kann, Herr Bundeskanzler, und dies auf Kosten der Steuerzahler. Herr Bundeskanzler, der Eindruck verstärkt sich, daß Sie nicht einmal in der Lage sind, aus kürzer zurückliegenden Fehlern zu lernen.

    (Beifall bei SPD)

    Zurück zum Spionagefall: Die Bundesregierung selbst hat den Vorgang als äußerst schwerwiegend eingestuft. Der Bundesinnenminister hat in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt von einem besonders schweren Fall von Landesverrat gesprochen. Hochrangige Mitarbeiter der Spionageabwehr sind der Meinung, die Aufarbeitung des Schadens werde Jahre in Anspruch nehmen. Das Echo im Ausland ist vernichtend. Herr Bundeskanzler, nach den bisherigen Erfahrungen — ein bißchen verstehe ich auch selbst davon — wird der Fall die Informationsbereitschaft unserer Partnerländer, besonders der USA, grundlegend beeinflussen, und das nicht zu unserem Vorteil.
    Angelpunkt des Ganzen ist, verehrter Herr Bundeskanzler, das Bundesamt für Verfassungsschutz, keine freischwebende Organisationseinheit, sondern eine sogenannte Bundesoberbehörde, die, wie das Gesetz es formuliert, dem Bundesinnenminister „untersteht". Und was ist? Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann, Hohepriester der inneren Sicherheit und wackerer Streiter für Recht und Ordnung, ist weiterhin im Amt. Die SPD muß diesen Weg der Erörterung im Parlament gehen, weil sich der Fall Zimmermann bis heute zu unserem Bedauern nicht durch Rücktritt oder Entlassung erledigt hat.
    Unsere Rücktrittsforderung, Herr Bundeskanzler, ist Konsequenz der politischen Verantwortung des Ministers insbesondere für den Spionagefall Tiedge. Der Minister ist für alle Vorgänge seines Ressorts und der ihm unterstellten Behörden und Dienststellen politisch verantwortlich, nämlich als Inhaber seines öffentlichen Amtes. Dabei bleibt es völlig unerheblich, ob er im Einzelfall etwas weiß oder etwas nicht weiß. Der Minister hat von Amts wegen eine Einstandspflicht für den Bereich seiner Kompetenzen; wie den Autofahrer oder den Flugzeugführer auch trifft ihn eine Art Gefährdungshaftung, selbst wenn er am Tatgeschehen nicht schuldhaft beteiligt ist. Und es wäre ja auch noch schöner, wenn sich ein Minister durch Nichtwissen von vornherein einen unangreifbaren Verbleib in seinem Amt sichern könnte!

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, jeder Minister darf in der Öffentlichkeit die Erfolge seines Ressorts in Anspruch nehmen, obwohl das Gros der Arbeit im einzelnen von den Mitarbeitern und von untergebenen Behörden und Dienststellen getan wird. Für die politische Erfolgsbilanz verlangt normalerweise keiner einen Nachweis des persönlichen Einsatzes im Einzelfall.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Dann muß aber auch umgekehrt gelten: Auch der politische Mißerfolg kann nicht aus Einzelnachweisen errechnet werden.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Herr Minister, politische Verantwortung ist unteilbar, im Positiven wie im Negativen.

    (Beifall bei der SPD)

    Politische Amtsverantwortung hat mit persönlicher Zurechenbarkeit von Einzelverfehlungen im Ressort und mit moralischer Schuld daran überhaupt nichts zu tun. Zwar kann persönliches Fehlverhalten eines Ministers auch zu politischen Konsequenzen führen; die politische Verantwortung, d. h. die Haftung des Amtsinhabers im Hinblick auf das Gemeinwohl, hat jedoch nicht die persönliche Verantwortung zur Voraussetzung.
    Selbstverständlich — das ist einzuräumen — würde das Regieren unmöglich, wenn ein Minister für jede mehr oder weniger unbedeutende Panne in seinem Ressort den Hut nehmen müßte. Aber davon ist gar nicht die Rede. An der außerordentlichen Tragweite des Falles, um den es hier geht, kann ja kein Zweifel bestehen, und Sie haben das ja selbst gesagt, Herr Bundeskanzler, Sie haben es selbst gesagt, Herr Bundesinnenminister.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn dieser Fall nicht ausreicht, um aus der politischen Amtsverantwortung die Konsequenz zu ziehen, auf welche Katastrophe sollen wir denn überhaupt noch warten, bis das seltsame Festhalten des Bundeskanzlers an seinem gescheiterten Kabinettskollegen ins Wanken kommt?

    (Beifall bei der SPD)

    Ich halte fest: Es ist für die politische Verantwortung des Ministers wegen des objektiven Gewichts des Spionagefalles Tiedge völlig gleichgültig, ob er etwas versäumt, ob er etwas übersehen hat oder aber im Extremfall etwas nicht wissen konnte.
    Dabei will ich eine persönliche Einschätzung in diesem Zusammenhang nicht verschweigen: Ich glaube nicht daran, daß der Fall Tiedge mit seinen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Problemen im Bundesministerium des Innern nicht bekannt gewesen sei. Die Dauer der Fehlentwicklung von Tiedge, seine exponierte Stellung beim Amt sowie die nahe Verzahnung zwischen Amt und Ministerium — Herr Minister, Sie haben selbst im Innenausschuß über das Netz von Kommunikationssträngen hin wie her berichtet — weisen ganz eindeutig in eine andere Richtung.
    Aber noch einmal: Wie dem auch sei, Sie tragen in jedem Fall die politische Verantwortung, und da der Fall Tiedge so katastrophale Ausmaße hat, müssen Sie Ihr Amt aufgeben, oder Sie, Herr Bundeskanzler, müssen die Entlassung des Ministers betreiben.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Penner
    Da Sie immer auf Moral setzen, Herr Bundeskanzler, bitte schön: Halten Sie es allen Ernstes für angängig, Hellenbroich zu entlassen und Zimmermann im Amt zu lassen? Halten Sie es für moralisch vertretbar, nur einen Beamten zu feuern, um das Gefüge der Koalition nicht zu stören oder gar die eigene Haut zu retten? Sind das die moralischen Maßstäbe, die von Ihnen kommen?

    (Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was soll die jüngere Generation mit ihrer Staatsverdrossenheit anfangen, wenn die Inhaber der höchsten politischen Verantwortung ihr ein so kleinkrämerisches Verhältnis zur Macht vorleben?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Alle diese Aspekte, Herr Bundeskanzler, sind bedeutsam, aber sie treffen noch nicht den springenden Punkt, ja sie könnten ihn sogar verstellen. Aus der politischen Verantwortung des Ministers ergeben sich Notwendigkeiten, die den Spielraum seines subjektiven Beliebens überschreiten. Der Rücktritt kann für einen verantwortlich handelnden Minister zur Obliegenheit werden. Konkret: Der Spionagefall Tiedge belastet die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Bundesinnenministeriums, weil der Vorgang von dem jetzt amtierenden Minister nicht abzulösen ist. Mit Recht haben Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie, Herr Bundesinnenminister, Schritte zur Begrenzung und Heilung des Schadens eingeleitet — wie denn auch nicht. Ob sie alle taugen, das wird sich zeigen. Dabei gibt die Berufung Wiecks zum Chef des BND bisher nur Aufschluß über die Einschätzung des Schadens durch Sie selbst; denn offenbar versprechen Sie sich davon, daß Sie einen internationalen Sachkenner ohne Rücksicht auf dessen Qualifikation ausgewählt haben, die notwendige Wiedergewinnung von internationalem Vertrauen. Auch die Entlassung Hellenbroichs war nach meiner Einschätzung den Umständen nach wohl unumgänglich. Und es ist auch richtig, daß die nötigen Umstrukturierungen im Amt begonnen werden.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Wir stellen hier keinen Blankoscheck für alles und jedes aus. Es gibt auch keinen Freifahrtschein zurück in den Obrigkeitsstaat. Und wir lassen es schon gar nicht zu, daß innere Sicherheit und Datenschutz gegeneinander ausgespielt werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Sie werden sich damit vertraut machen müssen,
    Herr Bundeskanzler, daß die innere Sicherheit
    auch dem Datenschutz dient, weil Datenschutz Teil unserer Freiheit ist.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

    Mit ideologischen Verklemmungen und Verspanntheiten, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister, werden Sie also bei uns kein Echo finden. Hingegen werden wir mitmachen, wenn es um die Feststellung von Ursachen und Tatsachen geht. Und wir werden auch nicht abseits stehen, wenn dann notwendige Konsequenzen gezogen werden müssen.
    Aber das ganze Gebäude der Sanierungsmaßnahmen wackelt, wenn der verantwortliche Minister Zimmermann bleibt.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Herr Bundeskanzler, Sie müssen vor dem In- und Ausland ein deutliches Zeichen setzen: Nur mit einem neuen Kopf auch an der Spitze des Ministeriums kann ein neuer Anfang gemacht werden, um Handlungs- und Steuerungsfähigkeit wiederzugewinnen und verlorengegangenes Vertrauen nach innen wie nach außen neu aufzubauen.
    Ich frage mich, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister: Sind Sie sich eigentlich bewußt, wie verheerend sich das Verleugnen und Verschieben von politischer Verantwortung auf Dritte auf die Mitarbeiter in den Behörden auswirken muß? Sind Sie sich darüber im klaren, daß nur die Bereitschaft zur politischen Verantwortung des Ministers den Willen zur Verantwortung auch bei den Mitarbeitern im Ressort begründen kann?

    (Beifall bei der SPD)

    Was bleibt denn von den Appellen an die Verantwortungsbereitschaft, wenn der Finger immer nur auf den anderen zeigt? Wollen Sie uns wirklich einen drittklassigen Krimi vorführen, in dem der Täter nur der Gärtner oder der Portier sein können, weil man von denen die geringste Gegenwehr erwartet? Nein, es geht um Steuerungs- und Handlungsfähigkeit politisch verantworteten Administrierens. Da sind Sie gefragt, Herr Bundesinnenminister und Herr Bundeskanzler.
    Herr Bundeskanzler, es geht nicht darum, bei günstiger Gelegenheit einen Minister zu kippen. Wir fordern den Rücktritt des Ministers, weil es um lebenswichtige Interessen des Staates geht.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, letztlich hängen Gedeih und Verderb von der Identifikationsbereitschaft des Volkes ab, des sogenannten einfachen Mannes auf der Straße. Der gesunde Menschenverstand urteilt danach, wie die höchsten Amtsträger von ihrer politischen Verantwortung dann Gebrauch machen, wenn es wirklich kritisch ist, wenn es an Ihre eigene persönliche Befindlichkeit geht.
    Herr Bundeskanzler, seien Sie diesmal der kritischen Situation gewachsen: Sie dürfen nicht zulassen, daß ein Minister nach dem anderen seine Glaubwürdigkeit einbüßt und zum politischen Nichts absackt. Wörner und Schwarz-Schilling sind



    Dr. Penner
    dabei besonders auffällige Beispiele der jüngsten Vergangenheit; Zimmermann käme hinzu. Herr Bundeskanzler, wir wollen nicht hoffen, daß Sie das Nötige unterlassen, weil Sie nur im Kreise politischer Lemuren politisch überleben können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, lassen Sie die Operettenseligkeit aus dem Land des Lächelns hinter sich.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Herr Bundeskanzler, walten Sie Ihres Amtes!


    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD)