Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs sagen, Herr Kollege Duve: In den letzten Tagen sind mir die Berichte vorgelegt worden, die die — Sie erwähnten vorhin hier einen Fall — Schreckenstaten schildern. Ich bitte Sie zu akzeptieren, daß ich Ihre tiefe Betroffenheit über diese Nachrichten nicht nur verstehe, sondern in vollem Umfang teile.
Um so mehr, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, bedaure ich, daß diese Aktuelle Stunde zu spät kommt. Wir haben am 6. März in der üblichen Weise die Besuchsabsicht des Ministers der Offentlichkeit mitgeteilt. Es wäre gut gewesen, wenn es in der Zeit seit dem 6. März zwischen der Opposition und dem BMZ, vor allem dem Minister, zum Gespräch über die zu verfolgenden politischen Ziele gekommen wäre. Dies ist leider nicht geschehen. Die Nachricht von der Aktuellen Stunde traf ein, als der Minister bereits eine Stunde im Flugzeug war. Er flog zum Development Committee in Washington, das heute tagt. Aus diesem Grunde kann er leider nicht an dieser Aktuellen Stunde teilnehmen. Ich hätte es begrüßt, wenn Sie den Gesprächskontakt gesucht hätten. Wir hätten uns dem ganz bestimmt nicht versagt.
Wir haben es hier ja mit einer Materie zu tun, die auf den langen Beratungen und auf dem Beschluß des Bundestages zur Zentralamerikapolitik, wie er hier am 17. Januar 1985 gefaßt worden ist, fußt. In diesem Beschluß ist der Bundesregierung aufgegeben worden, eine zusammenhängende Konzeption zu entwickeln, wie Frieden, wie Demokratie in diesem Raum gestärkt werden können und was deutscherseits zur Überwindung der Ursachen der Spannungen in diesem Raum beigetragen werden kann. Die dort existierenden Spannungen sind einhellig als Spannungen definiert worden, die zutiefst aus sozialen Disparitäten, aus ungerechten gesellschaftlichen Strukturen und dergleichen herrühren.
Wir meinen, daß Guatemala mit mehr als 7,3 Millionen Einwohnern j a nicht nur der volkreichste Staat dieses Gebietes ist, das man — wie gefordert ist — aus der Gesamtbetrachtung nicht ausklammern kann, sondern das Land ist auch wirtschaftlich einer der stärksten Partner, und es hat eine beachtliche politische Bedeutung bei den Bemühungen um einen Friedensprozeß in dieser Region. Guatemala hat in seiner auswärtigen Politik in den Auseinandersetzungen in Mittelamerika bisher eher eine vermittelnde Rolle eingenommen. Jedenfalls ist es keines der Länder, das die Spannungen anheizt oder gar durch die Unterstützung von Revolutionsgruppen zur Destabilisierung beiträgt. Wir meinen deswegen, daß die Bundesregierung dieses Land bei ihren Friedensbemühungen nicht beiseite lassen kann. Sie muß sich auch hier um einen aktiven politischen Gedankenaustausch bemühen und versuchen, ihre konstruktive Rolle zum Tragen zu bringen.
Das Menschenrechtsthema ist einer der großen Brocken, die in diesem Wege liegen. Das ist leider nicht erst seit heute so. Zur Menschenrechtslage liegen sehr unterschiedliche Berichte vor. Auch kritische Berichte haben seit den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung vom 1. Juli 1984 zunächst eine fühlbare Verbesserung der Menschenrechtssituation festgestellt, aber — das ist Tatsache — jüngere Berichte sprechen nun wieder von einer Zunahme, was vielleicht mit den bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zusammenhängen könnte.
Meine Damen und Herren, eine Auseinandersetzung darüber, ob etwas mehr oder etwas weniger Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen geschehen, erscheint mir vollkommen müßig. Menschenrechtsverletzungen sind in jedem Fall verabscheuungswürdig und werden hoffentlich von uns allen mit gleicher Klarheit und mit gleichem Nachdruck abgelehnt. Ich wäre sehr froh, wenn wir in diesem Hause darüber einig sind.
Es ist eine bare Selbstverständlichkeit, daß Minister Warnke in Guatemala auch das Gespräch mit dem Erzbischof führen wird. Ich bin in der Lage, Ihnen zu sagen, daß seine Haltung zur Menschenrechtsfrage in Guatemala in voller und größter Klarheit zum Ausdruck kommen wird. Dies ist eine bare Selbstverständlichkeit.
Die Frage der Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen im einzelnen sollte uns vor diesem Hintergrund vielleicht nicht zu sehr beschäftigen. Die Täter und Hintermänner von Gewaltanwendungen und Menschenrechtsverletzungen sind im Einzelfall gerade in Guatemala oft schwer festzustellen. Aber wir müssen davon ausgehen, daß die Verletzungen teilweise auch durch staatliche und militärische Stellen zustande kommen; es sind andererseits auch mit Sicherheit linke oder rechte Extremisten des Untergrundes daran beteiligt. In dem
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1985 9701
Parl. Staatssekretär Dr. Köhler
Bericht des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen über die Menschenrechtssituation in Guatemala vom 13. November 1984 wird darauf in aller Deutlichkeit hingewiesen.
Nur: Das Beklagen und Kritisieren dieses Zustandes alleine löst das Problem j a gewiß noch nicht. Die entscheidende Frage ist doch, wie von deutscher Seite aus konkret zu einer Milderung und zu einer Beseitigung dieser Mißstände beigetragen werden kann. Ich warne davor, gerade in dieser Region von einem Denkansatz auszugehen, der da heißt: Wir können erst dann etwas zur Lösung der Probleme beitragen, wenn eine der schrecklichsten Ausdrucksformen der Problemlage, nämlich die Menschenrechtssituation, kein Problem mehr darstellt.
Wir haben diese Diskussion auch am Beispiel von Salvador geführt. Es hat Kollegen gegeben, die aus Motiven, die ich gerne verstehen will, hier gesagt haben: Man darf in Salvador erst etwas tun, wenn die Menschenrechtslage sozusagen voll und ganz in Ordnung ist. Hätten wir uns auf diesen Standpunkt gestellt, meine Kolleginnen und Kollegen, wäre die einzige Chance der demokratischen Mitte in Salvador, die sich mit dem Namen von Napoleon Duarte verknüpft, verspielt worden, und die Kräfte der extremen Seiten, die jetzt durch den Wähler in die Schranken gewiesen worden sind, hätten triumphiert. Das Übel wäre durch dieses Zuwarten vermehrt worden.
Doch gebe ich zu, daß wir hier auf einem Grat wandern, der schwierig ist. Aber eben dann ist es nötig, sich die Dinge präzise und genau anzuschauen. Der Besuch von Minister Warnke in Guatemala dient genau diesem Zweck. Er wird sich nicht nur vor Ort informieren, er wird die Situation der Menschenrechte in aller Klarheit ansprechen, und er beabsichtigt gerade die Kräfte zu ermutigen und zu stärken, die sich für die Gewährleistung der Menschenrechte und der demokratischen Entwicklung einsetzen.
— Das ist vollkommen klar, Herr Duve. Die Frage der Menschenrechte entscheidet sich am Schicksal des einzelnen Menschen. Da sind wir völlig einer Meinung.
Zur demokratischen Entwicklung, meine ich, kann man sagen, daß die Chancen in diesem Land für eine demokratische Entwicklung heute so gut sind, wie sie bisher noch nicht gewesen sind. Die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung haben am 1. Juli 1984 stattgefunden, und die gemäßigten Kräfte haben beachtliche Erfolge erzielt. Die Eingruppierung der Christdemokraten, wie sie hier eben durch den Sprecher der GRÜNEN vorgenommen worden ist, ist falsch. Sie stehen eher in der linken Mitte.
Ich glaube, daß das hier eben schlicht und einfach eine denunziatorische Behauptung war.
Der Staatschef, Meija Víctores, hat im Einvernehmen mit der Verfassunggebenden Versammlung Parlaments-, Kommunal- und Präsidentschaftswahlen für den 27. Oktober festgelegt. Eine mögliche Stichwahl für das Amt des Präsidenten ist für den 24. November 1985 und der Amtsantritt des gewählten Präsidenten für den 14. Januar 1986 angekündigt. Es ist also ein klarer Fahrplan hier vorhanden.
Ich verweise noch einmal darauf, daß der Deutsche Bundestag die Bundesregierung in der Gemeinsamen Entschließung am 17. Januar 1985 aufgefordert hat, demokratische Entwicklungen aktiv zu unterstützen. Genau das ist der Sinn der Reise von Minister Warnke, dessen Besuchsprogramm auch Gespräche mit den vier Präsidentschaftskandidaten vorsieht.
Diesem Prozeß der Demokratisierung in Guatemala kommt im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzungen besondere Bedeutung bei; denn nur die Demokratisierung kann die Plattform dafür bieten, Interessengegensätze mit Argumenten statt mit Gewalt auszutragen.
Natürlich ist auch das Thema der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in diesen Gesprächen an der Reihe. Es ist zu fragen, wie eine solche Zusammenarbeit die positive Entwicklung bezüglich der Menschenrechte, der Demokratisierung oder der armen Bevölkerung fördern, initiieren, unterstützen kann.
Wir haben z. B. einen Wunsch nach der Unterstützung einer größeren Kaffeegenossenschaft von Kleinbauern vorliegen, ein Projekt, dem bei der starken Stellung der reichen Großgrundbesitzer eine besondere soziale und gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Sollen wir schon die Prüfung dieses Vorhabens ablehnen? Ich glaube, daß eine kategorische Ablehnung der staatlichen Zusammenarbeit sowohl unseren Interessen als auch denen der armen Bevölkerung Guatemalas zuwiderläuft.
Ich danke Ihnen.