Rede von
Freimut
Duve
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis heute, 40 Jahre nach Kriegsende, sucht der Deutsche Suchdienst nach Vermißten und Verschwundenen des Jahres 1945. Er sucht nicht aus behördlicher Automatik, sondern weil Menschen wissen wollen, was aus ihren Söhnen, Töchtern, Männern und Frauen geworden ist. Diese Sehnsucht, zu wissen, wo und wie ihre Angehörigen umgekommen sind, geben sie nicht auf, wie sie sie in den 40 Jahren nicht aufgegeben haben.
In Guatemala sind in den vergangenen Jahren Tausende von Menschen verschwunden. In der Regel heißt das, sie sind vor Zeugen auf offener Straße oder in ihrem Haus von der Geheimpolizei abgeholt worden. Aber wohl noch nie in der Geschichte menschlicher Barbarei sind die Familien, die nach ihrem verschwundenen Vater suchen, eben wegen dieser Suche von Staats wegen umgebracht worden.
Am Ostermontag sind in Guatemala die geschundenen Körper von drei Menschen gefunden worden, 19 km außerhalb der Hauptstadt auf der Straße nach Atitlan. Einmal ist es die 24jährige Maria del Rosario Godoy, dann sind es ihr zweijähriger Sohn und ihr 18jähriger Bruder.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1985 9697
Duve
Frau Godoy war eine der Sprecherinnen der Gruppe für gegenseitige Hilfe, der Grupo Apoyo Mutuo von Guatemala. Wenige Tage vor ihrem Tod haben mein Kollege Ernst Waltemathe und ich mit Frau Godoy und ihren Leidensgefährten in Guatemala intensiv darüber beraten, wie ihnen angesichts der Drohungen, die ihnen durch anonyme Anrufe, durch öffentliche Erklärungn des Innenministers und durch Nachforschungen der Sicherheitsdienste zugekommen waren, geholfen werden kann.
Vor bald einem Jahr war der Mann von Frau Godoy auf offener Straße von Zivilisten in drei Fahrzeugen geraubt worden. Zwei der Fahrzeuge trugen die Nummernschilder der Geheimpolizei.
Vor genau einem Monat, meine Damen und Herren, hat der Staatschef von Guatemala, Mejía Víctores, selber in der Mililtärgarnison des Departements Jutiapa erklärt — ich zitiere —:
Wer die Verschwundenen lebend zurückfordert, begeht einen subversiven Akt. Wir werden Mittel finden, dem zu begegnen.
Die Mörder haben nicht lange gewartet. Das Wort „subversiv" ist heute in Guatemala das Signal, Menschen zu Freiwild werden zu lassen. Auch der Staatschef hatte diese Frauen selbst wenige Monate zuvor bei sich empfangen.
Meine Damen und Herren, aus sehr aktuellem Anlaß haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt. In drei Tagen wird Minister Warnke in Guatemala zu einem sorgfältig vorbereiteten Besuch eintreffen. Die Regierung Guatemalas erhofft sich Hilfe von diesem Besuch beim Ausbau ihrer sogenannten Entwicklungsdörfer, die wir gewiß Wehrdörfer nennen sollten. Der Erzbischof Penados del Barrio von Guatemala, den wir gebeten hatten, sich öffentlich schützend vor die Frauen zu stellen, hat uns ebenso wie der Päpstliche Nuntius auf die dramatisch zunehmenden Menschenrechtsverletzungen und die Morde hingewiesen und hat uns vor allem die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland für dieses Land ans Herz gelegt.
Es darf keine Hilfe für Mörder an unschuldigen Frauen und Kindern geben.
Jeder Kontakt mit der Regierung von Guatemala muß so verlaufen wie der Kontakt mit Geiselnehmern: Garantien für die Bedrohten, Garantien für die, in deren Händen die Angehörigen faktisch sind.
Meine Damen und Herren, zur Gruppe Apoyo Mutuo, die sich jeden Freitag um 15 Uhr vor dem Innenministerium trifft und nach ihren Verschwundenen ruft, gehören in erster Linie die Indiofrauen aus allen Departements. Über die Lage der Indios wird eine Kollegin gleich noch etwas sagen.
Wir verlangen von Minister Warnke, daß er seinen Besuch von all den gesellschaftlichen Veranstaltungen befreit und sich als wirklicher Christ und Demokrat dort nach der Situation der Menschen und ihrer Rechte erkundigt.
Wir verlangen von ihm, daß er auf ein Treffen mit den Frauen von Apoyo Mutuo drängt. Wir verlangen von ihm, daß er sich schützend vor die Frauen stellt, so, wie wir gestern gemeinsam mit Heinrich Böll, Graham Greene, Günter Grass und Willy Brandt den Papst aufgefordert haben, sich schützend vor diese Frauen zu stellen. Wir verlangen, daß jede Form entwicklungspolitischer Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsfrage verknüpft wird. Wir wollen auch von unserer Botschaft verlangen, daß sie sich ähnlich wie andere diplomatische Vertretungen aus dem Schatten außenpolitischer Zurückhaltung löst.
Ein letztes Wort, Herr Präsident. Wir haben großen Respekt vor all jenen, die in Guatemala den demokratischen Prozeß mittragen und damit persönliches Risiko eingehen. Wir haben aber eine ebenso große Sorge, daß viele diesen demokratischen Prozeß dazu mißbrauchen, die akuten Mordtaten, die akuten Gefahren für Leib und Leben Unschuldiger zu relativieren oder gar zu verschweigen.