Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte über Rentenfinanzierung und Rentenanpassung im Jahre 1985 wird es wohl geboten sein, Sie von der Koalition an einige wichtige finanzpolitische Entscheidungen der letzten Monate zu erinnern.
Wie war es denn? In einer Nacht- und Nebelaktion waren Sie plötzlich in der Lage, jährlich 3,2 Milliarden DM insbesondere für umsatzstarke landwirtschaftliche Betriebe bereitzustellen.
Wenn wir diese Beträge bis zum Ende dieses Jahrzehnts hochrechnen, ergibt sich, daß es weit mehr als 30 Milliarden DM sein werden.
Wir erinnern uns doch auch noch an die Aktion Rückzahlung der Zwangsanleihe. Da wurde die Zwangsanleihe wie von uns erwartet als verfassungswidrig erklärt. Wir hatten Ihnen angeboten, eine Ersatzlösung zu finden, damit auch die sehr gut Verdienenden mitleisten, die Lasten mittragen. Sie haben das abgelehnt und schnurstracks 2 Milliarden DM — jedem, der mehr als 100 000 DM im Jahr Familieneinkommen hat, mehrere tausend DM — zurückgezahlt.
Da sage ich Ihnen, Frau Kollegin Schwaetzer: In der Tat, die FDP hat ein klares Verhältnis zum Geld.
Immer wenn es darum geht, Ihre Klientel zu bedienen, dann sind Sie dabei. Wenn es aber um soziale Gerechtigkeit geht, sind Sie niemals dabei. Das haben Sie durch Ihren Beitrag wieder bewiesen.
Wenn dann der Arbeitsminister im Bundesrat kurz vor Weihnachten gesagt hat, er wolle keine müde Mark für eine höhere Rentenerhöhung im Jahre 1985 opfern, kann ich nur fragen: Was haben die Rentnerinnen und Rentner eigentlich für einen Minister, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Im übrigen, Herr Blüm — das will ich Ihnen gerne attestieren —, gibt es in der Tat keine müde Mark mehr für die Rentner; denn das, was Sie an Operation jetzt vorschlagen, ist Täuschung. Der Bundesfinanzminister hat das in aller Klarheit gesagt. Er hat gesagt: Nein, diese zusätzlichen Lasten für die Minierhöhung werden natürlich vom
Bundeshaushalt überhaupt nicht übernommen. Das mögen die Rentenversicherungen auf Pump finanzieren. Das Geld könne man sich beim Bundeshaushalt leihen. Und im Jahre 1986 wird das, was es jetzt an Minierhöhung mehr gibt, den Rentnern zur Mitte des Jahres wieder weggenommen. Dies ist ein Schaumanöver. Mit Realität hat dies leider überhaupt nichts zu tun, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Aber kommen wir mal zu dieser Minierhöhung.
Nach mir wird j a der Sozialsenator des Landes Berlin reden.
Reden wir doch mal darüber. — Jetzt bekommen die Rentnerinnen — in Berlin gibt es viele Rentnerinnen, die mit 700 DM Rente leben müssen —
3,50 DM im Monat mehr. Das feiert dann der Regierende Bürgermeister als einen Sieg für die Rentner. Von Ihnen, meine Damen und Herren, wird das als soziale Tat gefeiert.
Nein, es ist nichts weiter als der Versuch, Sand in die Augen zu streuen.
Die Rentner werden durch den Kakao gezogen, und sie sollen anschließend diesen Kakao, den Sie zusammengebraut haben, auch noch trinken.
Nur: In einem Punkt irren Sie sich gewaltig. Diese alten Menschen, die ihr Leben lang haben rechnen müssen, können auch jetzt rechnen. Die wissen ganz genau, um was es geht. Herr Kollege Fink, wie ist es denn in Berlin? In den zwei Jahren, in denen in Bonn die Regierung der Wende regiert, sind in Berlin die Seniorenfahrkarten um 37 % teurer geworden,
sind die Mieten für die Altbauwohnungen, in denen die alten Menschen wohnen, um 34 % teurer geworden.
Wenn Sie dann hier sagen, die Rentenversicherung sei nicht dazu da, diese Probleme zu lösen, sondern alte Menschen auf die Sozialhilfe verweisen, muß ich mich allerdings wundern, daß Ihnen bei einer
8564 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Januar 1985
Dr. Apel
solchen Ansprache nicht die Schamröte ins Gesicht kommt.
Da sollen dann Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, insbesondere Frauen, die als Trümmerfrauen unser Land wiederaufgebaut haben, diesen Weg gehen.
Wir müssen noch ein weiteres hinzufügen, damit wir das gesamte Bild zusammenhaben. Das wird der Sozialsenator des Landes Berlin nicht dementieren können: Selbst diese Minirentenerhöhung wird bei vielen Rentnerinnen und Rentnern, die Wohngeld bekommen, noch dazu führen, daß das Wohngeld gekürzt wird.
Da Sie unseren Gesetzgebungsanregungen nicht gefolgt sind, eine Wohngeldgarantie für das Jahr 1985 auszusprechen, kann es bei vielen Rentnerinnen und Rentnern dazu kommen, daß sie das, was sie mehr bekommen, diese Minibeträge, beim Wohngeld abgezogen bekommen, so daß sie am Ende schlechter dastehen werden.
Nun kommen Sie uns nicht mit Geldmangel. Wenn Sie Milliarden für die umsatzstarken Betriebe der Landwirtschaft haben, wenn Sie Milliarden für die sehr gut Verdienenden haben, um die Zwangsanleihe zurückzuzahlen, muß es auch möglich sein, die Schwächeren in diesem Lande finanziell zu so bedienen, daß durch die Rentensteigerungen mindestens die Preissteigerungsrate des Jahres 1985 ausgeglichen wird.
Sie fragen immer, was die Sozialdemokratie will. Sie will nicht, daß im Jahre 1985 das traurige Spiel des Jahres 1984 wiederholt wird, in dem die Rentnerinnen und Rentner mit ihrer Rentensteigerung hinter der Preissteigerung deutlich zurückgeblieben sind.
Nun sagen Sie — ich habe mich über die Chuzpe, die in diesem Debattenbeitrag zum Ausdruck gekommen ist, einigermaßen gewundert —, die Arbeitnehmereinkommen und Renteneinkommen stiegen parallel.
Das haben Sie im übrigen im Wahlkampf 1983 versprochen. Da muß ich nun wirklich fragen, wo bei Ihnen Adam Riese geblieben ist. Die Rentensteigerungen von 1,2 % im Jahre 1984 und von eins Komma ... % im Jahre 1985 liegen ganz deutlich unter den Steigerungen der Arbeitnehmereinkommen, ganz deutlich.
Die Rentner wissen das besser, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Lassen Sie mich einen letzten Gedanken aussprechen: Sie haben vor der Bundestagswahl 1983 in Ihrem Wahlprogramm folgendes gesagt — ich zitiere —: „Wir werden die notwendigen Opfer und Anstrengungen von allen Schichten der Bevölkerung fordern."
Davon ist heute auch bei dieser Rentensteigerung, die Sie vorhaben, nichts, aber auch gar nichts nachgeblieben. Herr Kollege Blüm — das richtet sich dann an Sie —, die Sozialausschüsse haben in der Zeitung „Soziale Ordnung" zur Jahreswende über die Politik der Bundesregierung unter der Überschrift „Moral kaputt" folgendes gesagt:
Wende als Wertewandel und als eine neue Einstellung zum Gemeinwohl ist mißlungen. Diejenigen, die opferten, wurden getäuscht. Ihre Leistung hat sich nicht gelohnt.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren. Sie werden verstehen, daß wir dieser Politik im Interesse der Rentnerinnen und Rentner unsere ganze politische Kraft entgegensetzen, entgegensetzen müssen, damit soziale Gerechtigkeit in diesem Lande nicht zu einer Farce wird.