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ID1011500600

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    Plenarprotokoll 10/115 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 115. Sitzung Bonn, Freitag, den 18. Januar 1985 Inhalt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1985 — Drucksache 10/2705 — in Verbindung mit Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes (Rentenanpassungsbericht 1984) sowie das Gutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Juli 1985 sowie zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der Rentenversicherung bis 1998 — Drucksache 10/2235 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz) — Drucksache 10/2677 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1985) — Drucksache 10/2608 — Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 8543 A Frau Fuchs (Köln) SPD 8550 B Seehofer CDU/CSU 8554 C Frau Potthast GRÜNE 8557 D, 8573 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 8560 D Dr. Apel SPD 8563 A Fink, Senator des Landes Berlin . . . 8564 D Heyenn SPD 8566 D Feilcke CDU/CSU 8571A Cronenberg (Arnsberg) FDP 8574C Frau Verhülsdonk CDU/CSU 8577 C Glombig SPD 8579 B Günther CDU/CSU 8583 C Heyenn SPD (Erklärung nach § 30 GO) 8586A Nächste Sitzung 8586 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 8587* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 8587*B Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Januar 1985 8543 115. Sitzung Bonn, den 18. Januar 1985 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bastian 18. 1. Dr. Bugl 18. 1. Büchner (Speyer) * 18. 1. Bühler (Bruchsal) 18. 1. Clemens 18. 1. Egert 18. 1. Eylmann 18. 1. Dr. Feldmann 18. 1. Frau Geiger 18. 1. Dr. Götz 18. 1. Grünbeck 18. 1. Haar 18. 1. von Hammerstein 18. 1. Dr. Hauff 18. 1. Huonker 18. 1. Dr. Jahn (Münster) 18. 1. Jansen 18. 1. Jaunich 18. 1. Frau Kelly 18. 1. Kretkowski 18. 1. Dr. Marx 18. 1. Link (Diepholz) 18. 1. Nelle 18. 1. Neumann (Bramsche) 18. 1. Reddemann* 18. 1. Reuschenbach 18. 1. Reuter 18. 1. Rode (Wietzen) 18.1. Schmidt (Hamburg) 18. 1. Schneider (Berlin) 18. 1. Schröer (Mülheim) 18. 1. Schulte (Unna) * 18. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim 18.1. Dr. Stark (Nürtingen) 18. 1. Dr. Stoltenberg 18. 1. Voigt (Sonthofen) 18. 1. Dr. Waigel 18. 1. Wischnewski 18. 1. Frau Dr. Wisniewski 18. 1. Wolfram (Recklinghausen) 18. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. Dezember 1984 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt: Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a Abs. 4 GG an das Saarland Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung (Krankenhaus-Neuordnungsgesetz - KHNG) Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes und der gesetzlichen Rentenversicherung (Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungs-Änderungsgesetz) Anlagen zum Stenographischen Bericht Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen Drittes Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder" Zehntes Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes Gesetz zu dem Vertrag vom 13. März 1984 zur Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften bezüglich Grönlands Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Mai 1980 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Nachlaß- und Erbschaftsteuern in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 20. Januar 1984 Gesetz zu dem Vertrag vom 25. Juni 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung angenommen: Der Bundesrat hält es für unverzichtbar, daß im Bundeshaushalt auch künftig an der Vorveranschlagung der Finanzhilfen des Bundes für die Wohnungsbau- und die Städtebauförderung festgehalten wird, solange nicht entsprechende Entscheidungen über den Abbau der Mischfinanzierungen und zur Übertragung der Gesetzgebungszuständigkeit auf die Länder getroffen sind. Da der Bund von den Ländern Mitleistungen in bestimmter Mindesthöhe verlangt, müssen die Länder schon während der Aufstellung ihrer Haushalte die Höhe der zu erwartenden Bundesfinanzhilfen kennen. Der Bundesrat ist der Auffassung, daß ein ausreichendes finanzielles Engagement des Bundes im Wohnungs- und Städtebau entsprechend den bisherigen Anteilsverhältnissen der Bund-/Länder-Finanzierung unverzichtbar ist, bis ein Einvernehmen zwischen Bund und Ländern über eine Entflechtung dieses Mischfinanzierungsbereiches einschließlich eines vollen finanziellen Ausgleichs hergestellt ist. Einen einseitigen Rückzug des Bundes aus der gemeinsamen Finanzierung des Wohnungs- und Städtebaus darf es nicht geben. Insbesondere erwartet der Bundesrat, daß der Bund die im Bundeshaushalt 1985 ausgebrachten Baudarlehensmittel von 510 Mio. DM nicht weiter kürzt, sondern tatsächlich in dieser Höhe bereitstellt. Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 3. Vier- teljahr des Haushaltsjahres 1984 (Drucksache 10/2592) zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 11 11 Tit. 682 01 - Erstattung von Fahrgeldausfällen - (Drucksache 10/2640) zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 23 02 Tit. 836 01 - Erhöhung des Kapitalanteils der Bundesrepublik Deutschland an der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) -(Drucksache 10/2650) zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben im Haushaltsjahr 1984 bei a) Kap. 10 02 Tit. 656 53 - Landabgaberente - und b) Kap. 10 02 Tit. 656 55 - Krankenversicherung der Landwirte - (Drucksache 10/2651) zuständig: Haushaltsausschuß 8588* Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Januar 1985 Unterrichtung durch die Delegation der Gruppe der Bundesrepublik Deutschland in der Interparlamentarischen Union über die 72. Jahreskonferenz der IPU vom 24. bis 29. September 1984 in Genf (Drucksache 10/2548) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (Berichtszeitraum April bis September 1984) (Drucksache 10/2603) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes — Bericht 1984 des Bundesministers für Verkehr über die Jahre 1982 und 1983 — (Drucksache 10/2624) zuständig: Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen (federführend) Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Formaldehyd — Gemeinsamer Bericht des Bundesgesundheitsamtes, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und des Umweltbundesamtes unter Beteiligung der Bundesanstalt für Materialprüfung, der Biologischen Bundesanstalt und des Vorsitzenden der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft — (Drucksache 10/2602) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Forschung und Technologie Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zur Einfuhrbeschränkung der USA für Stahlröhren aus der EG (Drucksache 10/2683) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu dem 13. Bericht der Europäischen Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik (Drucksache 10/2691) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Einundneunzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz — (Drucksache 10/2721) Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 25. April 1985 vorzulegen Die Vorsitzende des Ausschusses für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 15. Januar 1985 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlage abgesehen hat: Vorschlag für einen Beschluß des Rates zur Annahme eines mehrjährigen Forschungsaktionsprogramms der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet der Biotechnologie (1985-1989) (Drucksache 10/1691 Nr. 22) Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 13. Dezember 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden EG-Vorlage abgesehen hat: Vorschlag einer Verordnung des Rates mit besonderen Übergangsmaßnahmen für die Ernennung von 56 am Sitz der Europäischen Gesellschaft für Zusammenarbeit tätigen Bediensteten zu Beamten der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 9/1950 Nr. 53, 10/358 Nr. 20)
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Horst Seehofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, ich stelle Ihnen nur eine Frage: Warum haben Sie all das, was Sie hier jetzt erläutert haben, in Ihrer Regierungszeit nicht umgesetzt? Sie hätten 13 Jahre Zeit gehabt, dies in die Tat umzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Es ist ja recht interessant, daß Sie zu der aktuellen Frage, die die Rentner interessiert, nämlich der Rentenerhöhung 1985, keinen Satz

    (Feilcke [CDU/CSU]: Kein Wort!) verloren haben.


    (Urbaniak [SPD]: Das kommt noch!)

    Sie haben überhaupt keinen Grund, sich aufs hohe Roß zu setzen. Hier sagen Sie zur Rentenerhöhung keinen Satz, draußen verunsichern Sie die Rentner, draußen stellen Sie die Sicherheit der Renten in Frage, draußen wiegeln Sie die Rentner gegen diese Bundesregierung auf. In Wahrheit, Frau Kollegin Fuchs, geht es Ihnen nicht um die Rentner, in Wahrheit geht es Ihnen nach allen Pressemeldungen der letzten Tage um die Wahlen in Berlin, in Nordrhein-Westfalen und im Saarland.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Faltlhauser [CDU/CSU] und Feilcke [CDU/CSU]: Stimmungsmache der SPD!)

    Ich möchte Ihnen einmal sagen, Frau Fuchs, nachdem Sie hier selber dargestellt haben, was Sie zwischen 1969 und 1982 alles nicht gemacht haben, was Sie, 1972 beginnend, den Rentnern alles zugemutet haben. 1972 betrug die Schwankungsreserve in der gesetzlichen Rentenversicherung neuneinhalb Monatsausgaben, 1982 waren es noch ganze zwei Monatsausgaben. Hier wurden Milliardenbeträge verpulvert. Am 1. Juli 1978 haben Sie die fällige Rentenanpassung auf den 1. Januar 1979 ver-



    Seehofer
    schoben. Das heißt im Klartext: 1978 gab es eine Nullrunde für die Rentner.

    (Frau Dr. Lepsius [SPD]: Sie können nicht einmal rechnen!)

    1979, 1980 und 1981 haben Sie die Rentenanpassung von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Sie haben die Renten willkürlich nach Kassenlage erhöht. Durch diese Manipulation haben Sie den Rentnern die Rente auf Dauer um 121/2 % gekürzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nie zuvor in der gesetzlichen Rentenversicherung

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Gab es eine Rente auf Pump!)

    sind die Rentner so massiv zur Kasse gebeten worden wie durch Sie. Nie zuvor sind gleichzeitig die Rentenkassen so leergefegt worden wie durch Sie. Wer in so massiver Weise versagt hat, kann sich heute nicht als Anwalt der Rentner aufspielen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, nach dem Generationenvertrag sichert die jeweils erwerbstätige Generation mit ihren Beiträgen die Renten der älteren Bürger. Maßstab für die Rentenerhöhung ist die Lohnentwicklung. Löhne und Renten gehören zusammen. Die SPD hat im letzten Jahr mit Nachdruck gewerkschaftliche Forderungen unterstützt, die einen nicht unerheblichen Teil der Wertschöpfung in Arbeitszeitverkürzungen und nicht in die Löhne zu stecken zum Ziel gehabt haben. Für Arbeitszeitverkürzungen werden aber keine Beiträge bezahlt. Arbeitszeitverkürzungen kann man auch nicht an die Rentner weitergeben. Sie haben genug Freizeit. Eine solche Politik der Arbeitszeitverkürzung mit niedrigeren Löhnen richtet sich gegen die Interessen der Rentner.

    (Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)

    Hier wird deutlich, wie ernst Sie es mit der Solidarität gegenüber der älteren Generation nehmen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie wissen, daß das Blödsinn ist!)

    In Wirklichkeit geht es Ihnen nicht um die Rentner — ich sagte es —, in Wirklichkeit geht es Ihnen um die Wählerstimmen bei den drei bevorstehenden Landtagswahlen.
    Die Rentenerhöhung 1985 ergibt sich aus dem Lohnanstieg 1984 abzüglich einer Erhöhung des Beitrags zur Rentnerkrankenversicherung. Wir haben gehört, daß es zur Lohnentwicklung 1984 zur Stunde keine endgültigen Zahlen gibt. Zur Zeit muß von einem Zuwachs um die 3 % ausgegangen werden. Über geringfügige Abweichungen nach oben oder unten kann man zur Zeit nur spekulieren. Wichtig ist — dafür bin ich der Bundesregierung dankbar —, daß die Formel, die Renten 1985 nach der Lohnentwicklung des Jahres 1984 zu richten, nicht angetastet wird. Denn wenn man das machen würde, wäre der Manipulation Tür und Tor geöffnet.
    Die Diskussion gerade in den letzten Tagen hat sich alleine um die Frage gedreht: In welchem Umfang soll der Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung erhöht werden? Wir haben vor der Bundestagswahl 1983 festgelegt, daß die Rentner schrittweise einen Beitrag zu ihrer Krankenversicherung leisten sollen, so wie auch die Arbeitnehmer. Diese Koalition, meine Damen und Herren, hat ehrlich gehandelt. Sie hat vor den Wahlen reinen Wein eingeschenkt. Die Rentner wurden durch unsere Maßnahmen nicht überrascht.
    Das war 1976 noch ganz anders. Man erinnere sich an den damaligen Bundestagswahlkampf. Da herrschten nicht nur andere Leute, da herrschten auch andere Sitten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Leider!)

    Vor der Wahl täuschte der SPD-Kanzler Schmidt die Rentner über die wahre Lage der Rentenfinanzen, um sie nach der Wahl mit massiven Einschnitten zu überfallen. Die SPD hat damals nicht nur kräftig abkassiert, sie hat auch in massiver Weise das Vertrauen in die Rentenversicherung erschüttert; und Vertrauen ist das wichtigste Kapital unserer Rentenversicherung.
    Der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner beträgt zur Zeit 3 % und sollte ursprünglich 1985 um 2 % auf 5 % angehoben werden. Die geringer als erwartet ausgefallene Lohnentwicklung im Jahre 1984 hat die Regierungskoalition nun veranlaßt, diesen Beitrag nicht um 2 %, sondern nur um 1,5 % auf dann 4,5 % zu erhöhen. Mehr, meine Damen und Herren, ist finanziell einfach nicht machbar. Man muß nämlich wissen, daß 1 % Krankenversicherungsbeitrag plus oder minus 1,4 Milliarden DM mehr oder weniger für die Rentenversicherung bedeutet.
    Die Rentner müssen wissen, daß auch nach Erhöhung dieses Krankenversicherungsbeitrages mit ihrem Beitrag zur Krankenversicherung nur ein kleiner Teil der Aufwendungen für ihre Krankenversicherung abgedeckt wird. Ich sage das gar nicht vorwurfsvoll. Die Rentner waren ja früher erwerbstätig. Dies ist ein Solidarbeitrag auch der Jungen gegenüber den Rentnern. Aber man muß einmal sehen, daß die Krankenversicherung für die Rentner im Jahre 1985 über 40 Milliarden DM aufwendet und daß die Rentner mit ihrem Beitrag nur annähernd 6 Milliarden DM zur Krankenversicherung beisteuern; das sind ganze 14 %. Die Finanzlücke von über 34 Milliarden DM muß durch die jüngeren Arbeitnehmer gedeckt werden. Deshalb ist die Beitragsleistung der Rentner zur Krankenversicherung auch ein echtes Stück Solidarität der Rentner mit den Jüngeren.
    Ich füge ein Zweites hinzu. Zielsetzung des Krankenversicherungsbeitrages ist auch, daß sich die Löhne und die Renten nicht auseinanderentwikkeln; denn man muß wissen, daß sich die jährlichen Rentenanpassungen, die in der Regel ja Nettoanpassungen sind, nach den Bruttolöhnen richten. Wenn man jetzt von den Rentnern auf Dauer keinen Krankenversicherungsbeitrag erheben würde, bedeutete dies auf die Dauer, daß sich die Renten wesentlich stärker nach oben entwickeln als die
    8556 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Januar 1985
    Seehofer
    Löhne. Auch dies zu berücksichtigen ist eine Zielsetzung des Krankenversicherungsbeitrages.
    Meine Damen und Herren von der SPD, auch Sie haben dies offensichtlich so gesehen, solange Sie in der Regierung waren. Sie haben, noch in der Bundesregierung stehend, 1982 mit dem Entwurf zum 6. Rentenversicherungsänderungsgesetz einen Krankenversicherungsbeitrag für Rentner vorgesehen. In der Opposition allerdings haben Sie bis in die letzten Tage hinein die Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens immer sehr heftig in Frage gestellt.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: 5 % wollten wir auch nicht, Herr Seehofer!)

    Nach den Presseerklärungen der letzten Tage besteht nicht mehr der geringste Zweifel, daß Sie es mit der Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags auch ernst gemeint haben. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 11. und 16. Januar dieses Jahres kündigt der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel an, daß die SPD hier einen Antrag einbringen wird, wonach der Krankenversicherungsbeitrag in diesem Jahr nur um 1 % auf dann 4 % erhöht werden soll.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!)

    Damit — und dafür sind wir Ihnen dankbar — dokumentieren Sie etwas, was Sie in der Vergangenheit, solange Sie in der Opposition sind, immer bestritten haben,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt nicht!)

    nämlich Ihr Einverständnis mit einem Krankenversicherungsbeitrag von 4 %.
    Hier wird deutlich, worum der Streit bezüglich der Rentenanpassung 1985 eigentlich geht. Wir wollen einen Krankenversicherungsbeitrag von 4,5 %, die SPD will einen Krankenversicherungsbeitrag von 4 %. Das macht beim viel zitierten Kleinrentner etwa 3 DM aus. Ich weiß, man soll auch den Pfennig ehren. Aber glaubt denn wirklich jemand im Ernst, daß durch diese 3 DM die soziale Stellung eines Rentners verändert wird?

    (Zuruf von der SPD: Das ist doch Schwachsinn, was Sie hier sagen!)

    Da waren die Einschnitte, die Sie 1978, 1979, 1980 und 1981 gemacht haben, von ganz anderem Kaliber. Ich frage: Wo bleiben heute die Proteste des DGB? Damals waren die Einschnitte, die die SPD vorgenommen hat, um das 25fache höher als das, was heute zur Debatte steht. Ich stelle auch an jene die Frage nach der Glaubwürdigkeit, die heute die Regierungskoalition wegen der zugegebenermaßen bescheidenen Rentenerhöhung 1985 mit Protesten überschütten. Wo bleibt der Protest heute gegen die Opposition?

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Wer den in Aussicht genommenen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 4,5 % der Regierungskoalition als unsozial, als untragbar geiselt, kann
    die 4 % der Opposition nicht als soziale Wohltat preisen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Es ist nicht möglich — wir haben das sorgfältig geprüft —, den Krankenversicherungsbeitrag sozial zu staffeln. Der Bundesarbeitsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Rente allein nichts darüber aussagt, wie hoch der Lebensstandard eines Rentenbeziehers ist. Mehr als 70 % der männlichen Rentner beziehen mehrere Einkommen. Bei den Rentnerinnen mit eigener Rente sind es zwei Drittel, bei den Witwen sogar 80 %. Dies heißt: Wollte man den Krankenversicherungsbeitrag sozial staffeln mit der Zielsetzung, daß die kleineren Renten nicht so stark belastet sind, müßte man das gesamte Haushaltseinkommen eines Rentners überprüfen. Dies würde aber zu einem gigantischen Verwaltungsaufwand führen. Mehrere Millionen Rentner müßten sich dieser bürokratischen, immer wiederkehrenden Prozedur unterziehen, und erreicht würde herzlich wenig.
    Man muß nämlich wissen, daß für die Bezieher von Renten bis 600 DM folgendes gilt: Über 50 leben in Haushalten mit Einkommen über 2 000 DM und 80 % in Haushalten mit Gesamteinkommen von über 1 000 DM. Hier würde man durch eine soziale Staffelung, ginge man nur nach der kleinen Rente, genau die Falschen treffen. Bei den Rentnern, die wirklich nur von einer kleinen Rente leben müssen, würde vielfach nur die Sozialhilfe entlastet, die sich natürlich bei gestiegener Rente sofort wieder schadlos halten würde.
    Ich unterstreiche das, was die Bundesregierung hier ausgeführt hat: Den Rentnern geht es im allgemeinen gut. Sie schneiden im Verhältnis zu den Aktiven nicht schlecht ab. Ihre Stellung im Einkommensgefüge hat sich in den letzten Jahren seit der Rentenreform 1957 sogar erstaunlich verbessert.
    Vergleicht man nämlich die Renten — das möchte ich noch einmal wiederholen —, die j a in der Regel Nettoeinkommen sind, mit den Nettoverdiensten der Arbeitnehmer, so zeigt sich, daß das Rentenniveau gegenwärtig einen Höchststand erreicht hat. Nach 40 Versicherungsjahren erreicht der Rentner 65 %, nach 45 Versicherungsjahren 73 % des Nettoeinkommens eines vergleichbaren Arbeitnehmers. Ein derart hohes Rentenniveau hat es — mit Ausnahme des Jahres 1977 — noch nie gegeben.
    Die Renten steigen auch im Gleichklang mit den verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. Das ist nicht jedes Jahr deckungsgleich möglich. Das ist allein schon technisch nicht möglich, weil sich die Rentenerhöhung eines Jahres immer nach der Lohnentwicklung des vorhergehenden Jahres richtet. Aber im Durchschnitt mehrerer Jahre können wir feststellen, daß sich Renten und Nettoverdienste gleich entwickeln, so auch im Durchschnitt der Jahre 1983 bis 1985. In diesem Zeitraum stiegen die Renten um 6,6 %, während die Nettoarbeitsentgelte um 6,8 % stiegen.
    Meine Damen und Herren, es gibt ohne Zweifel auch Rentner, die von einer recht kleinen Rente



    Seehofer
    leben müssen. Aber dieses Problem — der Bundesarbeitsminister hat mit Recht darauf hingewiesen — kann die Rentenversicherung nicht lösen. Versicherungsleistungen bemessen sich nun einmal nach dem Beitrag und nach der Anzahl der Versicherungsjahre. Die Frage der wirtschaftlichen Bedürftigkeit spielt beim Versicherungsprinzip keine Rolle. Dafür gibt es die Sozialhilfe. Dafür wurde in diesem Sozialstaat die gleichberechtigte Säule in unserem Sozialsystem, nämlich die Sozialhilfe, als eigenständiger Zweig unseres Sozialsystems ins Leben gerufen. Ich warne alle davor, durch eine Einbeziehung der Prüfung wirtschaftlicher Bedürftigkeit in die Rentenversicherung

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das machen Sie doch jetzt!)

    gewissermaßen die Sozialhilfe und die Empfänger von Sozialhilfe zu diskriminieren. Niemand, der Sozialhilfe bezieht, braucht sich zu schämen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Die Rentner profitieren auch von der Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung. Es kommt nicht nur darauf an, wie die Renten steigen, genauso wichtig, ja noch wichtiger, ist es, was man sich von der Rente kaufen kann. Da ist jedes Prozent weniger Inflation 1 % Rentenerhöhung. Man muß sich mal vorstellen, die Preissteigerungsrate wäre heute noch so hoch wie 1982, als wir die Regierung übernommen haben. Damals waren dies 5,6 %; wir haben diese Inflationsrate mehr als halbiert. sie um über 3 % zurückgeführt, und dies sind 3 % mehr Kaufkraft für die Rentner, dies sind 3 % Rentenerhöhung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Hier wird deutlich, daß Stabilitätspolitik nicht nur wegen der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wichtig ist, sondern daß Stabilitätspolitik auch und vor allem Sozialpolitik ist.
    Genauso wichtig wie die Rentenhöhe, wie die Steigerung der Rente ist auch die Sicherheit der Rente. Die schönste Rentenerhöhung nutzt nichts, wenn die Rente selbst nicht bezahlt werden kann. Die SPD fordert mehr, sie fordert einen geringeren Krankenversicherungsbeitrag, sie schlägt eine große Strukturreform mit Milliarden Mehrkosten vor.

    (Glombig [SPD]: Das ist doch unglaublich, was Sie da erzählen!)

    Der wesentliche Deckungsvorschlag ist: Die Arbeitslosenversicherung soll ihre Beiträge an die Rentenversicherung erhöhen. Ich frage mich nur, für was Sie dieses Deckungsmittel eigentlich alles nehmen wollen: für den Krankenversicherungsbeitrag, für das Babyjahr, für die 70%ige Teilhaberegelung, für verschiedene andere Dinge in Ihrer Strukturreform. Dies ist typisch sozialistische Politik, daß Sie die Probleme nicht dort lösen, wo sie entstehen, sondern über einen Verschiebebahnhof jetzt die Arbeitslosenversicherung zur Kasse bitten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Wenn Sie bei der Arbeitslosenversicherung Milliarden wegnehmen, würde das nämlich bedeuten, daß Sie entweder die Versicherungsbeiträge zur Arbeitsiosenversicherung erhöhen müßten,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben wirklich keine Ahnung, Herr Seehofer, leider! Ich gebe Ihnen mal einen Grundkurs, damit Sie verstehen, worum es geht!)

    oder Sie müßten Leistungen für die Arbeitslosen, für die Fortbildung, für die Umschulung, für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen streichen; denn sonst haben Sie bei der Bundesanstalt für Arbeit ein finanzielles Loch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dies haben Sie uns über 13 Jahre vorexerziert.
    Meine Damen und Herren, Rentensicherheit ist genauso wichtig wie Rentenerhöhung, und deshalb zum Schluß meine wichtigste Feststellung: Die Rentner können sich darauf verlassen, daß ihre Rente auch 1985 sicher ist, daß sie pünktlich bezahlt wird;

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Auf Pump!)

    sie brauchen sich den Kopf nicht scheu machen zu lassen, sie können ruhig schlafen, sie können auch weiter in ihre Rentenversicherung Vertrauen setzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gabriele Potthast


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Rentner und Rentnerinnen! 1984, dieses berühmt-berüchtigte Jahr, ist nicht nur als Orwell-Jahr in die Annalen der Geschichte eingegangen, sondern viele dachten dabei auch an die große Rentenreform. Immerhin stand ja seit 1975 fest, daß in dem Jahr 1984 eine Reform erfolgen müßte, und in den neun Jahren stiegen die Erwartungen. Insbesondere wurden diese dadurch geschürt, daß die sozialliberale Regierung mit der Reform des Hinterbliebenenrechts den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen angekündigt hatte. Was jetzt allerdings auf dem Tisch liegt, sowohl der Entwurf von seiten der Regierung als auch der Entwurf von seiten der SPD, wird dem ehemaligen Anspruch in keinster Weise gerecht.
    „Der Berg kreißte, und geboren ward ein Blümlein", wobei es hier in diesem ach so Hohen Hause eigentlich kein Wunder sein sollte, daß der eigenständigen Alterssicherung von Frauen kein Vorrang eingeräumt wird, ist es doch den meisten Männern und damit der Mehrheit in diesem Haus ein Anliegen, Frauen auch weiterhin als Karrierebegleiterin für sich dienstbar zu machen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Der Skandal, daß Frauen, die tagaus, tagein in einem der reichsten Länder dieses Planeten unbezahlte und unterbezahlte Schwerstarbeit verrichten und verrichtet haben, um im Alter dann immer noch keine eigenständige Alterssicherung zu beziehen, sondern mit den niedrigsten Renten abgespeist



    Frau Potthast
    zu werden, geht in den Medien inzwischen auch ganz unter, weil er von der atemberaubend geringen Rentenanpassung überlagert wird.
    Ich muß allerdings gestehen, daß auch ich die Geschichte der Rentenanpassung überaus spannend finde. Sie liest sich wie eine klassische Tragödie, der man die Überschrift „Die Räuber" geben könnte; ein Lehrbuch über die Möglichkeiten legalen Rentendiebstahls. Mit dem 20. Rentenanpassungsgesetz vom 27. Juli 1977 wurde der Anpassungstermin um ein halbes Jahr verschoben. Mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz vom 25. Juli 1978 wurden die Renten für die Jahre 1979 bis 1981 von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Die allgemeine Bemessungsgrundlage der Bruttodurchschnittsverdienste aller Erwerbseinkommen wurde willkürlich um 22 % gesenkt. So konnte der Bundeshaushalt immer wieder auf Kosten der Rentenversicherung saniert werden.
    Die Rentner und Rentnerinnen können beruhigt sein. Noch geht es dem Bundeshaushalt nicht so schlecht, daß überhaupt keine Renten mehr gezahlt werden können. Erst vor kurzem sagte ja auch unser lieber Bundesminister Herr Blüm, daß es keinen Grund gebe, die Rentensicherheit in Frage zu stellen.

    (Dr.-Ing.Kansy [CDU/CSU]: Da ist auch richtig!)

    Die Rentner müßten nicht einen Atemzug lang um ihre Renten bangen. Und wenn Herr Blüm das sagt, dann muß das richtig sein;

    (Richtig! bei der CDU/CSU)

    denn Herr Blüm ist immerhin ein ehrenwerter Mann.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

    Wenn den alten Menschen schon im letzten Jahr sinkende Realeinkommen zugemutet werden konnten, warum sollte sich das dann in diesem Jahr ändern? Die Rentenanpassung für 1985 sieht eine Erhöhung von zirka 1,35% bei einer Preissteigerungsrate von 2,5% vor. Das heißt im Klartext, daß Frauen mit einer durchschnittlichen Versichertenrente in der Arbeiterversicherung von 440,30 DM mit einer Erhöhung von 5,94 DM monatlich zu rechnen haben, während sie gleichzeitig für gestiegene Lebenshaltungskosten monatlich rund 11 DM mehr ausgeben müssen. Unser Milchbübchen hat wieder zugeschlagen.
    Dafür kommt natürlich Freude bei anderen Bevölkerungsgruppen auf. So sind die Unternehmensgewinne 1983 um sage und schreibe 14 % und im letzten Jahr um 9 % gestiegen. Ich kann Ihnen versichern: Bei dieser Gewinnsteigerung handelt es sich nicht um läppische 5- oder 10-DM-Beträge.
    In schöner Eintracht finden wir auch dieses Mal wieder eine Riesenkoalition aller etablierten Parteien vor, wenn es um die Erhöhung der Diäten für die Damen und Herren des Deutschen Bundestages geht.

    (Zurufe von der CDU/CSU) Das letzte und dieses Jahr zusammengenommen macht die Diätenerhöhung knapp 600 DM aus. Schon allein das ist ein Skandal; denn das, was seit Jahren passiert, ist ein ungeheuerlicher Rentenbetrug, der schon unter der sozialliberalen Koalition begonnen hat. Das, was seit christdemokratischer Machtübernahme hinzugekommen ist, ist die kaltblütige Arroganz derer, die auf der einen Seite Sozialabbaugesetze machen — unter denen gerade sie nicht zu leiden haben —, während auf der anderen Seite Steuererleichterungen für Besserverdienende, überdurchschnittliche Unternehmergewinne und Diätenerhöhungen für die eigene Tasche zu finden sind.


    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sparpolitik nach dem Sankt-Florian-Prinzip: Verschon mein Haus, zünd andere an! Das ist das politische Motto.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Ich halte ein derartiges Vorgehen für ausgesprochenen Zynismus in einer Zeit, in der immer mehr Menschen in die Armut gedrängt werden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie sind scheinheilig, Frau Kollegin!)

    Das Modell des Bundesarbeitsministers, bekannt als Hinterbliebenenrente mit Freibetrag, wirkt auf den ersten Blick äußerst attraktiv. Danach werden Männer und Frauen nach dem Tode eines Ehegatten gleichermaßen eine Witwer- und Witwenrente erhalten, wobei der selbst erworbene Rentenanspruch immer in voller Höhe bestehen bleibt. Die Hinterbliebenenrente in Höhe von 60% wird jedoch nur dann voll bezahlt, wenn das eigene Einkommen einen Freibetrag von 900 DM nicht übersteigt. Der über 900 DM liegende Betrag wird bis zu 40 % angerechnet. Mit einer solchen Anrechnung wird eindeutig das Bedürftigkeitsprinzip in die Rentenversicherung eingeführt. Und, Herr Blüm, wir begrüßen das.
    Aber wenn schon das Bedürftigkeitsprinzip eingeführt wird, warum dann nur als Begrenzung der Ansprüche nach oben? Warum nicht in Form einer Anhebung der unteren Rentenansprüche? Ohne daß Sie die niedrigen Rentenansprüche anheben, werden weiterhin Hunderttausende von alten Menschen zusätzlich zu ihrer Rente Sozialhilfe beantragen müssen, weil sie entweder ihre Kinder schonen wollen oder sich schämen, unterhalb des Sozialhilfeniveaus zu leben.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Ihre Lösung ist: Einfach mehr Geld!)

    Das betrifft besonders die Frauen, die aus Trümmern nach dem Krieg Häuser gebaut haben.

    (Feilcke [CDU/CSU]: So wie Sie!) Eine Schande ist das.


    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wie verträgt sich das eigentlich mit dem von Ihnen stets propagierten Prinzip der „Leistung für Gegenleistung" oder mit dem flotten Spruch „Leistung muß sich wieder lohnen" oder, was Sie heute wieder
    Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 115. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Januar 1985 8559
    Frau Potthast
    von sich gegeben haben, „Rente ist Alterslohn für Lebensleistung"?
    Nur über eine Ausdehnung der Rente nach Mindesteinkommen und konsequent erst durch eine Grundrente für alle Bürger und Bürgerinnen kann diese himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit im Rentenrecht beseitigt werden.
    Der ständige Hinweis auf das Versichertenprinzip, sobald die Forderung nach einer Mindestrente kommt, ist überflüssig. Was sagte Graf Lambsdorff vor kurzem über die Rentenversicherung — ich zitiere jetzt einmal mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —: „Es ist keine Versicherung üblicher Art, für die man seine Beiträge bezahlt, die man monatlich mit Zins und Überschuß zurückbekommt, wenn die Rente beginnt ... Tatsächlich ist das Geld, streng nach Gesetz, längst weg, ausgegeben für die Bürger, die schon Rente bekommen haben."
    Mit einer Versicherung hat das Rentensystem also überhaupt nichts zu tun. Und somit kann eine Mindestrente nicht ständig mit dem Hinweis auf Beibehaltung der Beitragsäquivalenz verhindert werden. Die Mindestsicherung ist bislang auch immer mit dem Hinweis darauf abgelehnt worden, daß die Rentenversicherung nicht ermitteln könne, welche weiteren Einkünfte ein Versicherter hat. Auch dieser Grund gegen eine Mindestsicherung entfällt, folgen wir der Logik des Blüm-Modells, da nach dem Regierungsentwurf die Einkommenssituation der Hinterbliebenen auf jeden Fall überprüft werden muß; allerdings mit Einschränkungen, denn nicht angerechnet werden sollen j a Kapitaleinkünfte, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Einkünfte aus privaten Lebensversicherungen, kurz alle Einkünfte, die dem Slogan „Leistung muß sich wieder lohnen" widersprechen. Mit anderen Worten: Kapitaleinkommen werden, wie üblich, gegenüber Arbeitseinkommen privilegiert.
    Der verwitwete Unternehmer, der in die private Lebensversicherung investiert hat, bekommt also ohne Kürzung die Witwenrente gezahlt, sofern seine Frau eigene Rentenansprüche erworben hat. Wahrlich ein großartiger Beitrag zu mehr Gerechtigkeit! Dagegen muß eine Frau, deren eigene Rente höher als 900 DM ist, Kürzungen in Kauf nehmen. Würden alle Einkünfte angerechnet, so könnte der Freibetrag selbst unter dem Kostenneutralitätsdiktat höher sein, und ein wesentlicher Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit wäre vollbracht. So aber können wir nur hoffen, daß zumindest diese Form von Ungleichbehandlung, die nach wohlbekannter und beliebter Tradition die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben wird.
    Insbesondere bleibt festzuhalten, daß von einer eigenständigen Rente der Frau keine Rede sein kann. Das gleiche gilt natürlich für den Vorschlag der SPD, die das alte Teilhabe-Modell aus der Mottenkiste ihrer Regierungszeit gezogen hat. Hierbei wird vorgeschlagen, daß der oder die Hinterbliebene 70 % der vor oder während der Ehe erworbenen Ansprüche erhält, mindestens aber die Versichertenrente in voller Höhe. Auch dieses Modell ist bekanntermaßen umstritten, da es Frauen, die keine eigenen Rentenansprüche erworben haben, besser stellt, was jedoch angesichts der bestehenden Armut bei alten Frauen erst einmal positiv zu bewerten ist. Problematisch erscheint die Verteilungswirkung. Denn Frauen mit eigenen Rentenansprüchen werden gegenüber denen, die nicht erwerbstätig gewesen sind, benachteiligt. Noch schwerwiegenden ist allerdings, daß auch hier ein grundsätzlich falscher Weg eingeschlagen wird.

    (Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU])

    Zum einen wird durch die Anhebung des Hinterbliebenenrentensatzes die „Hausfrauenehe" gefördert. Zum anderen wird versucht, die materiellen Situationen von alten Frauen dadurch zu verbessern,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Was ist eine Hausfrauenehe?)

    daß die abgeleiteten Ansprüche angehoben werden.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Was ist eine Hausfrauenehe?)

    Das ist fatal, wenn man bedenkt, daß die Hinterbliebenenversorgung auch bei einem erhöhten Satz unzureichend bleibt. Immerhin sind 44 Rentenversicherungsj ahre eines Durchschnittsverdieners nötig, um eine Hinterbliebenenrente zu hinterlassen, die höher ist als das vergleichbare Sozialhilfeniveau. Das heißt, die Witwe eines Mannes, der während seines ganzen Versicherungslebens immer den Durchschnitt aller Versicherten verdient hat, bekommt eine Witwenrente unterhalb der Sozialhilfeleistung, wenn der Mann nur 43 Jahre lang versichert war. Das macht wohl überdeutlich, daß es ohne den Aufbau einer eigenständigen Rente nicht weitergehen darf.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zweifelsohne werden sich berufstätige Frauen bei einer 70 %igen Teilhaberente à la SPD unter dem Strich schlechter stehen, sofern die eigenen Ansprüche mindestens ein Drittel der Ansprüche des Mannes ausmachen. Kein Wunder, daß der DGB — trotz aller Sympathie für den Grundgedanken der Teilhaberente — Blüms Anrechnungsmodell bevorzugt.
    Beiden Entwürfen gemeinsam ist, daß die Situation von Frauen mehr oder weniger verschlechtert wird. Um den Protest dagegen im Vorfeld abzuwürgen, werden Vorschläge für die Anerkennung von Erziehungszeiten gemacht. Doch diese Vorschläge sind lächerlich, was die Zahl der Erziehungsjahre betrifft, und unerhört, was die Bewertung der Arbeit angeht. In beiden Gesetzentwürfen soll die Kindererziehung mit 75 % anerkannt werden, d. h. nicht einmal dem durchschnittlichen Verdienst aller Versicherten soll die Kindererziehung entsprechen, sondern sie soll 25 % weniger wert sein. Und dann steht im Regierungsentwurf: „Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten ist ein entscheidender Beitrag zu einer Gleichbewertung der Tätigkeit in der Familie und der außerhäuslichen Erwerbstätig-



    Frau Potthast
    keit." Fast wäre ich versucht, Herr Blüm, Sie der offensichtlichen Lüge zu bezichtigen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich beschränke mich stattdessen auf den Vorwurf des bewußten Vortäuschens falscher Tatsachen.
    Der unterdurchschnittliche Wert von Erzeihungszeit wird jedenfalls von Ihnen dort festgeschrieben. Sie mögen die 75 % mit Kostenneutralität begründen. Es ist und bleibt ein Ausdruck Ihrer Geringschätzung dieser Arbeit, beleidigend für alle Mütter und erziehenden Väter.
    Was die Dauer der Kindererziehung, die rentenrechtlich berücksichtigt werden soll, angeht, so scheut sich auch hier Herr Blüm nicht, den Frauen Sand in die Augen zu streuen. Herr Blüm, Sie behaupten, es würde ein ganzes Baby-Jahr neu eingeführt. Statt dessen ist es für Frauen, die jetzt Kinder erziehen, meistens nur ein halbes Jahr, weil eben die Zeit des Mutterschaftsurlaubs auf dieses angeblich neue Jahr angerechnet wird.

    (Frau Dr. Timm [SPD]: Hört! Hört!)

    Sie, Herr Blüm, schaffen verschiedene Klassen von kindererziehenden Müttern. Viele Frauen, die Kinder erzogen haben und heute noch erziehen, werden bei folgender Regelung völlig leer ausgehen: Nur bei einer persönlichen Bemessungsgrundlage von weniger als 75 % des durchschnittlichen Bruttoverdienstes aller Versicherten wird diese auf den Prozentsatz von 75 aufgestockt. Frauen dagegen, die, weil sie beispielsweise alleinstehend sind, auch im ersten Lebensjahr des Kindes erwerbstätig sein müssen und das Glück haben, ein höheres Einkommen als 75 % des Durchschnitts zu verdienen, bekommen trotz des Baby-Jahres keine Erziehungszeit anerkannt. Hier ist es unbedingt erforderlich, daß eine Regelung erfolgt, daß das Baby-Jahr mit den eigenen Ansprüchen zur gleichen Zeit kumulieren kann.
    Die Regelung von Herrn Blüm geht von dem Bild der sogenannten „vollständigen Familie" aus. Aber anders ist es von Ihnen j a wohl nicht zu erwarten. Doch das Bild ist anachronistisch. Mittlerweile beträgt die Zahl der Alleinerziehenden nämlich schon 1 Million. Es muß endlich Schluß damit gemacht werden, unverheiratete Mütter rechtlich zu diskriminieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Was die Anzahl der Jahre, die anerkannt werden, betrifft, so behaupten Sie ständig, daß das eine Jahr der Einstieg sein soll. Aber wo ist denn der Terminplan, wann der Einstieg ausgebaut wird? Warum schreiben Sie nicht in das Gesetz hinein, ab wann ein zweites und drittes Jahr anerkannt wird?
    Der größte Skandal aber ist die Begrenzung bei der Anerkennung von Erziehungszeiten auf Frauen ab dem Jahrgang 1921, d. h. der Ausschluß all jener Frauen von der Neuregelung, die als sogenannte Trümmerfrauen irrsinnige Arbeit geleistet haben, um die Lebensbedingungen in Deutschland nach dem Krieg wiederherzustellen. Es geht unserer
    Meinung nach nicht an, daß diese Frauen leer ausgehen.

    (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Und wer zahlt das?)

    — Denn auch dieser Skandal — Sie sagen es ja gerade — wird mit dem Hinweis auf finanzielle Machbarkeit gerechtfertigt.
    Machbar ist dagegen allerdings folgendes: Vor Weihnachten wurde eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende abgelehnt, im letzten Jahr wurden die Unternehmen um mehrere Milliarden DM Vermögensteuer entlastet; Sie stecken Milliarden in die Verkabelung und in Weltraumprojekte, von denen im Endeffekt eine Bedrohung der ganzen Menschheit ausgeht.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Frau Kollegin, das ist Arbeit und damit Rente!)

    Es werden Milliarden in die Rüstungsproduktion und in die Gentechnologie gesteckt, aber für die Anerkennung eines Baby-Jahres in der Rentenversicherung für die Generation unserer Mütter wollen Sie keine Steuermittel verwenden.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: So einfach ist Politik!)

    Ich halte das für unerträglich und fordere alle, insbesondere aber die Frauen des Bundestages auf, dies nicht zuzulassen.
    Unsere Fraktion hat deshalb ein Sofortprogramm zur Eindämmung der Ungerechtigkeit in der Rentenpolitik vorgeschlagen, das vier Punkte umfaßt:
    Erstens Anerkennung von drei Erziehungsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung,
    zweitens Anhebung der untersten Rentenleistung zumindest auf Sozialhilfeniveau,
    drittens sofortige Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung um 19 Milliarden DM

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Und viertens: Wie wird das finanziert?)

    und viertens Wiedereinführung der vollen Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose in Höhe des ehemaligen Bruttoeinkommens. Sie sollten vielleicht einmal über eine Wertschöpfungssteuer nachdenken, um das finanzieren zu können. Wenn Sie das nämlich berücksichtigten, wäre das ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.
    Danke.

    (Beifall bei den GRÜNEN)