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ID1010306200

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    Plenarprotokoll 10/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Oldenstädt 7497 A Verzicht des Abg. Graf Stauffenberg auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 7497 A Eintritt des Abg. Wittmann (Tännesberg) in den Deutschen Bundestag 7497 A Erweiterung der Tagesordnung 7497 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksachen 10/1800, 10/2250 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/2301, 10/2330 — . . . 7497 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/2302, 10/2330 — Esters SPD 7497 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 7499 B Frau Nickels GRÜNE 7500 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 7502 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/2303, 10/2330 — . . . 7504 B Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/2304, 10/2330 — Dr. Vogel SPD 7504 D Dr. Dregger CDU/CSU 7515 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE . . . 7521C, 7561B Hoppe FDP 7526 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 7530 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 7542 B Genscher, Bundesminister AA 7546 A Horn SPD 7549 C Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 7552C, 7558 B Dr. Apel SPD 7556A, 7558 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7559 B Frau Fuchs (Köln) SPD 7560 B Präsident Dr. Jenninger 7530 D Namentliche Abstimmung 7562 B Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes — Drucksachen 10/2305, 10/2330 — Dr. Ehmke (Bonn) SPD 7564A Dr. Rose CDU/CSU 7568 B Reents GRÜNE 7571 D Schäfer (Mainz) FDP 7573C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Frau Huber SPD 7576 B Genscher, Bundesminister AA . . 7578C, 7584 D Voigt (Frankfurt) SPD 7581 C Klein (München) CDU/CSU 7582 C Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/2314, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/2325 — Kleinert (Marburg) GRÜNE 7585 D Frau Traupe SPD 7586 C Dr. Stavenhagen CDU/CSU 7590A Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 7592 D Dr. Weng FDP 7594 B Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 7597 A Leonhart SPD 7602 A Namentliche Abstimmung 7604 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/2318, 10/2330 — Esters SPD 7606 C Frau Gottwald GRÜNE 7607A, 7612 D Borchert CDU/CSU 7609 B Frau Seiler-Albring FDP 7611A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7614A Vizepräsident Westphal 7609 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/2320, 10/2330 — Löffler SPD 7616 B Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 7618 B Schneider (Berlin) GRÜNE 7620 B Ronneburger FDP 7623 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 7625 C Nächste Sitzung 7626 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7627*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — (Drucksache 10/2325) 7627* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 7497 103. Sitzung Bonn, den 27. November 1984 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28.11. Dr. Barzel 30.11. Erhard (Bad Schwalbach) 30.11. Ertl 28.11. Dr. Glotz 30.11. Haase (Fürth) * 28.11. Handlos 27.11. Dr. Hauff 27.11. Hauser (Esslingen) 30.11. Frau Hoffmann (Soltau) 30.11. Lemmrich * 27. 11. Dr.-Ing. Oldenstädt 28. 11. Polkehn 30.11. Frau Renger 30.11. Frau Schmidt (Nürnberg) 30.11. Schmidt (Wattenscheid) 30.11. Dr. Solms 27. 11. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 28. 11. Dr. Spöri 30.11. Dr. Sprung 30.11. Dr. Stark (Nürtingen) 30.11. Vosen 30.11. Weiskirch (Olpe) 30.11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - (Drucksache 10/2325) Das Verhältnis zwischen den westlichen Schutzmächten und der Berliner Bevölkerung ist traditionell gut. So wird es bleiben, auch wenn gegenwärtig zwischen der britischen Schutzmacht und einem Teil der Bewohner von Berlin-Spandau eine gewisse Spannung besteht. Ursache dieser Spannung ist der Bau einer neuen großen Schießanlage in unmittelbarer Nähe einer Wohnsiedlung am Rande eines Erholungsgebietes. Eine Klagemöglichkeit wegen dieser Baumaßnahme vor deutschen Gerichten besteht nicht. Die Entscheidung eines Londoner Gerichts, ob überhaupt die Zuständigkeit eines britischen Gerichts gegeben ist, steht kurz bevor. Mit unserer Zustimmung zum Einzelplan 35 verbinden wir auch die Erwartung, daß die Bundesregierung einen Beitrag leistet, der das gute Verhältnis zwischen Schutzmacht und Bevölkerung bewahren hilft. Das könnte einmal dadurch geschehen, daß die Bundesregierung die Mehrkosten übernimmt, die durch den Gerichtsort London entstehen und dadurch, daß die Bundesregierung bei der britischen Regierung ihren Einfluß ausübt, um noch bessere Lärmdämmungsmaßnahmen zu erreichen.
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    Rede von Erwin Horn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat mich eigentlich etwas gewundert, daß in der Debatte über den Kanzleretat nicht ein einziges Mal über Bundeswehr und Bundeswehrplanung gesprochen wurde,

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Haben Sie gar nicht zugehört!)

    obwohl dies die eigentliche Herausforderung ist, die auf diesem Sektor besteht.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler hat sich ausdrücklich geäußert!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, langfristige Bundeswehrplanung ist eine wichtige und angesichts der Personal- und Finanzprobleme, die vor uns liegen, äußerst schwierige Aufgabe. Wenn der Bundeskanzler in dieser Angelegenheit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht, sollte er wissen, wovon er redet. Bei dem Nachfolger von Helmut Schmidt ist das nicht immer der Fall. Der Amtsinhaber ist mit einigem Recht beeindruckt, wenn ihm der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika darlegt, daß eine Verringerung des personellen Umfangs der Bundeswehr im Frieden Auswirkungen auf die amerikanische Truppenpräsenz in der Bundesrepublik, eine der wichtigsten transatlantischen Garantien unserer Sicherheit, haben würde. Ich nenne nur das Stichwort „Truppenabzug" des demokratischen Senators Nunn.
    Der Bundeskanzler müßte wissen, daß dies am deutschen Ressourceproblem nichts ändert, insbesondere nichts daran ändert, daß am Ende des Jahrzehnts die Anzahl der jährlich zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen rapide abnimmt. Er müßte sich entscheiden zwischen dem nicht erreichbaren Wunsch, die Friedensstärke der Bundeswehr bei 495 000 Mann zu halten, wie er es versprochen hat, und der Notwendigkeit, unseren wichtigsten Verbündeten die deutschen Möglichkeiten für einen hohen, wirksamen Verteidigungsbeitrag im Bündnis aufzuzeigen und zur besten Lösung des Problems einen möglichst breiten Konsens auch mit der Opposition herzustellen. Der Kanzler hat sich am 17. Oktober mit seinem Kabinett für die Fiktion entschieden.
    Auch Außenminister Genscher hat mittels der Wiener Verhandlungen über ausgewogene Truppenreduzierungen in Mitteleuropa keinen Beitrag zur Entschärfung des Personalproblems der Bundeswehr geleistet. Als Vizekanzler, Herr Genscher, von Helmut Schmidt blockierten Sie dessen Vertragswillen mit dem Argument, wir dürften keinen Vertrag schließen, sonst werde die Bundeswehr und



    Horn
    damit unser Gewicht im Bündnis kleiner. Heute sagt Herr Genscher: Die Bundeswehr darf nicht kleiner werden, sonst bekommen wir keinen Vertrag. Die Logik soll man draußen klarmachen!

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Was wollen Sie denn?)

    Was hat Verteidigungsminister Wörner geleistet, um das Personalproblem der Bundeswehr, die Streitkräftestruktur und die Rüstungsplanung in den Griff zu bekommen? Er hat sich zunächst einmal um das Material gekümmert. Das Personal, die Soldaten, blieben dabei außen vor.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wörner ist gar nicht da! Der fehlt! Der schwänzt!)

    Sein Bundeswehrplan 1985 sieht mittel- und langfristig Rüstungsbeschaffungen vor, ohne Auskunft darüber zu geben, welches Personal mit welchen Betriebskosten diese Waffensysteme einmal einsatzfähig halten soll. Im Klartext: Das war kein Plan, sondern eine Beschaffungsorder, der schon mangels Berechnung der Personalkostenentwicklung jede finanzielle Absicherung fehlt.
    Dabei hatte Hans Apel, sein Vorgänger, im Sommer 1982 mit dem Bericht der von ihm eingesetzten Langzeitkommission, gewissermaßen zeitgerecht für seine Nachfolger, günstige Voraussetzungen geschaffen, um das Personalproblem anzugehen. Dr. Wörner hat jedoch zunächst einmal zwei Jahre ungenutzt verstreichen lassen. Als unsere Kritik an dem, was er Planung nennt, nämlich Beschaffungsfestlegungen, ohne Berücksichtigung von Personal und Finanzen, nicht mehr zu übergehen war, kleidete er die Fiktion des Bundeskanzlers von einer 495 000 Mann stark bleibenden Bundeswehr in das Papier „Die Bundeswehrplanung für die 90er Jahre".
    Dieses Papier, meine sehr verehrten Damen und Herren, dessen Inhalte noch zu diskutieren sind, weist in der Fassung der Tischvorlage für das Kabinett vom 7. Oktober simple rechnerische Unstimmigkeiten auf, so daß es eigentlich den Weg in das Kabinett hätte nicht finden dürfen. Bei Helmut Schmidt wäre das gar nicht auf den Tisch gekommen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ob man nun berechtigte Zweifel hat oder nicht, wie die mit den Maßnahmen angestrebten Personalgewinne zu erzielen sind, die Zahl von 456 000 Soldaten ist mit den aufgeführten Einzelmaßnahmen nicht errechenbar.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Bundesregierung selbst geht für den Fall, daß keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen würden, im Jahre 1995 noch von einem Bestand von 339 000 aktiven Soldaten aus, im Jahre 1998 aber nur noch von 297 000 Mann; das sind 42 000 Soldaten weniger. Daraus wird klar: was immer auch vorgesehen ist — stärkere Ausschöpfung der Wehrpflicht, Gewinnung von mehr Längerdienenden und selbst die kontroverse Verlängerung der Wehrpflichtdauer um drei Monate; selbst wenn diese Maßnahmen
    100 %ig greifen würden, was niemand glaubt —, wir werden den Bestand der Bundeswehr von 456 000 Mann rechnerisch einfach überhaupt nicht halten können. Was vorgelegen hat, ist eine Fiktion, keine Realität!

    (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas zu Herrn von Bülow!)

    — Selbstverständlich, das kommt gleich. — Im Klartext heißt das: Die Planung bricht zusammen, und die Frage ist nur noch, ob das 1995/96 oder ein oder zwei Jahre später geschieht. Das hängt davon ab, wann die Koalition sich dafür entscheidet, die Wehrpflichtdauer zu verlängern.
    In diesem Zusammenhang möchte ich folgenden Hinweis geben; der Verteidigungsminister weiß dies ganz genau, und in seinem Haus pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Verteidigungsminister ehrlich wäre, würde er heute vor das Parlament treten und zugeben, daß ihm aus seinem eigenen Hause gesagt wird: Selbst wenn alle Personalmaßnahmen einschließlich einer Wehrpflichtverlängerung funktionieren, wird der Umfang der Bundeswehr in den 90er Jahren auf 420 000 Mann absinken. Daher brauchen wir eine Strukturänderung; um die drückt er sich, und das ist der Skandal.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Herr Bundeskanzler hat nun gebilligt, daß die Zahl der aktiven Bundeswehrsoldaten auf 456 000 abgesenkt wird, obwohl ihm bekannt sein müßte, daß auch diese Zahl nicht zu halten ist. Dabei muß man sich vor Augen führen, daß er kurz vorher auf der Kommandeur-Tagung den Soldaten noch 495 000 präsente Soldaten versprochen hat.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns nachrechnen: 456 000 aktive Soldaten plus 15 000 Wehrübungsplätze plus 24 000 ausgebildete Reservisten in Verfügungsbereitschaft ergibt rechnerisch 495 000. Nur, Reservisten in Verfügungsbereitschaft sind keine präsenten Soldaten. Der Bundeskanzler hat also sein Wort, das er den Generalen auf der Kommandeur-Tagung in Travemünde gegeben hatte, eindeutig — wie in anderen Fällen auch — gebrochen!

    (Zustimmung bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zu Herrn von Bülow! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Ich nehme zu den Aussagen des Kollegen von Bülow auch hier Stellung. Wir als Sozialdemokraten drücken uns — im Unterschied zur Regierung — nicht vor verantwortlichen Aussagen.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Wir alle wissen: Personal- und Finanzmittel setzen allen Planungen zur optimalen Aufgabenerfüllung Grenzen. Wenn nicht mehr ausreichend Personal zur Verfügung steht, um die eingenommene Streitkräftestruktur sinnvoll zu betreiben, und wenn trotz hohen Finanzeinsatzes auch nicht ausreichend Personal gewonnen werden kann, muß



    Horn
    man die Streitkräfte umstrukturieren. Die kritische Zahl liegt hier bei etwa 450 000. Diese Zahl wird in den 90er Jahren unterschritten; das wissen Sie. Notwendige Strukturveränderungen müssen aber frühzeitig eingeleitet werden. Die letzte Strukturänderung — Heeresstruktur IV — ist bereits seit 12 Jahren im Gange. Das gibt den zeitlichen Rahmen an. Meine sehr verehrten Damen und Herren — auch und gerade von der Regierungskoalition —, wenn dies zu spät in Gang gesetzt wird, erfolgt der Vorlauf der Ausbildung zu spät, erfolgt der Zuschnitt der Einheiten zu spät, werden die entsprechenden Waffen zu spät zugeführt, wird die Frage von Versetzungen zwischen den Einheiten zu spät beantwortet, und das heißt, es wird alles auf dem Rücken unserer Soldaten ausgetragen. Das wollen Sie als Parlamentarier doch auch nicht! Helfen Sie doch mit, den Minister zu zwingen, jetzt schon ein entsprechendes Strukturkonzept vorzulegen; dann geht das für die Soldaten in Ordnung.

    (Beifall bei der SPD)

    Bei der Umstrukturierung der Bundeswehr wird man um zusätzliche Kaderung nicht herumkommen. Wir Sozialdemokraten schlagen vor,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wer ist das?)

    eine wichtige und bislang kaum genutzte Ressource, die große Zahl unserer ausgebildeten und einsatznah verfügbaren Reservisten, als zusätzliche und wirksame deutsche Leistung ins Bündnis einzubringen. Wir sind auch bereit, bei zweckmäßiger Umstrukturierung — aber eben nur dann — zu überprüfen, ob die Dauer der Wehrpflicht verlängert werden muß. Man muß dann genau untersuchen, ob dies ein, zwei oder drei Monate sein müssen. Wenn die konventionellen Kräfte in zunehmendem Maße zur strategischen Stabilität in Europa beitragen sollen, dann darf am Ende einer Umstrukturierung der Bundeswehr nicht weniger, sondern dann muß mindestens gleichbleibende Kampfkraft vorliegen.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    Die ausschließlich defensive Funktion der Bundeswehr ergibt sich aus dem Charakter des Bündnisses und der Auslegung unserer Streitkräfte. Das habe ich schon gesagt. Die neue Struktur muß uns in die Lage versetzen, drei für uns entscheidende militärstrategische Prinzipien durchzusetzen, nämlich Vorneverteidigung, schnelle Konfliktbeendigung sowie Schadensbegrenzung, und das wesentlich stärker als bisher mit konventionellen Kräften und auf der Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen.
    Dies alles, meine Damen und Herren, muß eingebettet sein in eine überzeugende, glaubwürdige Gesamtstrategie. In der Glaubwürdigkeitskrise der westlichen Strategie in den frühen 60er Jahren haben fortschrittliche Amerikaner wie General Maxwell Taylor mit seinem Buch „The Uncertain Trumpet" und Sozialdemokraten wie Fritz Erler und Helmut Schmidt u. a. mit seinem Buch „Verteidigung oder Vergeltung?" das Denken übergeleitet von der massiven Vergeltung zur Flexible Response. Erneut hat im ganzen Bündnis nun eine Strategiedebatte eingesetzt. Ihr Kern ist diesmal die tiefe Akzeptanzkrise der etablierten Sicherheitspolitik nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen. Die Akzeptanzfrage muß in demokratischen Staaten immer wieder gestellt werden.
    Zur nuklearen Frage haben sich bedeutende Amerikaner, so auch der frühere amerikanische Verteidigungsminister und Unterhändler bei den SALT-I-Gesprächen, zu Wort gemeldet. Warum wundern Sie sich denn — nun kommen Sie dran, Herr Kittelmann — eigentlich, daß ein Mann wie mein Kollege von Bülow sich Gedanken macht und zu Papier bringt? Nun hat man ihm auf einer Pressekonferenz als Rechengröße für die Bundeswehr die Zahl 300 000 entlockt, und allenthalben herrscht darüber im Regierungslager — so sehe ich es — fast eitel Freude. Man wollte ihn gründlich mißverstehen und tut es auch. Dabei hat er nichts anderes gesagt als erstens, daß die Bundeswehr in den 90er Jahren auf 300 000 Mann schrumpfen wird, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden — das gleiche hat übrigens der Generalinspekteur am 30. September vorigen Jahres auch in einer Stellungnahme gegenüber dem Minister gesagt;

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    lassen Sie mich das bitte noch ausführen —, zweitens, daß er sich eine um 40 % auf 300 000 Mann reduzierte Bundeswehr für den Fall vorstellen kann, daß die Sowjetunion, wie Moskau vorgeschlagen hat, ihre Streitkräfte in der DDR und in Osteuropa um 50 % reduziert.


Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Abgeordneter Horn, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Horn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Nein, weil ich nachher noch einige konzeptionelle Darstellungen geben will, die von Ihnen, von der Regierung hier ständig gefordert werden. Deshalb möchte ich meine Zeit lieber dazu verwenden.
    Was, meine Damen und Herren, wollen Sie vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit an diesem Gedanken eigentlich schlecht finden?
    Wir Sozialdemokraten fordern nicht nur Rüstungskontrollverhandlungen, sondern endlich auch Ergebnisse. Das gilt für die Truppenreduzierungsverhandlungen in Wien ebenso wie für die Stockholmer Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildung sowie Abrüstung vom Atlantik bis zum Ural. Wir fordern den Bundesaußenminister und seinen Abrüstungsbeauftragten auf, statt kosmetischer Presserhetorik endlich Substanzarbeit zu leisten, wo nötig, auch einmal bei den Verbündeten.
    Meine Damen und Herren, es ist unglaublich, daß über die entscheidenden Fragen unserer Sicherheit in der Union Funkstille, ein Denkverbot herrscht. Das Aufmucken Ihrer Basis, bei der Jungen Union, das Aufgreifen der Akzeptanzfrage durch Kurt Biedenkopf werden unterdrückt, die Argumente schamhaft verschwiegen. Es kann doch wohl nicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, daß die stärkste deutsche Regierungs-



    Horn
    partei sich einfach aus dieser Diskussion ausklinkt. Die Situation verlangt, daß zumindest die großen Parteien hier für die deutsche Interessenlage eintreten.
    Wir schlagen im einzelnen als Strukturänderung vor — ich bitte Sie, dem ruhig einmal zu folgen —:
    Erstens. Der Personalumfang soll im Frieden, soweit möglich, zwischen 400 000 und 430 000 Mann betragen, die Verteidigungsstärke nach zwei Tagen Mobilisierung ca. 1,4 Millionen Soldaten.
    Zweitens. Es soll keine Streichung von Strukturelementen erfolgen, sondern Kaderung auch bei Luftwaffe und Marine, vor allem aber bei den Versorgungs-, Kampfunterstützungs- und Infanterieteilen des Heeres. Die Hauptwaffensysteme sollen durch präsente Kräfte betrieben werden.
    Drittens. Vereinigung von Territorial- und Feldheer erachten wir für sinnvoll, dabei Nutzung der Heimatschutzbrigaden zur Verstärkung der Vorneverteidigung und Übernahme der territorialen Milizkräfte.
    Viertens. Ich schlage die Präsenz panzerstarker Verbände in Form von Brigaden vor, die im Rahmen der Verteidigungsplanung zur Aufnahme der Anfangsverteidigung und zur Deckung des Aufwuchses der gekaderten Kräfte grenznah eingesetzt werden.
    Fünftens. Wir erachten eine Teilkaderung infanteriestarker Verbände für sinnvoll, die nach der Mobilmachung hinter den präsenten Panzerverbänden aufwachsen.
    Sechstens. Zusätzliche Sperrverbände sollen in Milizform aufgebaut werden, die in sehr kurzer Zeit nach der Mobilmachung aufwachsen. Ziel ist: je zwei Sperrbrigaden für alle, die deutschen und die alliierten Korps, und diesen unterstellt. Aus regional verfügbaren Kräften soll eine Verfügungsbereitschaft aufgebaut werden, die in eine Alarmbereitschaft umzuwandeln ist. Aufgabe der Sperrverbände ist die Aufnahme von eingesetzten eigenen Kräften, Verstärkung der eigenen Kampfkraft unter Nutzung des Geländes und Sicherstellung einer koordinierten Operationsplanung und Operationsführung auf unserem Territorium unter Wahrung deutscher Interessen nach dem Prinzip: Mitbestimmung durch Mitwirkung.
    Dies bedeutet für das Heer: es gibt nicht weniger, es gibt mehr Brigaden. Die Brigaden aber sind — zweitens — jeweils kleiner. Drittens wird die Versorgung mit weniger Präsenzkräften und effektiver organisiert. Insgesamt wird die Vorneverteidigung nachhaltig und in einer offenkundig defensiven Struktur verstärkt. Die Gewährleistung einer verstärkten Verteidigungsfähigkeit ist auf Grund des Kräfteverhältnisses und der deutschen Bündnisverpflichtungen erforderlich, solange noch keine Truppenreduzierungsabkommen erzielt sind. Das Risiko einer nuklearen Eskalation muß zunehmend dem Angreifer aufgebürdet werden.
    Wir sind auch der Auffassung, daß die Rüstungsplanung auf diese neue Struktur auszurichten ist. Grundsätzlich befürworten wir die vom Generalinspekteur der Bundeswehr getroffene Prioritätensetzung zugunsten von Aufklärung, elektronischer Kampfführung, Munition, Luftverteidigung und Sanitätsdienst auch für die neue Struktur.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit habe ich hier einen Vorschlag unterbreitet, der sicherlich diskussionswürdig und auch diskussionsnotwendig für uns alle ist. Das ist ein Angebot an die so oft beschworene Gemeinsamkeit der demokratischen Parteien auf dem wichtigen Feld der Sicherheits- und Friedenspolitik. Meine sehr verehrten Damen und Herren gerade auch aus dem Verteidigungsausschuß, meine Bitte an Sie lautet: Machen Sie es nicht wieder wie in der Sitzung am 18. Oktober, wo im Hauruckverfahren das Fallbeil über eine Vorlage nach sechs Stunden fiel.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, das ist ein Angebot. Sie können es aufgreifen. Wir jedenfalls sind kooperationsbereit.

    (Beifall bei der SPD)