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ID1010303700

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    Plenarprotokoll 10/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Oldenstädt 7497 A Verzicht des Abg. Graf Stauffenberg auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 7497 A Eintritt des Abg. Wittmann (Tännesberg) in den Deutschen Bundestag 7497 A Erweiterung der Tagesordnung 7497 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksachen 10/1800, 10/2250 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/2301, 10/2330 — . . . 7497 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/2302, 10/2330 — Esters SPD 7497 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 7499 B Frau Nickels GRÜNE 7500 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 7502 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/2303, 10/2330 — . . . 7504 B Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/2304, 10/2330 — Dr. Vogel SPD 7504 D Dr. Dregger CDU/CSU 7515 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE . . . 7521C, 7561B Hoppe FDP 7526 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 7530 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 7542 B Genscher, Bundesminister AA 7546 A Horn SPD 7549 C Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 7552C, 7558 B Dr. Apel SPD 7556A, 7558 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7559 B Frau Fuchs (Köln) SPD 7560 B Präsident Dr. Jenninger 7530 D Namentliche Abstimmung 7562 B Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes — Drucksachen 10/2305, 10/2330 — Dr. Ehmke (Bonn) SPD 7564A Dr. Rose CDU/CSU 7568 B Reents GRÜNE 7571 D Schäfer (Mainz) FDP 7573C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Frau Huber SPD 7576 B Genscher, Bundesminister AA . . 7578C, 7584 D Voigt (Frankfurt) SPD 7581 C Klein (München) CDU/CSU 7582 C Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/2314, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/2325 — Kleinert (Marburg) GRÜNE 7585 D Frau Traupe SPD 7586 C Dr. Stavenhagen CDU/CSU 7590A Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 7592 D Dr. Weng FDP 7594 B Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 7597 A Leonhart SPD 7602 A Namentliche Abstimmung 7604 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/2318, 10/2330 — Esters SPD 7606 C Frau Gottwald GRÜNE 7607A, 7612 D Borchert CDU/CSU 7609 B Frau Seiler-Albring FDP 7611A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7614A Vizepräsident Westphal 7609 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/2320, 10/2330 — Löffler SPD 7616 B Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 7618 B Schneider (Berlin) GRÜNE 7620 B Ronneburger FDP 7623 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 7625 C Nächste Sitzung 7626 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7627*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — (Drucksache 10/2325) 7627* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 7497 103. Sitzung Bonn, den 27. November 1984 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28.11. Dr. Barzel 30.11. Erhard (Bad Schwalbach) 30.11. Ertl 28.11. Dr. Glotz 30.11. Haase (Fürth) * 28.11. Handlos 27.11. Dr. Hauff 27.11. Hauser (Esslingen) 30.11. Frau Hoffmann (Soltau) 30.11. Lemmrich * 27. 11. Dr.-Ing. Oldenstädt 28. 11. Polkehn 30.11. Frau Renger 30.11. Frau Schmidt (Nürnberg) 30.11. Schmidt (Wattenscheid) 30.11. Dr. Solms 27. 11. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 28. 11. Dr. Spöri 30.11. Dr. Sprung 30.11. Dr. Stark (Nürtingen) 30.11. Vosen 30.11. Weiskirch (Olpe) 30.11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - (Drucksache 10/2325) Das Verhältnis zwischen den westlichen Schutzmächten und der Berliner Bevölkerung ist traditionell gut. So wird es bleiben, auch wenn gegenwärtig zwischen der britischen Schutzmacht und einem Teil der Bewohner von Berlin-Spandau eine gewisse Spannung besteht. Ursache dieser Spannung ist der Bau einer neuen großen Schießanlage in unmittelbarer Nähe einer Wohnsiedlung am Rande eines Erholungsgebietes. Eine Klagemöglichkeit wegen dieser Baumaßnahme vor deutschen Gerichten besteht nicht. Die Entscheidung eines Londoner Gerichts, ob überhaupt die Zuständigkeit eines britischen Gerichts gegeben ist, steht kurz bevor. Mit unserer Zustimmung zum Einzelplan 35 verbinden wir auch die Erwartung, daß die Bundesregierung einen Beitrag leistet, der das gute Verhältnis zwischen Schutzmacht und Bevölkerung bewahren hilft. Das könnte einmal dadurch geschehen, daß die Bundesregierung die Mehrkosten übernimmt, die durch den Gerichtsort London entstehen und dadurch, daß die Bundesregierung bei der britischen Regierung ihren Einfluß ausübt, um noch bessere Lärmdämmungsmaßnahmen zu erreichen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute allerdings besonders laute und angestrengte Rede des Herrn Oppositionsführers konnte nicht besser sein — das sage ich zu seiner Entschuldigung — als die Politik, die er zu vertreten hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Der Herr Bundeskanzler kann seine Politik überhaupt nicht vertreten!)

    Es ist die Politik einer Partei, die nicht erst seit dem Regierungswechsel — aber seitdem ungehemmt — ohne Weg und Ziel dahintreibt und sich ihrem Niedergang hingibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Was an dieser Rede unangenehm berührt, ist das hohe Maß an Selbstgerechtigkeit, das Herrn Vogel allerdings schon immer ausgezeichnet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, immer wiederholte Angebote zur Zusammenarbeit mit der Regierung und der Koalition auf der einen Seite und ständige persönliche Angriffe an die Adresse derer, mit denen er angeblich zusammenarbeiten will, schließen sich in der Tat aus.
    Lassen Sie mich meinen Beitrag mit einem Fall

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]:... der Selbstkritik!)

    aus der Praxis eines Wahlkreisabgeordneten beginnen, den sicherlich viele von Ihnen in ähnlicher Weise erleben.
    In der letzten Woche erschien in meinem Wahlkreis in Fulda eine Delegation von Gehörlosen, die an mich die Frage stellten, ob denn nun der Wegfall der Fahrtvergünstigung für sie und ihre Schicksalsgefährten unvermeidlich gewesen und ob er korrigierbar sei. Wenn an mich — und Ihnen wird es nicht anders gehen — eine solche Frage gestellt wird, dann trifft mich das tief. Dann bin ich keineswegs der Meinung, daß alles das, was wir bei der katastrophalen Lage der Staatsfinanzen relativ schnell beschließen mußten, nun auch richtig und auf Dauer unkorrigierbar sei.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Die Tatsache, daß Korrekturen im einzelnen natürlich Berufungsfälle sein würden, macht die Lage nicht leichter. Aber es ist doch nicht zu leugnen, daß hier und da in der Tat erhebliche Härtefälle entstanden sind.
    Das ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite ist der Oppositionsführer, der Herr Kollege Vogel. Herr Kollege Vogel, wenn Sie aus diesen und ähnlichen Fällen ableiten wollen, wir — die Unionsparteien — und unser Koalitionspartner betrieben eine Politik der Umverteilung von unten nach oben, dann ist das eine arrogante Behauptung, die ich mit Energie zurückweisen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wer hat denn die Lage geschaffen,


    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sie!)

    die uns gezwungen hat, nun zur Sanierung der Staatsfinanzen relativ kurzfristig

    (Zuruf von der SPD: Nur kleine Leute werden getroffen!)

    harte Entscheidungen zu treffen, die im Einzelfall sicherlich auch nicht unproblematisch waren? Das waren doch Sie, meine Damen und Herren, doch nicht wir. Das müssen wir doch einmal festmachen.

    (Widerspruch bei der SPD — Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Das haben die vergessen!)

    Wie war denn die Haushalts- und die Ausgangslage 1969, als Sie die Regierungsverantwortung übernahmen? Damals war unser Land so gut wie schuldenfrei. Es gab keine Arbeitslosen. Die Kassen waren voll. So war es 1969. Als Sie vor zwei Jahren die Regierungsverantwortung an uns abtreten mußten, hatten Sie unser Land in ein Schuldenchaos gestürzt, und Sie hatten Massenarbeitslosigkeit bewirkt. Diese hatten Sie in der Ara Brandt und Schmidt verzehnfacht.

    (Zuruf von der SPD: Und heute?)

    1982 standen die sozialen Sicherungssysteme vor
    dem Zusammenbruch, und deswegen mußten wir



    Dr. Dregger
    handeln. Wir sind immer noch dabei, den Schutt wegzuräumen, den Sie hinterlassen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

    Damit sind wir noch nicht fertig. Aber wir haben in zwei Jahren erstaunliche Erfolge erzielt.

    (Zuruf von der SPD: In der Arbeitslosigkeit!)

    Wir haben nicht wie bei Ihnen ein Minuswachstum, sondern in diesem Jahr wieder ein reales Wirtschaftswachstum von 2,5 %. Der Sachverständigenrat erklärt in seinem Jahresgutachten, daß wir im kommenden Jahre sogar mit einem Wachstum von 3 % real rechnen könnten, vorausgesetzt allerdings, daß nicht Ihre Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemacht wird, sondern unsere.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben wieder Geldwertstabilität wie zu Ludwig Erhards Zeiten. Wir haben wieder Überschüsse, und zwar nicht nur in der Handels-, sondern auch in der Leistungsbilanz. All das war unter Ihrer Verantwortung verlorengegangen. Wir haben Ihre Schuldenmacherei, die man nur als liederlich bezeichnen kann, wesentlich zurückgeführt. Die Kurzarbeit ist drastisch gesenkt, die Arbeitslosigkeit gestoppt.

    (Lachen bei der SPD)

    Der Sachverständigenrat erwartet für das Jahr 1985 eine nennenswerte Verringerung der Arbeitslosigkeit, vorausgesetzt allerdings wieder, daß nicht die von Ihnen empfohlene Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemacht wird, sondern unsere Wirtschafts-, Finanz und Sozialpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun stellen Sie sich, Herr Kollege Vogel, an dieses Pult — ich weiß nicht, ob vielleicht als zweiter Weltökonom —, um uns zu lehren, was wir zu tun hätten, um das noch schneller in Ordnung zu bringen, was Sie — wer sonst? — in 13 Jahren in Unordnung gebracht haben. Das ist doch eine erstaunliche Politik.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Was für die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gilt, gilt in ähnlicher Weise auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Was wäre denn wohl aus dem Bündnis und der Sicherheit unseres Landes an der Grenze von Ost und West geworden, wenn wir uns so verhalten hätten wie Sie, wenn wir nicht in der Nachrüstungsentscheidung das Versprechen eingelöst hätten, das der von Ihnen verlassene Bundeskanzler Schmidt einmal der Allianz gegeben hatte?

    (Dr. Vogel [SPD]: Ein vernünftiger Kompromiß wäre herausgekommen!)

    — „Vernünftiger Kompromiß"? — Wenn jetzt wirklich Aussicht besteht, daß die Sowjetunion in ernsthafte Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und ihren europäischen Verbündeten eintreten muß, dann liegt das doch nur daran, daß die Sowjetunion zum ersten Male seit Jahren weiß, daß sie auf dem innenpolitischen Felde ihrer Verhandlungspartner, wo ihr als Instrumente die Bruderparteien, Tarnorganisationen, idealistische Friedensbewegungen und andere zur Verfügung stehen, keine konzessionslosen Erfolge mehr einheimsen kann, sondern daß sie jetzt nur am Verhandlungstisch zu Ergebnissen kommen kann.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Selten so etwas Dummes gehört!)

    Meine Damen und Herren, wenn wir uns so verhalten hätten wie die SPD, dann käme es jetzt allerdings nicht zu ernsthaften Verhandlungen zwischen Ost und West.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Wir hätten keine Aussicht auf eine gesicherte Friedensordnung, vor der wir nach meiner Überzeugung stehen.
    Meine Damen und Herren, Opposition ist ein schwieriges Geschäft. Ich weiß, wie Sie wissen, wovon ich spreche. Ohne einen sauberen programmatischen und strategischen Ansatz, Herr Kollege Vogel, kann Opposition keinen Erfolg haben. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, fehlt beides: Sie haben weder ein gültiges Programm noch haben Sie einen demokratischen Partner, mit dem Sie gemeinsam die Verantwortung für Deutschland übernehmen könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Herr Dregger, was soll das denn heißen?)

    Vielleicht sollten wir uns einen Moment darüber unterhalten, ehe ich unsere Politik zu erläutern versuche.

    (Zuruf von der SPD: Jetzt wird es spannend!)

    Erste Frage an die SPD: Welches sind Ihre Ziele?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, wenn sie das wüßten! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Welches Programm haben Sie? Was gilt noch vom Godesberger Programm, das Sie einmal regierungsfähig gemacht hat? Inwieweit ist es inzwischen grün eingefärbt?

    (Dr. Vogel [SPD]: Ältester Ladenhüter! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Einige Beispiele. Im Godesberger Programm heißt es — ich zitiere wörtlich —:
    Sie
    — die SPD —
    steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit.
    Gilt das noch?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

    Deutscher Bundestag — 10. ahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 7517
    Dr. Dregger
    Herr Brandt spricht heute von der Fiktion der deutschen Frage.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Wo ist der denn überhaupt?)

    Ob die Deutschen jenseits der Teilungsgrenze das genauso empfinden wie Herr Brandt, meine Damen und Herren?

    (Dr. Vogel [SPD]: Hören Sie gut zu, was die Deutschen drüben sagen!)

    Das, was sich im Ostblock zur Zeit in den deutschen Botschaften ereignet, spricht nicht dafür, daß z. B. die Mitteldeutschen darüber genauso denken wie Herr Brandt.
    Herr Apel hält die deutsche Frage nicht mehr für offen. Er erhält dafür von der SED wie von den GRÜNEN in gleicher Weise Beifall.

    (Reents [GRÜNE]: Und von der KPdSU!)

    Spüren Sie nicht, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie durch diese Abkehr von Ihrem Godesberger Programm,

    (Dr. Vogel [SPD]: Ist das Ihr Parteitag? — Weiterer Zuruf von der SPD: Quatsch! — Reents [GRÜNE]: Was ist mit dem Ahlener Programm, Herr Dregger?)

    das Sie vor 25 Jahren beschlossen haben, Positionen — nicht sofort, aber auf mittlere Sicht — in Frage stellen, auf denen die Präsenz unserer Alliierten in West-Berlin beruht? Daß ausgerechnet Herr Apel, der diese These vertritt, Bürgermeister von Berlin werden will, wirkt doch wie ein Affront gegen das freie Berlin und gegen die Berliner, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Sie haben auch einen zweiten wichtigen Punkt Ihres Godesberger Programms aufgegeben: das uneingeschränkte Bekenntnis zur Landesverteidigung.

    (Dr. Apel [SPD]: Ach, ach!)

    Wenn das, was Sie damals sagten, für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, heute noch maßgebend wäre, dann könnten sich Sozialdemokraten doch nicht an Kasernenblockaden und Manöverbehinderungen beteiligen

    (Zuruf von den GRÜNEN: Schlimm, schlimm!)

    — die GRÜNEN freuen sich, daß das heute anders ist —,

    (Stratmann [GRÜNE]: Bald werden Sie auch dabeisein!)

    dann könnten Sozialdemokraten nicht behaupten, bei Gelöbnissen unserer jungen Soldaten inmitten der demokratischen Öffentlichkeit sei Militarismus am Werk,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    dann könnte Herr Lafontaine nicht sagen, Wehrdienstverweigerung sei geradezu eine moralische Pflicht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

    Das heißt doch: Wer seinen Wehrdienst leistet, handelt unmoralisch. Meine Damen und Herren, spüren Sie nicht, in welcher Weise hier ein Amtsträger der Republik unsere jungen Wehrpflichtigen verspottet, die doch von dieser Republik verpflichtet worden sind, Wehrdienst zu leisten?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) „Die SPD hat Schlagseite."


    (Widerspruch bei der SPD)

    Das ist ein Zitat, ein Wort von Brigadegeneral Wilfried Vogel, der früher Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand war; er ist es nicht mehr. Jetzt ist Herr Lafontaine Mitglied dieser Kommission; das spricht doch Bände!

    (Zurufe von der SPD)

    Wer in der SPD zur Landesverteidigung ja sagt, der fliegt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

    wer das Ja zynisch verweigert, der wird Mitglied dieser Kommission.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Ist das eine Haushaltsdebatte, oder wo sind wir hier? — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist ja unglaublich! Das ist das Niveau von Kohl! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Auch in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist die SPD heute ohne Orientierung. Da ohne Programm, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die alten Rezepte aus ihrer Regierungszeit anzubieten, die unser Land in das Schuldenchaos und in die Massenarbeitslosigkeit gestürzt haben.

    (Conradi [SPD]: Eine Parteitagsrede, eine schlechte Parteitagsrede!)

    — Nein, hier geht es um die deutsche Opposition; das ist eine wichtige Institution.

    (Conradi [SPD]: Es geht um den Haushalt der Regierung! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Nicht nur unsere, sondern auch Ihre Politik muß sich der Kritik vor dem freien deutschen Parlament stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Alles in allem: Die SPD bietet heute das beklemmende ,Bild einer Partei,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Der Jargon der Eigentlichkeit!)

    die sich nicht mehr darüber verständigen kann, wo sie steht und wohin sie will. Auf der Suche nach Mehrheiten — ich zitiere Brandt — „links von der Union" hat sie Kompaß und Orientierung verloren. Das Schlimmste ist, daß sie sich einer Bewegung anbietet

    (Zuruf von der CDU/CSU: Anbiedert!)

    7518 Deutscher Bundestag — 10. ahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984
    Dr. Dregger
    — können Sie auch sagen —, deren Führung Gewalt als Mittel der Politik auch für die Zukunft nicht ausschließen will. Im Programm der hessischen GRÜNEN, mit denen Sie ja ein Bündnis eingegangen sind, heißt es beispielsweise — ich zitiere

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Herr Dregger, Sie kriegen es einfach nicht hin, die Auseinandersetzung mit den GRÜNEN! Es gelingt schon wieder nicht!)

    Regel- und Gesetzesverletzungen können bis zur gezielten Sabotage gehen, wobei
    — und darin zeigt sich die ganze Humanität —
    mit dem kleinstmöglichen Mittel der gewünschte Effekt erzielt werden soll. Ist das Gesetz so geschaffen, dann ist es notwendig, das Gesetz zu brechen.

    (Stratmann [GRÜNE]: Ist doch ökonomisch!)

    An der Startbahn West, meine Damen und Herren — Sie können sich vielleicht noch erinnern —, ist dieses Programm längst verwirklicht worden.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Und bei den Spenden!)

    Hessen ist das Exerzierfeld, Herr Matthöfer, trotz Matthöfer, für das vom Parteivorsitzenden Brandt auch für Bonn gewünschte Bündnis. Deshalb ist das hessische Exempel von bundespolitischer Bedeutung.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Daß man Sie da nicht rangelassen hat, das ist richtig! — Horacek [GRÜNE]: Der kommt aus Hessen und weiß von nichts!)

    Die Aufkündigung von seiten der GRÜNEN hat nach meiner festen Zusammenarbeit

    (Stratmann [GRÜNE]: Mit wem arbeiten Sie denn schon zusammen?)

    — nach meiner festen Überzeugung — die grünrote Zusammenarbeit nicht beendet. Hauptzweck dieses Kündigungsspektakels ist es offenbar, jeder Seite zu ermöglichen, die eigene Basis zu stabilisieren und auf diese Weise zur Wahlurne zu bringen. Herr Börner hat vorsorglich erklärt, er jedenfalls halte an dem mit den GRÜNEN vereinbarten grünroten Programm fest. Es geht also weiter, und der Einstieg ist jederzeit möglich.
    Zu diesem grün-roten Programm gehört, daß zahlreiche größere technische Projekte beerdigt werden. Die Beerdigungskosten betragen bereits jetzt ca. 360 Millionen DM. Darüber hinaus haben sich dieGRÜNEN — um in ihrer Sprache zu sprechen — „Staatsknete" aus dem Haushalt für ihre mehr als zweifelhaften Projekte beschafft.

    (Dr. Vogel [SPD]: Ach Gott, das sagt doch auch schon die Junge Union!)

    Die Schulpolitik in Hessen soll sich noch radikaler als bisher vom Konsens mit den Eltern abkoppeln. Was sind schon Eltern? Das sind Bezugspersonen.
    Der Verfassungsschutz soll ausgehebelt, Verfassungsgegner sollen vermehrt in den öffentlichen Dienst eingeschleust werden.

    (Conradi [SPD]: Den setzen Sie gegen Abgeordnete ein! — Dr. Vogel [SPD]: Staatsgeheimnisse! MBB-Skandal!)

    In der Ausländerpolitik bricht Hessen alle Absprachen, die zwischen Bund und Ländern getroffen worden sind. Ohne Rücksicht auf einen Ausländeranteil von 23% in Frankfurt — in einzelnen Stadtteilen und einzelnen Schulen sind es bis zu 80 % —

    (Zuruf von der SPD: Der deutsche Dregger! — Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Abführen!)

    und ohne Rücksicht auf einen Ausländeranteil von 18,3% in Offenbach soll der Ausländerzuzug noch weiter erleichtert werden.

    (Zuruf des Abg. Reents [GRÜNE])

    Im übrigen — ich erinnere Sie an dieses Blutattentat auf einen amerikanischen General — ist in Wiesbaden Antiamerikanismus Trumpf.
    Meine Damen und Herren, das ist das Modell für Deutschland, wie es sich der Parteivorsitzende der SPD vorstellt und der Fraktionsvorsitzende der SPD es unterstützt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es läuft einem kalt über den Rücken herunter

    (Conradi [SPD]: Wenn man Sie hört!)

    — um einmal mit Heribert Reitz, dem langjährigen sozialdemokratischen Finanzminister Hessens, zu sprechen, der als einziger aus Protest gegen diese Politik von seinem Amt zurückgetreten ist —,

    (Schlaga [SPD]: Wieder einmal ein guter Sozi! — Horacek [GRÜNE]: Das ist eine müde Rede!)

    es läuft einem eiskalt über den Rücken, wenn man sich vorstellt, daß dieses Bündnis einmal für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland Verantwortung tragen könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Horacek [GRÜNE]: Sie sind doch nur neidisch, daß Sie in Hessen nicht drangekommen sind!)

    Nun, meine Damen und Herren, zu unserer Politik der geistigen und politischen Erneuerung, die wir seit dem 1. Oktober 1982 praktizieren. Sie vollzieht sich vor allem auf vier Feldern: im Kampf gegen den Schuldenstaat, im Kampf gegen den Inflationsstaat, im Kampf gegen den Vorschriften- und Abgabenstaat,

    (Dr. Vogel [SPD]: Bravo! Ergänzungsabgabe!)

    der Innovationen erschwert und dadurch Arbeitslosigkeit produziert, und im Kampf gegen eine Politik,

    (Zuruf von der SPD: Das Schlimme ist, Sie glauben das selbst, was Sie sagen!)




    Dr. Dregger
    die Kinderlosigkeit prämiert und Familien ins Abseits stellt.
    Auf allen vier Feldern haben wir mit beachtlichen Erfolgen die Wende eingeleitet. Im Umweltschutz haben wir sogar eine Vorreiterrolle in Europa übernommen.

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Buschhaus!)

    Das wird schon daran deutlich, daß wir uns immer mehr an den einengenden Bestimmungen stoßen, die das Recht der Europäischen Gemeinschaft uns stellt. Wir Deutsche gehen im Umweltschutz heute so weit, wie es innerhalb des EG-Rechts nur irgend möglich ist, und wir versuchen alles, um dieses EG- Recht auszuweiten. Das ist die Wirklichkeit; so war sie nicht vor drei Jahren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Erster Punkt: Kampf gegen den Schuldenstaat. Als Sie, meine Damen und Herren der SPD, 1969 die Regierung in Bonn übernahmen,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: ... hatte die Rentenversicherung doppelt soviel Reserven wie jetzt!)

    kündigten Sie als eines Ihrer wichtigsten Ziele — —
    — Herr Ehmke, ich lasse mich durch Sie nicht daran hindern, hier meine Gedanken darzulegen. Aber es täte Ihnen sehr gut, wenn Sie einmal zuhören würden.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Glauben Sie, daß das Gedanken sind? Wir halten das für Quatsch!)

    Aber es gibt Leute, die können überhaupt nicht zuhören, die können sich nur artikulieren.
    Sie kündigten eine erhebliche Ausweitung der Staatsquote an. Der Staat sollte in immer weitere Lebensbereiche der Bürger eindringen. So verfuhren Sie auch. Das staatliche Aufgabenfeld wurde kräftig ausgeweitet, private Initiativen wurden zurückgedrängt, der Entfaltungsspielraum von Unternehmern und Bürgern immer mehr eingeengt — durch Vorschriften, Steuern und Abgaben. Das Ergebnis, meine Damen und Herren, war der Schulden- und Abgabenstaat, der sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitete und zur Lähmung der Volkswirtschaft führte.
    Auf diesem Felde war die Wende am dringlichsten. Die Regierung Helmut Kohl hat sie eingeleitet. Wir sind dabei, finanziellen Handlungsspielraum zurückzugewinnen.

    (Zuruf von der SPD: Durch den Bundesbankgewinn!)

    Die größte Steuerentlastung der Nachkriegszeit steht bevor. Gleichzeitig — darin liegt der Erfolg — wird die Nettoneuverschuldung von Jahr zu Jahr zurückgeführt. Beides gleichzeitig zu erreichen — Rückführung der Nettoneuverschuldung und Fortsetzung unserer Steuerentlastungspolitik — wurde möglich, weil es uns gelungen ist, den Ausgabenzuwachs unter dem Anstieg des Bruttosozialprodukts
    zu halten. Für das kommende Haushaltsjahr rechnen unsere Haushälter mit einem Zuwachs von, Herr Carstens, 1 % oder unter 1 %. Es gibt zur Zeit keine Industrienation, die das in gleicher Weise von sich sagen könnte. In der Solidarität staatlicher Finanzpolitik sind wir in der Bundesrepublik Deutschland wieder Weltspitze.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das hat nicht nur finanzielle und ökonomische Bedeutung. Schuldenpolitik, wie sie von den SPD- geführten Bundesregierungen betrieben wurde, gefährdet die geistigen Fundamente unseres Gemeinwesens, sie lähmt die Leistungsmotivation, sie führt zu Verantwortungslosigkeit, zu Anspruchsdenken und zu Abhängigkeit. Deshalb: Die Abkehr vom Schuldenstaat, die wir eingeleitet haben,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Er redet über die Gehörlosen! — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Über die Gehirnlosen!)

    geht in ihrer Bedeutung weit über den ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Bereich hinaus. Sie ist wesentlicher Bestandteil der geistigen und moralischen Erneuerung, die wir angekündigt haben und jetzt verwirklichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lachen bei der SPD — Kuhlwein [SPD]: Sie belieben zu scherzen!)

    Zweites Feld: Kampf gegen den Inflationsstaat. Was für die Bekämpfung des Schuldenstaates gilt, gilt auch für die Bekämpfung des Inflationsstaates.

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Und des Mundgeruchs!)

    Die These des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, 5% Inflation seien besser als 5% Arbeitslosigkeit, hat sich als falsch erwiesen; nicht nur ökonomisch, meine Damen und Herren.
    Mit der Inflation stieg die Arbeitslosigkeit, und nicht nur das. Die Inflation begünstigte die Schuldenmacher, die Inflation verschlechterte die Situation der Sparer und der unteren Einkommensschichten. 1 % mehr Geldentwertung bedeutet eine Kaufkraftminderung für die privaten Geldvermögen im Umfang von 18 Milliarden DM. Für die Arbeits- und Renteneinkommen bedeutet 1 % weniger Inflation eine reale Erhöhung der Renten und Löhne in Höhe von 7 Milliarden DM. Die Verringerung der Geldentwertungsrate von über 5% auf jetzt etwa 2 %, also um mehr als 3%, die uns gelungen ist, erhöht die Kaufkraft der privaten Geldvermögen um zirka 50 Milliarden DM

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist eine tolle Theorie!)

    und die Einkommen der Rentner und Arbeitnehmer um zirka 20 Milliarden DM.

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist nicht zu fassen!)

    Unsere Stabilitätspolitik hat jedenfalls den Rentnern und den Arbeitnehmern der unteren Einkom-



    Dr. Dregger
    mensschichten mehr gebracht, als jede nominale Lohnerhöhung zustande bringen könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß wir heute wieder Geldwertstabilität haben wie zu Ludwig Erhards Zeiten, ist daher vor allem eine soziale Errungenschaft.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Dritter Punkt: Kampf gegen den Kosten- und Vorschriftenstaat, der Innovationen verhindert und dadurch Arbeitslosigkeit produziert. Es ist uns gelungen, den durch die verfehlte Politik der Regierungen Brandt und Schmidt ausgelösten raketenhaften Anstieg der Massenarbeitslosigkeit um das Zehnfache — von 200 000 auf saisonbereinigt 2 Millionen im Jahre 1982 — zu stoppen.

    (Schlaga [SPD]: Sie sagen doch bewußt die Unwahrheit!)

    Die Kurzarbeit ist drastisch zurückgegangen. Der Sachverständigenrat rechnet für das kommende Jahr mit einem nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit.
    Meine Damen und Herren, Sie können natürlich einwenden, das, was die Sachverständigen sagen, stimmt alles nicht.

    (Zuruf von der SPD: Stimmt auch nicht!)

    — Ja, Sie sind sicherlich sachverständiger als die Sachverständigen. Glauben Sie etwa, Sie können sich damit nutzen?
    Wir erzielen seit Jahren, von Jahr zu Jahr Ausbildungsrekorde. Darüber reden Sie gar nicht mehr, weil es nichts mehr zu bemängeln gibt. Ich nutze die Gelegenheit, den deutschen Ausbildungsbetrieben auch von dieser Stelle aus herzlich zu danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Auch hinter diesen Erfolgen stecken nicht nur finanz- und wirtschaftspolitische Steuerungsmaßnahmen. Auch hier mußte eine geistige Auseinandersetzung geführt werden mit der SPD, mit der Führung des DGB

    (Zuruf von der SPD: Aha!)

    und einem Teil seiner Gewerkschaften. Ich betone: mit einem Teil. Mit vielen Gewerkschaften, auch DGB-Gewerkschaften, haben wir in den letzten zwei Jahren ganz ausgezeichnet zusammenarbeiten können.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Aha!)

    Wir haben Tarifautonomie,

    (Conradi [SPD]: Sagen Sie einmal, welche!)

    und niemand wird sie anrühren. Aber die Folgen der Tarifentscheidungen treffen alle, das ganze Volk. Und die Vertreter des Volkes sind die gewählten Abgeordneten. Wir sind die legitimen Vertreter, sonst niemand. Deshalb haben wir nicht nur das Recht, wir haben die Pflicht, zu mahnen und zu Entscheidungen zu drängen, die nach unserer Beurteilung mit dem Gemeinwohl vereinbar sind. Wir haben das, wie Sie wissen, zum Thema Arbeitszeitverkürzung in aller Offenheit getan. Bei der öffentlichen Diskussion darüber hat sich zu meiner Freude gezeigt, daß die große Mehrheit unseres Volkes von der Philosophie des Klassenkampfs und des Leistungsabbaus nichts hält — Gott sei Dank. Auch auf diesem Feld vollzieht sich eine geistige und moralische Erneuerung, die zugleich eine Rückbesinnung ist auf die großen Leistungen, die das deutsche Volk nach dem Krieg beim Wiederaufbau nach den Regeln der Sozialen Marktwirtschaft erbracht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vierter Punkt: Kampf gegen eine Politik, die Kinderlosigkeit prämiert und Familien ins Abseits stellt.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Auch in der Familienpolitik hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen.

    (Conradi [SPD]: Richtig: streichen, streichen, streichen!)

    Das ist nicht nur an Haushaltszahlen abzulesen. Uns ging und geht es um eine ideelle und moralische Offensive für Kinder, Mütter und Familien.

    (Zurufe von der SPD)

    Die Wertschätzung, die wir für sie empfinden, muß ihren Ausdruck in den Rahmenbedingungen finden, die der Staat setzt. In den 70er Jahren mußte der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer erkennen, daß Kinderreichtum sozialen Abstieg bedeutete.
    Nicht weniger schädlich wirkte sich ein Umstand aus: Die SPD setzte die Familie auch als Institution herab.

    (Schlaga [SPD]: Sie waren noch nie so schlecht!)

    Sozialdemokratische Familienpolitik stufte die Eltern als Bezugspersonen für Kinder ein

    (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])

    und die Kinder als — ich zitiere — „Objekte elterlicher Fremdbestimmung".

    (Zuruf von der SPD: Eine alte HessenRede!)

    Im regierungsamtlichen Familienbericht hieß es 1965 im neomarxistischen Soziologendeutsch, die Familie sei eine Sozialisationsagentur — man kann es kaum aussprechen —

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Obwohl Sie es schon so oft ausgesprochen haben!)

    mit Kosten für pädagogische Dienstleistungen. Sie sei ein Konsumträger und regele den Reproduktionsprozeß der Gesellschaft.

    (Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, der Familienfeindlichkeit, die dieser Sprache zu entnehmen ist — ich finde diese Sprache unmenschlich —, haben wir den Kampf angesagt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Dr. Dregger
    Wir bauen die Benachteiligungen und Barrieren ab,

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    die dem natürlichen Wunsch nach Kindern entgegenstehen. Wir dehnen das Erziehungsgeld ab 1986 auf alle Mütter bzw. Väter aus, die sich ihrem Kind in seinem ersten Lebensjahr ganz widmen. Wir erhöhen das ab 1988.
    Wir berücksichtigen die durch Kinder entstehenden Kosten bei der Steuerbemessung endlich wieder durch einen nennenswerten Kinderfreibetrag ab 1986.

    (Reents [GRÜNE]: Das reicht nicht!)

    Den unteren Einkommensschichten, die davon nicht profitieren, geben wir einen Zuschlag zum Kindergeld.

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Mit dem Holzhammer!)

    Ab 1. Januar 1985 wird für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz und für junge Arbeitslose bis zum 21. Lebensjahr wieder Kindergeld gezahlt. Damit wird das Unrecht beseitigt, das die SPD beim Kindergeld angerichtet hat.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Zuruf von der SPD: Ihr habt damals doch zugestimmt!)

    Der größte Fortschritt, meine Damen und Herren, vollzieht sich für Mütter im Rentenrecht. Erstmals in der Geschichte wird wenigstens ein Erziehungsjahr als Leistung bewertet, die im Rentenrecht rentensteigernd angerechnet wird. Das ist ein Durchbruch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

    Daß hinter diesen Reformen unser Bild vom Menschen als einem Glied in der Kette der Generationen, als Teil einer Gemeinschaft, der menschenwürdigsten Gemeinschaft, die es überhaupt gibt, steht, muß jeder spüren. Wir konnten diese Reformen nicht mit der Regierungsübernahme in Kraft setzen. Vorangehen mußte unser Kampf gegen den Schulden- und Inflationsstaat. Jetzt, von 1986 bis 1988, können wir die familienpolitischen Reformen ohne steigende Neuverschuldung, ohne Steuer- und Abgabenerhöhung und ohne Gefährdung unseres Kurses der Stabilität und der Solidität in Kraft setzen.
    Meine Damen und Herren, der Haushalt, über den wir heute debattieren, beschreibt demnach mehr als eine finanzpolitische Wende. Er ist Ausdruck einer neuen Politik. Auf ihre Ergebnisse können alle stolz sein, die daran mitgewirkt haben: Regierung und Koalition, FDP, CSU und CDU.

    (Schlaga [SPD]: Bundesbank!)

    Danken will ich vor allem dem Mann, der an der Spitze des Regierungslagers steht und damit auch im Mittelpunkt der Kritik, einer häufig sehr unsachlichen, teilweise sogar böswilligen Kritik,

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Am Freitag ißt er bei McDonald's!)

    dem aber auch die erzielten Leistungen persönlich zuzurechnen sind. Ich danke Helmut Kohl mit großem Respekt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Ich versichere Ihnen, daß ihn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch in Zukunft mit Nachdruck unterstützen wird.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Der Präsident hat mich gebeten, darauf hinzuweisen, daß nicht der Abgeordnete Schulze — dies beruhte auf einem Übermittlungsfehler —, sondern der Abgeordnete Link (Diepholz) bei der Beanstandung eines Zwischenrufs gemeint war. Damit ist die Rüge dem Abgeordneten Link erteilt.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) Das Wort hat Herr Abgeordneter Verheyen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans Verheyen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns diese Debatte am Ende des Jahres dazu benutzen, eine Bilanz zu ziehen.
    Für uns als GRÜNE brachte dieses Jahr 1984 das Ende eines Mythos, des Mythos vom Volkskanzler Kohl.
    Dieser so jovialleutselige Kanzler Kohl hat sich selbst entlarvt: Als ihm im Zusammenhang mit der Flick-Affäre vorgehalten wurde, er habe Spenden der Großindustrie — in diskretem Umschlag, versteht sich — angenommen und das Verfassungsgebot der Transparenz von Großspenden mißachtet, erklärte er wie selbstverständlich, daß er selbstredend Spenden der Industrie bekommen und mit Hilfe gemeinnütziger Vereine Steuern hinterzogen habe.
    Diese Arglosigkeit, ja, das fehlende Unrechtsbewußtsein waren nicht gespielt. Dieser Mann Helmut Kohl versteht nicht, was daran ehrenrührig oder bedenklich sein soll, wenn seine Partei von der Großindustrie jahrzehntelang mit Millionenbeträgen geschmiert wurde.
    Er selbst steht mit mehr als einer halben Million DM in den Büchern des Herrn von Brauchitsch.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Na und? Da kommt allenfalls von der Regierung schon einmal die treuherzige Beteuerung, Regierungsentscheidungen würden selbstverständlich unabhängig getroffen.
    Diese Sicht des Herrn Kohl sagt sehr viel aus über seine Herkunft und sein Gesellschaftsbild. Wer wie er jahrelang in der Industrie, u. a. bei einem großen Chemiekonzern in Ludwigshafen, tätig war, wer seine politische Karriere weitgehend einem so dubiosen — zumindest dubiosen — Industriellen wie Fritz Karl Reiß verdankt, wer führende Industrielle — das hat die Flick-Affäre ja sehr deutlich gemacht — zu seinen Freunden zählt,



    Verheyen (Bielefeld)

    kommt vielleicht nicht mehr auf den Gedanken, daß es in der Politik Interessenkonflikte

    (Reents [GRÜNE]: Der macht sich gerade gar keine Gedanken, sondern Autogrammstunde!)

    zwischen der Industrie und den Lebensinteressen der Bevölkerung gibt.
    Hier fehlt offensichtlich das geringste Gefühl für dasjenige, was Unabhängigkeit der Politik von wirtschaftlicher Macht bedeuten könnte.
    Für Helmut Kohl gibt es zwischen Politik und Industrie keinen Gegensatz. Dieser Mann war immer schon, sei es als Stadtrat, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz oder als Bundeskanzler ein Mann der Industrie.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Unverschämter Lümmel! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Jede Aufregung darüber, liebe Kollegen von der CDU, ist unangebracht; denn dieser Kanzler sieht selbst im Grunde nichts Ehrenrühriges darin, wie Sie es offensichtlich empfinden.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Problem an dieser Sache sieht er vielmehr im gemeinen Volk. Dort ist man nämlich unsinnigerweise der Ansicht, Flick und Konsorten hätten Geld gegeben, um Politik zu beeinflussen.
    Steuerbelastung, Subventionsabbau und Umweltauflagen, dies alles wären notwendige politische Maßnahmen, um Interessen der Industrie in ihre Schranken zu verweisen. Die Christdemokraten haben es in allen Jahren ihrer Regierungszeit verstanden, von der Industrie größeren Ärger abzuhalten. Und dies hat sich ausgezahlt.
    Der eigentliche Skandal liegt aber darin, daß uns dieser Kanzler glauben machen will, er wüßte von derlei Zusammenhängen nichts, und die Spenden der Industrie wären nichts anderes als eine Tafel Schokolade, die jemand völlig absichtslos im CDU- Büro liegengelassen habe.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Diese freundschaftliche Nähe zur deutschen Industrie zeichnet aber nicht nur ihn, sondern die gesamte Regierung aus.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie sollten an das Gute im Menschen glauben, Herr Verheyen! Sie sind doch Theologe!)

    Wirtschaftsminister Lambsdorff mußte wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gehen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie wegen des Verdachts der Unfähigkeit!)

    Der zweite Mann im Staate, Rainer Barzel, konnte nicht überzeugend erklären, welcher übergroßen Leistung er den kleinen Nebenverdienst von 1,7 Millionen DM verdankt. Auf zwei weitere Mitglieder dieser Regierung, Innenminister Zimmermann und Wohnungsbauminister Schneider, wartet der Staatsanwalt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie jetzt alle durch?)

    Auch ein Mann, der gemeinhin als honorig gilt, ist in diese Affäre zutiefst verstrickt. Ich meine Finanzminister Stoltenberg,

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Interessant!)

    der unter Verstoß gegen die Verfassung zu verhindern suchte, daß die Wahrheit über den Flick-Skandal an die Öffentlichkeit kam. Das Verfassungsgericht mußte ihn schließlich zwingen, die entscheidenden Akten an den Flick-Ausschuß herauszugeben.

    (Glos [CDU/CSU]: Abenteuerliche Argumentation! — Zurufe von der CDU/CSU: Schwachsinn! Lächerlich!)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben viele Jahre lang gegen das Verfassungsgebot der Offenlegung von Großspenden verstoßen. Was aber noch viel schwerer wiegt: Sie sind bis heute nicht bereit, dieses Verfassungsgebot wenigstens nachträglich noch zu erfüllen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Unwahrheit an die andere gereiht!)

    Daß dies möglich ist, daß die Namen der sogenannten anonymen Spender in den Parteizentralen durchaus bekannt sind, hat der jüngste Fall Horten eindrucksvoll gezeigt. Wir GRÜNEN halten es für demokratiegefährdend, daß ein Bundeskanzler nicht einmal im Nachhinein bereit ist, einem eindeutigen Gebot der Verfassung zu folgen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Herr Kohl, wir können uns Ihre hartnäckige Weigerung nur so erklären, daß Sie befürchten, daß noch mehr an Verflechtung zwischen CDU und großem Geld ans Licht der Öffentlichkeit dringen könnte.
    Die Bundesregierung wollte mit ihrer Debatte in der letzten Sitzungswoche unter dem Thema Flick einen Schlußstrich ziehen. Herr Bundeskanzler, wir sind nur dazu bereit, wenn die volle Wahrheit auf dem Tisch liegt und wenn die notwendigen Konsequenzen aus diesen Mißständen gezogen werden.

    (Weiß [CDU/CSU]: Was Wahrheit ist, bestimmen Sie!)

    Dies aber haben Sie ja gerade mehrfach zu verhindern gesucht.
    Im Sommer dieses Jahres erlebten wir eine Machenschaft, die man mit Fug und Recht als einen Tiefpunkt der politischen Kultur in der Geschichte der Bundesrepublik ansehen kann,

    (Zustimmung des Abg. Stratmann [GRÜNE])

    den Versuch nämlich, durch eine nachträgliche Gesetzesänderung, durch eine Amnestie, die Spendenbetrüger straflos ausgehen zu lassen. Während jeder kleine Kaufhausdieb gnadenlos verfolgt wird, wollten Sie Steuerbetrüger, die Millionenschäden verursacht haben, straffrei halten.



    Verheyen (Bielefeld)

    Offenbar haben Sie — das ist das Schlimmste — diesen Plan bis heute noch nicht aufgegeben. Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: Was ist dran an der Meldung des „Spiegel" von dieser Woche, daß die Bundesregierung den § 396 der Abgabenordnung dergestalt ändern will, daß eine Amnestie durch die Hintertür möglich wird?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sprechen Sie doch einmal zum Haushalt!)

    Und was ist dran an der Aussage des ehemaligen Justizministers Schmude, die CDU wolle künftig die Veröffentlichungspflicht für Großspender dadurch umgehen, daß sie Spenden als Mitgliedsbeiträge verbucht?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Der redet genauso einen Unsinn wie Sie! — So steht es j a nicht einmal im „Spiegel"!)

    Herr Bundeskanzler, wir erwarten zu beiden Punkten noch während dieser Haushaltsdebatte eine unmißverständliche Antwort der Bundesregierung!

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    Denn wenn das, was im „Spiegel" steht, stimmen sollte, waren Ihre letzten Taten schlimmer als die ersten.
    Wie gefährlich ein Übergewicht von Industrieinteressen für die Bevölkerung werden kann, zeigt sich nicht nur in der Flick-Affäre, sondern auch und vor allem in der Umweltpolitik. Obwohl mittlerweile schon jedes Kind weiß, daß 50 % des Waldes unrettbar krank sind, und obwohl jedes Kind auch weiß, was zu tun wäre, nämlich zumindest eine Entgiftung der Kraftwerke und der Kraftfahrzeuge, bleibt diese Regierung unfähig zu einer konsequenten und klaren Umweltpolitik.
    Man fragt sich natürlich: warum? Warum fiel die Regierung um, als es um die Entgiftung des Kraftwerks Buschhaus ging, obwohl sie doch vorher im Bundestag einer Entschwefelung dieser größten Dreckschleuder der Nation zugestimmt hatte? Die Antwort ist einfach, und sie deutet auf Parallelen zu Flick hin: weil der entsprechende Energiekonzern dagegen Sturm lief und sich die Regierung ihm nur allzu willig beugte.
    Warum hielt Minister Zimmermann nicht an dem Termin „1. Januar 1986" zur Einführung des Abgaskatalysators fest? Auch hier liegt die Antwort auf der Hand: weil Teile der Autoindustrie, insbesondere die Firmen Opel und Ford, Druck auf die Regierung ausübten und weil sich die Bundesregierung diesem Druck nur allzu gern beugte.
    Auch beim Tempolimit wurde die Regierung weich, als die Autolobby drängte, und Ähnliches passierte beim Formaldehyd, als die BASF, die ehemalige Firma des Herrn Kohl, Bedenken äußerte.
    Eine solche Nachgiebigkeit einer Bundesregierung ist mehr als alarmierend, denn wie sollen die großen Zukunftsaufgaben der Entgiftung gelöst werden, wenn kurzsichtige Industrieinteressen wichtiger sind als das Recht auf Leben und Gesundheit?
    Es ist an der Zeit, daß sich hier grundlegend etwas ändert. Die Bevölkerung selbst muß klare Verhältnisse schaffen: durch gewaltfreien Widerstand, durch Demonstrationen, durch Kaufboykott oder auch durch Wahlen.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Alle Menschen guten Willens sollten daran mitarbeiten: in der Presse, in den Behörden, auch in den anderen Parteien und wo immer der Einzelne eine Chance sieht.
    Wir müssen in solchen Überlebensfragen wieder uralte demokratische Rechte neu beleben. Es ist z. B. eine unerträgliche Situation, daß die Arbeiter in der Chemie-Industrie nicht einmal dann das Recht haben, eine umfassende Auskunft zu bekommen, wenn es sich um lebensgefährliche Gifte an ihrem eigenen Arbeitsplatz handelt. Das ist finsterer als das Mittelalter! Da fragt man sich, was das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit heute eigentlich noch wert ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    Während der Haushaltsberatungen haben wir immer wieder darauf hingewiesen, daß die chemische Vergiftung zu den größten Gefahren der Menschheit gehört. Jahr für Jahr werden einige tausend neue Chemikalien erfunden, aber nur wenige werden auf ihre Gesundheitsschädlichkeit hin untersucht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Alle! — Kittelmann [CDU/CSU]: Eine Verleumdung!)

    Chemikalien sind aber nicht nur wegen ihrer unmittelbaren Giftigkeit gefährlich, sondern sie reichern sich auch in der Luft, im Boden, im Wasser und in der Nahrungskette an. Viele Chemikalien verstärken sich dazu noch gegenseitig in ihrer Wirkung. Schließlich haben diese Stoffe noch eine weitere teuflische Eigenschaft: Gesundheitsgefahren, z. B. krebserzeugende Wirkungen, werden oft erst viele Jahre später erkannt, und dann ist es meist zu spät.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das Durchschnittsalter war noch nie so groß wie heute!)

    Für den, der Ohren hat, zu hören, tickt die Zeitbombe Chemie unüberhörbar. Diese Bundesregierung scheint jedoch mit Taubheit geschlagen. Alle unsere Anträge zur Entgiftung der Umwelt — und mochten sie noch so wenig kosten — wurden rundweg abgelehnt.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie können ruhig etwas kosten, sie sollten aber gut sein!)

    Ihre Freunde von der BASF, Herr Bundeskanzler, lassen grüßen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir möchten hier noch einmal in aller Offenheit und mit großem Ernst darauf hinweisen, daß bei der chemischen Vergiftung jetzt gehandelt werden muß, daß jetzt gehandelt werden muß, wenn wir die Giftlawine noch aufhalten wollen. Jetzt ist noch die



    Verheyen (Bielefeld)

    Zeit für einen relativ sanften Umbau der Chemieindustrie. Mit jedem verschenkten Tag wird dies schwieriger.
    Auch bei der Arbeitslosigkeit und bei der Entstehung der neuen Armut zeigt sich die Nähe dieser Regierung zu den Interessen der Industrie und zu den Interessen der Begüterten. Letzten Freitag haben uns die fünf Wirtschaftsweisen ihre Tagträume erzählt. Natürlich wurden diese von der Bundesregierung begeistert aufgegriffen, obwohl selbst in diesen schönfärberischen Bildern von einem Abbau der Arbeitslosigkeit nichts zu sehen war. Kehrt man in die rauhe Wirklichkeit zurück, muß sich ein bedrückendes Gefühl einstellen. Denn selbst wenn der von Ihnen, Herr Kohl, versprochene Aufschwung käme, wäre dies keine Lösung für die eigentlichen Probleme Massenarbeitslosigkeit und neue Armut.
    Das viel zitierte Beispiel Amerika zeigt ja gerade sehr deutlich, wie mühelos ein grandioser Aufschwung der Wirtschaft an den besonders betroffenen Menschen vorübergehen kann. Dort, im angeblichen Wunderland Ronald Reagans, rutschten während des größten Aufschwungs in der Geschichte der USA immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze. Mittlerweile sind es bereits 35 Millionen, die im reichsten Land der Erde am Existenzminimum dahinvegetieren. Auch diejenigen, die durch den dortigen Aufschwung eine Arbeit bekommen haben, haben oft Arbeit unter Bedingungen gefunden, die man nur als erbärmlich bezeichnen kann.

    (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Es muß ja ein schlimmes Land sein, von dem Sie reden, Herr Kollege!)

    Ein solcher Aufschwung, Herr Kohl, der die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, kann uns gestohlen werden.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Werden oder bleiben?)

    Sie sind leider dabei, die Amerikanisierung des deutschen Sozialsystems nach Kräften voranzutreiben. Auch bei uns steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen und der Jugendlichen ohne Ausbildung und ohne Chancen am Arbeitsmarkt. Immer mehr Menschen werden in die Sozialhilfe abgedrängt. Auch bei uns sind die Realeinkommen der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger und Rentner in den letzten Jahren durch die Bundesregierung deutlich abgesenkt worden.
    Besonders hart hat es die Familien mit Kindern getroffen, denen Sie, Herr Kohl, so gerne Ihre Sonntagsreden widmen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie halten Reden zum Mittagsschlaf!)

    Das Mutterschaftsurlaubsgeld wurde um mehr als 30 % gesenkt. Die Streichung der Ausbildungsförderung für Schüler bedeutet für Familien mit mehreren Kindern schnell eine Senkung des Familieneinkommens um mehr als ein Drittel. Ein Viertel der Alleinerziehenden ist auf Sozialhilfe angewiesen, die ebenfalls deutlich gesenkt wurde.
    All diese Effekte zusammen ergeben eine neue Situation in der Geschichte der Bundesrepublik. Immer mehr Menschen wird der Ausweg aus der Armut zugebaut. Eine neue Schicht der dauerhaft an den Rand Gedrängten entsteht, die immer weniger Chancen hat, den Teufelskreis aus geringem Einkommen, schlechter Ausbildung und unvermeidbarer Arbeitslosigkeit zu durchbrechen.

    (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Sie haben noch nie etwas von der Inflation gehört, Herr Kollege!)

    Angesichts dieser Situation meinen wir GRÜNEN, daß es derzeit kaum etwas Wichtigeres gibt als Dämme gegen die Entstehung der neuen Armut zu bauen.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie werden von Beifall überschüttet!)

    Wir haben deshalb ein Sonderprogramm zur Eindämmung der Armut eingebracht. Wir haben beantragt, den Regelsatz der Sozialhilfe, der sich immer noch auf dem Stand des Jahres 1970 befindet, von 356 DM auf 456 DM pro Monat, also um monatlich 100 DM zu erhöhen. Wir halten es — zweitens — für unerträglich, daß immer mehr Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeempfänger in die Sozialhilfe abgedrängt werden. Deshalb wird die Festsetzung eines Mindestbetrages von 950 DM pro Monat erforderlich. Drittens kann es nicht länger hingenommen werden, daß Zehntausende Jugendliche keine qualifizierte Berufsausbildung erhalten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So wie Sie!)

    Appelle reichen hier nicht aus. Wir fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich ein Gesetz zur Erhebung einer Berufsbildungsabgabe zu erlassen, wodurch zweifelsfrei sichergestellt werden kann, daß alle Jugendlichen mit einem soliden Ausbildungsplatz rechnen können.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Traumtänzereien sind das alles!)

    Es ist nicht mehr als recht und billig, daß dazu alle Betriebe, die sich um ihre gesellschaftliche Pflicht zur Berufsausbildung drücken, zur Kasse gebeten werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Hinsichtlich der zusätzlichen Sozialausgaben, die wir fordern, wird uns von Regierungsseite sofort entgegengehalten, solche sicherlich gutgemeinten Vorschläge seien einfach nicht finanzierbar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt die andere Platte!)

    Dies halten wir für eine glatte Lüge. Denn das eigentliche Problem besteht darin, daß Sie nicht bereit sind, daß die politische Bereitschaft fehlt, für solche sozialen Probleme zusätzliches Geld auszugeben. Denn auf der anderen Seite sind sie sehr wohl bereit, für verschwenderische und völlig sinnlose Zwecke erheblich mehr Geld auszugeben.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Für Rüstung!)




    Verheyen (Bielefeld)

    Daß das Finanzargument nicht schlüssig sein kann, hat die Rede von Herrn Dregger sehr deutlich gemacht. Zum Beispiel kosten Freifahrten für Gehörlose fast nichts. Wenn sich Herr Dregger hier hinstellt, Krokodilstränen weint und erklärt, es täte ihm sehr leid, die Sparpolitik verlange eben Opfer, dann muß ich ihm sagen: Wenn seine Tränen echt sind, soll er unserem Antrag für Freifahrten für Gehörlose zustimmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zu welchen horrenden Geldausgaben Sie bereit sind, zeigt Ihre sogenannte Steuerreform, die fast ausschließlich den Besserverdienenden zugute kommen soll.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

    Diese Steuerreform kostet 20 Milliarden DM pro Jahr. Für Bezieher unterdurchschnittlicher Einkommen — nehmen wir z. B. jemanden mit einem zu versteuernden Einkommen von 1 500 DM im Monat — bringt diese Steuerreform fast nichts,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt „fast nichts"? — Schmitz [Baesweiler] [CDU/ CSU]: Er zahlt fast nichts mehr!)

    ganze 6 DM pro Monat. Für ein doppelt so hohes Einkommen bringt sie allerdings schon fast 50 DM.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weil es ihm der Staat vorher wegnimmt!)

    Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Politik und auf Ihre Kumpanei mit den Besserverdienenden.

    (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Das war schlimm, was Sie gesagt haben, aber objektiv falsch!)

    Wenn wir schon einmal bei den Finanzierungsproblemen sind, dann sagen Sie uns bitte einmal, warum Sie nicht wenigstens die Steuerhinterziehung bekämpfen wollen. Nach Angaben des ehemaligen Finanzministers Lahnstein gehen dem Staat allein auf diesem Wege Jahr für Jahr 6 bis 8 Milliarden DM verloren.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie Ihre Diäten schon versteuert?)

    Erwähnenswert wäre sicher auch das Unwesen der „Spesenritter". Durch völlig unsinnige Abschreibungsmöglichkeiten bei Bewirtungskosten gehen dem Staat jährlich etwa 2,5 Milliarden DM verloren. Warum werden Sie hier nicht aktiv?
    Ich muß Ihnen sagen, wir GRÜNEN werden den Verdacht nicht los, daß Ihre Energie zum Sparen immer dann sehr schnell verpufft, wenn die Interessen der Allgemeinheit gegenüber denen der Industrie durchgesetzt werden sollen.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Was in nationalen Politikbereichen offensichtlich ist, gilt leider auch für die Entwicklungspolitik dieser Regierung. Das Kabinett Kohl stellt die ökonomischen Interessen der deutschen Industrie vor die
    Lebensinteressen der Menschen in der Dritten Welt.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Überdeutlich wird diese Marschrichtung in diesem Jahr im Zusammenhang mit der Diskussion über die sogenannte Mischfinanzierung in der Entwicklungspolitik. Um sage und schreibe 420 % ist 1983 der Anteil der finanziellen Zusammenarbeit gestiegen, der über Mischfinanzierung an Lieferung deutscher Waren und Dienstleistungen gebunden ist. Diese Lieferbindung spricht entwicklungspolitischen Kriterien Hohn.
    Längst ist bekannt, daß bei Auswahl und Ausrichtung von Entwicklungsprojekten zuallererst heute danach gefragt wird, was denn für die deutsche Industrie dabei herausspringt.

    (Zuruf bei den GRÜNEN: Hört! Hört!)

    So wurden bei den Regierungsverhandlungen in Pakistan unter unwürdigen Umständen Projekte der ländlichen Entwicklung in letzter Minute zurückgestellt, und statt dessen baut Siemens dort ein Telekommunikationsnetz.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Industrie bedeutet aber Arbeitnehmer, Arbeitsplätze für Deutsche! Sehen Sie das auch mal!)

    In Indonesien, wo rund ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der offiziellen Armutsgrenze lebt, wird ebenfalls an der Erweiterung des Telexnetzes gearbeitet. Die Wasserversorgung für Provinzstädte auf Sumatra, die für die Ärmsten der Armen notwendig ist, wurde zurückgestellt und die Förderung kleinbäuerlicher Gummiplantagen gestrichen. Großkraftwerke, Lokomotiven und sogenannte Telekommunikation sind die neuen Schwerpunkte einer Entwicklungshilfe, die besser unter der Bezeichnung „Außenwirtschaftsförderung" laufen sollte.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das dient deutschen Arbeitnehmern! Bedenken Sie das mal bitte!)

    Mittlerweile kommen Projektvorschläge zum Teil schon direkt von der deutschen Industrie. Notwendigerweise geraten Kleinprojekte zugunsten der Ärmsten und des ländlichen Raumes ins Hintertreffen. Die Zahlen für 1984 werden diese Tendenz noch deutlicher belegen als die Daten von 1983, auch wenn Außenwirtschaftsförderungsminister Warnke versucht, durch Kriterienänderung dasjenige weiter zu fassen und damit die Öffentlichkeit irrezuführen, was unter ländlicher Entwicklung zu verstehen ist.
    Die Kritik an dieser Praxis, meine Damen und Herren, kommt nicht allein aus den Reihen der GRÜNEN. Während uns Minister Warnke hier im Bundestag erklärte, es gäbe keine Kursänderung der Entwicklungshilfe in Richtung auf deutsche Lieferinteressen, erzählen uns engagierte Mitarbeiter aus den Entwicklungshilfeorganisationen und aus den Kirchen, wie sehr sich der Wind mittlerweile gedreht hat und wie unverhohlen die Mitarbeiter in den staatlichen Einrichtungen angehalten werden, bei der Projektarbeit deutsche Interessen



    Verheyen (Bielefeld)

    strikt zu berücksichtigen. So verkommt Entwicklungshilfe zur Exportförderung.
    Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Helmut Kohl hat auf dem letztjährigen Bundesparteitag der CDU folgenden bedeutungsschwangeren Satz gesprochen: „Es gibt keine Alternative zur Industriegesellschaft."

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch richtig!)

    Was immer er mit diesem Nebel gemeint haben mag: Wer die bisherigen Erkenntnisse aus dem Flick-Untersuchungsausschuß, vor allem die Zahlenangaben über Spenden an die sogenannten christlichen Parteien, aufmerksam registriert hat, kann sich in der Tat für die CDU und die CSU nur schwer eine Alternative

    (Müller [Remscheid] [CDU/CSU]: Und das sagt ein sogenannter Theologe!)

    zum derzeitigen Zustand der Industriegesellschaft vorstellen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Die GRÜNEN bekommen mehr öffentliche Mittel als jede andere Partei!)

    Diese Parteien sind darauf angewiesen, daß die Industrie möglichst so bleibt, wie sie ist.
    Wir GRÜNEN sehen dies bekanntlich etwas anders. Nur die Überwindung des rücksichtslosen Industrialismus und die Anbindung der Industrie an die Lebensinteressen der Bevölkerung werden es möglich machen, die großen Zukunftsaufgaben zu bewältigen.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Für eine solche Politik gibt es selbstverständlich keine Industriespenden. Wir GRÜNEN sind aber dennoch davon überzeugt, daß es sich lohnt, diesen Weg weiterzugehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das war der größte Nebelwerfer, den wir je erlebt haben!)