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    Plenarprotokoll 10/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Oldenstädt 7497 A Verzicht des Abg. Graf Stauffenberg auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 7497 A Eintritt des Abg. Wittmann (Tännesberg) in den Deutschen Bundestag 7497 A Erweiterung der Tagesordnung 7497 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksachen 10/1800, 10/2250 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/2301, 10/2330 — . . . 7497 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/2302, 10/2330 — Esters SPD 7497 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 7499 B Frau Nickels GRÜNE 7500 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 7502 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/2303, 10/2330 — . . . 7504 B Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/2304, 10/2330 — Dr. Vogel SPD 7504 D Dr. Dregger CDU/CSU 7515 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE . . . 7521C, 7561B Hoppe FDP 7526 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 7530 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 7542 B Genscher, Bundesminister AA 7546 A Horn SPD 7549 C Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 7552C, 7558 B Dr. Apel SPD 7556A, 7558 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7559 B Frau Fuchs (Köln) SPD 7560 B Präsident Dr. Jenninger 7530 D Namentliche Abstimmung 7562 B Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes — Drucksachen 10/2305, 10/2330 — Dr. Ehmke (Bonn) SPD 7564A Dr. Rose CDU/CSU 7568 B Reents GRÜNE 7571 D Schäfer (Mainz) FDP 7573C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Frau Huber SPD 7576 B Genscher, Bundesminister AA . . 7578C, 7584 D Voigt (Frankfurt) SPD 7581 C Klein (München) CDU/CSU 7582 C Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/2314, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/2325 — Kleinert (Marburg) GRÜNE 7585 D Frau Traupe SPD 7586 C Dr. Stavenhagen CDU/CSU 7590A Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 7592 D Dr. Weng FDP 7594 B Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 7597 A Leonhart SPD 7602 A Namentliche Abstimmung 7604 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/2318, 10/2330 — Esters SPD 7606 C Frau Gottwald GRÜNE 7607A, 7612 D Borchert CDU/CSU 7609 B Frau Seiler-Albring FDP 7611A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7614A Vizepräsident Westphal 7609 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/2320, 10/2330 — Löffler SPD 7616 B Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 7618 B Schneider (Berlin) GRÜNE 7620 B Ronneburger FDP 7623 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 7625 C Nächste Sitzung 7626 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7627*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — (Drucksache 10/2325) 7627* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 7497 103. Sitzung Bonn, den 27. November 1984 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28.11. Dr. Barzel 30.11. Erhard (Bad Schwalbach) 30.11. Ertl 28.11. Dr. Glotz 30.11. Haase (Fürth) * 28.11. Handlos 27.11. Dr. Hauff 27.11. Hauser (Esslingen) 30.11. Frau Hoffmann (Soltau) 30.11. Lemmrich * 27. 11. Dr.-Ing. Oldenstädt 28. 11. Polkehn 30.11. Frau Renger 30.11. Frau Schmidt (Nürnberg) 30.11. Schmidt (Wattenscheid) 30.11. Dr. Solms 27. 11. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 28. 11. Dr. Spöri 30.11. Dr. Sprung 30.11. Dr. Stark (Nürtingen) 30.11. Vosen 30.11. Weiskirch (Olpe) 30.11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - (Drucksache 10/2325) Das Verhältnis zwischen den westlichen Schutzmächten und der Berliner Bevölkerung ist traditionell gut. So wird es bleiben, auch wenn gegenwärtig zwischen der britischen Schutzmacht und einem Teil der Bewohner von Berlin-Spandau eine gewisse Spannung besteht. Ursache dieser Spannung ist der Bau einer neuen großen Schießanlage in unmittelbarer Nähe einer Wohnsiedlung am Rande eines Erholungsgebietes. Eine Klagemöglichkeit wegen dieser Baumaßnahme vor deutschen Gerichten besteht nicht. Die Entscheidung eines Londoner Gerichts, ob überhaupt die Zuständigkeit eines britischen Gerichts gegeben ist, steht kurz bevor. Mit unserer Zustimmung zum Einzelplan 35 verbinden wir auch die Erwartung, daß die Bundesregierung einen Beitrag leistet, der das gute Verhältnis zwischen Schutzmacht und Bevölkerung bewahren hilft. Das könnte einmal dadurch geschehen, daß die Bundesregierung die Mehrkosten übernimmt, die durch den Gerichtsort London entstehen und dadurch, daß die Bundesregierung bei der britischen Regierung ihren Einfluß ausübt, um noch bessere Lärmdämmungsmaßnahmen zu erreichen.
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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich sage ja gar nichts, Herr Präsident.


Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
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(Zurufe von der CDU/CSU)


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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich bin nicht sicher, daß der Herr Präsident mit seinen Ermahnungen mehr Glück hat als ich. Aber das wird sich zeigen.
    Meine Damen und Herren, Sie begnügen sich ja nicht damit. Sie produzieren vielmehr Tag für Tag



    Dr. Vogel
    neues und zusätzliches soziales Unrecht. Wir kritisieren nicht, daß Sie sparen, wenn man auch über das Ausmaß der Einsparungen mit gutem Grund streiten kann — da warnt Sie inzwischen sogar schon die Bundesbank —, wir kritisieren, wie Sie sparen. Wir kritisieren, daß Sie den Schwächeren nehmen und den Stärkeren geben, und das tun Sie im Übermaß. Sie haben das Mutterschaftsgeld gekürzt und die Vermögensteuer gesenkt, den Schwerbehinderten die Freifahrt genommen, aber den Einschnitt in den Dschungel der Subventionen und Steuerbefreiungen nicht gewagt, obwohl Herr Stoltenberg dies Jahr für Jahr in der Opposition angekündigt hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Genauso ungerecht — die Landwirte spüren es j a und sagen es Ihnen — verteilen Sie die Landwirtschaftsmilliarden.

    (Hornung [CDU/CSU]: Das war nur ein geringer Ausgleich! — Zuruf von der CDU/ CSU: Davon haben Sie gar keine Ahnung!)

    Auch hier geben Sie den Großen zuviel und den Kleinen zuwenig.
    Empörend ungerecht ist auch, was Sie im nächsten Jahr den Rentnern zumuten, nämlich eine reale Kürzung ihrer Renten, und zwar auch der Renten, die in der Nähe des Sozialhilfesatzes liegen. Selbst Ministerpräsidenten Ihrer eigenen Partei bezeichnen diesen Umgang mit den Rentnern inzwischen als unerträglich, allerdings nur solche, die gerade Wahltermine vor sich haben. Empörend ist das vor allem auch deshalb, weil gleichzeitig Ledige mit zu versteuerndem Jahreseinkommen über 50 000 DM und Verheiratete mit Einkommen über 100 000 DM von jeglicher Beteiligung an den Sparmaßnahmen freigestellt werden. Belastung der Rentner, Freistellung derer, die 50 000 DM allein im Jahr und 100 000 DM als Verheiratete im Jahr haben.

    (Hornung [CDU/CSU]: Durch Gerichtsbeschluß!)

    Wie von uns vorausgesagt, ist der Wechselbalg der Investitionsanleihe wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gescheitert. Herr Stoltenberg, der sich früher über Niederlagen seiner Amtsvorgänger so erregt hat, hat damit in Karlsruhe innerhalb kürzester Zeit bereits die zweite Niederlage erlitten. Das hat zur Folge, daß die höher Verdienenden ihre bisherigen Zahlungen als eine Art zusätzliches Weihnachtsgeld, einige sogar noch mit Zinsen, in einer Zeit zurückbekommen, in der Millionen von Arbeitnehmern eine fühlbare Kürzung ihres Weihnachtsgeldes gerade in diesen Tagen hinnehmen müssen, weil Sie für dieses Weihnachtsgeld bei den Normalverdienern die Beitragspflicht eingeführt haben; wohl gemerkt wieder bei den Normalverdienern, nicht bei denen mit einem Monatseinkommen von über 5 200 DM. Da fehlte Ihnen der Mut.

    (Beifall bei der SPD)

    Die bleiben auch von dieser Belastung frei. Das
    heißt doch, daß Sie die soziale Gerechtigkeit geradezu mit Füßen treten. Wenn wieder Klassengegensätze entstehen, dann nicht, weil wir auf die Tatsache hinweisen, sondern weil Sie eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit treiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Es wäre, nein, es ist Ihre Pflicht, Herr Bundeskanzler, dies unverzüglich durch die Verabschiedung einer wirklichen Ergänzungsabgabe in Ordnung zu bringen. Wir haben zu diesem Zweck einen Gesetzentwurf eingebracht, der genau die Abgabe zum Inhalt hat, die die Union in ihrem Wahlprogramm und Sie voran im Januar 1983 versprochen und angekündigt haben. Es wird sich zeigen, meine Herren von der geistig-moralischen Erneuerung, ob Sie dem Unrecht noch den Wortbruch hinzufügen wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihr famoser Generalsekretär wird Sie dann wohl in der unnachahmlichen Sprache der christlich-demokratischen Erneuerung „Abgabenbetrüger" oder „Abgabenlügner" titulieren, wenn er eine Spur von Konsequenz und Ehrlichkeit hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie belasten den sozialen Frieden auch noch auf andere Weise. Aus Ihrer Mitte wird gefordert die Montan-Mitbestimmung zu beenden. Gestern vor den Kohlearbeitern haben Sie kein Wort zur Montan-Mitbestimmung gesagt. Sie reden einer Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes das Wort, die darauf abzielt, die Belegschaften der Betriebe aufzusplittern und die Gewerkschaften zu schwächen. Sie wollen ein sogenanntes Beschäftigungsförderungsgesetz in Kraft setzen, das in Wahrheit die Entlassungen erleichtert und einmal mehr Arbeitnehmerrechte, die wir in Jahrzehnten erkämpft haben, abbaut und die sozialen Gewichte erneut zuungunsten der Arbeitnehmer verschiebt.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie, Herr Bundeskanzler, zögern das Gespräch mit den Gewerkschaftsvorsitzenden, das Sie großartig angekündigt haben, immer weiter hinaus. Inzwischen mahnen die Gewerkschaftsvorsitzenden bei Ihnen das Gespräch an. Ihre Pflicht wäre es, Ihre angekündigte Initiative endlich auch zu verwirklichen.
    Mit all dem fordern Sie die Gewerkschaften geradezu heraus, die gleichen Gewerkschaften, die Sie auf Gewerkschaftskongressen — allerdings nur auf ausgewählten — umwerben und als Garanten der sozialen Stabilität feiern. Ich sage Ihnen — und zwar mit Sorge — voraus: Diese Politik wird eine schlimme Folge haben. Auch hier gilt: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Alle Umfragen zeigen, daß unser Volk neben der Friedenssicherung, der Überwindung der Arbeitslosigkeit und der Bewahrung der sozialen Gerechtigkeit den Schutz der Umwelt, den Friedensschluß mit der Natur, für die zentrale Aufgabe der deut-



    Dr. Vogel
    schen Politik hält. Ihre Reden und Ankündigungen tragen dem Rechnung, Ihre Taten nicht.
    Sie werfen uns vor, während unserer Regierungsverantwortung sei zuwenig geschehen. Ich widerspreche dem gar nicht pauschal.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gar nichts ist geschehen!)

    — Regen Sie sich nicht künstlich auf! Ich widerspreche dem gar nicht pauschal. Wir und wohl nicht nur wir — es sei denn, Sie schließen sich da aus — haben in den letzten Jahren in Umweltfragen noch dazugelernt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Diese Erblast drückt uns sehr!)

    Auch ist vieles, was Sozialdemokraten wollten, am damaligen Wirtschaftsminister, an Graf Lambsdorff, gescheitert, gegen dessen Veto vor allem in der Zeit, in der er die Wende vorbereitete, auch auf diesem Gebiet nichts durchzusetzen war.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber Sie, meine Damen und Herren, sind die letzten, die uns das vorhalten könnten. Sie als Opposition haben doch damals jedem Gesetzentwurf, jedem Vorschlag, den wir zum Schutz der Umwelt einbrachten, jedenfalls zunächst einmal den hartnäckigsten Widerstand entgegengesetzt. „Industriefeindlichkeit, Systemzerstörung, Ausstieg aus der Industriegesellschaft, Vernichtung von Arbeitsplätzen", das war doch das mindeste, was Sie uns vorwarfen, etwa beim Benzinbleigesetz, beim Verkehrslärmschutzgesetz oder beim Abwasserabgabengesetz, das durch Sie bis in den Vermittlungsausschuß hinein verschlechtert und verwässert worden ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    In der Sache selbst ist Ihr Zickzackkurs durch die Stationen Buschhaus, Katalysator-Stichtag und Tempolimit gekennzeichnet. Auf mannhafte Ankündigungen folgen jeweils der Widerruf und der Rückzug. Aus Gründen, die Ihr Geheimnis bleiben, Herr Bundeskanzler, veranlassen Sie meistens auch noch Ihre Bundestagsfraktionen dazu, zunächst Beschlüsse zu fassen, die dann alsbald widerrufen werden, notfalls sogar in eigenen Sondersitzungen während der Ferien.
    Das Ergebnis solcher umweltpolitischen Springprozessionen ist, daß die Umweltzerstörung fortschreitet und gleichzeitig Arbeitsplätze gefährdet werden, insbesondere in der Automobilindustrie, die klare und harte Entscheidungen viel eher akzeptieren kann als das Gegenteil, nämlich ein Durcheinander, auf das sich weder Produktionsprogramme noch Umrüstungen der Produktionsbänder stützen lassen. Der Appell eines ganz großen Verbandes, jetzt keine Autos zu kaufen, spricht Bände. Ihre Politik, nicht die der von Ihnen immer vorgeschobenen GRÜNEN und schon gar nicht die von uns Sozialdemokraten hat diesen gefährlichen Appell veranlaßt und zu verantworten. Ich appelliere an Sie, hier endlich für klare Vorgaben und klare Entscheidungen zu sorgen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Wir beschränken uns nicht auf Kritik. Wir sind bereit, als Opposition auch auf diesem zentralen Gebiet der Politik Mitverantwortung zu übernehmen. Schon im August habe ich Ihnen vorgeschlagen, die im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen alsbald zu interfraktionellen Gesprächen einzuladen — schon im August! —, um unverzüglich zu einem von allen Fraktionen getragenen Maßnahmenbündel zur Rettung der Umwelt — einschließlich einer Grundgesetzänderung — zu kommen.
    Die von Ihnen angekündigte Terminfestsetzung wird immer weiter hinausgeschoben und ist bis heute nicht ergangen.

    (Hört! Hört! bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das haben wir vereinbart, wir beide!)

    — Aber lieber Herr Kollege Dregger, wir haben gar nichts vereinbart. Sie haben mir eröffnet, daß Sie frühestens im Dezember in der Lage sind, ein solches Gespräch zu führen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sie haben sich einverstanden erklärt!)

    Ich habe es zur Kenntnis genommen. Wenn Sie in Ihrer Fraktion keinen früheren Termin durchbekommen, kann ich das doch nicht durchsetzen. Wer ist denn bei der Union Fraktionsvorsitzender?

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Ja, Sie nicht!)

    Sie doch wahrscheinlich. Machen Sie sich hier bitte nicht mit der billigen Ausrede lächerlich, ich hätte, weil Sie in Schwierigkeiten waren, Ihrer Terminverlegung zugestimmt. Das war auf dem Höhepunkt des Barzel-Falles. Da habe ich Verständnis gehabt, daß Sie gesagt haben, Sie könnten das jetzt nicht beraten. Aber ich habe doch nicht zugestimmt; das ist doch abwegig.
    Im übrigen, Ihr Verhalten gegenüber meinem Vorschlag vom August, ein Gespräch zu führen, das im November immer noch nicht zustande gekommen ist, zeigt, was Sie von der Gemeinsamkeit, die Sie ständig im Munde führen, in der Praxis eigentlich halten, nämlich gar nichts oder sehr wenig.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Lage der Bundesrepublik hat sich unter Ihrer Regierungsverantwortung nicht verbessert, sondern verschlechtert.

    (Hornung [CDU/CSU]: Hervorragend verbessert!)

    Von einer Wende im Sinne einer geistig-moralischen Erneuerung kann keine Rede sein. Im Gegenteil! Die Staatsverdrossenheit wächst. Da und dort zeigen sich Ansätze zu einer Fundamentalopposition, und auf der anderen Seite entwickelt sich eine



    Dr. Vogel
    Mentalität unpolitischer Anpassung an die herrschenden Verhältnisse.

    (Hornung [CDU/CSU]: Rot und grün entwickelt sich!)

    Dabei drohen die großen Herausforderungen unserer Zeit aus dem Blick der Politik zu geraten, die Herausforderungen, die sich aus den großen Veränderungen der objektiven Gegebenheiten einerseits und des Bewußtseins und des Lebensgefühls der Menschen andererseits herleiten. Das sind die wichtigsten:
    Erstens. Die Menschheit ist, ob uns das nun schon voll im Bewußtsein steht oder nicht, erstmals in ihrer Geschichte in der Lage, sich selbst zu vernichten.
    Zweitens. Die Verflechtung aller Lebensbeziehungen, nicht nur der wirtschaftlichen, ist heute über den gesamten Globus hinweg in einem vor kurzem noch unvorstellbaren Maß fortgeschritten. Die Auseinandersetzung über das Seerechtsübereinkommen ist nur ein Indiz dafür, daß wir in Wahrheit die Schwelle zu einer Weltinnenpolitik bereits überschritten haben. Das Seerechtsübereinkommen ist ein erster Schritt zu einer vernünftigen Weltinnenpolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Nicht allein der Schutz des Menschen vor der Naturgewalt wie eh und je, sondern mehr und mehr auch der Schutz der Natur vor der Menschengewalt, vor der in ganz neue Dimensionen gewachsenen technischen Gewalt der Menschen wirft Probleme nicht gekannter Tragweite auf.
    Viertens. Als Folge der sich immer noch weiter beschleunigenden technischen Entwicklung verändert sich die herkömmliche Arbeitswelt, insbesondere die Quantität, aber auch die Qualität der erforderlichen Arbeit, ebenso rasch wie einschneidend.
    In einem Satz zusammengefaßt: Die Macht der Menschen, etwas zu tun, um in Raum und Zeit hineinzuwirken, ist in gewaltiger, ja in bestürzender Weise über unsere Fähigkeit hinausgewachsen, Entwicklungen vorauszusehen und die immer rascher wechselnden Zusammenhänge zu begreifen und entsprechend zu handeln. Immer wieder stoßen wir auf das Problem, daß die ethisch-moralische Kraft der Menschen mit dem Anwachsen ihrer Zerstörungs- und Vernichtungskraft in den letzten 30, 35 Jahren nicht Schritt gehalten hat und daß die Kraft des Menschen nicht nur gute — die gibt es natürlich auch —, sondern auch schädliche Folgen hervorruft, die er nicht beabsichtigt, nicht vorhergesehen hat,

    (Hornung [CDU/CSU]: Da können Sie Versäumtes nachholen!)

    daß diese Kraft nicht mehr mit dem gigantischen Ausmaß möglicher Schäden in Einklang steht. Hier liegen die Wurzeln weltweiter Sorgen und Proteste. Immer mehr Menschen wollen, daß sich das Tempo der Entwicklung nicht immer weiter beschleunigt, daß die Macht und Gewalt über Menschen und Materie nicht immer unkontrollierbarer gesteigert wird, auf dem Gebiet der Gentechnologie bis hin zur
    Manipulierbarkeit noch ungeborener Generationen. Das gilt auch für den Rüstungswettlauf. Das gilt für unser Verhältnis zur Natur. Das gilt für die Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft im Produktionsprozeß. Das gilt auch für die Beziehungen zur Dritten Welt und den sozialen Sprengstoff, der sich dort, nicht zuletzt durch die Bevölkerungsexplosion, angehäuft hat.
    Darauf, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen in Regierung und Parlament, müssen wir antworten. Hier entscheidet sich die Zukunft. Die GRÜNEN und auch die neuen Bewegungen, die Friedens- und die Umweltbewegung, die DritteWelt-Bewegung etwa, sind in erster Linie Indikatoren für politische Defizite auf diesem Gebiet, für Defizite auch im Problembewußtsein. Dies zu erkennen heißt doch nicht, den Bewegungen nachzulaufen. Dies zu erkennen ist die Voraussetzung für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit diesen Defiziten und für ihren Abbau und ihre Überwindung.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Sie, Herr Bundeskanzler, versagen sich leider dieser Auseinandersetzung. Sie schweigen darüber, welches Menschenbild, welches Staats- und Gesellschaftsverständnis Sie Ihrer Politik zugrundelegen. Diejenigen in Ihrer eigenen Partei, die sich diesen Fragen stellen, z. B. Herr Biedenkopf oder Herr Remmers aus Niedersachsen, sind nicht Ihre Freunde, Herr Remmers wohl auch deswegen nicht, weil er einmal gesagt hat, manche hätten ein so dickes Fell, daß sie auch ohne Rückgrat stehen könnten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie halten solche Leute wahrscheinlich für unbequem, für störend, für lästig.
    Mit geistiger Führung hat das alles nichts zu tun, eher mit Lähmung und Erstarrung, die sich hinter einem Schaumgebirge von Worten verbirgt. Es hat mit einer redseligen Sprachlosigkeit zu tun, die Sie kennzeichnet.

    (Beifall bei der SPD)

    Das spüren inzwischen auch Ihre eigenen Anhänger. Einer von ihnen, der ein Vierteljahrhundert Ihrer Partei angehörte, schrieb Ihnen dazu vor kurzem:
    Ich könnte und müßte Ihnen noch vieles sagen. Aber wie gerade die Diskussion in den letzten Tagen gezeigt hat, ist es sinnlos, mit Ihnen über christliche Grundwerte, über die Soziallehre, über Partnerschaft, über Nächstenliebe oder Solidarität zu diskutieren. Als Christ und als Arbeitnehmervertreter kann ich Ihre Politik nicht mehr unterstützen und Ihre Art von „Ehrenkodex" nicht mehr verteidigen. Mein Gewissen gebietet mir nach 25 Jahren, meine Mitgliedschaft in der CDU und ihren Vereinigungen zu kündigen.



    Dr. Vogel
    Das ist ein Alarmzeichen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich bin nicht sicher, Herr Bundeskanzler, ob Sie dieses Alarmzeichen verstehen. Wenn Sie es verstehen, müßten Sie Ihren Kurs ändern oder Ihren Platz für einen Kompetenteren aus Ihren eigenen Reihen frei machen. Das ist die Alternative.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sehen voraus, daß Sie weder zu dem einen noch zu dem anderen die Kraft aufbringen werden. Vielmehr spricht alles dafür, daß Sie auf Ihrem Kurs unerschütterlicher Untätigkeit, fortschreitender Entsolidarisierung und der Anhäufung immer neuer Pannen, aber auch Skandale beharren werden.

    (Abg. Frau Hürland [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)