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ID1010302900

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    Plenarprotokoll 10/103 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 103. Sitzung Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Oldenstädt 7497 A Verzicht des Abg. Graf Stauffenberg auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 7497 A Eintritt des Abg. Wittmann (Tännesberg) in den Deutschen Bundestag 7497 A Erweiterung der Tagesordnung 7497 B Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksachen 10/1800, 10/2250 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksachen 10/2301, 10/2330 — . . . 7497 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Drucksachen 10/2302, 10/2330 — Esters SPD 7497 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 7499 B Frau Nickels GRÜNE 7500 D Wolfgramm (Göttingen) FDP 7502 B Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksachen 10/2303, 10/2330 — . . . 7504 B Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/2304, 10/2330 — Dr. Vogel SPD 7504 D Dr. Dregger CDU/CSU 7515 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE . . . 7521C, 7561B Hoppe FDP 7526 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 7530 D Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 7542 B Genscher, Bundesminister AA 7546 A Horn SPD 7549 C Diepgen, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 7552C, 7558 B Dr. Apel SPD 7556A, 7558 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 7559 B Frau Fuchs (Köln) SPD 7560 B Präsident Dr. Jenninger 7530 D Namentliche Abstimmung 7562 B Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes — Drucksachen 10/2305, 10/2330 — Dr. Ehmke (Bonn) SPD 7564A Dr. Rose CDU/CSU 7568 B Reents GRÜNE 7571 D Schäfer (Mainz) FDP 7573C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 Frau Huber SPD 7576 B Genscher, Bundesminister AA . . 7578C, 7584 D Voigt (Frankfurt) SPD 7581 C Klein (München) CDU/CSU 7582 C Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/2314, 10/2330 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/2325 — Kleinert (Marburg) GRÜNE 7585 D Frau Traupe SPD 7586 C Dr. Stavenhagen CDU/CSU 7590A Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 7592 D Dr. Weng FDP 7594 B Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 7597 A Leonhart SPD 7602 A Namentliche Abstimmung 7604 C Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Drucksachen 10/2318, 10/2330 — Esters SPD 7606 C Frau Gottwald GRÜNE 7607A, 7612 D Borchert CDU/CSU 7609 B Frau Seiler-Albring FDP 7611A Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 7614A Vizepräsident Westphal 7609 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen — Drucksachen 10/2320, 10/2330 — Löffler SPD 7616 B Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 7618 B Schneider (Berlin) GRÜNE 7620 B Ronneburger FDP 7623 D Windelen, Bundesminister BMB . . . 7625 C Nächste Sitzung 7626 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7627*A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 — Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — (Drucksache 10/2325) 7627* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 103. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. November 1984 7497 103. Sitzung Bonn, den 27. November 1984 Beginn: 10.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 28.11. Dr. Barzel 30.11. Erhard (Bad Schwalbach) 30.11. Ertl 28.11. Dr. Glotz 30.11. Haase (Fürth) * 28.11. Handlos 27.11. Dr. Hauff 27.11. Hauser (Esslingen) 30.11. Frau Hoffmann (Soltau) 30.11. Lemmrich * 27. 11. Dr.-Ing. Oldenstädt 28. 11. Polkehn 30.11. Frau Renger 30.11. Frau Schmidt (Nürnberg) 30.11. Schmidt (Wattenscheid) 30.11. Dr. Solms 27. 11. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim* 28. 11. Dr. Spöri 30.11. Dr. Sprung 30.11. Dr. Stark (Nürtingen) 30.11. Vosen 30.11. Weiskirch (Olpe) 30.11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Löffler (SPD) und Heimann (SPD) zur Abstimmung über den Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - (Drucksache 10/2325) Das Verhältnis zwischen den westlichen Schutzmächten und der Berliner Bevölkerung ist traditionell gut. So wird es bleiben, auch wenn gegenwärtig zwischen der britischen Schutzmacht und einem Teil der Bewohner von Berlin-Spandau eine gewisse Spannung besteht. Ursache dieser Spannung ist der Bau einer neuen großen Schießanlage in unmittelbarer Nähe einer Wohnsiedlung am Rande eines Erholungsgebietes. Eine Klagemöglichkeit wegen dieser Baumaßnahme vor deutschen Gerichten besteht nicht. Die Entscheidung eines Londoner Gerichts, ob überhaupt die Zuständigkeit eines britischen Gerichts gegeben ist, steht kurz bevor. Mit unserer Zustimmung zum Einzelplan 35 verbinden wir auch die Erwartung, daß die Bundesregierung einen Beitrag leistet, der das gute Verhältnis zwischen Schutzmacht und Bevölkerung bewahren hilft. Das könnte einmal dadurch geschehen, daß die Bundesregierung die Mehrkosten übernimmt, die durch den Gerichtsort London entstehen und dadurch, daß die Bundesregierung bei der britischen Regierung ihren Einfluß ausübt, um noch bessere Lärmdämmungsmaßnahmen zu erreichen.
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    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich gebe zu: Die Kritik, die ich hier für meine Fraktion vortrage, ist hart. Aber es ist nicht nur die Kritik der Opposition, und es ist — da täuschen Sie sich, Herr Bundeskanzler — erst recht nicht nur die Kritik der Medien, die mit Ihrer Politik nicht einverstanden sind, es ist inzwischen auch die Kritik derjenigen, die den Regierungswechsel herbeigewünscht und Sie bislang auf Schritt und Tritt unterstützt haben.
    Da attestiert Ihnen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" „ärgerliche Unzulänglichkeit" und konstatiert, daß die Zustimmung zu Ihrer Politik ständig sinkt. In der „Welt" wird der „Mangel an geistig-moralischer Führung" beklagt.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Hört! Hört!)

    Der „Rheinische Merkur", auch nicht gerade ein sozialistisches Kampfblatt,

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

    vergleicht die Regierung, Herr Waigel, mit einem Menschen, der tief im Sumpf steckt, aber leider nicht Münchhausen heißt.

    (Heiterkeit bei der SPD) In der „Herder-Korrespondenz" — —


    (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie Ihren Hauskaplan lesen lassen? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Meine Herrschaften, wenn Sie sich hier schon mit geistreichen Zwischenrufen und nicht mit hetzerischen profilieren wollen, dann müssen Sie sich wenigstens einigen, wer was sagt, sonst kann man auf dieses Durcheinander, das bei Ihnen selbst bei Zwischenrufen herrscht, nicht eingehen.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vielleicht übertragen Sie Ihrer Wunderwaffe, Herrn Schäuble, künftig auch die Koordinierung der Zwischenrufe. Vielleicht wird es dann ein bißchen besser.

    (Heiterkeit bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich habe sehr viel Zeit.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wir auch!)

    In der „Herder-Korrespondenz", auch nicht gerade einem regierungsfeindlichen Kampfblatt,

    (Hornung [CDU/CSU]: Muß es immer ein Kampfblatt sein?)

    ist davon die Rede, die gegenwärtigen Koalitionsparteien regierten das Land glanzlos, stillos und im Blick auf mittlere und längere Fristen konzeptionslos.
    Ich weiß, Herr Bundeskanzler, daß Sie nicht gern auf die Opposition hören; statt Antworten — die Zuschauer und Zuhörer haben es gerade wieder erlebt — kommen aus Ihren Reihen meist nur lärmende und unartikulierte Mißfallenskundgebungen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie mal, warum!)

    Aber wenn Sie uns nicht antworten wollen: Warum antworten Sie dann nicht wenigstens denen, die doch Ihre Freunde sind? Ausgrenzen, Aussitzen und Ausschweigen genügt nicht. Verantwortung — Sie tragen hohe Verantwortung in Ihrem Amt — heißt Antwort geben, Rede und Antwort stehen, Rechenschaft geben. Das steht nicht in Ihrem Ermessen, das ist Ihre Pflicht, an die ich Sie gerade auch in dieser Debatte erinnere.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich erinnere Sie auch deshalb an diese Pflicht, weil Sie, Herr Bundeskanzler, nur vorübergehend an der Haushaltsdebatte teilnehmen; Sie wollen am Donnerstag und Freitag, also auch in der dritten Lesung fernbleiben.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Das ist ein absolutes Novum in der Parlamentsgeschichte.

    (Beifall bei der SPD)

    Keiner Ihrer Vorgänger hat noch so wichtige Reisen so terminiert, daß er bei der Verabschiedung des Haushalts nicht in Bonn war. Einmal mehr ein bedenkliches Parlamentsverständnis.

    (Beifall bei der SPD — Broll [CDU/CSU]: Wir hatten schon bessere Oppositionsführer!)

    Ich sagte, unser außenpolitisches Gewicht ist gesunken. Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie, was die „Washington Post" in ihrer heutigen Ausgabe dazu, gezielt auf Ihre Person, sagt.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wenn Sie reden, steigt die Popularität der Regierung!)

    So kritisch ist von einem der bedeutendsten Blätter der Vereinigten Staaten schon lange kein Bundeskanzler mehr empfangen worden wie Sie, und das hat mit dem Verlust an Gewicht und Ansehen zu tun, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)




    Dr. Vogel
    Zu dem Verlust an außenpolitischem Gewicht hat vieles beigetragen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie sind ein Glücksvogel!)

    Dazu hat beigetragen,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Ihre Polenreise!)

    daß Ihre Koalition in vielen wichtigen außenpolitischen Fragen gespalten ist: in der Polenpolitik z. B., in der Frage des Seerechtsübereinkommens, in der Frage der Ratifizierung der Zusatzprotokolle oder auch in der Frage der Waffenlieferung an SaudiArabien. In anderen Fragen, etwa in der Deutschlandpolitik und in der Polenpolitik, geht der Riß sogar quer durch Ihre eigene Fraktion, durch die Unionsfraktion.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Zu Polen sollten Sie doch lieber schweigen! Nach Ihrer Polenreise würde ich doch schweigen!)

    Zur abnehmenden Bedeutung der Bundesrepublik in Ost und West trägt weiter bei, daß die Bundesregierung — anders als andere europäische Staaten — gegenüber den Vereinigten Staaten bei der Wahrnehmung europäischer und deutscher Interessen nicht genügend Rückgrat zeigt.

    (Beifall bei der SPD — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Rückgrat in Polen, das sagen Sie? Das ist doch unmöglich! Wer hat denn Rückgrat gezeigt? Sie doch nicht! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Auch wenn Sie immer wieder Mißtrauen zu säen versuchen, wir bejahen das Atlantische Bündnis als Instrument der Kriegsverhütung und als Instrument der Friedenssicherung. Wir wissen um die freiheitlichen Traditionen der Vereinigten Staaten und um die Lebenskraft dieses großen Landes. Aber für die deutschen Sozialdemokraten sage ich: Wir wollen Verbündete der Vereinigten Staaten sein, Verbündete und nicht Vasallen; das ist ein großer Unterschied.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Stellung und der Bewegungsspielraum des amerikanischen Präsidenten sind durch sein eindrucksvolles Wahlergebnis gestärkt.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Das tut Ihnen weh!)

    Der Präsident kann, gestützt auf dieses Ergebnis, in seiner zweiten Amtsperiode auf die Sowjetunion leichter zugehen. Das vermehrt die Chance, daß in die erstarrten Beziehungen zwischen den Weltmächten wieder eine gewisse Bewegung kommt. Die jüngsten Signale aus Washington und aus Moskau sprechen ebenfalls dafür. Wir begrüßen diese Signale. Wir begrüßen auch die für Anfang Januar 1985 in Genf vorgesehene Begegnung. Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie die Sowjetunion zu größerer Flexibilität mahnen. Sie haben unsere Unterstützung ebenso, wenn Sie in Washington darauf drängen, daß diese Chance, die sich eröffnet, genutzt wird.
    Im Interesse des Friedens sollten dabei die Forderungen nach einem unverzüglichen beiderseitigen Stationierungsstopp, nach konkreten Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle und Verminderung der Rüstungskosten und insbesondere auch über die Entmilitarisierung des Weltraums und nach einem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen und einer Politik der ständigen Verabredung, so wie sie mehr als 30 frühere Staatschefs und Minister westlicher Länder in dem heute bekanntgewordenen Appell gefordert und umrissen haben, im Vordergrund stehen.

    (Vo r s i t z: Vizepräsident Stücklen)

    Bei Ihrem Besuch, Herr Bundeskanzler, sollten Sie auch noch einmal eindringlich vor den Folgen eines unmittelbaren oder mittelbaren militärischen Eingreifens in Nicaragua warnen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Die strikte Beachtung des Völkerrechts, auf die der Internationale Gerichtshof in Den Haag im Falle Nicaraguas die USA gestern schon zum zweitenmal durch ein Urteil eindringlich hingewiesen hat, und die Beachtung der territorialen Integrität auch kleinerer Staaten gehören zu den Grundelementen unserer Allianz. Die Regierung der Vereinigten Staaten muß wissen, daß Verstöße unseres Hauptverbündeten gegen diese Grundprinzipien uns nicht weniger zum Widerspruch herausfordern würden als entsprechende Verstöße der Sowjetunion in den zurückliegenden Jahren.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Unglaublich! — Klein [München] [CDU/ CSU]: Ein peinlicher Vergleich!)

    Es wäre ein Anschlag auf die moralische Substanz und Kraft des Bündnisses, wenn wir hier mit zweierlei Maß messen wollten. Wir wollen, daß sich die Politik der Vereinigten Staaten und die Politik unseres Bündnisses auch in dieser Hinsicht klar und deutlich von der Politik der Sowjetunion unterscheiden.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Das tun sie auch! Den Vergleich stellen doch nur Sie an!)

    Auf vielen anderen Gebieten der Außenpolitik fehlt es an der notwendigen Klarheit. Der sogenannte Kompromiß, den Sie heute vormittag in letzter Minute in der Frage des Seerechtsübereinkommens beschlossen haben, ist dafür typisch. Dieser Kompromiß ist weder Fisch noch Fleisch. — Wir sind bekanntlich stets für die Zeichnung des Übereinkommens eingetreten. Sie hingegen sind für die Zeichnung des Übereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft, der wir angehören,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn damals nicht gezeichnet?)

    und zugleich gegen die Zeichnung durch die Bundesrepublik. Das ist der sicherste Weg, sowohl die Länder der Dritten Welt und die große Mehrheit der Europäer als auch die Amerikaner gleichzeitig in



    Dr. Vogel
    gleichem Maße zu verärgern — ein Meisterstück der Außenpolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich füge hinzu: Ein solcher Kompromiß ist eines Landes vom Range der Bundesrepublik unwürdig.

    (Zuruf von der SPD: Das sind die Schlaumeier!)

    Es bleibt Ihr Geheimnis, meine Herren, wie ein Mann, der in einer so wichtigen Frage desavouiert und überstimmt wurde, Sie Herr Genscher, noch einen Tag länger Außenminister dieser Regierung bleiben kann.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Da kennen Sie ihn aber schlecht!)

    — Der Zuruf, daß man da Herrn Genscher schlecht kenne, wenn man glaube, daß er aus so etwas Konsequenzen ziehe, kennzeichnet den Geist Ihrer Zusammenarbeit und Ihrer wechselseitigen Verachtung.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Sie sind der humorloseste Redner des Deutschen Bundestages!)

    Ich sage das, Herr Genscher, nicht nur im Hinblick auf Ihre Selbstachtung — das ist Ihr Problem —, ich sage es vor allem deswegen, weil ein Minister, der mit seiner Auffassung so sichtbar unterlegen ist, als Repräsentant der Bundesrepublik nicht mehr ernst genommen wird; und das ist unser gemeinsames Problem.
    Ähnlich halten Sie es in der Deutschland- und in der Polenpolitik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Darüber müssen Sie sprechen!)

    Sie wollen einerseits unsere Politik der Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten fortsetzen, gleichzeitig haben Sie aber nicht die Kraft, die ständigen Querschüsse aus Ihren eigenen Reihen gegen diese Politik zu unterbinden. Sie sagen immer wieder, daß Sie an der deutsch-polnischen Aussöhnung festhalten wollten, gleichzeitig lassen Sie aber zu, daß aus Ihrer eigenen Fraktion die Oder-Neiße-Grenze, ja sogar die Souveränität Polens über seine Westgebiete immer wieder öffentlich in Frage gestellt werden und Ihr eigener Außenminister, Herr Genscher, wegen seiner Haltung in der Polenfrage immer wieder öffentlich attackiert wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie stärken dafür dem Regime den Rücken!)

    Sie stehen nicht auf seiten derer, Herr Bundeskanzler, die in der Jungen Union am Wochenende vergeblich für eine eindeutige Aussage zur OderNeiße-Grenze gekämpft haben und dort einen schlimmen Mehrheitsbeschluß nicht verhindern konnten,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Über Polen würde ich an Ihrer Stelle schweigen!)

    der die Feststellung, daß von deutscher Seite die
    polnische Westgrenze nicht mehr in Frage gestellt
    werde, ablehnt, der also die Möglichkeit der Rückkehr dieser Gebiete unter deutsche Souveränität offenläßt und sich darauf beschränkt, den dort lebenden Polen das Heimatrecht zuzusichern — was immer dies bedeuten soll. Wissen Sie eigentlich, was Sie mit solchen Beschlüssen in Polen und beim polnischen Volk anrichten,

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: Das ist Demagogie, was Sie machen!)

    insbesondere wenn die Polen über das Fernsehen miterleben, wie Sie zu solchen Beschlüssen beziehungsvoll schweigen? Deshalb muß ich einmal mehr fragen: Wo stehen Sie in dieser zentralen Problematik überhaupt? Stehen Sie auch hier überall und nirgends? Ihre Äußerungen, wir befänden uns auf dem besten Weg zur Aussöhnung mit Polen, indem wir ununterbrochen über die Oder-NeißeGrenze in dieser Weise diskutieren, wird den meisten Polen und nicht nur den Polen geradezu wie Hohn in den Ohren klingen — wie Hohn.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Natürlich, Herr Bundeskanzler — das haben wir auch im Ausland vertreten —, sind Sie deshalb kein Revanchist; aber Sie erscheinen wie ein zaudernder Opportunist, der um vermeintlicher innenpolitischer Vorteile willen solche Unklarheiten in Kauf nimmt, nein, geradezu kultiviert.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Unsere Haltung ist demgegenüber klar. Wir gaukeln niemandem vor, es gehöre uns noch, was durch Hitlers Schuld verlorengegangen ist, und dies vor fast 40 Jahren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir verschweigen auch niemandem die Unterschiede der Gesellschaftsordnungen und die Tatsache, daß wir an unserer Ordnung festhalten und sie bewahren wollen. Aber wir wollen über diese Unterschiede hinweg zur DDR und den osteuropäischen Staaten verbesserte Beziehungen, und wir wollen die Aussöhnung mit Polen, eine Aussöhnung, die wir bewußt in ihrer Bedeutung und in ihrem Wert der deutsch-französischen Aussöhnung an die Seite stellen. Beides gehört zusammen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen das im Interesse unseres Volkes, im Interesse der Menschen in der DDR und in Polen und im Interesse der Friedenssicherung in Mitteleuropa.
    Diese Politik hat insbesondere in Polen, aber nicht nur dort, den Menschen zu mehr Freiheit verholfen, als sie vorher besaßen, viel mehr als in der Zeit des Kalten Krieges. Sie hat mit dazu geholfen, bis heute eine Katastrophe zu vermeiden, die nicht nur das polnische Volk ins Verderben stürzen würde.
    Wer demgegenüber, meine Damen und Herren, die Frage, ob man Trauer, Abscheu und Empörung über den Tod des Priesters Popieluszko im Hause des katholischen Episkopats in Warschau oder an seinem Grab zum Ausdruck bringt, zur zentralen



    Dr. Vogel
    Frage des deutsch-polnischen Verhältnisses macht, hat von alldem nichts, aber auch gar nichts verstanden.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Bühler [Bruchsal] [CDU/ CSU]: Fragen Sie einmal einen Polen! Der gibt Ihnen die Antwort!)

    Auf diesem Hintergrund bedauern wir, daß Ihr Besuch, Herr Kollege Genscher, in Warschau nicht zustande kam. Wir treten dafür ein, daß polnischerseits die Schwierigkeiten bald ausgeräumt werden, die durch die Verweigerung des Visums für einen Journalisten und in der Frage der Kranzniederlegung am Grabe eines deutschen Soldaten entstanden sind. Wir fordern jedoch ebenso, daß die Störmanöver ein Ende finden, mit denen Teile der Unionsfraktion die Vorbereitung des gescheiterten Besuchs begleitet haben, und es aufhört, daß Herr Dregger jetzt schon gegen die Nachholung dieses
    Besuchs öffentlich Stimmung macht. Um es im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Dregger, ganz klar zu sagen: Wir Sozialdemokraten wünschen, daß der Besuch sobald wie möglich nachgeholt wird.

    (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ CSU]: Ohne Einschränkung?)

    Einmal mehr fragen wir uns übrigens, wie ein Außenminister solche Querschüsse aus der Koalitionsfraktion hinnehmen und dennoch im Amt verbleiben kann, als wenn nichts passiert wäre.
    Auf den Gebieten, über die ich soeben gesprochen habe, müßte es zwischen uns keine Totalkonfrontation geben, im Gegenteil. Es gibt immer noch Ansätze zur Gemeinsamkeit, aber leider nur noch mit Teilen der Koalition. Wir stimmen völlig mit dem überein, was der Herr Bundespräsident dankenswerterweise zur Grenzfrage klar und deutlich gesagt hat, (Beifall bei der SPD)

    und wir stimmen mit vielem überein, was Herr Kollege Genscher zu Polen äußert. Wir hätten es auch begrüßt, wenn die Entschließungsvorlage des Bundesvorstands der Jungen Union — dem Vorsitzenden gilt unser persönlicher Respekt —

    (Hornung [CDU/CSU]: Da wird er sich aber freuen!)

    zur Oder-Neiße-Grenze eine Mehrheit gefunden hätte. Aber wir widersprechen aufs entschiedenste den gegenteiligen Äußerungen der Herren Zimmermann, Hupka, Jäger, Czaja, Sauer, Dregger, um nur einige aus der täglich länger werdenden Liste von Gegnern dieser Politik zu nennen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage mit Zurückhaltung, aber deswegen um so ernster und deutlicher: Wir sind zu härtestem Widerstand entschlossen, wenn die Aussöhnungspolitik mit Polen weiter aufs Spiel gesetzt wird. Für uns Sozialdemokraten ist die Aussöhnung mit Polen ein Teil unserer politischen Identität.

    (Beifall bei der SPD — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Mit Polen ja, aber nicht mit dem Regime! Machen Sie doch einen Unterschied! Das scheinen Sie sich nicht klarzumachen!)

    Gemeinsamkeit ist auch auf einem anderen Felde möglich und dringend notwendig. Ich meine das Feld der Europapolitik. Sie haben im Vergleich zu anderen europäischen Regierungschefs den großen Vorteil, daß Sie nicht einer mehr oder weniger antieuropäischen Opposition, sondern einer betont proeuropäischen Opposition gegenüberstehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Neuerdings?)

    Natürlich kritisieren wir die Fehler, die Ihre Regierung in und gegenüber der Gemeinschaft gemacht hat, etwa auf dem Agrarsektor, in der Umweltpolitik und der Stahlpolitik. Wir sehen natürlich genauso wie unser Volk, daß auch auf diesem Gebiet vollmundige Ankündigungen und Jubelmeldungen — wie nach dem Stuttgarter Gipfel — mit den oft bedrückenden Realitäten nicht übereinstimmen. Aber das ändert nichts daran, daß wir, soweit ich das erkennen kann, im Ziel der europäischen Politik einig sein könnten.
    Ich meine, im Ziel eines einigen, starken und handlungsfähigen Europas; eines Europas, das seine wissenschaftliche und wirtschaftliche Stärke, das seine geschichtlichen Erfahrungen, die es auch aus Fehlern und aus furchtbaren Rückschlägen in 2000 Jahren Geschichte gewonnen hat, eines Europas, das seine Fähigkeit zur Vielfalt in der Einheit, das die Kultur seiner Institutionen und seiner Rechtsordnung selbstbewußter und nachdrücklicher in die Weltpolitik einbringt;

    (Beifall bei der SPD)

    eines Europas, das mit den Vereinigten Staaten die Bejahung und das Wissen um den Wert demokratischer Freiheiten und Menschenrechte und mit der Sowjetunion die Erfahrung teilt, was es an Opfern und Leid bedeutet, im eigenen Land von fremder Kriegsmacht heimgesucht und unterdrückt zu werden;

    (Beifall bei der SPD)

    eines Europas, das seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr als Inbegriff sich ausbreitender, miteinander um Nichtigkeiten feilschender Bürokratien, sondern als eine reale und stimulierende Zukunftsvision erscheint.
    Unsere Hand zur Zusammenarbeit für ein solches Europa ist ausgestreckt. Es ist Ihre Sache, diese Hand zu ergreifen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir sind bereit, jede Initiative zu unterstützen, die in diese Richtung zielt.
    Wir wissen, daß es — ohne Vernachlässigung anderer Hauptstädte — dabei entscheidend auf Paris und Bonn ankommt. Der Ausbau des von Helmut Schmidt grundgelegten Europäischen Währungssystems, die engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik — nicht zur Beschleunigung, sondern zur Bremsung des Rüstungswettlaufs —, die Zusammenfassung der europäischen Ressourcen auf wirtschaftlichem und technologischem Gebiet, eine verstärkte Zusammenarbeit mit den



    Dr. Vogel
    blockfreien Völkern, die auf ein stärkeres Europa warten, wären Schritte auf diesem Weg.
    Institutionelle Konsequenzen, über die jetzt soviel gestritten wird, ergäben sich im Zuge einer neuen europäischen Dynamik wahrscheinlich von selbst, jedenfalls leichter. Auch einer europäischen Friedensordnung, die über die Bündnisgrenzen hinausgreift und sie durchlässiger macht, kommen wir nur auf diese Weise näher.
    Von der Außen- zur Innenpolitik: Die Regierung wird nicht müde, von ihren wirtschaftlichen Erfolgen und vom Aufschwung zu reden. Der Preisberuhigung haben Sie im vergangenen Monat sogar eine Aktuelle Stunde gewidmet. Offenbar haben Sie vorausgesehen, daß das Thema Preisberuhigung nur einige Wochen aktuell sein würde; denn inzwischen steigen die Preise wieder.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Die industriellen Erzeugerpreise stiegen im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 %, die Großhandelspreise um 2,1 %.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Wo lagen sie in Ihrer Zeit? — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Auch sonst nehmen die Warnzeichen zu. So geht die Zahl der Konkurse und der Vergleiche rapide nach oben, ebenso die Zahl der Zwangsversteigerungen von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Die Menschen draußen, die von diesen Zwangsversteigerungen betroffen sind, werden sich über Ihre Heiterkeit an diesem Punkt ihre eigenen Gedanken machen.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Steuerausfälle der Gebietskörperschaften gegenüber der Junischätzung werden für dieses Jahr auf 5,2 Milliarden DM und für das nächste Jahr auf 11,6 Milliarden DM veranschlagt.
    Die Rentenversicherung kann nur mit einem zinslosen Betriebsmitteldarlehen bis zur Höhe von 5 Milliarden DM liquide gehalten werden, d. h. sie zahlt unter Ihrer Regierungsverantwortung erstmals Renten mit geliehenem Geld.
    Gleichzeitig explodieren die Kosten des Gesundheitswesens — schon jetzt erklären die Verbände der Krankenkassen, daß die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr zwischen 0,5 und 1,5 Prozentpunkten steigen werden —, und die Sozialhilfeleistungen haben mit 17,6 Milliarden DM den absolut höchsten Stand seit Gründung der Bundesrepublik erreicht. Sie steigen, seitdem Sie im Amt sind, kontinuierlich beschleunigend von Jahr zu Jahr.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie die Erblast ganz genau beschrieben!)

    Das sind düstere Stellen in dem Erfolgsgemälde der Koalition. Diese Stellen werden nicht heller, wenn man berücksichtigt, daß die Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit 1983 real um 2,5% zurückgegangen sind, während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen real netto um 12 % zugenommen haben. Auch 1984 hat sich diese Schere der Umverteilung weiter geöffnet. Die Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit sind um 0,5% geschrumpft, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 5 % gewachsen.
    Das alles ist besorgniserregend genug. Entscheidend aber ist, daß es nicht gelungen ist, die Massenarbeitslosigkeit zu verringern, sondern daß sie im Gegenteil immer noch weiter wächst und daß sich die Zahl der Dauerarbeitslosen seit dem 1. Oktober 1982 von 308 000 auf 580 000 fast verdoppelt hat und immer noch weiter wächst.

    (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ CSU]: Arbeitslose, die Sie produziert haben!)

    Daran, meine Damen und Herren von der Koalition, werden Sie gemessen, an dieser Krankheit unserer Gesellschaft, an der neuen Armut und der Hoffnungslosigkeit, die sich hier breit macht; nicht an schönen Reden und nicht an mehr oder weniger optimistischen Gutachten, mit denen die Menschen, von denen ich hier rede, überhaupt nichts anfangen können.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie Ihr Konzept zur schrittweisen Überwindung der Arbeitslosigkeit — mehr werden Realisten ohnehin nicht verlangen — eigentlich aussieht, ja, ob Sie überhaupt ein solches Konzept besitzen, bleibt im Dunkeln. Erwiesen ist nur, daß es die von Ihnen ständig beschworenen Selbstheilungskräfte trotz des hohen Dollarkurses und der daraus resultierenden zusätzlichen Exportchance nicht schaffen.
    Aber, Herr Bundeskanzler, Sie bleiben j a nicht nur selbst untätig; Sie behindern darüber hinaus diejenigen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten Initiativen ergriffen haben. Sie sind den Gewerkschaften in den Arm gefallen, als diese mit den Mitteln der Tarifpolitik verantwortungsbewußt nicht allein um Lohnerhöhungen, sondern vor allem um Arbeitszeitverkürzung gekämpft haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie haben den Arbeitskampf, über den Sie Krokodilstränen immerzu vergossen haben, durch Ihre einseitige Parteinahme verschärft und verlängert. Ohne Ihre Einflußnahme hätte der Kompromiß schon Wochen vorher Platz greifen können.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Heute wissen wir — kein Vernünftiger bestreitet es —, daß allein die Verkürzung der Wochenarbeitszeit — die Verkürzung der Lebensarbeitszeit hat weitere günstige Auswirkungen — im nächsten Jahr rund 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze schafft.
    Wir wissen, daß wir dies allein den Gewerkschaften zu verdanken haben, nicht denen, die den Gewerkschaften damals erbitterten Widerstand geleistet und uns als „Streikpartei" diffamiert haben. Ich danke den Gewerkschaften für ihren Beitrag zur Überwindung der Arbeitslosigkeit.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Vogel
    Sie lehnen ebenso alle unsere konkreten Vorschläge zur Dämpfung der Arbeitslosigkeit — wir reden nicht von der sofortigen Beseitigung — ab, etwa das Sondervermögen Arbeit und Umwelt oder unser Programm zur Unterbringung junger Menschen, die trotz aller, von uns stets dankbar anerkannten Anstrengungen des Handwerks und der Industrie keinen Ausbildungsplatz finden, oder unser Programm zur Förderung neuer, umweltfreundlicher und sozialverträglicher Technologien oder unsere Vorschläge zur Stärkung der Finanzkraft der Städte und Gemeinden. Eine Hauptursache für die fortbestehenden Schwierigkeiten der Bauwirtschaft liegt in der geschwächten Finanz- und Investitionskraft der deutschen Städte und Gemeinden.
    Ihre Antwort auf diese Vorschläge sind ein stereotypes Nein und die Behauptung, es sei kein Geld da.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schulden sind da!)

    Aber das kann nicht überzeugen. Eine Regierung, die innerhalb weniger Tage, genau gesagt: innerhalb 13 Tagen, auch für solche Landwirte, die durch die Brüsseler Beschlüsse gar nicht betroffen sind, und für umsatzstarke Großbetriebe Milliarden herbeischafft, eine Regierung, die nicht die Kraft hat, die von ihr versprochene Ergänzungsabgabe durchzusetzen, sollte solche Behauptungen nicht aufstellen, wenn sie ernst genommen werden will.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    In all diesen Fragen, meine Damen und Herren, geht es bei Ihnen nicht um das Können, es geht um das Wollen. Sie wollen diese Maßnahmen nicht ergreifen. Das ist die Wahrheit.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Massenarbeitslosigkeit widerspricht für sich schon den Geboten der sozialen Gerechtigkeit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie recht!)

    Mehr noch: Sie ist eine Beleidigung der Menschenwürde, ist bitterstes Unrecht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie recht!)

    Die Bitterkeit wächst noch, wenn man unterschwellig oder auch ganz offen denen, denen es besser geht, die Botschaft zukommen läßt, die Arbeitslosen, die Ärmeren oder doch viele von ihnen seien an ihrer Lage selber schuld. Sie seien entweder faul oder unfähig oder beides;

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt?)

    eine Botschaft, die übrigens genauso an bestimmte Instinkte appelliert wie das Gerede vom Neidkomplex oder von der Neidsteuer oder der banale Slogan, daß sich Leistung wieder lohnen müsse. Kein Wunder, daß sich gerade die Kirchen gegen solche Aspekte des Neo-Konservativismus, der Entsolidarisierung, der Verhöhnung der Schwächeren mit aller Entschiedenheit wehren.

    (Beifall bei der SPD — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Das ist reine Verfälschung, was Sie da treiben! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Glauben Sie wirklich, Herr Kollege, daß Ihr zügelloses und geistloses Geschrei irgend jemanden beeindruckt? Glauben Sie wirklich, daß Sie mit einer solchen Ansammlung von Magensäure und Gallenbitter irgendeinen Eindruck hervorrufen?

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Das Fernsehen wird unserer Bevölkerung einmal mehr zeigen, wie die Argumente der Union aussehen. Es sind Kehlkopfargumente, keine Kopfargumente.

    (Beifall bei der SPD — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Mein Gott, sind Sie heute witzig!)

    Aber, meine Damen und Herren, Sie begnügen sich ja nicht damit — —

    (Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich habe viel Geduld für Ihre Selbstdarstellung.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Solange Sie am Pult sind, nehmen wir an Popularität zu! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Mir fällt immer auf, daß Sie bei mir viel wacher sind; wenn der Kanzler redet, schlafen Sie üblicherweise, Kollege Waigel.

    (Beifall bei der SPD — Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Sie waren schon besser! — Weitere anhaltende Zurufe von der CDU/ CSU)

    — Meine Damen und Herren, diese Selbstdarstellung der Union ist unbezahlbar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ihre auch! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Fällt Ihnen nichts mehr ein, Herr Vogel? — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das ist die angelernte Nachdenklichkeit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Vogel, einen Augenblick, bitte!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ich sage ja gar nichts, Herr Präsident.