Rede von
Horst
Sielaff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat hoffentlich schon eine mehrfache positive Wirkung. Denn eines kann man feststellen: Man lernt die Kollegen von einer neuen Seite kennen.
Ich kann z. B. erstmals dem Herrn Kollegen Czaja in der Sache zustimmen. Ich möchte das, was Herr Czaja hier vorhin ansprach, an Beispielen illustrieren. Ich hoffe, daß er am Ende zustimmen kann.
Wir sind sicherlich alle, meine Damen und Herren, mit mehr oder weniger hohen Erwartungen als Abgeordnete nach Bonn gekommen. Auch wenn die Durchsetzbarkeit eigener Vorstellungen gering eingeschätzt wurde, so hofften wir zumindest, daß alle Organe, ganz besonders auch die Bundesregierung, die heute nicht allzu auffällig vertreten ist und die größtenteils aus Parlamentariern besteht, bemüht sein würden, den Abgeordneten in die Lage zu versetzen, seinem Auftrag zur Vertretung des Volkes und seiner Kontrollfunktion gegenüber der Regierung nachzukommen. Man las sicherlich in den ersten Tagen schon die Geschäftsordnung und fand sich bestätigt, da es in § 16 heißt:
Die Mitglieder des Bundestages sind berechtigt, alle Akten einzusehen, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder eines Ausschusses befinden; ...
Aber schon bald erfährt jeder: Die Wirklichkeit ist ganz anders — auch trotz der schönen großen Reden hier heute. Nicht die Bürokratie alleine ist der Hemmschuh, sondern auch der Versuch der Regierung, den Abgeordneten Informationen vorzuenthalten und durch vorhandenes Herrschaftswissen im Vorteil zu bleiben. Die Menschen sind sicherlich alle freundlich, auch die auf seiten der Regierung. Aber die notwendigen Informationen werden um so hartnäckiger abgeblockt.
Ich möchte dieses Problem an einem praktischen Beispiel illustrieren. Man könnte sicherlich viele andere Beispiele nennen.
Die Bevölkerung im Wahlkreis wird unruhig. Sie hört, die USA wollen ihre Giftgaskampfstoffe modernisieren. Die Leute leben in der Nähe von USStandorten und beobachten dort vermehrt Baumaßnahmen. Die Bevölkerung im Umkreis dieser US-Standorte ist sicher: Diese Baumaßnahmen werden vorgenommen, um dort die neuen Giftkampfstoffe zu lagern. Man spricht den Abgeordneten an: Du mußt was tun; wir wollen nicht, daß unsere Region zum Pulverfaß ausgebaut wird. Wie leicht kann ein Unfall passieren! Worin besteht der Zivilschutz? Das sind nur einige Fragen.
Der gewissenhafte Abgeordnete ist skeptisch, ob bei diesen Standorten das Giftgas der US-Streitkräfte lagert, aber er nimmt die Argumente und die Ängste der Bevölkerung ernst und will den Sachverhalt aufklären. Er will auch wissen, ob es gegebenenfalls wirksame Zivilschutzmaßnahmen gibt. Aber dazu muß er wohl wissen, wo welche Kampfstoffe lagern und ob die Ängste der Bevölkerung seiner Region berechtigt sind. Gegebenenfalls will er glaubwürdig beruhigen können und der Bevölkerung die Sorge nehmen. Er will aber auch nicht ungeprüft nachplappern — wie es sicherlich einige von uns immer wieder tun —, was von Regierungsseite pauschal versichert wird, nämlich, es gehe keine Gefahr von den Giftgaslagern für die Bevölkerung aus.
Der Abgeordnete stellt also mündliche Fragen. Die Antwort auf viele Fragen ist einheitlich: Wir sagen dazu nichts, weder bestätigen wir noch dementieren wir. Das unterliege der Geheimhaltung. Zuerst glaubt man noch an eine Ausnahme. Es muß doch einen Weg geben, um sich selbst sachkundig zu machen. Man stellt weitere Fragen. Andere Kollegen schließen sich an. Und immer wieder kommt die gleiche verschleiernde Antwort. Der Abgeordnete setzt sich mit Mitgliedern anderer Ausschüsse zusammen. Er führt Gespräche im Verteidigungsministerium — immer die gleiche nichtssagende Antwort. Kein Ansprechpartner ist offensichtlich wirklich informiert. Die Informationen unterliegen der Geheimhaltung. Weder Akteneinsicht noch Information unter Geheimhaltung sind möglich.
Die Regierung wechselt, nicht aber die Sturheit in der Verweigerung der Auskunft. Wie heißt es doch so schön in der Geschäftsordnung? „Die Mitglieder ... sind berechtigt, alle Akten einzusehen, ..." — Ich meine: blanke Theorie; die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Was sollen die festgelegten Geheimhaltungsgrade, von denen auch der Kollege Czaja sprach — ich nenne nur die drei wichtigsten: streng geheim, geheim, vertraulich —, wenn der einzelne Abgeordnete keine Chance hat, an wichtiges, eventuell geheimes Material irgendwie heranzukommen? Welchen Wert hat die Fragestunde, wenn die Bundesregierung entscheidet, in welchem Fall überhaupt informiert wird? Wir ändern dieses Problem auch nicht dadurch, daß wir die Zahl der Fragestunden vermehren.
Ich meine, im Grunde ist es eine Schande für alle Abgeordneten des Bundestages, wenn Mitglieder dieses Hauses eine Organklage in Gang setzen müssen, um sich ihr Informationsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht zu erstreiten und die Bundesregierung zur Auskunftspflicht zu zwingen. Auch hier wird dann der Kampf mit ungleichen Waffen sofort deutlich. Die Bundesregierung hat ausreichend Mittel zur Verfügung, um die besten Gutachter gegen die Interessen der Abgeordneten zu verpflichten, während die einzelnen Abgeordne-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1984 6247
Sielaff
ten lange suchen müssen, um überhaupt eine teilweise Finanzierung eines Gutachters zu erreichen.
Ich meine, Sontheimer hat recht, wenn er in „Grundzüge des politischen Systems" schreibt: „Die geringe Kontrollmöglichkeit des Parlaments wird auch erkennbar an der Art und Weise, in der es über politische Entscheidungen der Regierung informiert wird."
Ich möchte weitere Beispiele bringen. Wenn Frau Hamm-Brücher in ihrem Papier bzw. in unserem gemeinsamen Papier schreibt — ich zitiere — „Das Fragerecht des Abgeordneten ist ein entscheidendes Instrument der Regierungskontrolle. Mit dem Fragerecht korrespondiert die Antwortpflicht.",
so kann man dem voll zustimmen. Dann muß allerdings auch die Qualität der Antwort zur Diskussion stehen.
Wenn geantwortet wird, ohne Information zu geben oder ohne sich überhaupt ernsthaft darum zu bemühen, bleibt diese Aussage ohne jegliche Wirkung. Mit der Art der Antwortpflicht steht und fällt auch, wie ich meine, das Informationsrecht.
Noch gestern, liebe Frau Kollegin, gab es einige Beispiele, wie die Bundesregierung auf Anfragen der Abgeordneten eingeht: indem sie teilweise Fragen gar nicht beantwortet, Dinge beantwortet, die überhaupt nicht gefragt sind, oder Ausflüchte macht. Zum Beispiel bei einer Zusatzfrage, welche Weisung die Bundesregierung ihren Mitgliedern in Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit gegeben habe. Die Antwort — ich zitiere —: Dieses ist nicht der Ort, darüber zu reden. Das war die Antwort; sicherlich morgen im Protokoll nachzulesen.
— Sehen Sie. Man könnte daraus auch weiter folgern: Welche Funktion haben wir, wenn das an diesem Ort gesagt wird?
Oder auf die schriftlich eingereichte Frage „In wie vielen Arbeitsämtern sind die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereits erschöpft?" die Antwort: Das wissen wir nicht. Und das, obwohl die Bundesregierung mehrere Tage Zeit gehabt hätte, nachzuforschen, oder sie hätte zumindest sagen können: Wir liefern die Antwort nach. Wo bleibt da die Auskunftspflicht der Bundesregierung?
Die verbürgte Kontrollkompetenz des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten gegenüber der Regierung ist, meine ich, nur im Zusammenhang mit einer allgemeinen Informationszuständigkeit möglich und auch sinnvoll. Ohne ausreichende Information kann das Parlament die Kontrollpflicht nicht ausüben. Ich meine — damit möchte ich zum Schluß kommen —, daß das Bundesverfassungsgericht das auch so festgehalten hat. Wir sollten alle gemeinsam versuchen, diese Kontrollfunktion nicht nur verbal im Parlament anzusprechen, sondern auch auszuüben.