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ID1008220200

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    Plenarprotokoll 10/82 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 82. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. September 1984 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksache 10/1800 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 — Drucksache 10/1801 — Dr. Dregger CDU/CSU 5951 B Dr. Hauff SPD 5959 D Dr. Albrecht, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 5965 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 5968 C Frau Seiler-Albring FDP 5972 B Handlos fraktionslos 5974 B Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 5975 D Roth SPD 5984 C Kroll-Schlüter CDU/CSU 5990 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 5993 B Eimer (Fürth) FDP 5995 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 5997 C Frau Simonis SPD 6006 C Niegel CDU/CSU 6010 C Drabiniok GRÜNE 6013 C Dr. Schmude SPD 6015 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 6019A Frau Fuchs (Köln) SPD 6022 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 6027 B Hoss GRÜNE 6030 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 6032 D Sieler SPD 6040 D Dr. Friedmann CDU/CSU 6044 A Glombig SPD 6047 B Schlatter SPD 6051 C Dr. von Wartenberg CDU/CSU 6054 B Dr. Jens SPD 6056 A Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/ CSU 6058 C Dr. Hauchler SPD 6060 D Vizepräsident Westphal 6014 C Nächste Sitzung 6063 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6065* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. September 1984 5951 82. Sitzung Bonn, den 13. September 1984 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 13. 9. Antretter ** 14. 9. Büchner (Speyer) 14. 9. Eigen 14. 9. Haase (Fürth) ** 14. 9. Dr. Hackel ** 14. 9. Dr. Holtz ** 14. 9. Jaunich 14. 9. Junghans 14. 9. Dr. Klejdzinski ** 14. 9. Dr. Müller ** 14. 9. Reddemann ** 14. 9. Frau Renger 14. 9. Reuschenbach 14. 9. Dr. Rumpf ** 14. 9. Sauermilch 14. 9. Schäfer (Mainz) 14. 9. Schmidt (Hamburg) 14. 9. Schmidt (München) ** 14. 9. Frau Schoppe 14. 9. Schulte (Unna) ** 13. 9. Schwarz ** 14. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 9. Graf Stauffenberg * 14. 9. Weiskirch (Olpe) 14. 9. Dr. Unland ** 14. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Verehrter Herr Kollege Schlatter, Sie sind neugewählter stellvertretender steuerpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion. Im Rahmen des Amtes, in das Sie neu gewählt wurden, haben Sie natürlich das Bedürfnis, Aktivität zu zeigen und das vorgezogen haben zu wollen, was in der ersten Lesung erst im Dezember dieses Jahres kommt, nämlich die Aussprache in diesem Hause über das, was Sie zitiert haben, nämlich das Steuerentlastungsgesetz mit dieser deutlichen Steuersenkung.
    Erlauben Sie mir, einige grundsätzliche Anmerkungen zu dem zu machen, was Sie hier ausgeführt haben.

    (Zurufe von der SPD)

    — Es war schon so im Detail, daß wir das an Hand der Zahlen, die uns rechtzeitig zugestellt werden, sehr gründlich beraten werden.
    Wenn Sie, lieber Herr Schlatter, zwischen dem, was wir in der Opposition gesagt haben, und dem, was wir heute nur tun können, einige Widersprüche entdecken, dann liegen sie darin, daß das Desaster in den Finanzen noch wesentlich größer ist, als wir damals vermutet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Walther [SPD]: Ist das ein Quatsch! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wenn man Finanzpolitik, in diesem Fall Steuerpolitik, betreibt, dann sollte man sich zumindest vier Grundregeln der Finanzpolitik vor Augen halten.
    Die erste bei der gesamten Betrachtung ist, daß man nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die können das!)

    Die zweite ist, daß man, wenn man die Einnahmen des Staates verstärken will, umgekehrt die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft und die Steuerquellen des Staates stärken muß.
    Daraus folgt, als dritte Grundregel für die Steuerpolitik, daß sie nur dann sachgerecht ist, wenn sie an die Leistungsfähigkeit anknüpft. Beispiel: Ein Ehepaar ohne Kinder ist steuerlich leistungsfähiger als ein Ehepaar mit Kindern.
    Wenn man Steuerpolitik macht, muß man — die vierte Grundregel — natürlich auch die Grundrechenarten beherrschen: Addition, Prozentrechnung u. ä. Da kommt man zu dem einfachen Ergebnis, daß 5 % von 30 000 DM wesentlich mehr sind als 10 % von 10 000 DM; für die, die nicht folgen können: im einen Fall 1 500 DM und im anderen Fall 1 000 DM.

    (Dr. Spöri [SPD]: Die Leute denken nicht in Prozenten, sondern in DM!)

    — Also wenn ich um Prozentsätze senke und die Leistungsfähigkeit berücksichtige, wird der Prozentsatz, und sei er noch so gering, immer zu anderen absoluten Beträgen führen. Aber wer das nicht beherrscht, appeliert eben an den Neidkomplex und versucht, Demagogie zu machen, und vermißt dann die sachgerechte Politik.
    Wer als Steuergesetzgeber diesen Regeln nicht folgt, der verhält sich doch wie eine Räuberbande, die bald diesen und bald jenen anfällt.

    (Abg. Dr. Spöri [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    — Herr Spöri, ich hatte nicht vor, die Debatte lange zu verlängern. Lassen Sie mich das zu Ende führen. Wir haben die erste Lesung im Herbst dieses Jahres.

    (Dr. Struck [SPD]: Dann dürfen Sie auch nicht solch einen Blödsinn erzählen!)

    Wenn Sie die Frage der Finanzierung dieses Steuerentlastungspakets ansprechen, die gesamten 12 Jahre Ihrer Regierungszeit zusammenfassen und dort nur die Steuerentlastung herausstellen, sei es erlaubt, einmal darauf hinzuweisen, daß es nie eine Steuerentlastung gegeben hat, die nicht durch andere Steuererhöhungen gegenfinanziert wurde. Das Einkommensteuerreformgesetz von 1974 wurde durch den Abbau der Sparförderung und



    Dr. von Wartenberg
    Vermögensteuer mit 3 Milliarden DM gegenfinanziert, das Einkommensteuergesetz 1976 wurde durch die Erhöhung von Tabaksteuer und Branntweinsteuer in Höhe von 1,6 Milliarden DM gegenfinanziert, das Steueränderungsgesetz 1977 wurde durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer in Höhe von 6,2 Milliarden DM gegenfinanziert, und das Steuerentlastungsgesetz 1980 wurde durch Mineralöl- und Branntweinsteuererhöhungen in Höhe von 3,8 Milliarden DM gegenfinanziert. Insoweit haben Sie dieses Parlament niemals mit einem Gesetz konfrontiert, das, wie es in unserem nun deutlichen Versuch eindeutig der Fall ist, eine klare Steuerentlastung vorsieht.

    (Walther [SPD]: Sie finanzieren es durch Schuldenaufnahme!)

    Wenn Sie das Gesamtpaket bewerten, dann wäre es in der Aussprache zum Haushalt und zur mittelfristigen Finanzplanung auch richtig, den Gesamtzusammenhang zu sehen, der auch für die Steuerpolitik gilt.
    Dieser Gesamtzusammenhang, steuerpolitisch, finanzpolitisch, läßt sich an drei Punkten charakterisieren.
    Zunächst kam es uns darauf an, dafür zu sorgen, daß die darniederliegende Wirtschaft in Gang gebracht werden kann, und die jetzigen Ergebnisse zeigen, daß dies auch mit einem Dutzend kreditfinanzierter Beschäftigungsprogramme nicht so wie mit den in den vergangenen Jahren verabschiedeten Steuerentlastungsgesetzen erreicht worden wäre.
    Der zweite Punkt ist, daß wir von vornherein als zweiten Schritt vorgesehen haben, die steuerliche Benachteiligung der Familien mit Kindern zu beseitigen. Was wir vorschlagen, ist das klassische duale System in der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern, einmal ein Freibetrag in Höhe von rund 2 400 DM und zum anderen mit einer deutlichen sozialen Komponente versehene Kindergeldzahlungen, die ab 1986 so verbessert werden, daß für die Geringverdienenden, bei denen die erhöhten steuerlichen Kinderfreibeträge nicht so voll zum Tragen kommen, ein Kindergeldzuschlag von rund 45 DM gewährleistet ist.

    (Dr. Spöri [SPD]: Aber Sie verlagern doch die Schwerpunkte!)

    Wenn man das mit dem dann sich aus dem Mutterschaftsgeld entwickelnden Erziehungsgeld für fast ein Jahr zusammennimmt, ist das ein deutlicher Schritt in Richtung auf den zweiten Punkt, nach dem Ingangsetzen der Wirtschaft, nämlich die Familienpolitik zu verbessern, Berücksichtigung von Kindern, Förderung und Beachtung der Belastungen, die eine Familie mit Kindern hat, zumindest so weit, wie es finanzpolitisch überhaupt zu verantworten ist.
    Als Drittes — das steht auch in der Regierungserklärung — das Bemühen, die Einkommen- und Lohnsteuertarife deutlich zu senken. Ich darf Ihnen ganz offen sagen: Was jetzt vorgelegt wird, ist keine Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs,

    (Zurufe von der SPD)

    aber was sich jetzt als größte Entlastung in der Geschichte der Bundesrepublik abzeichnet, ist ein Schritt in die Reform.

    (Dr. Spöri [SPD]: Die Entlastung ist oben sicherlich sehr groß, Herr Kollege!)

    Denn wenn wir den Haushalt in den nächsten Jahren weiter so vorsichtig fahren und in der Wirtschaft mit einem derartigen Erfolg weiterarbeiten können, dann ist dieser erste Schritt durch einen zweiten und gegebenenfalls einen dritten Schritt in eine echte Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifen zu transferieren. Darunter verstehe ich z. B. eine lineare Kurve im progressiven Bereich.

    (Dr. Spöri [SPD]: Das gibt doch unten bloß 12 DM!)

    Das ist in zwei Schritten für 1986 und 1988 geplant.
    Wenn Sie diese drei Punkte zusammenfassen, Erfolg in der Wirtschaftspolitik, z. B. geringere Zinsbelastung, deutliche familienpolitische Komponente, Kinderfreibeträge, Kindergeld, Erziehungsgeld, und die Tarifentlastung, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß und viel Staunen bei den Rechnungen, die dann im Vergleich zu dem herauskommen, was gewesen wäre, wenn wir so weitergemacht hätten, wie Sie das getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Aber eines dürfen wir auch ganz offen bekennen: Natürlich gelingt es uns angesichts der Haushaltslage nicht, die heimlichen Steuererhöhungen voll zurückzuzahlen. Das haben wir auch niemals gesagt.

    (Zuruf von der SPD: Doch!) Es wäre wünschenswert.


    (Zurufe von der SPD)

    wenn die heimlichen Steuererhöhungen total zurückgezahlt werden könnten.

    (Dr. Spöri [SPD]: Gedächtnisschwund! — Weitere Zurufe von der SPD)

    In unseren Oppositionsjahren haben wir das immer wieder gefordert.

    (Dr. Spöri [SPD]: Herr Häfele hat die Leier abgezogen!)

    Ich habe gleich am Anfang gesagt, daß das Desaster wesentlich größer war, als wir vermutet hatten. Insoweit gelingt es uns nicht, die heimlichen Steuererhöhungen total zurückzuzahlen, aber wir gehen einen deutlichen Schritt zurück, und wenn wir am Ende des Jahres 1986 oder 1987 feststellen, daß die gesamtvolkswirtschaftliche Steuerquote nicht wesentlich höher ist als zu der Zeit, in der wir die Regierung übernommen haben, nämlich im Jahre



    Dr. von Wartenberg
    1982, ist das angesichts der bis dahin erfolgten Haushaltssanierung ein großartiger Erfolg.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Wieso? Die Quote von 1982 haben Sie doch angegriffen!)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Uwe Jens


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich zu den Grundlagen des Haushalts, den wir hier heute diskutieren, zurückkomme, nämlich zur wirtschaftlichen Situation. Wir haben ja nach der Planung noch ein wenig Zeit übrig, und deshalb möchte ich dazu noch einige Anmerkungen machen.
    Die Regierungskoalition lobt natürlich insbesondere die Neuverschuldung von 24 Milliarden und weist auf die niedrigen Preissteigerungsraten hin. Es ist Ihr gutes Recht, daß Sie die positiven Seiten herausheben; es ist unsere Pflicht, gewissermaßen auf die schwierigen Probleme hinzuweisen, die wir eben auch haben und nicht verschweigen dürfen.
    Ich weiß nicht, ob man die Neuverschuldung von 24 Milliarden so loben kann. Sie ist ganz zweifellos niedriger als früher, aber im nächsten Jahr steigt sie, so habe ich gesehen, wieder auf 26 Milliarden an, und die Bundesbankgewinne von 10 Milliarden sind ja auch ein Beitrag dazu gewesen, die Neuverschuldung so zu reduzieren.

    (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Deswegen müssen wir weiter sparsam sein!)

    Die CDU lobt jetzt vor allem die geringen Preissteigerungen im laufenden Jahr. Wir begrüßen sie ebenfalls. Erlauben Sie mir aber, darauf hinzuweisen, daß wir im Jahre 1967/68, als Sozialdemokraten die Wirtschaftspolitik bestimmten, das ganze Jahr über Preissteigerungen von unter 2 % hatten.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Schon lange her!)

    Nach heutigem Maßstab hatten wir damals aber absolute Vollbeschäftigung. Erkauft wurde die positive Preisentwicklung in diesem Jahr durch erhebliche Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften bei stark sinkenden Lohnstückkosten und bei einer Arbeitslosenzahl von 2,1 Millionen im Sommer dieses Jahres.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Wer hat uns die denn hinterlassen?)

    Das ist eine erschreckende Entwicklung.

    (Walther [SPD]: Unglaublich! — Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, seit Herbst 1982, seit Sie die Regierungsverantwortung übernommen haben, hat die Zahl der Arbeitslosen um weitere 400 000 Menschen zugenommen, und dabei ist die Zahl der Arbeitslosen eher zu niedrig als zu hoch angesetzt. Viele Arbeitsuchende melden sich erst gar nicht mehr beim Arbeitsamt, weil es doch keinen Zweck hat, weil sie resigniert haben. Inklusive der Dunkelziffer an Arbeitsuchenden, die wir eben haben, muß festgestellt werden: Wir haben bereits heute eine Arbeitslosenzahl von rund 3 Millionen, und das macht verständlicherweise große, sehr große Sorgen.
    Viele Menschen in den Betrieben haben Angst, haben große Angst um ihren Arbeitsplatz. Allein in meinem Wahlkreis gibt es vier Unternehmen, die bereits weitere Entlassungen angekündigt haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn Sie die Dunkelziffer hinzuzählen, müssen Sie die Schwarzarbeiter wieder abziehen, Herr Jens!)

    Die Lage ist also leider nicht dazu angetan, so, wie Sie es machen, große Hoffnungen zu erwecken.
    Der Zuwachs des Bruttosozialprodukts wird in diesem Jahr 2,5% betragen. Das ist nicht schlecht. Im nächsten Jahr wird er aber — das sind seriöse Schätzungen — geringer ausfallen. Die Bundesregierung rechnet im mittelfristigen Trend, bis 1988, ebenfalls mit einer Steigerungsrate von 2,5 % p. a. Ich frage mich: Wie ist das möglich? Haben Sie möglicherweise durch Regierungsbeschluß den Konjunkturzyklus abgeschafft? Es ist doch damit zu rechnen, daß ab 1986 wiederum eine Abschwung-phase einsetzt, so daß Sie, da Sie in diesem Jahr nur 2,5% haben, niemals auf 2,5% im Durchschnitt kommen werden.
    Viel, sehr viel hängt vorn Export ab — das gebe ich gerne zu —, aber der verspricht erheblich abzunehmen, wenn die Vereinigten Staaten darangehen, ihr Haushaltsdefizit zu verringern. In dem Moment wird auch der Dollarkurs deutlich nach unten gehen, und in dem Moment werden die Exporte der Bundesrepublik Deutschland erheblich abnehmen. Machen Sie sich doch nichts vor; es hat doch keinen Zweck.
    Der private Verbrauch in unserem Lande stagniert. Wo sollte auch eine Steigerung herkommen? Die Löhne steigen j a real auch nur minimal. Aber viele Einzelhändler in diesem Lande wissen das ganz genau. Ihr Umsatz steigt eben nicht mehr, sondern ist in der letzten Zeit zurückgegangen.
    Erlauben Sie mir einige wenige Anmerkungen zum Haushalt '85. Über ihn ist bereits viel gesagt worden. Ich möchte zwei Dinge kritisieren, nur zwei Dinge, die mir wichtig erscheinen. Der Haushaltsansatz trägt nicht zu Wachstum und zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei. Bei einer Steigerung von 1,2 % und einem Wachstum des Sozialprodukts von 2,5 wirkt er zwingend kontraktiv. Für uns ist jedoch Finanzpolitik nach wie vor ein wichtiges Mittel der Konjunkturpolitik.

    (Zuruf des Abg. Cronenberg [Arnsberg] [FDP])

    Sie reden außerdem viel — Herr Cronenberg — über den Abbau von Subventionen. Da wird aus allen Reihen lautstark getönt. Einige neuere Subventionszahlungen und Steuergeschenke hätten jedoch ohne Erhöhung der Neuverschuldung konjunkturwirksam und arbeitsplatzerhaltend ausgegeben werden können. Die enormen Zahlungen von Agrarsubventionen an landwirtschaftliche Großbe-



    Dr. Jens
    triebe haben meines Erachtens die Kompetenz, die Durchsetzungsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit von Finanzminister Stoltenberg erheblich reduziert.
    Meine Damen und Herren, in der Bauwirtschaft — fragen Sie mal die Bauunternehmen; wir sind ja von der Bauindustrie und vom Baugewerbe gerade angeschrieben worden — arbeiten zur Zeit 1,1 Millionen Menschen, und der zuständige Minister Schneider hat angekündigt, es würden 1988 200 000 weniger sein. 200 000 Arbeitslose mehr kommen allein aus der Bauwirtschaft. In diesem Jahr hat die Bauwirtschaft 2 000 Firmenzusammenbrüche zu verzeichnen, im Aufschwungsjahr 1984! Das ist die höchste Zahl an Firmenzusammenbrüchen, die jemals in der Bauwirtschaft aufgetreten ist. Das sind Tatsachen, die können Ihnen auch andere erzählen. Herr Herion, der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, wird Ihnen das bestätigen.
    60 % der Aufträge kommen aus dem Bereich der öffentlichen Hand. Dabei soll aber keiner behaupten, im Baubereich gäbe es nichts mehr zu tun. Ich meine, es gibt da noch viel zu tun, sehr viel Arbeit. Es geht im Baubereich um die Verbesserung des Wohnumfeldes, um die Modernisierung alter Häuser, um die Schaffung beruhigter Zonen, um die Entschärfung von Kreuzungen oder um den Bau von Bahnübergängen und dergleichen mehr. Ich hoffe, dieser Regierung ist klar, daß die Güter, die in diesem Jahr nicht produziert werden, nicht etwa im kommenden Jahr zusätzlich produziert werden können. Was einmal an Bruttosozialprodukt ausgefallen ist, kann nicht durch verstärkte Arbeit nachgeholt werden.
    Ein Wort zur europäischen Stahlindustrie. Sie leidet aus meiner Sicht noch immer unter erheblichen Strukturveränderungen. Aber Ursache für diese Strukturveränderungen sind die weltweite Arbeitsteilung, neue Ersatzprodukte und die wettbewerbsverzerrenden Subventionen in anderen EG-Ländern. Ich finde, es ist völlig abwegig, wenn Regierungspolitiker versuchen, dem Land NordrheinWestfalen die Schuld an dieser Krise in der Stahlindustrie zuzuschieben. Das geht beim besten Willen nicht.
    Wir Sozialdemokraten begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Positionspapier der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie: Die Subventionszahlungen in Europa müssen Ende 1985 endgültig abgebaut sein. Die Bundesregierung muß vorher dafür sorgen, daß der vereinbarte Kapazitätsabbau von allen europäischen Ländern eingehalten wird. Es war aus meiner Sicht bereits ein Fehler, daß der damalige Wirtschaftsminister diesem Subventionsunwesen zugestimmt hat. Aber ich sehe die Sachzwänge, unter denen er stand. Jetzt muß die Bundesregierung die Einhaltung der Absprachen garantieren. Wir werden auf dieses Thema zurückkommen.

    (Walther [SPD]: Sehr gut!)

    Leider müssen wir befürchten, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung die einmal gemeinsam getragene Kohlevorrangpolitik langsam, aber sicher aufgibt, Herr Spies. Wir Sozialdemokraten finden uns nicht damit ab, daß die Investitionshilfen für den Bergbau im Haushalt 1985 erneut gekürzt werden. Wer Vorrang für umweltfreundliche Kohle will — und wir wollen das —, der muß dafür sorgen, daß die Fernwärme weiterhin ausgebaut werden kann. Aber zusätzliche Hilfen werden hier bedauerlicherweise nicht zur Verfügung gestellt.

    (Dr. Weng [SPD]: Entschwefelung der Kraftwerke ist Umweltpolitik!)

    Seit jeher erbringt das Land Nordrhein-Westfalen auf diesem Felde erhebliche finanzielle Leistungen. Vorrang für die Kohle in der Energieversorgung ist im übrigen keine Verpflichtung eines einzelnen Landes, sondern das ist eine Aufgabe der Bundesregierung und des Gesamtstaates.
    Erlauben Sie mir ein Wort zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse in der Ruhrkohle AG, die in der Öffentlichkeit viel Wirbel hervorgerufen hat. Ich meine, die Bundesregierung hat sich bei dieser Neuordnung nicht mit Ruhm bekleckert. Hier wird jetzt ein Produktionsunternehmen durch die Aktienmehrheit bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen völlig von seinen Abnehmern abhängig gemacht. Die vertikale Konzentration schreitet in diesem Bereich erneut weiter voran. Der Energiesektor wird weiter monopolisiert, eine Tendenz, vor der man nicht lautstark genug warnen kann. Ich meine auch, das Kartellamt muß, wenn es glaubwürdig bleiben will, dafür sorgen, daß diese Fusion ebenfalls abgemahnt wird.
    Meine Damen und Herren, die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich im nächsten Jahr nicht verbessern. Sie ist von vielen Rednern aus meiner Fraktion deutlich geschildert worden. Es ist schon dramatisch und erschreckend, wie wenig die Regierungskoalition über dieses brennende Problem Nummer 1 gesprochen hat.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Sie handelt!)

    Die regierungsamtlichen Optimisten handeln aus meiner Sicht leichtfertig, wenn sie immer wieder behaupten, das sei ein Problem, das sich von alleine löst. Es wird sich niemals von alleine lösen, und Ihre Politik führt mit Sicherheit nicht dazu, daß die Arbeitslosigkeit abnimmt, sondern sie wird weiterhin steigen.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie waren wohl die letzten zwei Tage in Ostende!)

    Ich meine, mit Seelenmassage — wie sie von Ihnen praktiziert wird — und mit frommen Wünschen ist das Problem eben nicht zu lösen. Wer nur in Optimismus macht und den Unternehmen quasi Psychoquanten verabreicht, kennt nicht die ehernen Gesetze einer marktwirtschaftlichen Ordnung.

    (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ CSU]: Die kennen wir besser als Sie!)

    Notwendig sind neben dem Gewinn, der bei einigen schon wieder sprudelt, wesentlich niedrigere Zinsen und vor allem zusätzliche Nachfrage. Die



    Dr. Jens
    fortgesetzte Demontage der sozialen Leistungen löst die Arbeitsmarktprobleme mit Sicherheit ebenfalls nicht. Notwendig wäre ferner eine zukunftsorientierte Innovations- und Technologiepolitik.

    (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ CSU]: Die Sie versäumt haben!)

    Nur wenn wir das Produktivitätsniveau der Volkswirtschaft insgesamt stärken, können wir uns steigende Löhne und hohe Sozialleistungen in der Zukunft erlauben. Besondere Anreize sind dabei notwendig für umweit- und sozialverträgliche Verfahren. Wir dürfen und können die Augen nicht davor verschließen, daß in Japan und in den USA, auch in Frankreich, massiv mit staatlichen Geldern Industriepolitik betrieben wird. Wer das ignoriert, verspielt die Zukunft unseres Landes.
    Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrer Initiative Arbeit und Umwelt den Weg aufgezeigt, wie die Probleme angepackt werden können. Hierunter fällt auch das von der nordrhein-westfälischen Landesregierung vorgeschlagene Bundesprogramm für Luftreinhaltung bei Kohlebetrieben in Feuerungsanlagen. Ziel des vorgeschlagenen Förderungsprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen ist es, die notwendigen Umrüstungsersatzbauten zu beschleunigen und insbesondere zur Verringerung des Schwefeldioxids und des Stickoxids beizutragen. Die Initiative soll Innovationsanreize geben, um die größtmöglichen Emissionsminderungen durch fortschrittliche Verfahren mit geringstem Mitteleinsatz zu ermöglichen und darüber hinaus auch insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Kohle zu stärken. Eine umweltfreundliche Kohlepolitik ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, zu deren Lösung es einer nationalen Anstrengung bedarf, wie ich es schon hervorgehoben hatte.
    Vor allem in den Gemeinden — auch darauf hatte ich hingewiesen — sind viele Infrastrukturinvestitionen nötig, ja überfällig. Sie sind in der letzten Zeit auf Grund der Finanzlage sträflich vernachlässigt worden. Sie müssen in dieser Zeit angepackt werden. Die Kommunen haben ein Anrecht darauf, entsprechende Finanzmittel aus der konsumtiven Masse des Bundes zur Verfügung gestellt zu bekommen.
    Im übrigen verlangt die Lage auf dem Arbeitsmarkt entsprechend dem geltenden Stabilitäts- und Wachstumsgesetz nach einer Konzertierten Aktion. Wir Sozialdemokraten stehen für eine derartige Strategie des sozialen Konsenses. Alle Länder, die diese Strategie praktiziert haben, sind nachweisbar besser gefahren als andere. Wenn der neue Bundeswirtschaftsminister Bangemann diese Idee aufgreift, so ist das gut.

    (Dr. Freiherr Spies von Büllesheim [CDU/ CSU]: Ihr seid vorher verfahren!)

    Aber wenn er gleichzeitig den Gewerkschaften möglicherweise mit einem Verbändegesetz droht, so ist das, gelinde gesagt, etwas sehr ungeschickt.
    Ich komme zum Schluß. Auch die Unternehmer wissen im übrigen mittlerweile, was sie an der früheren Regierung hatten.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Professor Rodenstock, meinte unlängst: Was wir brauchen, ist eigentlich eine langfristige Orientierung. — Selbst in der konservativen „Wirtschaftswoche" war in der vorigen Ausgabe zu lesen: Viele Unternehmer haben Sehnsucht nach Helmut. — Allerdings nicht dem jetzigen, sondern dem vorigen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Irren ist menschlich!)