Rede:
ID1008213700

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Cronenberg.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/82 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 82. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. September 1984 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksache 10/1800 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 — Drucksache 10/1801 — Dr. Dregger CDU/CSU 5951 B Dr. Hauff SPD 5959 D Dr. Albrecht, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 5965 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 5968 C Frau Seiler-Albring FDP 5972 B Handlos fraktionslos 5974 B Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 5975 D Roth SPD 5984 C Kroll-Schlüter CDU/CSU 5990 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 5993 B Eimer (Fürth) FDP 5995 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 5997 C Frau Simonis SPD 6006 C Niegel CDU/CSU 6010 C Drabiniok GRÜNE 6013 C Dr. Schmude SPD 6015 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 6019A Frau Fuchs (Köln) SPD 6022 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 6027 B Hoss GRÜNE 6030 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 6032 D Sieler SPD 6040 D Dr. Friedmann CDU/CSU 6044 A Glombig SPD 6047 B Schlatter SPD 6051 C Dr. von Wartenberg CDU/CSU 6054 B Dr. Jens SPD 6056 A Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/ CSU 6058 C Dr. Hauchler SPD 6060 D Vizepräsident Westphal 6014 C Nächste Sitzung 6063 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6065* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. September 1984 5951 82. Sitzung Bonn, den 13. September 1984 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 13. 9. Antretter ** 14. 9. Büchner (Speyer) 14. 9. Eigen 14. 9. Haase (Fürth) ** 14. 9. Dr. Hackel ** 14. 9. Dr. Holtz ** 14. 9. Jaunich 14. 9. Junghans 14. 9. Dr. Klejdzinski ** 14. 9. Dr. Müller ** 14. 9. Reddemann ** 14. 9. Frau Renger 14. 9. Reuschenbach 14. 9. Dr. Rumpf ** 14. 9. Sauermilch 14. 9. Schäfer (Mainz) 14. 9. Schmidt (Hamburg) 14. 9. Schmidt (München) ** 14. 9. Frau Schoppe 14. 9. Schulte (Unna) ** 13. 9. Schwarz ** 14. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 9. Graf Stauffenberg * 14. 9. Weiskirch (Olpe) 14. 9. Dr. Unland ** 14. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Anke Fuchs


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aber natürlich, was denken Sie wohl? Ich werde eine ganz friedliche Rede halten.
    Frau Minister Wilms, ich finde, diese Kölner Zeitung sollte auch einmal eine Liste der noch einen Ausbildungsplatz Suchenden veröffentlichen. Ich glaube, so eine dicke Zeitung gibt es in Köln gar nicht, die dies alles aufnehmen würde.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir ermutigen auch heute ausdrücklich Handwerk und Betriebe, für Ausbildungsplätze zu sorgen.

    (Daweke [CDU/CSU]: Gewerkschaftsbetriebe!)

    Ich sage Ihnen eindeutig: Wir wären froh, wenn es gelingen könnte, jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Ich hatte nur bei Frau Wilms den Eindruck, daß zu ihr andere Leute als in unsere Sprechstunden kommen. Zu uns kommen doch die Eltern, die verzweifelt sind, zu uns kommen doch die Eltern der Mädchen, die sich zum zwanzigsten- oder dreißigstenmal beworben haben und keinen Ausbildungsplatz finden. Deswegen ist es richtig und wichtig, daß die Opposition erneut auf einem besonderen Programm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit beharrt.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun ist ja die Debatte hochinteressant. Ich muß noch einmal kurz auf die denkwürdigen Passagen der Debatten heute morgen zur Frauenpolitik zurückkommen. Wissen Sie, meine sozialdemokratischen Kolleginnen und ich sind einigermaßen betroffen, wie über Frauenpolitik, Familienpolitik und deren Verzahnung miteinander gesprochen wird. Da sagt der Fraktionsvorsitzende der CDU — haben Sie das eigentlich gehört, meine Damen und Herren? —, die Frauen mit den kleinen Kindern sollten und müßten vorübergehend außerhalb der Erwachsenenwelt leben. Das bietet er jungen Müttern an und sagt kein Wort von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die ganze Heuchelei, die aus diesen Worten spricht, kann ich nur ablehnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Und der Familienminister! Also, wenn er sich zur Frauenpolitik äußert, dann laufen einem Schauer den Rücken runter. Denn er hat wirklich überhaupt nicht begriffen, daß er über Familienpolitik so viel reden kann, wie er will, wenn es nicht gelingt, den jungen Frauen Zuversicht zu vermitteln, daß es eine Lebensperspektive gibt, wie man Beruf und Familie miteinander vereinbaren kann. Da kann er noch soviel Kindergeld ausgeben: Die Frauen werden ihr Geburtenverhalten nicht ändern.

    (Hornung [CDU/CSU]: Haben Sie jemals Zuversicht verbreitet?)

    — Ja, wir haben Zuversicht verbreitet. Darauf komme ich jetzt noch.
    Wissen Sie: Der Familienminister hat nichts anderes vor, als auf dem Feld der Familienpolitik seine Aggressionen loszuwerden.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Aber das ist typisch für ihn. Denn er will mit dieser Kampagne wie mit der Kampagne gegen „Pro familia" eigentlich ja nur den Boden für gesellschaftspolitischen Rückschritt bereiten. Das ist sein wirkliches Ziel.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kolb [CDU/CSU]: Wo ist denn da die Zuversicht? — Seiters [CDU/CSU]: Ich verstehe, warum die in Niedersachsen den Schröder gewählt haben!)

    Herr Eimer, nicht jede Kürzung, die die sozialliberale Koalition durchführen mußte, war ökonomisch oder sozialpolitisch sinnvoll. Ich finde es hochinteressant, daß Sie, wenn wir Kürzungen vorgenommen haben, daraus die Rechtfertigung nehmen, weiter zu kürzen.

    (Krey [CDU/CSU]: Nur anders!)

    Tatsache bleibt doch: Sie haben das Kindergeld gekürzt.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Bei denen, die viel verdienen!)

    Sie haben das Wohngeld gekürzt. Sie haben die BAföG-Leistungen gekürzt. Und wenn Herr Geißler seine früheren Studien über die neue Armut ernst nehmen würde, dann müßte er sich schämen. Denn er produziert neue Armut in diesem Land.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Daweke [CDU/CSU])

    Und nun kommt der fabelhafte Kinderfreibetrag. Wie war das vor einem Jahr, meine Damen und Herren? Erinnern wir uns: Herr Geißler erklärte ganz stolz, die Kürzung des Kindergelds werde einkommensabhängig gestaltet. Denn, so sagte Herr Geißler, der Generaldirektor brauche kein Kindergeld; der könne aus seinem sonstigen Einkommen für seine Kinder sorgen. Die einkommensabhängige Kürzung war der große sozialpolitische Fortschritt. Und nun kommt der Kinderfreibetrag über die Steuern und gibt dem Generaldirektor ein Vielfaches der Kürzung zurück. Das ist die Scheinheiligkeit Ihrer Politik.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP — Strube [CDU/CSU]: So einfach ist das!)

    — Ja, Sie sollten mal lesen, was über das Ergebnis dieser Familienpolitik von den Bischöfen und den katholischen Familienverbänden gesagt wird: Wir gehen in der Familienpolitik auf eine neue Armut zu. Und dies hat nicht nur mit Geld etwas zu tun, sondern auch mit der Frage, wie man eigentlich Beruf und Familie vereinbart und welche Perspektive man den Müttern gibt.

    (Strube [CDU/CSU]: Da können Sie bei Geißler abschreiben!)

    Und da reicht es nicht aus, das Erziehungsgeld auch den nicht erwerbstätigen Frauen zu geben, wenn Sie nicht zugleich eine Arbeitsplatzsicherung für den gesamten Zeitraum durchsetzen. Und ich frage, Herr Geißler: Wann kommen Sie denn mit einem Elternurlaub, der diesen Namen verdient?



    Frau Fuchs (Köln)

    Und nun geht's los, meine Damen und Herren. Bald werden die Frauen in diesem Land ein weiteres „Wunder" erleben. Wenn nun die Frauen denken, von dem Arbeitsminister werde sozialpolitischer Fortschritt ausgehen und die Frauen könnten wenigstens von ihm Verbesserung erwarten, dann werden sie sehr enttäuscht, denn außer seiner fabelhaften „Neuen Mütterlichkeit" hat er den Frauen Vernünftiges nicht anzubieten.
    Wir stehen vor einer Reform der Hinterbliebenenrente, die wesentliche Elemente enthält.

    (Kolb [CDU/CSU]: Auf geht's!)

    Der Herr Bundesarbeitsminister aber verläßt den gesellschaftlichen Konsens, den wir alle miteinander in jahrelanger Arbeit erarbeitet haben. Wir wollten doch nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwirklichen, das für die Männer die Gleichberechtigung im Hinterbliebenenfall fordert.

    (Strube [CDU/CSU]: Das wäre doch was!)

    — Dagegen habe ich gar nichts, meine Herren! Wir wollten doch zugleich, daß die soziale Sicherung der Frau im Alter verbessert wird

    (Beifall bei der SPD)

    und daß die Frauen nicht mehr darauf angewiesen sind, zur Sozialhilfe zu gehen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Lesen Sie mal die Stellungnahme des DGB, gnädige Frau!)

    Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren von der CDU: Können Sie es vertreten, daß die Frauen, die auf Witwenrente angewiesen sind, auf 60 % ihrer Rente hängenbleiben?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Können Sie es vertreten, daß die Frauen weiterhin zur Sozialhilfe gehen? Ich halte es deswegen für unerträglich, daß dieses Modell, das Herr Blüm vorschlägt, von Ihnen akzeptiert wird.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie erzählen Schauermärchen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ja, wir haben Vorschläge.
    Nun gibt es etwas Neues. Jetzt hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, die Anerkennung der Kindererziehungszeit in der Rentenversicherung vorzusehen.

    (Strube [CDU/CSU]: Tolle Sache!)

    — Das ist gut. Bei diesem Konzept sind wir alle einig, weil Versicherungslücken geschlossen werden sollen, weil die Frauen — so dachten wir eigentlich immer —, die ohne Mutterschaftsurlaubsgeld, ohne Kindergeld in sehr schwierigen Zeiten ihre Kinder großgezogen haben, es auch heute noch verdient haben, zu ihrer Rente einen Zuschlag zu erhalten. Deswegen wollten wir allen Frauengenerationen ein Jahr Kindererziehungszeit anerkennen. Dies war unsere sozialpolitische Forderung.

    (Strube [CDU/CSU]: Warum habt Ihr das nicht gemacht? — Kolb [CDU/CSU]: Entschuldigen Sie, Sie haben doch Zeit dazu gehabt! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Aber nun hören wir, daß sich die Regierung geeinigt hat. Was kommt dabei heraus? Dieses Erziehungsjahr gibt es nur für die zukünftigen Rentnerinnenfälle, d. h. die Generation, die ihre Kinder wirklich unter schwersten Bedingungen großgezogen hat, geht leer aus. Das ist die Familienpolitik und die Frauenpolitik dieser Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Was Sie nicht getan haben, wollen Sie jetzt von uns! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Nun fragen Sie: Wie soll das finanziert werden? Wenn ich den Kuhhandel richtig verstanden habe, so wird es zwar aus dem Bundeshaushalt finanziert, aber wie wird denn dieses Loch im Bundeshaushalt zugeschüttet? Es wird zugeschüttet, indem die Bundesanstalt für Arbeit einen Kredit zurückzahlen muß, der ihr eigentlich angesichts der jetzigen Situation bleiben müßte.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wieso?)

    Konsequenz: Die Arbeitslosen und die Versicherten zahlen für die Anerkennung dieser Kindererziehungsjahre. Das ist ein Skandal.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Kredite müssen in der Regel zurückgezahlt werden! Das ist das Wesen eines Kredits! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Von dem Arbeitsminister ist also, meine Damen, nicht viel zu erwarten, was die Frauenpolitik anlangt. Ob er sozialpolitischen Fortschritt vortragen kann, werden wir nachher hören. Es ist interessant, daß er als der fröhlichste Arbeitsminister gilt; das finde ich gut. Die früheren waren übrigens auch nicht unfröhlich; das möchte ich hier sagen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Meinen Sie Ehrenberg? — Heiterkeit)

    Aber auch der fröhlichste Arbeitsminister sollte sich an das erinnern, was ich ihm vor einem Jahr gesagt habe. Ich habe gesagt: Sie, Herr Arbeitsminister, sollten mit dem lauten Indianerspielen draußen aufhören, Sie sollten sich auf den Hosenboden setzen und Ihre Schularbeiten machen, weil Sie sonst das Klassenziel nicht erreichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Heute stellen wir fest: Er hat weiter Indianer gespielt und seine Schularbeiten nicht gemacht;

    (Beifall bei der SPD — Daweke [CDU/ CSU]: Oberlehrer Fuchs! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    denn die erneuten Finanzlöcher in der Rentenversicherung und die dramatische Kostenentwicklung im Gesundheitswesen gehen ausschließlich auf das Konto von Herrn Blüm; sie sind Ergebnis seiner Politik.

    (Kolb [CDU/CSU]: Die Folge langfristigen Fehlverhaltens ist das! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)




    Frau Fuchs (Köln)

    Nach dem Sozialabbau — wir hören ja: Kürzungen gibt es nicht weiter — geht der Arbeitsminister nun daran, Schutzrechte abzubauen. Sie, Herr Arbeitsminister, sagen Beschäftigungsförderungsgesetz, meinen aber Schwächung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften.

    (Beifall bei der SPD) Diese Politik ist arbeitnehmerfeindlich.


    (Beifall bei der SPD)

    Wir nennen das Gesetz ein Entlassungsförderungsgesetz.

    (Kolb [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Rentenversicherung und sehen Sie, woher die Löcher gekommen sind!)

    — Was fehlt, Herr Kolb, ist doch nicht die Flexibilisierung. Flexibilisierung ist etwas Schönes. Wenn sich die Arbeitnehmer aussuchen könnten, wie sie ihr Leben gestalten und wir z. B. einen Elternurlaub hätten, der den Namen verdient, dann wären wir ein richtiges Stück weiter. Wenn Flexibilisierung hieße, wir würden die Teilzeitarbeit sozial und arbeitsrechtlich vertretbar machen und z. B. die 390DM-Grenze in der Sozialversicherung abschaffen, dann wären wir mit von der Partie, wenn es gelte, so etwas durchzusetzen. Aber Flexibilisierung heißt doch bei Ihnen Abbau von Schutzrechten.
    Arbeitsplätze fehlen, nicht Schutzrechte sind zuviel. Nun frage ich: Wieso wird eigentlich, wenn ich Schutzrechte abbaue, ein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen? Ich habe das nie begriffen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied! Sie kennen die Praxis nicht!)

    Und wieso werden eigentlich, wenn es bei Konkursen keine Sozialpläne gibt, Arbeitsplätze geschaffen? Die heutigen Möglichkeiten der Befristung von Arbeitsverträgen reichen aus. Ziel des Arbeitsministers ist es nur, die Stammbelegschaften reduzieren zu können, um andere Arbeitnehmer zu heuern und zu feuern. Nicht umsonst wird immer auf das amerikanische Vorbild hingewiesen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Von den hohen Ansprüchen der Bundesregierung ist nichts als heiße Luft übriggeblieben.

    (Seiters [CDU/CSU]: Das hat Ihnen nicht einmal die SPD Niedersachsen abgenommen!)

    „Wir schaffen Arbeit, beseitigen die Jugendarbeitslosigkeit und stellen die soziale Gerechtigkeit für alle wieder her", so hieß es im Wahlprogramm der CDU 1983. Aber die Tatsachen sind ganz anders. Als de FDP ihr politisches Hemd wechselte, lag — dies nur als ein Beispiel — die Arbeitslosenzahl bei 1,8 Millionen. Nach fast zwei Jahren konservativer Regierung sind über 400 000 Arbeitslose hinzugekommen. Meine Damen und Herren, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Im Kommunalwahlkampf von Nordrhein-Westfalen behauptet Herr Geißler in einem Rundschreiben dreist, seit März 1984 habe die Zahl der Arbeitslosen um 400 000 abgenommen.
    In diesem Wahlkampf wird auch noch mit der Zahl der Arbeitslosen

    (Kolb [CDU/CSU]: Die Wechsel waren von Ihnen gezogen!)

    Schindluder getrieben.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sofern Sie wissen, was ein Wechsel ist!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte etwas hinzufügen. Wir reden im Rahmen unseres sozialen Sicherungssystems zu Recht von den über 2 Millionen registrierten Arbeitslosen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das traurige Ergebnis Ihrer Politik!)

    Aber wissen wir eigentlich, wie viele sich gar nicht mehr registrieren lassen? Wissen Sie eigentlich, wie viele Frauen es gibt, die schon lange die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz aufgegeben haben, wie viele Mädchen nach der Schule in den Haushalten versickern? Ich behaupte, die Abeitslosenzahl liegt weit höher als bei den registrierten 2,2 Millionen Arbeitslosen, von denen wir heute sprechen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Ein weiteres Beispiel sind die Ausbildungsplätze.
    Sie haben einen gigantischen Sozialabbau betrieben. Sie kennen die Zahlen, nach denen der berühmte kleine Mann durch den Sozialabbau und die Abgabenerhöhungen der letzten Zeit bis Mitte der 80er Jahre mit rund 175 Milliarden DM belastet wird. Der sozial Schwächere wird einseitig belastet, und gleichzeitig werden Unternehmer und Besserverdienende um rund 35 Milliarden entlastet. Der Kommentar von Wissenschaftlern dazu ist: Hinter dem Tarnbegriff „Sparpolitik" verbirgt sich eine Politik der Einkommensumverteilung von unten nach oben. — Dieser Feststellung ist nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch der Arbeitsminister findet sich mit der Massenarbeitslosigkeit ab.

    (Daweke [CDU/CSU]: Wie können Sie denn so etwas sagen? Das glauben Sie doch selber nicht!)

    Diese Bundesregierung schreibt die Zahl von 2 Millionen Arbeitslosen in der mittelfristigen Finanzplanung bis an das Ende der 80er Jahre hinein fest, und auch im Sozialbudget wird bis über die 80er Jahre hinaus von dieser hohen Massenarbeitslosigkeit ausgegangen.

    (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

    — Nein, das steht in den Berichten! Schauen Sie sich doch die Finanzplanungsberichte an, schauen Sie sich den Sozialbereich an! Überall dort ist die Arbeitslosenzahl mit mehr als 2 Millionen angegeben. Das heißt, Sie finden sich mit der Massenarbeitslosigkeit ab.



    Frau Fuchs (Köln)

    Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen aber: Wer sich damit abfindet, gefährdet den sozialen Frieden

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wir machen den Leuten nichts vor!)

    und versündigt sich an Millionen von Arbeitslosen und ihren Familien. Wer so handelt — und da ist ja der politische Kampf, den Sie wollen —, nimmt bewußt eine Spaltung unserer Gesellschaft in Arbeitsbesitzer und Habenichtse in Kauf. Das ist das, was Sie dabei wollen!

    (Beifall bei der SPD)

    Wem schon die Arbeitslosen und ihre Familien nicht am Herzen liegen, der soll doch bitte zur Kenntnis nehmen, wie teuer diese Arbeitslosigkeit ist. Allein 55 Milliarden — Sie kennen die Zahl — geben wir aus, um Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Steuerausfälle zu verkraften. Insgesamt aber errechnet man, daß diese Arbeitslosigkeit einen volkswirtschaftlichen Schaden von mehr als 100 Milliarden DM verursacht. Diese Probleme vernachlässigen Sie total, denn alles, was Sie tun, ist Haushalt konsolidieren, und Sie konsolidieren zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme. Darauf werde ich gleich noch einmal eingehen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das glauben Sie selbst nicht! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihre Erblast!)

    Jetzt gibt es einen fabelhaften Sündenbock, das haben wir heute morgen auch schon gehört: Der Arbeitskampf ist schuld daran, daß die Konjunktur eingebrochen ist. Der Arbeitskampf, so habe ich auch vernommen, war

    (Kolb [CDU/CSU]: Unnötig!)

    etwas Unsinniges. Dabei geht es doch darum: Auch wenn wir Wachstum erreichen — wofür wir sind —, auch wenn wir die Zahlen sorgfältig prüfen, bleibt die Massenarbeitslosigkeit in den 80er Jahren bestehen, wenn wir nichts tun. Ich höre aus dem Regierungslager keinen Satz dazu, wie Sie eigentlich der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen durch den technologischen Wandel begegnen wollen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wollen Sie ihn aufhalten?)

    — Nein, ich will ihn nicht aufhalten, Herr Kolb.
    Sie haben überhaupt kein Konzept zur sozialen Gestaltbarkeit des technologischen Wandels.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Er läuft seit zehn Jahren, Herr George, das ist ganz richtig, aber seit zehn Jahren hat es in diesem Lande auch — bis auf die letzten Jahre — kontinuierlich Arbeitszeitverkürzungen gegeben. Deswegen brauchen wir als ein Element der Wirtschaftspolitik Arbeitszeitverkürzungen auf breiter Front.
    Wenn Sie sich in den Nachbarländern umschauen, so täuschen Sie sich, wenn Sie meinen, daß dieser Arbeitskampf, der Kampf um die 35-StundenWoche, auf Deutschland beschränkt bleibt. Ganz im
    Gegenteil, dieser Arbeitskampf mit seinem Ergebnis hat wichtige Impulse für die wirtschaftliche und tarifpolitische Diskussion im ganzen europäischen Rahmen ausgelöst.

    (Kolb [CDU/CSU]: Mit falscher Medizin kriegst du jeden kaputt! — Cronenberg [FDP]: Weniger arbeiten, mehr verdienen und mehr verteilen!)

    — Die teuerste Arbeitslosigkeit, Herr Cronenberg, ist die Arbeitslosigkeit von zwei Millionen Menschen, die eine Arbeitszeitverkürzung auf Null haben. Wenn Sie dies doch endlich einmal begreifen würden!

    (Beifall bei der SPD)

    Und wenn Sie weiter begreifen würden, daß wir die Arbeitslosen bezahlen müssen! Sie sind sich doch im klaren darüber, daß es Arbeitszeitverkürzungen gibt. Ich freue mich schon auf eine Debatte, die wir in fünf Jahren führen, in der wir alle selbstverständlich davon ausgehen, daß wir in Richtung 35Stunden-Woche gehen. Da werden Sie sagen: Na ja, so falsch war es damals nicht. Sie haben manchmal in der Geschichte der CDU/CSU Ihre Position ändern müssen. Auch hier werden Sie von der Tarifpolitik der Gewerkschaften eingeholt.
    Meine Damen und Herren, bei den Arbeitslosen ist nun noch das Makabre, daß trotz dieser Höhe der Arbeitslosenzahlen die Bundesanstalt für Arbeit Geld übrig hat.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sie wissen genau, warum!)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat das damit begründet, daß die Bundesregierung in ihrer ersten Voraussage mit einer höheren Zahl von Arbeitslosen gerechnet habe, und nun sei das nicht so schlimm geworden, und deswegen brauche die Bundesanstalt für Arbeit dieses Geld nicht. Ich hoffe, er hat sich inzwischen belehren lassen, daß das eine ganz unsinnige Erklärung für die Überschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit ist, denn die Wahrheit ist eine andere: Fast zwei Drittel der registrierten Arbeitslosen erhalten keinen Pfennig Arbeitslosengeld. Eine ständig steigende Zahl von Arbeitslosen ist auf Arbeitslosenhilfe angewiesen, und über 630 000 gemeldete Arbeitslose erhielten vor einem Jahr weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe. Das heißt also, die ständige Verschlechterung auf dem Arbeitsmarktsektor, der Struktur des Arbeitsmarkts ist es, die zu diesem Überschuß geführt hat. Wer Kommunalpolitik macht, der weiß, daß die Kommunen die Lasten zu tragen haben. Wir hatten gestern eine denkwürdige Diskussion mit einem CDU-Kollegen, der das aus kommunalpolitischer Sicht zu Recht hier gebrandmarkt hat. Und dann wird gesagt: Liebe Kommunen, investiert doch, schafft Arbeitsplätze. Das geht nur dann, wenn man die Kommunen von den Kosten der Arbeitslosigkeit entlastet, denn die finanzielle Bewältigung der Arbeitslosigkeit ist nicht Aufgabe der Kommunen, vielmehr wäre es die Aufgabe der Bundesanstalt



    Frau Fuchs (Köln)

    für Arbeit, für ausreichendes Arbeitslosengeld zu sorgen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Die Gesetzeslage stammt noch aus Ihrer Zeit!)

    Meine Damen und Herren, diese Massenarbeitslosigkeit — über die wir noch vertieft diskutieren werden; unsere Vorschläge dazu sind diskutiert worden — und ihr Finanzbrocken

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Sie hinterlassen haben!)

    — darauf komme ich gleich; das bilden Sie sich nur ein; ich werde Ihnen gleich eine Antwort geben — bleiben der Dreh- und Angelpunkt auch für die soziale Sicherung. Das bekommt zur Zeit der Arbeitsminister zu spüren. Noch vor wenigen Monaten glaubte der Bundesarbeitsminister, er sei der Retter der Rentenversicherung. Er sagte ganz stolz:
    Die Bundesregierung hat in wenigen Monaten in einem zweimaligen Kraftakt die Rentenversicherung aus der Gefahrenzone gebracht und die Weiche für ihre langfristige Stabilisierung gestellt.
    Herr Blüm, was ist von diesem stolzen Wort eigentlich übriggeblieben? Sie erleben doch jetzt Ihr rentenpolitisches Waterloo.

    (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Das Waterloo hieß Osnabrück! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Konsolidierung der letzten zwei Jahre war nämlich falsch angesetzt. Warum? Die wirtschaftlichen Annahmen über die Entwicklung der Zahl der Beschäftigten und die Löhne wurden von der tatsächlichen Entwicklung schnell eingeholt. Der Rentenversicherung, die in diesem Jahr mit Ach und Krach gerade noch über die Runden kommt, werden im nächsten Jahr rund 3 Milliarden DM in der Kasse fehlen. Der negative weitere Trend ist absehbar, meine Damen und Herren. Denn die Bundesregierung geht selbst heute noch von Lohnsteigerungen von 4,6% im nächsten Jahr und einer Zunahme der Beschäftigung von 0,7% aus. Sie haben es noch nicht nach unten korrigiert, Herr Bundesarbeitsminister. Wenn Sie das tun müssen, bringt es weitere Löcher in die Rentenfinanzen. Das ist auch die traurige Realität.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das ist das Ergebnis des Streiks!)

    Dieses ist das Ergebnis Ihrer Politik, Herr Bundesarbeitsminister.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Sie haben im letzten Jahr einen wichtigen sozialpolitischen Fehler gemacht. Sie haben nämlich die Bundesanstalt für Arbeit von der Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose nennenswert entlastet. Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen, Herr Cronenberg: Die Arbeitslosigkeit darf nicht auf die Rentenfinanzen total niederschlagen. Dieses ist der strategische Ansatz. Wenn Sie das nicht korrigieren, dann wird der Bundesarbeitsminister immer wieder Löcher in der Rentenversicherung haben. Deswegen haben Sie die Schuld; denn Sie haben im vorigen Jahr die falsche Entscheidung getroffen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie wollen den Teufel mit dem Beelzebub austreiben!)

    — Herr Kolb, ich sage es Ihnen noch einmal. Sehen Sie, ich erkläre es Ihnen ganz langsam.

    (Kolb [CDU/CSU]: Ich verstehe es! Aber Sie treiben den Teufel mit dem Beelzebub aus!)

    Wenn die Bundesanstalt für Arbeit für Arbeitslose Rentenversicherungsbeiträge an die Rentenversicherung zahlt,

    (Kolb [CDU/CSU]: Zu hundert Prozent!)

    dann ist die Rentenversicherung — die ja für die Arbeitslosigkeit nichts kann — unabhängiger von der Arbeitslosigkeit. Dann hätten wir Atem, um zweierlei zu tun, was ich wichtig finde. Wir würden das Risiko der Arbeitslosigkeit dort konzentrieren, wo es ansteht, nämlich bei der Bundesanstalt für Arbeit, und wir hätten Atem, um die anderen Probleme in der Rentenversicherung, die wir alle kennen —

    (Kolb [CDU/CSU]: Zahlen wir halt 5 Milliarden DM nach Nürnberg!)

    demographische Entwicklung, Hinterbliebenenreform, Wertschöpfungsbeitrag —, zu lösen. Wir müßten nicht mit Herrn Blüm, dem Vorsteher dieses Verschiebebahnhofs, immer Katz und Maus spielen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Wie hoch wären die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung?)

    Nun wollen Sie die Beiträge hin- und herschieben. Ich finde das unglaublich. Nein, dies ist ein Punkt einer aktiven Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Die Massenarbeitslosigkeit, Herr Kollege, ist kein individuell versicherbares Risiko. Deswegen ist es richtig und vernünftig, wenn sich auch der Staat an der Finanzierung von Massenarbeitslosigkeit beteiligt. Wenn Sie nur die Überschüsse nähmen — obwohl das ein anderes Kapitel ist —, dann könnten Sie am strategisch richtigen Punkt ansetzen und die Rentenversicherung von dieser Situation unabhängig machen. Die BfA mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Herrn Quartier gibt diese Empfehlung. Die ganzen Rentenversicherungsträger sagen: Dies ist der strategisch richtige Weg. — Es wäre sinnvoll, wenn der Bundesarbeitsminister dies lernen würde und sich auch dafür einsetzen könnte.
    Ein weiteres Debakel erlebt der Herr Bundesarbeitsminister in der Gesundheitspolitik. Sie, Herr Blüm, haben nichts dagegen unternommen, daß die pharmazeutische Industrie weiter überhöhte Gewinne macht. Sie haben nichts dagegen unternommen, daß die Kassenärzte und Zahnärzte sich wieder kräftige Honoraraufbesserungen genehmigt haben, und Sie haben nichts dagegen unternommen,



    Frau Fuchs (Köln)

    daß die Hersteller von Heil- und Hilfsmitteln nach zwei Jahren Preisstillstand sich wieder kräftig bedienen. Ich sage Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister: Fröhliche Appelle in der Gesundheitspolitik nützen überhaupt nichts. Sie haben es mit einem Machtbereich zu tun, der gern verdienen möchte zu Lasten der Sozialversicherung. Deswegen ist es an der Zeit, daß Sie auf die bewährten Instrumente zurückgreifen, die wir Ihnen angeboten haben, und sie ergänzen.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Was sagen Sie denn zu den Krankenhäusern?)

    — Herr Cronenberg, wollen Sie als Unternehmer, daß die Beiträge erhöht werden? Soll es denn wirklich so sein, daß Sie Steuerentlastung machen für jene, die jenseits der Beitragsbemessungsgrenze verdienen, aber Erhöhungen von Sozialversicherungsabgaben für jene, die im Rahmen der Sozialversicherungsbeiträge verdienen? Das kann nicht Sinn Ihrer Politik sein.
    Deswegen fordere ich den Arbeitsminister auf, zumindest die Herbstsitzung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zu nutzen, um gesetzgeberische Maßnahmen anzukündigen und durchzusetzen. Wir wollen Ihnen dabei gerne helfen, Herr Bundesarbeitsminister.
    Vor gut einem Monat haben Sie, Herr Blüm, Ihre Parteifreunde aufgefordert, ein Faß aufzumachen und die Regierungserfolge zu feiern. In einem Schreiben an Ihre Gewerkschaft, der IG Metall, haben Sie sich selber die Silberne Ehrennadel der Rentner wegen Abwendung der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Rentenversicherung verliehen und die Güldene Entlastungsnadel wegen Konsolidierung der Krankenversicherung angeheftet. Heute malen Sie uns wahrscheinlich wiederum ein rosarotes Bild. Ihre Realitätsblindheit, Herr Arbeitsminister, nimmt langsam kanzlerhafte Züge an.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Aber Eigenlob und Schönfärberei sind bei Ihnen Ersatz für eine solide zukunftsweisende Politik. Wir werden Sie aus Ihrer Verantwortung nicht entlassen. Sie haben als Arbeitsminister keinen Grund zum Feiern. Sie haben sich weder ein Bier verdient noch das Ehrenschild der Rentner, noch die Entlastungsnadel der Krankenversicherung.

    (Kolb [CDU/CSU]: Es ist aber nicht nett, daß Sie ihn dursten lassen!)

    Wenn die bisherige Politik des Arbeitsministers, Herr Kolb, eine Auszeichnung verdient, dann ist es die für die reparaturanfälligste Politik, nämlich die Silberne Zitrone.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin
    Fuchs, bevor ich mich mit Ihrer Rede und Ihren Darlegungen zur Rentenversicherung auseinandersetze, möchte ich gern noch eine Bemerkung und einen ernsthaften Appell im Zusammenhang mit der Ausbildungsproblematik im Namen meiner Fraktion voranstellen.
    Herr Kollege Schmude, niemand leugnet dieses befristete, aber deswegen nicht weniger bedrükkende Problem. Sie haben hier Prognosen und Zahlen genannt, die, wenn sie einträfen, in der Tat diese Besorgnis noch verstärken müssen. Aber ich möchte schon daran erinnern dürfen, daß ähnliche Prognosen im Vorjahr zu — erfreulicherweise, meine ich — sehr viel weniger dramatischen Ergebnissen geführt haben. Insgesamt zeichnet sich eine erfreulich hohe Zahl von Beschäftigungsverhältnissen für Auszubildende ab. Ich meine, wir sollten gemeinsam hoffen, daß das Ergebnis dieses Jahres genauso positiv sein wird wie im vergangenen Jahr. Es gibt ja in der Tat — Frau Wilms hat das von hier aus gesagt — positive Anzeichen für eine solche Entwicklung.
    Aber ich habe eine ganz große Bitte an alle Kollegen. Wir alle erhalten in diesen Tagen Protestbriefe, in denen darüber geklagt wird, daß über Bedarf Ausgebildete bei öffentlichen Stellen und privaten Unternehmen nicht eingestellt werden. Ich höre, daß Kollegen Verständnis für solche Proteste haben. Meine Bitte an das ganze Haus ist, die einstellenden öffentlichen und privaten Unternehmer nicht dadurch zu verunsichern, daß man sie, wenn sie über Bedarf ausgebildet haben, hinterher an den Pranger stellt, weil sie die Auszubildenden nicht übernommen haben. Ich möchte Sie über alle Fraktionsgrenzen hinaus sehr ernsthaft bitten, kein Verständnis für solche Proteste aufzubringen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Frau Kollegin Fuchs, verständlicherweise hat das Thema Rentenversicherung einen erheblichen Teil dieser Haushaltsdebatte und auch Ihrer Rede in Anspruch genommen. Ich möchte auf Ihre Darlegungen eingehen. Die Rentenversicherung ist eine Säule unserer sozialen Sicherheit. Sie wird durch Beiträge finanziert. Berechnungsgrundlage für diese Beiträge ist nun einmal der Lohn bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Deswegen haben — insofern unterliegen Sie einem großen Irrtum, Frau Kollegin Fuchs; das kam in Ihren Darlegungen zum Ausdruck — die Tarifabschlüsse selbstverständlich und erwartungsgemäß einen ganz erheblichen Einfluß auf die Finanzen der Rentenversicherung. Abgesehen davon, daß der in meinen Augen überflüssige und vermeidbare Streik der Sozialversicherung 200 Millionen bis 300 Millionen DM Mindereinnahmen gebracht hat, muß man feststellen, daß die erwartete Entgeltsteigerung, die in der Tat Grundlage der mittelfristigen Finanzplanung war, nicht eingetreten ist. Die Bundesregierung hat — Sie haben es gesagt — in der mittelfristigen Finanzplanung — auch Sie haben einmal daran mitgeschrieben — für 1985 eine Entgeltsteigerung in Höhe von 4,6 % prognostiziert. Vor Abschluß der Tarifverträge haben viele — auch ich — immer wieder darauf hingewiesen, daß mehr Freizeit und eine ge-



    Cronenberg (Arnsberg)

    ringere Lohnerhöhung notwendigerweise negative Rückwirkungen auf die finanzielle Situation der Rentenversicherung haben muß. Das ist eine Frage der Logik. Nachdem nun statt mehr Lohn mehr Freizeit vereinbart worden ist, muß die Entgeltsteigerung für 1985 selbstverständlich korrigiert werden. Ich schätze, sie dürfte irgendwo zwischen 3% und 3,5% liegen. Aber 1% weniger Entgeltsteigerung — wer weiß das besser als Sie? — bedeutet natürlich einen großen Beitragsausfall. Deswegen versteht es sich im Grunde genommen von selber, daß wir uns angesichts der schwierigen Liquiditätslage der Rentenversicherung, in der sie sich schon seit Jahren befindet, nunmehr mit dieser veränderten Situation auseinandersetzen müssen. Daß da ein Handlungsbedarf besteht, leugnet niemand. Frau Kollegin Fuchs, wer diesen Fehlbetrag allerdings der Bundesregierung oder dem Bundesminister Norbert Blüm anlasten will,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ja, natürlich!)

    der hat — das muß ich jedoch sagen — die Gesamtsituation wirklich nicht begriffen, der analysiert nicht sauber, sondern der phantasiert — wie Sie, Frau Fuchs — unsauber.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir müssen, so meine ich, im Interesse einer sachlichen Diskussion sauber zwischen kurzfristigen Problemen, die sich aus dieser veränderten Entgeltsituation ergeben, langfristigen Strukturproblemen, die Sie angesprochen haben, und der Frage der Hinterbliebenenversorgung, zu der ich sogleich auch einige Bemerkungen machen will, unterscheiden.
    Im Hinblick auf die langfristige strukturelle Konsolidierung unserer Rentenversicherung — das ist ein Problem, mit dem wir, d. h. der Kollege Ehrenberg, Frau Fuchs, der Kollege Glombig und ich, uns oft auseinandergesetzt haben — ist folgendes festzustellen: Um eine strukturelle Verbesserung in der Rentenversicherung zu erreichen, stehen uns im Grunde genommen nur drei Faktoren zur Verfügung, und zwar die Beitragshöhe, das Rentenniveau und strukturelle Leistungen. Meiner festen Überzeugung nach kann in dieser Diskussion Deiner dieser Faktoren tabu sein.
    Die Lösung der kurzfristig anstehenden Liquiditätsprobleme, die sich aus dieser verlangsamten Entgelterhöhung ergeben,

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, sie ergeben sich aus der Höhe der Arbeitslosigkeit, Herr Kollege Cronenberg!)

    darf, Frau Kollegin Fuchs, keine zusätzliche Belastung des Faktors Arbeit zur Folge haben. Es dürfen die Sozialversicherungsbeiträge meiner festen Überzeugung nach insgesamt nicht steigen; denn sonst machen wir keine gescheite Beschäftigungspolitik.

    (Beifall bei der FDP — Dr. Ehrenberg [SPD]: Sie machen doch sowieso keine! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Und eigentlich, Frau Kollegin Fuchs, müßte es jedermann im Hause, der die vier Säulen unserer
    sozialen Sicherheit, nämlich Krankenversicherung, Arbeitslosenvesicherung, Berufsgenossenschaft und Rentenversicherung, als Versicherungssysteme versteht, für selbstverständlich halten, daß ein Mehrbedarf mehr Leistung, mehr Beiträge, Beitragsveränderungen bedeutet und daß Minderausgaben in anderen Systemen selbstverständlich zu Beitragssenkungen führen müssen. Wer aktive Beschäftigungspolitik betreiben will, wer für die Lösung des von Ihnen, Frau Fuchs, hier mit Recht dargestellten Problems der Arbeitslosigkeit sorgen will, muß dafür sorgen, daß der Faktor Arbeit nicht teurer wird, nicht überproportional steigt.

    (Beifall bei der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Er muß verkaufbar sein!)

    Wer von dem Grundsatz der Beitragsstabilität in der Sozialversicherung ausgeht, muß in der Tat hier dafür sorgen, daß eine solche Politik unterstützt und nicht bekämpft wird.

    (Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

    Lassen Sie mich nun noch ein paar klarstellende Bemerkungen zu dem verdammten „Verschiebebahnhof" machen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie sind da viel schlimmer als wir!)

    In der Vergangenheit sind gelegentlich Finanzmassen von dem einen Sicherungssystem in ein anderes Sicherungssystem verschoben worden

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ehrenberg!)

    — selbstverständlich —, und das Ganze ist undifferenziert als Verschiebebahnhof bezeichnet worden.

    (Kuhlwein [SPD]: Von Herrn Blüm! — Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD])

    — Herr Kollege Ehrenberg, ich komme darauf, Sie können ganz ruhig sein. Im Gegensatz zu einigen Kollegen der Opposition, die ihre Meinung geändert haben, und im Gegensatz zu einigen Kollegen des Koalitionspartners, die ihre Meinung erfreulicherweise ebenfalls geändert haben, habe ich das Glück, hier in der Kontinuität meiner Argumentation zu stehen.

    (Beifall bei der FDP)

    Ehrlich gesagt, schon der Begriff „Verschiebebahnhof" ist im Grunde genommen Quatsch, ist Blödsinn. Denn was geschieht auf einem Verschiebebahnhof?

    (Kolb [CDU/CSU]: Da werden Züge umgestellt, hin- und hergeschoben!)

    Nach meinem Verständnis werden da Waggons aufs richtige Gleis gebracht — nicht mehr und nicht weniger, und das ist eine sinnvolle Tätigkeit. Das, was man aber kritisieren sollte — früher hat die CDU das getan, heute tut es die SPD —, sind unsystematische Verschiebungen von Finanzmassen zwischen den einzelnen Sicherungssystemen. Es gibt sozusagen eine wünschenswerte und lobenswerte Kontinuität, und es gibt genau das Gegenteil, eine — jedenfalls für mich — erschreckende Kontinuität, und zu dieser erschreckenden Kontinuität — lassen



    Cronenberg (Arnsberg)

    Sie mich das mit allem Freimut sagen — gehört das Verhalten der Opposition.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Ach Gott! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Egal, wer gerade die Funktion des Kritikers wahrnimmt, er bemüht sich nicht um objektive Bewertung und Alternativen, sondern macht mehr mies. Viele Kollegen aus der SPD haben die richtigen Erkenntnisse aus der Regierungszeit schneller vergessen, als einige Kollegen aus der CDU/CSU das in der Regierungszeit gelernt haben.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wenn wir die FDP nicht hätten, Herr Cronenberg!)

    Der Vorwurf, Finanzmassen würden unzulässigerweise von einem Sicherungssystem auf das andere verschoben, ist dann gerechtfertigt, wenn dies unsystematisch geschieht.
    Wenn Lohn nach wie vor Bemessungsgrundlage für die Abführung der Beiträge in der Sozialversicherung ist und wenn dies richtigerweise auch für Lohnersatz zutrifft, dann sind alle Maßnahmen richtig und gerechtfertigt, die diesem Grundsatz entsprechen.
    Also grundsätzlich muß gelten, daß Lohn und Lohnersatzleistung gegenüber dem jeweils anderen Sozialversicherungssystem abgabepflichtig sind. Dabei versteht sich von selbst, daß Rentner keine Beiträge zur Rentenversicherung oder zur Arbeitslosenversicherung zu zahlen haben. Und wenn gegen diesen Grundsatz verstoßen wird, ist Kritik berechtigt.