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    Plenarprotokoll 10/82 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 82. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. September 1984 Inhalt: Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksache 10/1800 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 — Drucksache 10/1801 — Dr. Dregger CDU/CSU 5951 B Dr. Hauff SPD 5959 D Dr. Albrecht, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 5965 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 5968 C Frau Seiler-Albring FDP 5972 B Handlos fraktionslos 5974 B Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 5975 D Roth SPD 5984 C Kroll-Schlüter CDU/CSU 5990 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 5993 B Eimer (Fürth) FDP 5995 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 5997 C Frau Simonis SPD 6006 C Niegel CDU/CSU 6010 C Drabiniok GRÜNE 6013 C Dr. Schmude SPD 6015 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 6019A Frau Fuchs (Köln) SPD 6022 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 6027 B Hoss GRÜNE 6030 C Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 6032 D Sieler SPD 6040 D Dr. Friedmann CDU/CSU 6044 A Glombig SPD 6047 B Schlatter SPD 6051 C Dr. von Wartenberg CDU/CSU 6054 B Dr. Jens SPD 6056 A Dr. Freiherr Spies von Büllesheim CDU/ CSU 6058 C Dr. Hauchler SPD 6060 D Vizepräsident Westphal 6014 C Nächste Sitzung 6063 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6065* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. September 1984 5951 82. Sitzung Bonn, den 13. September 1984 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 13. 9. Antretter ** 14. 9. Büchner (Speyer) 14. 9. Eigen 14. 9. Haase (Fürth) ** 14. 9. Dr. Hackel ** 14. 9. Dr. Holtz ** 14. 9. Jaunich 14. 9. Junghans 14. 9. Dr. Klejdzinski ** 14. 9. Dr. Müller ** 14. 9. Reddemann ** 14. 9. Frau Renger 14. 9. Reuschenbach 14. 9. Dr. Rumpf ** 14. 9. Sauermilch 14. 9. Schäfer (Mainz) 14. 9. Schmidt (Hamburg) 14. 9. Schmidt (München) ** 14. 9. Frau Schoppe 14. 9. Schulte (Unna) ** 13. 9. Schwarz ** 14. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 9. Graf Stauffenberg * 14. 9. Weiskirch (Olpe) 14. 9. Dr. Unland ** 14. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heiner Geißler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein.


Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Gilt das generell?

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    Rede von Dr. Heiner Geißler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer am Tag — das sage ich vielleicht jetzt auch in Ihre Richtung — drei Flaschen Kognak trinkt, kriegt mit Sicherheit Leberkrebs. — Ich hoffe, daß ich Sie mit dieser Bemerkung nicht ängstige. —

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Das hat etwas mit der Überdosierung zu tun. Bei der Verwendung der meisten chemischen Stoffe ist nicht ihre Existenz, sondern sind ihr Mißbrauch und die Nichteinhaltung der bestehenden Vorschriften das eigentlich Problematische. Die Erfindung der Ammoniaksynthese war eine großartige Erfindung und die Voraussetzung für die Schaffung moderner Düngemittel, ohne die wir heute den Hunger in der Welt nicht bekämpfen könnten. Aber es ist klar: Die Erfindung der Ammoniaksynthese hat auch die Salpetersäure ermöglicht, und mit der Salpetersäure kann man Sprengstoff herstellen. Mit dem Sprengstoff kann man Straßen oder Brükken bauen; man kann aber auch Bomben damit bauen und menschliches Leben vernichten. Nicht die Technik an sich ist gut oder böse, sondern immer das, was der Mensch daraus macht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Eben, da vorne steht ein böser Mensch!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies gilt selbstverständlich genauso für alle modernen chemischen und technischen Produkte, die wir in unserer Industriegesellschaft verwenden müssen. Die Mehrheit der Bürger will den Fortschritt des modernen Lebens nicht missen. Oder glaubt jemand im Ernst, die Bürger sehnten sich nach den
    Krankheiten, der hohen Kindersterblichkeit und der niedrigen Lebenserwartung der sogenannten guten alten Zeit zurück? Es ist wahr: Einige dieser unverantwortlichen Angstproduzenten laufen so herum, als wollten sie auf Schädlingsbekämpfungsmittel und Hygiene verzichten. Das ist richtig. Aber die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lehnt es zu Recht ab — gerade im Interesse der Gesundheit —, wieder mit Läusen, Flöhen und Wanzen leben zu müssen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das stinkt aber ganz gewaltig!)

    Wir sind keine blinden Fortschrittsgläubigen. Genausowenig sagen wir, daß Leistung alles ist. Wir sagen vielmehr, daß die Leistung eine moralische Komponente hat und daß derjenige, der zur Leistung fähig ist, verpflichtet ist, diese Leistung zu erbringen, weil wir anders denen nicht helfen können, die zur Leistung nicht fähig sind: den Behinderten, den Kranken, den Alten. Das ist ganz selbstverständlich.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir sind nicht der Auffassung, daß wir leben, um zu arbeiten, sondern wir vertreten die Auffassung, daß wir arbeiten, daß wir wirtschaften, um mit unseren Familien, mit unseren Kindern glücklich leben zu können.
    Auch wissen wir sehr wohl um die Grenzen des technischen Fortschritts. Wir wissen, daß nicht alles, was dem Menschen möglich ist, auch das dem Menschen Gemäße ist. Dies gilt für die Biotechnik. Dies gilt für die Gentechnologie. Ich habe dazu in meinem letzten Debattenbeitrag im Parlament das Notwendige gesagt. Wir wollen den medizinischen Fortschritt. Um noch einmal auf die Biotechnologie einzugehen: Wir wollen sie auch nutzen, um Ehepaaren, die keine Kinder bekommen können, ein eigenes Kind zu ermöglichen. Wir werden uns aber — dies sage ich, weil dieses Thema eingeführt worden ist — entschieden dagegen wehren, daß mit tiefgefrorenen Embryos und Leihmüttern üble Geschäfte gemacht werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die soll es bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht geben. Die Politik kann Wissenschaft und Technik nicht ersetzen, sie muß darauf aufbauen.
    Aber das sage ich in allem Ernst an die Adresse der Opposition: Wer ein bestimmtes wissenschaftliches Ergebnis politisch vorwegnehmen oder manipulieren will, der handelt einfach unseriös.

    (Zuruf von der SPD: Wie Sie so oft, Herr Geißler!)

    Er verhindert medizinischen Fortschritt und leistet der Gesundheit einen Bärendienst.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU!)

    Ich möchte auf diesem konkreten Hintergrund, weil die Bekämpfung des Krebses eine außerordentlich große Rolle spielt, noch einmal an die Länder appellieren, mit uns zusammen im erforderli-



    Bundesminister Dr. Geißler
    chen Umfang weitere Krebsregister einzuführen, und zwar auch als eine Alternative zur Meldepflicht, die im Zusammenhang mit den Krankheiten, die uns beschäftigen, immer wieder gefordert wird. Meldepflicht ist mit Sicherheit in den meisten Fällen kein richtiger Vorschlag. Wir brauchen aber zur Bekämpfung des Krebses, zur epidemiologischen Aufarbeitung dieser in den Ursachen noch nicht erkannten Krankheit Krebsregister. Also sind im erforderlichen Umfange weitere Krebsregister einzurichten, während wir in Berlin beim Bundesgesundheitsamt die zentrale Sammelstelle dieser dann anonymisierten Daten einrichten wollen.
    Lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema sagen, das völlig zu Recht in den vergangenen Monaten eine Rolle gespielt hat, nämlich zum Thema der gefährlichen Stoffe, nicht am Arbeitsplatz und nicht im Freien, sondern in den Wohnräumen. Das ist ein Problem, das gelöst werden muß. Nur bin ich der Auffassung, daß wir die Gefahren durch gefährliche Stoffe nicht dadurch bannen, daß wir je nach Aufruf in der Öffentlichkeit heute ein Wohnzimmer- oder Küchengesetz, morgen eines für Autoinnenräume und übermorgen eines für weitere Spezialitäten erstellen. Das gemeinsam von allen Parteien getragene Chemikaliengesetz bietet das Instrumentarium für notwendige Maßnahmen.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Die Führung der Opposition trägt das Gesetz nicht mit, Herr Geißler!)

    Sie wissen — ich habe dies in der Öffentlichkeit schon gesagt —, daß die Gefahrstoffverordnung auf der Grundlage des Chemikaliengesetzes, die auf Umweltstoffe, Arbeitsstoffe und Giftstoffe zielt, in Vorbereitung ist, und zwar lange bevor die öffentliche Diskussion darüber begonnen hat. Diese Novelle wird noch in diesem Jahr vorgelegt werden.
    Zur Lösung steht hier zunächst die Frage des Formaldehyds an, und zwar unabhängig davon, ob Formaldehyd in die Gefahrenklasse 3 — d. h. als krebserzeugend — eingestuft wird oder nicht. Auch dies hängt davon ab, wie die wissenschaftlichen Ergebnisse ausfallen, und kann nicht politisch entschieden werden.
    Unabhängig davon müssen wir schon aus toxikologischen Gründen, um Räume auszufüllen, die rechtsfrei geblieben sind, folgende Maßnahmen vorbereiten:
    Maßnahmen der Gefahrstoffverordnung, die, wie gesagt, bis zum Ende des Jahres dem Bundesrat zugeleitet werden soll. In dieser Gefahrstoffverordnung sollen die Probleme gelöst werden, die angesprochen worden sind, vor allem was den Import von Gebrauchsgegenständen anbelangt. Dazu gehört auch das Verbot der Verwendung von Harnstoff-Formaldehyd-Harzortschäumen in Innenräumen, also die Verwendung insbesondere zur Isolierung oder beim Vertrieb von Sprays im Hobbybereich; Beschränkungen für Erzeugnisse, die in Innenräumen verwendet werden und zu einer Raumluftkonzentration von mehr als 0,1 ppm Formaldehyd führen können; Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung für Erzeugnisse und Bedarfsgegenstände, mit denen Menschen in Berührung kommen, also Schutz der Allergiker. Ich nenne Ihnen diese konkreten Punkte. Wir werden weitere Verordnungen erlassen mit Maßnahmen bei Arzneimitteln und medizinischen Geräten. Das heißt, wir werden diese Lücken füllen, die ich vorgefunden habe und die notwendigerweise gefüllt werden müssen, um diese Gefahren vorbeugend zu hemmen und zu verhindern.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es als meine Pflicht angesehen, hier einmal darzulegen, wie die Bundesregierung die gesundheitliche Situation vom Grundsätzlichen her beurteilt, und einige konkrete Maßnahmen anzukündigen, die anstehen, um konkrete Probleme zu lösen. Aber ich wiederhole: Die gesundheitliche Lage der Nation ist besser als früher. Sie ist auch besser, als professionelle Pessimisten den Menschen einreden wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im übrigen: Eine andere Feststellung wäre j a eine Bankrotterklärung einer 13jährigen Gesundheitspolitik der Sozialdemokraten. Ich glaube, daß Sie sich in allem Ernst nicht an dieser Hysterie beteiligen sollten. Sie ist auch unberechtigt.

    (Zuruf des Abg. Dr. Hauff [SPD])

    Sie ist unberechtigt auch im Interesse der Arbeitnehmer. Ich verzichte darauf, hier diesen Zusammenhang noch einmal gesondert darzustellen. Diese Diskussion müssen Sie in Ihren eigenen Reihen austragen.

    (Zuruf des Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE])

    Was wir hier in Teilen der öffentlichen Debatte erleben, ist etwas anderes. Wir kommen nämlich auf die grundsätzliche Problematik des Zweifels am Fortschritt. Die Flucht in einfache und radikale Antworten auf komplexe Fragen ist ein Grundwiderspruch unserer Zeit.

    (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    Es ist so, daß die Probleme komplexer werden, daß wir aber in der Politik Gefahr laufen oder zumindest in Versuchung geraten, auf komplexe Probleme pauschale, simple, einfache Antworten zu geben,

    (Beifall bei der SPD — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das machen Sie doch laufend! Sie sind das doch!)

    und daß wir infolgedessen die Verpflichtung haben, in diesen wichtigen Fachfragen, in diesen wichtigen grundsätzlichen Fragen differenzierte Antworten zu geben.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Flucht in einfache und radikale Antworten auf komplexe Fragen ist bei manchen eine Anklage gegen das System. Das alles muß überwunden werden.



    Bundesminister Dr. Geißler
    Was heute Gesundheit und ihre Risiken anlangt, das wissen wir.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Nicht!)

    Wir haben die Aufgabe, innerhalb dieser Industriegesellschaft die notwendigen differenzierten Antworten zu geben, aber keine pauschalen Antworten, die den Menschen Angst machen und die nichts anderes sind als Anker, an denen Protestbewegungen ihre politischen Ziele festmachen, nichts anderes als emotionale Winde, die ihre Segel füllen sollen.

    (Conradi [SPD]: Hoho!)

    Ich nehme die Sorgen um den Verfall der Natur ernst. Aber wir können natürlich auch die Frage stellen, ob der mit dieser Angstmacherei einhergehende Verfall der politischen Zivilisation nicht ebenso gefährlich ist, weil er uns lähmt, mit jenen Gefahren wirklich fertigzuwerden, und weil hier neue Gefahren für das Gemeinwesen heraufbeschworen werden.

    (Conradi [SPD]: Wer redet denn dauernd davon?)

    Mit Verfall der politischen Zivilisation meine ich die kollektive Depression und die negativen Utopien, die sich in vielen Köpfen eingenistet haben,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Heiner Spengler!)

    den Verlust aller Maßstäbe im historischen wie im internationalen Vergleich, der zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland führt; eine emotionale, hypermoralische und pseudoreligiöse Aufladung der Politik, die die politische Kultur verdirbt und die Lösung von Sachfragen verhindert.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Hoho! Hoho! Scharf! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Jetzt kriegen wir es aber gesagt!)

    Niemand sieht die Zukunft als eine Fortschreibung der Vergangenheit. Der wissenschaftliche und der technische Fortschritt, den wir erlebt haben und von dem wir leben, macht aber unser Leben leichter. Der technische Fortschritt ist auch für die Arbeitnehmer nicht ein Fluch gewesen, sondern hat zu einer großen Befreiung der Arbeitnehmer in der Arbeitswelt geführt. Dies muß auch in Zukunft so bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die Aufgabe ist heute schwieriger. Aber es bleibt uns keine andere Wahl, als fortzuschreiten im Sinne des Fortschritts in eine bessere Zukunft. Das kann nur dann gelingen, wenn wir unser Handeln an einigen Maximen ausrichten:
    Ein romantischer Rückfall und ein Ausstieg aus der parlamentarisch verfaßten Gesellschaft, auch unserer Industriegesellschaft, hätte für die Menschen ebenso katastrophale Folgen wie ein blinder Fortschrittsglaube.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich werde sofort austreten aus der parlamentarischen Gesellschaft!)

    Soziale Sicherheit, hoher Lebensstandard, persönliche Freiheit gibt es nicht gegen die, sondern nur in der Industriegesellschaft und innerhalb der parlamentarischen Demokratie und nicht außerhalb.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Im Grunde genommen ist es auch eine Auseinandersetzung zwischen Rationalität und Emotionalität. Sie fahren auf der Emo-Schiene. Aber damit erweisen Sie den Bürgern keinen Dienst. Wir brauchen nicht nur ein heißes Herz, sondern vor allem einen kühlen Verstand, um mit den Widersprüchen unserer Zeit fertig zu werden. Wir brauchen deshalb die Koalition einer kompetenten Wissenschaft mit einer verantwortlichen Politik. Nicht eine Mobilisierung der Gefühle und der Emotionen, sondern die Mobilisierung von Wissen und Mut zu sachgerechten Entscheidungen helfen uns jetzt weiter, in der Gesundheitspolitik und in der Umweltpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie das mal Herrn Kohl! Der regiert doch mit dem Hinterteil!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, genauso grundsätzlich müssen wir die gesellschaftspolitischen Fragen angehen. Wir haben in dieser Haushaltspolitik und bei unseren Haushaltsentscheidungen eine wichtige, grundsätzliche Weichenstellung getroffen, nämlich die Weichenstellung zugunsten einer Verbesserung der Situation unserer Familien. Es ist in diesem Zusammenhang sehr oft gesagt worden, die materiellen, die finanziellen Leistungen, die wir jetzt vorschlagen, mit der Anerkennung der Erziehungsjahre, mit Sicherheit eine Größenordnung von zusätzlich 10 Milliarden DM — dies hat es in der Nachkriegsgeschichte im Rahmen des Familienlastenausgleichs noch nicht gegeben —, dies sei nicht alles, noch nicht einmal das Entscheidende. Dies mag so sein, und hier ist im Prinzip natürlich auch etwas dran.
    Nur muß der Staat sozusagen den Beweis für seine richtige grundsätzliche Bewertung der Familie dadurch erbringen, daß er konkrete haushalts- und steuerpolitische Entscheidungen trifft. Davor darf er sich nicht drücken. Diese Entscheidungen haben wir getroffen; sie sind dargestellt worden. Für die Bundesregierung ist die Familie die wichtigste Gemeinschaft; sie ist aber — das möchte ich hinzufügen — ein unantastbarer Raum der "Freiheit gegenüber Staat und Gesellschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU) In allen Zeiten — —


    (Conradi [SPD]: Bringt er Phrasen!)

    — Daß Sie sagen, es seien Phrasen, beweist, daß ich mit diesem Ansatzpunkt in der kritischen Auseinandersetzung mit Ihnen hier fortfahren muß; denn in allen Zeiten totalitärer Herrschaft ist die Familie immer auch der freiheitliche Kern des Widerstandes gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

    Nicht ohne Grund haben alle totalitären Herrschaftssysteme, von den Nazis bis zu den Kommu-



    Bundesminister Dr. Geißler
    nisten, versucht, die Familie und ihre Strukturen zu zerstören, das Selbstverständnis der Familie mit ihren personalen Bindungen und Bezügen, dem gegenseitigen Vertrauen, der Liebe, der Geborgenheit, der personalen und der sozialen Verantwortung und der Partnerschaft. Das diesem Selbstverständnis zugrunde liegende Menschenbild ist eine Herausforderung für alle politischen Doktrinen, bei denen das gesellschaftliche oder staatliche System wichtiger ist als der Mensch. Deswegen ist die Familienpolitik für uns etwas, was über reine Sozialpolitik weit hinausgeht.
    An dieser Stelle gibt es im übrigen auch keine Brücke zum Marxismus. Die Sozialdemokraten diskutieren im Moment eine Neuauflage des Godesberger Grundsatzprogramms in der Grundwertekommission, eine Überholung des Orientierungsrahmens '85. Sie werden bei dieser wichtigen und notwendigen Diskussion — lesen Sie Ihre eigenen Dokumente nach! — um eine Neubewertung oder zumindest um eine Stellungnahme zu dieser grundsätzlichen Frage der Familie, dem Verständnis der Familie nicht herumkommen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hamburger Beschlüsse!)

    Die gesamte politische Philosophie Europas,

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Die Sie kennen!)

    von Aristoteles über Thomas bis zu Montesquieu, stellte den Menschen und seine natürliche Gemeinschaft, die Familie, und deren Wertorientierung vor Staat und Gesellschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Ihre Doktorarbeit kennen wir, aber daß Sie uns jetzt Ihre Abituraufsätze vorlesen, geht zu weit! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Ich weiß nicht, warum Sie sich dagegen sträuben, daß wir über die Frage des Menschenbildes und der Politik, die einem Menschenbild zugrunde liegt, hier im Bundestag diskutieren; denn je nachdem, welches Menschenbild wir oder Sie haben,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wenn ich Sie so vor mir sehe, zweifle ich an meinem Menschenbild, Herr Minister!)

    wird sich dies praktisch in der Politik auswirken. Das ist doch ganz selbstverständlich. Wenn ich jetzt sage, daß erst Hegel den Bruch brachte,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Jetzt müssen Sie noch Mao Tse-tung zitieren! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    dann hat das etwas mit Ihrer politischen Philosophie zu tun; denn nach Hegel läuft die Geschichte auf ein Ziel zu, nämlich die vollkommene Verwirklichung des objektiven Geistes in der Gestaltung des Staates, und Mensch und Familie werden zum bloßen Teil des Staates; personale Einzigartigkeit und Verantwortung werden dem Menschen und der Fa-
    milie abgesprochen, und sie werden auf den Staat übertragen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Geißler, eins, setzen! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Von Hegel spannt sich ein Bogen zur Staatsphilosophie von Carl Schmitt und genauso zu Marx und Lenin, bei denen an die Stelle des Obrigkeitsstaates das totale Gesellschaftssystem getreten ist, dem der Mensch und die Familie untergeordnet werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie etwas zu Bakunin! Vergessen Sie Bakunin nicht! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Daß Sie die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge verkennen, wundert mich überhaupt nicht. Die habe ich bei Ihnen auch nicht vorausgesetzt. Im Moment unterhalte ich mich mit den Sozialdemokraten.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Entschuldigung, Herr Lehrer, daß wir so vorlaut dazwischenplärren! — Weitere Zurufe)

    Auf diesem Hintergrund wird es interessant sein, welche grundsätzliche Stellung die SPD der Familie geben wird. Immerhin ist es ja so, daß in ihrer Theoriezeitschrift „Die Neue Gesellschaft" in den 70er Jahren über diesen Stellenwert philosophiert und auch geschrieben wurde. In der „Neuen Gesellschaft" habe ich in den 70er Jahren — in der damaligen familienpolitischen Auseinandersetzung — gelesen, daß die Familie der Ort erster Verformung und Beschädigung des Potentials der geistigen und moralischen Kräfte sei, die das menschliche Wesen unverzüglich und vom ersten Lebenstage an erfährt. Nach diesen Ausführungen — die man beliebig ergänzen könnte — ist die Familie der Ort, an dem schon in der Kindheit die geistige und seelische Verkrüppelung der Menschheit vollzogen wird, die sich von einer Generation auf die nächste fortpflanzt.
    Frau Fuchs, was in den Familienberichten der alten Regierung stand, ist Ihnen j a bekannt: Die Erziehung der Kinder ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe besonderer Art und Bedeutung; die Wahrnehmung dieser Aufgabe überträgt unsere Gesellschaft Familien und außerfamiliären pädagogischen Einrichtungen.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Im ersten Entwurf der damaligen Bundesregierung zur Regelung des Rechts der elterlichen Sorge hatte es geheißen: Der junge Mensch muß aus der Fremdbestimmung der Eltern befreit werden.
    Sie verstehen jetzt vielleicht, warum ich den philosophischen Zusammenhang hergestellt habe:

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Erklären Sie es!)

    Ich stelle fest, daß Vorstellungen, wie sie dort formuliert worden sind — und ich richte an Sie die Frage, was Sie in der Grundwertekommission und bei der Erarbeitung des neuen Godesberger Grund-



    Bundesminister Dr. Geißler
    Satzprogramms zu dieser Problematik sagen —, daß solche Begriffe und solche Theorien im Widerspruch zu der Auffassung unserer Verfassung und zum Verständnis unserer Freiheit stehen; sie haben in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung meiner Auffassung nach nichts verloren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wissen ja, daß dies weit in die Bildungspolitik hineinreicht. Ich halte es, um dies nebenbei zu sagen, im Verhältnis von Familie und Schule ebenfalls für einen Ansatz totalitären Denkens, wenn unter dér Überschrift der Konflikttheorie und der Konfliktpädagogik in manchen Schulen, die unter der Verantwortung sozialdemokratischer Kultusminister stehen, sozialistische Pädagogen darangehen, die Kinder gegen die eigenen Eltern aufzuwiegeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Eine Relativierung des Stellenwerts der Familie und die totale Kollektivierung und Verstaatlichung der Erziehung widersprechen jedenfalls dem Grundgesetz und seinem Freiheitsverständnis.

    (Zurufe von der SPD)

    Sie widersprechen seinem Freiheitsverständnis! Freiheit ist für uns nicht — wie es Willy Brandt einmal klassisch als sozialistisches Freiheitsverständnis formuliert hat — das Ergebnis gesellschaftlicher Leistung, sondern personal verantwortete Freiheit, Selbstverantwortung und Mitverantwortung in der Gemeinschaft, das sind die klassischen Tugenden und Verhaltensweisen, wie sie in der Familie erfahren und erlernt werden können und wahrscheinlich anderswo nicht.
    Deswegen bedeutet für uns die Familie auch kein Hindernis bei der Emanzipation der Frau, wie es im Orientierungsrahmen '85 bei der SPD noch dargestellt worden ist. Die Familie ist für uns der wichtigste Ort der Gleichberechtigung und der Partnerschaft, aber auch der Ort individueller Geborgenheit, der Sinnvermittlung und der freien Entfaltung in der Gemeinschaft.
    Bildung kann für uns infolgedessen nicht Indoktrination bedeuten, sondern hat die Aufgabe, den Menschen zu einem Leben in Selbstverantwortung und Mitverantwortung zu befähigen.

    (Duve [SPD]: Außerordentlich differenziert, was Sie da sagen!)

    Deswegen widersprecht es — ich wiederhole das — unserem Verständnis von Bildung,

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    daß sozialdemokratische Kultusminister es mit ihrer Verantwortung auch gegenüber der Familie für vereinbar halten, daß sie Eltern zwingen, die Kinder in der Schule gegen ihr Gewissen der Erziehung von Extremisten anzuvertrauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Dies hat etwas mit Gewissensfreiheit zu tun. Wir
    haben den Artikel 4. Dort steht in Abs. 3: „Niemand
    darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der
    Waffe gezwungen werden." Die Christlich Demokratische Union achtet die Gewissensfreiheit, einen Verfassungsgrundsatz. Dieser Grundsatz ehrt die Verfassung und diesen Staat.

    (Conradi [SPD]: Gilt nicht für Kommunisten!)

    Wir sind das einzige Land, in dem diese Gewissensfreiheit der Wehrdienstverweigerer in der Verfassung verankert ist. Wenn aber die Gewissensfreiheit einen so hohen Rang hat, daß junge Menschen das Verfassungsrecht bekommen, sich gegen eine allgemeine Staatsbürgerpflicht zu wenden und sich davon befreien lassen zu können, dann muß diese Gewissensfreiheit auch im Rahmen einer anderen staatsbürgerlichen Pflicht, nämlich der allgemeinen Schulpflicht, gegenüber sozialdemokratischen Kultusministern gelten,

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN — Lebhafte Zurufe bei der SPD)

    die mit dem Mittel der allgemeinen Schulpflicht Eltern gegen ihr Gewissen zwingen wollen, ihre Kinder dem Unterricht von Neonazis oder Kommunisten anzuvertrauen. Dies muß einmal gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Oh-Rufe bei den GRÜNEN — Duve [SPD]: Außerordentlich differenziert, was Sie da sagen!)

    Ich stelle hier den Zusammenhang her zwischen konkreten politischen Aussagen und Entscheidungen und dem politischen Hintergrund und Menschenbild, auf dem eine Politik aufgebaut ist.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht auf die Einzelheiten der gestrigen Debatte zurückkommen. Ich möchte hier nur noch kurz auf die Rede des Kollegen Apel eingehen, der stolz vermerkt hat, er habe während seiner Zeit als Finanzminister dem Bundestag vier Haushalte vorgelegt. Ich will jetzt nicht sagen, das waren vier zuviel, obwohl auch das die Wahrheit ist. Er hat gesagt — und deswegen komme ich auf diesen Punkt zurück —: „Dem Staat darf das Kind des Millionärs" — und das hat er als Vorwurf gegen die Christlich Demokratische Union, gegen die Christlich-Soziale Union und gegen die Freien Demokraten gewendet — „nicht zweieinhalbmal soviel wert sein wie das Kind des Durchschnittsverdieners."

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der SPD: Mit Recht!)

    Diesem Satz zolle ich Beifall. Dieser Satz ist absolut richtig. Aber Herr Apel hat auch hier bewiesen, daß er nun einmal keine glückliche Hand hat, die Fakten mit der Wahrheit in Einklang zu bringen. Er hat nämlich ganz einfach weggelassen — auch ein Vertreter der Halbwahrheiten, die dann zu einer totalen Lüge und Unwahrheit werden —, daß der Familienlastenausgleich aus Kindergeld und Kinderfreibeträgen besteht. Für die Familien ist allein interessant, was unter dem Strich für sie herauskommt, also was Kinderfreibetrag und Kindergeld zusammen in Mark und Pfennig im Portemonnaie des einzelnen bedeuten. Er hat eine politische Ent-



    Bundesminister Dr Geißler
    scheidung schlechthin, man kann nur sagen: unterschlagen; denn ich kann bei ihm nicht unterstellen, daß er dies nicht gewußt hat. Er hat nämlich unterschlagen, daß die Christlich Demokratische Union, die Christlich-Soziale Union und die FDP eine Entscheidung durchgesetzt haben, zu der Sie nicht in der Lage gewesen sind, obwohl Sie das vielleicht partiell auch gewollt haben — Frau Huber z. B. —, daß wir nämlich in einer Zeit knapper Kassen einem Hilfsarbeiter oder einem, der durchschnittlich verdient, nicht zumuten können, daß man ihm das Kindergeld kürzt, was Sie 1981 getan haben,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    daß wir aber sehr wohl einem, der brutto 62 000 DM und mehr verdient, für eine befristete Zeit zumuten können, daß er auf 30 DM Kindergeld verzichtet. Das haben wir getan. Wir haben Einkommensgrenzen beim Kindergeld eingeführt.

    (Zurufe von der SPD)

    Im übrigen möchte ich Ihnen vorschlagen: Überprüfen Sie Ihre sonstige Sozialpolitik, was Lernmittelfreiheit anbelangt und Schülerbeförderung, wichtige soziale, bildungspolitische Leistungen z. B. in unseren Ländern. Ich bin aber auch hier der Auffassung, daß wir von einer Politik der Gießkanne Abschied nehmen sollten. Leute, die ein hohes Einkommen haben = wir als Abgeordnete und ich als Minister haben ein hohes Einkommen; ich habe drei Kinder —, können die Schulbücher und die Fahrtkosten für ihre Kinder aus der eigenen Tasche bezahlen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich brauche mir so etwas nicht vom Staat finanzieren zu lassen.
    Deswegen haben wir diese Entscheidung getroffen. Deswegen kann überhaupt nicht die Rede davon sein, daß das, was Herr Apel gestern gesagt hat, der Wahrheit entspricht: daß ein Millionär das Zweieinhalbfache eines Arbeitslosen erhält. Bei unserer Regelung wird einem Arbeitslosen mit drei Kindern im Monat 505 DM Kindergeld einschließlich des Kindergeldzuschlags gezahlt. Der Spitzenverdiener — jetzt rede ich noch nicht einmal vom Millionär; bei dem wäre es genauso — mit 280 000 DM Einkommen im Jahr erhält demgegenüber nur 260 DM Kindergeld im Monat. Das hätte Herr Apel doch wissen müssen. Zusammen mit der Steuerermäßigung durch den Kinderfreibetrag in Höhe von 348 DM ergibt das unter dem Strich 608 DM.

    (Conradi [SPD]: Der braucht es auch!)

    Also: Der Millionär bekommt 260 DM Kindergeld und 348 DM Steuerfreibetrag und der Arbeitslose, 505 DM Kindergeld.

    (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Diese Logik müssen Sie mir erklären!)

    Ich möchte gerne einmal wissen, wo das Zweieinhalbfache des Herrn Apel geblieben ist. Meine sehr
    verehrten Damen und Herren, Herr Apel hat hier schlicht die Unwahrheit gesagt.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Den hat schon wieder das Pferd getreten!)

    Es war eine wichtige Entscheidung, die Kinderfreibeträge einzuführen, auch in der familienpolitischen Diskussion. Es ist richtig, daß die CDU der Abschaffung der Freibeträge zum 1. Januar 1975 zugestimmt hat, aber doch nur aus einem Grunde, den wir auch im Bundesrat in einer Entschließung mehrheitlich beschlossen haben. Wir haben gesagt: Die Abschaffung der Kinderfreibeträge ist sozialpolitisch nur zu verantworten, wenn das Kindergeld jährlich dynamisiert wird. Sie wissen doch, was daraus geworden ist. In den acht Jahren Ihrer Regierungsverantwortung ist da praktisch nichts passiert. Durch die Einführung der Kinderfreibeträge erreichen wir wieder eine Dynamisierung des Familienlastenausgleichs. Wenn 50 % der Arbeitnehmer heute in die Progression hineinwachsen, dann bedeutet das, daß für über 50 % der Arbeitnehmer, wenn sie Kinder haben, durch die Kinderfreibeträge eine Erhöhung des Familienlastenausgleichs bewirkt wird.
    Im übrigen: Was soll die sozialpolitische Diskussion im Zusammenhang mit dem Freibetrag? Sie wissen ganz genau, daß sich der Freibetrag so auswirkt. Aber der Mann, der ein höheres Einkommen hat — auch der Facharbeiter, der ein höheres Einkommen als der Hilfsarbeiter hat —, bekommt natürlich mehr auf Grund des Freibetrages. Aber er zahlt vorher auch mehr Steuern. Das müssen Sie doch dazusagen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden mit dieser ' Sozialdemagogie keinen Erfolg haben. Wir haben eine klare familienpolitische Konzeption erarbeitet. Die Bundesregierung hat am 3. Juli 1984 mit dem Familienpaket, mit der neuen Familienpolitik eine Verbesserung mit dem größten Finanzvolumen für die Familien seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.

    (Zuruf von der SPD: Märchenerzähler!)

    Wir werden am 1. Januar 1985 das Kindergeld für die 18- bis 21jährigen, die keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben, wieder einführen. Für viele der jungen Menschen und ihre Eltern wird damit eine Benachteiligung beseitigt, die ihnen sozialdemokratische Familienpolitik zugefügt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir werden ab 1. Januar 1986 eine grundsätzlich neue Weichenstellung in der Familienpolitik herbeiführen, nämlich durch die Einführung eines Erziehungsgeldes in Höhe von 600 DM pro Monat, zunächst für zehn Monate, und ab 1988 für ein Jahr, und zwar für alle Mütter und Väter. Wir nehmen damit Abschied von dem sozialdemokratischen Zweiklassenrecht, daß nämlich nur eine bestimmte Gruppe von Frauen das Mutterschaftsgeld bekommt und die andere nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Bundesminister Dr. Geißler
    Ich werde mich — dies ist noch nicht entschieden — dafür einsetzen, daß die Arbeitsplatzgarantie, die heute beim Mutterschaftsgeld vorhanden ist, auf das Erziehungsgeld ausgedehnt wird. Ich will Ihnen sagen, die Entscheidung von Norbert Blüm, der Beschluß des Kabinetts, befristete Arbeitsverträge zu ermöglichen, ist eine hilfreiche Entscheidung, im übrigen nicht nur für Wehrpflichtige, sondern vor allem für Mütter, die ein Baby bekommen haben, denn der Unternehmer ist jetzt leichter in der Lage, eine Ersatzkraft einzustellen.
    Der Kinderfreibetrag wird, wie bereits gesagt, auf 2 484 DM erhöht. Als völlig neue Leistung innerhalb des Familienlastenausgleichs führen wir einen Kindergeldzuschlag bis zur Höhe von 45 DM für alle Familien ein, und zwar zusätzlich zum Kindergeld, die vom Steuerfreibetrag nicht oder nicht in voller Höhe profitieren. Das bedeutet z. B. beim Kindergeld für das erste Kind nahezu eine Verdoppelung von jetzt 50 DM auf künftig 95 DM, und auch jedem weiteren Kind kommen diese mindestens 45 DM zugute. Wir werden das Baukindergeld verbessern. Allein dies alles zusammengenommen, was ich gerade gesagt habe, bedeutet ein Mehr im Familienlastenausgleich in der Größenordnung von über 8 Milliarden DM.
    Ich begrüße außerordentlich, daß der Bundeskanzler gestern noch einmal klar erklärt hat, daß diese Koalition auch in dieser Legislaturperiode die Anerkennung der Erziehungsjahre in der Rentenversicherung beschließen will.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Damit — ich darf dies einmal auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion sagen — werden wichtige, entscheidende Forderungen der Christlich Demokratischen Union zusammen mit den Freien Demokraten — was ich dankbar begrüße — realisiert. Die Einführung des Erziehungsgeldes, die Anerkennung der Erziehungsjahre sind wichtige Elemente unserer Familienpolitik gewesen, die früher keine Chance gehabt haben, weil die parlamentarischen Mehrheiten dafür nicht vorhanden gewesen sind. Sie sind gleichzeitig ein Beitrag zur Gleichberechtigung, zu mehr Wahlfreiheit für die Frauen. Diese familienpolitischen Entscheidungen- schreiben niemandem vor, weder dem Vater noch der Mutter, welche Aufgabe und welche Rolle sie übernehmen sollen. Wir wollen mit diesen Entscheidungen in der Familienpolitik — eine große Entscheidung angesichts knapper Kassen — erreichen, daß diejenigen, die sich für die Aufgabe in der Familie, für die Erziehung der Kinder entscheiden, endlich von ihrer massiven Benachteiligung befreit werden, in der sie sich bis auf den heutigen Tag noch befinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit dieser grundsätzlichen Weichenstellung, glaube ich, haben wir einen entscheidenden Beitrag auch zum sozialen Frieden geleistet. Die Kürzungen, die vorgenommen werden mußten, waren im übrigen auch Kürzungen, die einen wichtigen Beitrag für die kommenden Generationen geleistet haben, denn Abbau der Staatsverschuldung bedeutet gleichzeitig eine Verringerung der Ausbeutung der nach uns kommenden Generationen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dies ist ebenfalls im Zusammenhang mit unserer Aufgabe zu sehen, einen Grundwiderspruch unserer Zeit aufzuheben und zu lösen, einen Grundwiderspruch, der darin besteht, daß die Interessen der Gegenwart gegenüber denen der Zukunft dominieren. Wir haben durch unsere Familienpolitik einen entscheidenden Beitrag geleistet. Ich bin davon überzeugt, daß das Parlament in seiner Mehrheit den Vorschlägen der Bundesregierung folgen wird, daß die Interessen der Zukunft, die Interessen unserer Kinder und der jungen Menschen wieder ein größeres Gewicht bekommen gegenüber den Interessen der Gegenwart, als das in den letzten Jahren der Fall gewesen ist.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)