Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was aus den Mauern türkischer Gefängnisse über die Lage der Gefangenen zu uns dringt, löst Empörung aus. Es betrifft Zivilgefängnisse wie Militärgefängnisse. Erschütternd ist bereits die menschenverachtende und -unwürdige Behandlung bei dem, was dort wohl normaler Gefängnisalltag ist. Noch Erschreckenderes wird über die Lage der Gefangenen in den türkischen Militärgefängnissen berichtet. Direkt Betroffene, Angehörige oder Zeugen berichten, wie die Gefangenen dahinvegetieren, in überfüllten Räumen ohne ausreichende Schlafgelegenheit, bei Hitze und Kälte, unappetitlicher und mangelhafter Verpflegung, bei Gestank von Abfällen und Fäkalien. Es wird berichtet, daß Menschen mit Fäusten geschlagen, mit Fußtritten mißhandelt, mit Ketten geknebelt und mit Gewehrkolben traktiert werden. Es gibt Berichte über Folterungen durch Schläge mit Plastikschläuchen, Bewerfen und Belasten mit schweren Sandsäcken, Aufhängen an den Händen, Elektroschocks an Zunge, Körper und Genitalien, Schläge mit Holz- und Gummiknüppeln auf Hände und Fußsohlen, Bastonaden, Zwangslaufen auf Glasscherben, Eintauchen verwundeter Füße in Salzwasser und Scheinhinrichtungen. Besondere Brutalität zur Unterdrückung der ethnischen Minderheit der Kurden herrscht im Gefängnis von Diyarbakir. Dort soll erst in jüngster Zeit eine neue Folterzentrale eingerichtet worden sein.
Es ist unsere Aufgabe — wir haben es hier heute getan —, der Stimme der Gefangenen, die im Getriebe der Folter gegen den Tod kämpfen, Gehör zu verschaffen.
Internationale Proteste und Besuchergruppen haben bei aller Verhärtung der türkischen Strukturen dennoch in begrenztem Maß für die politischen Gefangenen eine Schutzwirkung. Einige — meist bekanntere — Betroffene haben ihr Überleben den
zahlreichen Interventionen aus dem Ausland zu verdanken. Aber auch die vielen leidenden Namenlosen brauchen unsere Fürsprache.
Proteste dürfen nicht zur diplomatischen Routine oder gar zu Pflichtübungen am Rande von deutschtürkischen Regierungskontakten werden, sondern das Drängen auf die Achtung der Menschenrechte und die Abschaffung der Folter muß ein zentrales Anliegen unserer Politik gegenüber der Türkei sein und bleiben.
Bei seinem Besuch in der Türkei im letzten Jahr hätte Innenminister Zimmermann zu Beginn fast jedes seiner Gespräche weniger die alte deutschtürkische Waffenbrüderschaft beschwören sollen, sondern er hätte die moralischen Werte betonen sollen, denen sich die Länder der EG verpflichtet fühlen. Wirtschaftliche Stabilisierung und eventuell auch der Aufbau demokratischer Strukturen mögen als Prozeß zu begreifen sein. Der Schutz der Menschenrechte, insbesondere die Abschaffung der Folter in den Gefängnissen, kann unmittelbar erfolgen. Es muß von der türkischen Regierung nur wirklich gewollt werden.
Demokratie kann nicht herbeigefoltert werden. Niemand hat eine Entschuldigung, Menschen durch Folter zu quälen.