Rede von
Dr.
Jürgen
Warnke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schily, die durch die Meldung einer großen Tageszeitung in Ihnen hervorgerufene Besorgnis über kommunistische Unterwanderung der Bundesregierung wird, so nehme ich an, nach Anhören meiner Ausführungen wieder zerstreut sein.
Im übrigen glaube ich mich erinnern zu können, daß ich der heutigen Morgenpresse gleichfalls eine Qualifikation des Abgeordenten Schily als des Krawattenträgers der GRÜNEN entnommen habe, und möchte Sie zu dieser ehrenvollen Einstufung herzlich beglückwünschen. Sie sind dem Ruf treu geblieben.
— Nun gedulden Sie sich einmal, Frau Kollegin Gottwald.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984 3667
Bundesminister Dr. Warnke
Meine Damen und Herren, im mittelamerikanisch-karibischen Raum ist es in den letzten Jahren zu einer gefährlichen Zunahme innerer und äußerer Konflikte gekommen. Die tieferen Ursachen sind — das ist hier zu Recht herausgestellt worden
— in nicht mehr tragfähigen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen zu suchen; aber die kurzfristigen Aktualisierungen und Verschärfungen dieser Konflikte innerhalb der einzelnen Staaten in Mittelamerika und der Karibik sowie die Internationalisierung sind durch die Unterstützung der Gewaltanwendung von außen herbeigeführt worden. Mit Hilfe von Kuba, Libyen und Ländern des Ostblocks hat Nicaragua eine Aufrüstung und Militarisierung durchgeführt, die ohne geschichtliches Vorbild ist.
— Frau Kollegin Gottwald, Sie sollten nicht außer acht lassen, daß die Streitkräfte Nicaraguas die Nationalgarde Somozas um ein Vielfaches übertroffen haben, zu einem Zeitpunkt bereits, als es noch keine Aufständischen gegen die sandinistische Regierungsjunta gab.
— Sehr richtig, Sie sollten sich die Frage nach Ursache und Wirkung einmal sehr deutlich stellen
und feststellen, daß dieser Regierung nicht nur mit materieller Hilfe, sondern auch in Goodwill und Aufgeschlossenheit Vorschußlorbeeren gegeben wurden, und zwar von allen in diesem Hause vertretenen politischen Kräften, wobei es schon einer gewaltigen politischen Anstrengung seitens der Sandinisten bedurft hat, dies abzuwirtschaften.
Auf dieser Grundlage einer Militarisierung im Innern hat die Regierungspartei FSLN, die heute praktisch die Einheitspartei des Landes ist und die sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnet, ihre Ideologie in Nachbarländer exportiert
und sich auch vor der Unterstützung von Gewalt in Nachbarstaaten — ich nenne als konkretes Beispiel El Salvador — nicht gescheut.
Sie haben hier die Contadora-Initiative angesprochen. Es ist die Furcht vor der destabilisierenden Politik der sandinistischen Regierung, die alle Staaten der Region einigt und die die tiefste und entscheidende Wurzel der Contadora-Initiative darstellt.
Diese Bundesregierung unterstützt die ContadoraInitiative nachdrücklich und vorbehaltlos, und ebenso genießt die Contadora-Initiative die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir begrüßen diese Unterstützung, und wir sind der Meinung, daß die Länder der Contadora-Gruppe einen guten Schritt getan haben, der allerdings seinen Erfolg nur dadurch haben konnte, daß die politischen Rahmenbedingungen den Nicaraguanern gezeigt haben: Es tut nicht gut, auf die Dauer gegen die Grundlagen internationaler Gesittung zu verstoßen.
Im Gegensatz zur sozialdemokratischen Regierungspolitik gegenüber El Salvador hat die Bundesregierung dennoch die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Nicaragua nicht abgebrochen. Die Bundesregierung führt diese Zusammenarbeit fort. Sie will keine Entwicklungsruinen in diesem Land; aber sie stellt auch klar heraus: Neuzusagen können nur erteilt werden, wenn klargestellt ist, daß sich die Junta nachhaltig von der Politik der Destabilisierung abwendet.
Die Bundesregierung zieht damit die Konsequenz aus der Tatsache, daß sich die sandinistische Regierung trotz außerordentlich großzügiger wirtschaftlicher Hilfe seitens der westlichen Industrienationen auf den Kurs der massiven Militarisierung begeben hat und in die Richtung der Unterstützung Kubas und des Ostblocks abgedriftet ist.
Die Bundesregierung hält die in der Frage 12 der Großen Anfage der sozialdemokratischen Fraktion liegende Unterstellung, die sandinistische Regierung habe in Nicaragua die Prinzipien der Blockfreiheit und des politischen Pluralismus aufrechterhalten, für schlicht und einfach wirklichkeitsfremd.
Die Bundesregierung verurteilt in gleicher Weise wie die Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua — der Fall der Misquitos ist hier genannt worden — die Menschenrechtsverletzungen im benachbarten El Salvador durch die Extremisten von rechts und von links. Sie steht aber ebenso eindeutig zu denjenigen politischen Kräften El Salvadors, die bereit sind, den Menschenrechten unter Einsatz ihres eigenen Lebens in diesem Lande wieder Geltung zu verschaffen. Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador wird daher gezielt wieder aufgenommen. Frau Kollegin Gottwald, es gibt keine Auszahlungsanweisungen für aktuelle Projekte in El Salvador. Wir warten ab, ob die Wahlen
3668 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984
Bundesminister Dr. Warnke
in diesem Land stattfinden, ob sie demokratisch durchgeführt werden, ob das Ergebnis eines ist, das unserer Zielsetzung, Stärkung der Menschenrechte in Salvador, konform ist. Dann werden wir unsere Entscheidung treffen nach genau dem gleichen Maßstab, wie wir in Nicaragua die Entscheidung treffen werden: ob sich das Land in Zukunft nachhaltig von der Destabilisierung abwendet oder nicht.