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    Plenarprotokoll 10/51 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 51. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984 Inhalt: Begrüßung einer Delegation der türkischen Nationalversammlung 3663 B Aktuelle Stunde betr. Umwelt- und Gesundheitsgefährdung durch chlorierte Kohlenwasserstoffe Frau Dr. Hickel GRÜNE 3623 B Boroffka CDU/CSU 3624 B Frau Dr. Hartenstein SPD 3625 B Baum FDP 3626 B Dr. Göhner CDU/CSU 3627 A Duve SPD 3627 D Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . 3628 C Müller (Düsseldorf) SPD 3629 C Fellner CDU/CSU 3630 C Lennartz SPD 3631 C Dr. Hirsch FDP 3632 C Sauermilch GRÜNE 3633 C Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 3634 B Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 3635A Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wischnewski, Herterich, Bindig, Dr. Holtz, Voigt (Frankfurt) und der Fraktion der SPD Lage in Mittelamerika — Drucksache 10/279 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Entwicklungsprogramm Karibik und Zen- tralamerika — Drucksache 10/239 — Wischnewski SPD 3636 A Klein (München) CDU/CSU 3642 C Schäfer (Mainz) FDP 3646 A Frau Gottwald GRÜNE 3650 A Genscher, Bundesminister AA 3654 B Dr. Holtz SPD 3659 C Lamers CDU/CSU 3663 B Dr. Warnke, Bundesminister BMZ . . 3666 D Frau Luuk SPD 3669 D Dr. Pinger CDU/CSU 3672 B Dr. Rumpf FDP 3675A Vizepräsident Frau Renger 3642 B Nächste Sitzung 3676 D Anlage I Liste der entschuldigten Abgeordneten 3677* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 3677* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984 3623 51. Sitzung Bonn, den 27. Januar 1984 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein 27. 1. Dr. Ahrens * 27. 1. Frau Dr. Bard 27. 1. Berschkeit 27. 1. Bohl 27. 1. Brosi 27. 1. Brück 27. 1. Büchner (Speyer) * 27. 1. Dr. von Bülow 27. 1. Dr. Dollinger 27. 1. Dr. Dregger 27. 1. Dreßler 27. 1. Duve 27. 1. Dr. Ehmke (Ettlingen) 27. 1. Ertl 27. 1. Gallus 27. 1. Gerstl (Passau) * 27. 1. Dr. Götz 27. 1. Grünbeck 27. 1. Haar 27. 1. Handlos 27. 1. Hartmann 27. 1. Dr. Hauchler 27. 1. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 1. Heimann 27. 1. Herkenrath 27. 1. Jansen 27. 1. Kirschner 27. 1. Kolbow ** 27. 1. Dr. Kreile 27. 1. Kretkowski 27. 1. Kroll-Schlüter 27. 1. Dr. h. c. Lorenz 27. 1. Lowack 27. 1. Lutz 27. 1. Dr. Mertes (Gerolstein) 27. 1. Dr. Meyer zu Bentrup 27. 1. Dr. Müller 27. 1. Müller (Wadern) 27. 1. Offergeld 27. 1. Petersen ** 27. 1. Reuschenbach 27. 1. Rohde (Hannover) 27. 1. Dr. Rose 27. 1. Roth (Gießen) 27. 1. Schluckebier 27. 1. Schmidt (Hamburg) 27. 1. Schmidt (Wattenscheid) 27. 1. Frau Schoppe 27. 1. Schröder (Lüneburg) 27. 1. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 27. 1. Spilker 27. 1. Dr. Stark (Nürtingen) 27. 1. Stücklen 27. 1. Tietjen 27. 1. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Vahlberg 27. 1. Verheugen 27. 1. Voigt (Sonthofen) 27. 1. Weisskirchen (Wienloch) 27.1. von der Wiesche 27. 1. Wissmann 27. 1. Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 18. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung über die nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 14 22 Tit. 559 31 - NATO-Frühwarnsystem AWACS - - Drucksache 10/699 - Unterrichtung durch die Bundesregierung Einwilligung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 15 02 Tit. 652 11 des Haushaltsjahres 1983 (Beihilfen an junge Zuwanderer für ihre Schul- und Berufsausbildung) - Drucksache 10/623 - Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1983; hier: Einwilligung zu einer üpl. Ausgabe bei Kap. 11 12 Tit. 681 01 - Arbeitslosenhilfe (Alhi) - Drucksache 10/734 - Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1983; hier: Einwilligung zu einer üpl. Ausgabe bei Kap. 11 11 Tit. 682 01 - Erstattung von Fahrgeldausfällen - Drucksache 10/735 - Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 24. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Steuerliche und finanzielle Maßnahmen zur Investitionsförderung - Drucksache 10/133 Nr. 9 - Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 24. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende EG-Vorlage zur Kenntnis genommen hat: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Schutz der Dialysepatienten durch größtmögliche Verringerung der Aluminiumexposition - Drucksache 10/376 Nr. 74 - Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 19. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden, bereits verkündeten EG-Vorlage absieht: Vorschlag einer Verordnung (EURATOM, EGKS, EWG) des Rates zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften sowie der Berichtigungskoeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge anwendbar sind - Drucksache 10/873 Nr. 29 - Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 18. Januar 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Beratung der nachstehenden, bereits verkündeten EG-Vorlage absieht: Vorschlag für einen Beschluß des Rates über die Anwendung des Beschlusses zur Ermächtigung der Kommission, im Rahmen des neuen Gemeinschaftsinstruments Anleihen zur Investitionsförderung in der Gemeinschaft aufzunehmen - Drucksache 10/92 Nr. 24 - Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 19. Januar 1984 unter Bezug auf § 17 Abs. 5 Postverwaltungsgesetz den Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1984 übersandt. Der Voranschlag liegt im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, ich möchte weiterkommen.
    Es ist zu recht darauf verwiesen worden, daß wir in unseren Gesprächen in Nicaragua — Herr Kollege Wischnewski, ich glaube, das tun alle, auch Sie
    — immer wieder auch denen, die dort glauben, mit dem Kopf durch die Wand rennen zu können, klar-
    3648 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984
    Schäfer (Mainz)

    machen, daß die selbstgewählten Ziele dieser großen Revolution auch verwirklicht werden müssen, nämlich Pluralismus, gemischte Wirtschaft, Blockfreiheit. All dies ist eine Zielsetzung — Herr Wischnewski, hier stimmen wir überein —, die wir bei all unseren Gesprächen, die wir in Managua geführt haben und noch führen werden, immer wieder fordern.
    Meine Damen und Herren, wir müssen hier ganz eindeutig feststellen: Das Ziel der Revolution in Nicaragua konnte nur erreicht werden, weil alle demokratischen Parteien an dem Kampf gegen die Diktatur beteiligt waren und nicht nur die Frente Sandinista

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    und weil die amerikanische Regierung Carter Herrn Somoza fallen ließ. Auch das bitte ich zu berücksichtigen.
    Dazu kommt, daß beim Wiederaufbau Nicaraguas 80 % der gesamten Hilfe aus westlichen Ländern gekommen ist. Auch das muß hier doch einmal positiv dargestellt werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich will auch ganz klar sagen — gegen alle die, die Nicaragua in Bausch und Bogen verdammen —: Wir müssen natürlich auch positive Maßnahmen in Nicaragua zur Kenntnis nehmen, z. B. eine sogar von Robelo, einem oppositionellen Parteiführer, der jetzt im Ausland lebt, mir gegenüber in einem langen Nachtgespräch in der deutschen Botschaft gelobte und gute Alphabetisierungskampagne, eine Landreform, die immerhin 87 % in privaten Händen belassen hat, und eine Fülle sozialer Maßnahmen, die von dieser Regierung eingeleitet worden sind, allerdings mit Ungeschick gegenüber den MizquitoIndianern, wo man traditionelle Werte im Verlauf dieser etwas missionarischen Tätigkeit mißachtet und dadurch große Probleme hervorgerufen hat.

    (Schwenninger [GRÜNE]: Das ist Medizin! Das sollten Sie nicht vergessen!)

    Meine Damen und Herren, in dieser Junta nach dem Triumph der Revolution waren bürgerliche Politiker wie Robelo und Frau Chamorro Mitglieder. Die tragische Seite dieser Entwicklung ist doch gewesen, daß auch die Sandinisten der typisch lateinamerikanischen Versuchung erlegen sind, die schönen Uniformen nach dem Triumph der Revolution anzubehalten und den Anspruch auf Macht nicht mehr freizugeben, die Macht nicht mehr mit anderen Parteien teilen zu wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist im Grunde das Problem: die schöne olivgrüne Uniform anzubehalten, die auch in anderen Ländern Lateinamerikas immer wieder zum Machtmißbrauch verführt hat.
    Wir sollten nicht den Fehler machen, zwischen Linksdiktaturen und Rechtsdiktaturen hinsichtlich ihrer Sucht nach militärischer Macht und militärischem Einfluß zu unterscheiden. Das muß man auch in Nicaragua ganz klar sehen.

    (Schwenninger [GRÜNE]: Wie ist das bei uns?)

    Meine Damen und Herren, die Verdrängung der bürgerlichen Kräfte und der Opposition in Nicaragua kann nicht geleugnet werden. Es steht fest, daß schon 1980 begonnen worden ist, Kritiker der Somoza-Regierung, aber auch bürgerliche Kräfte auszubooten. Wir wissen, daß Teile der Junta ausgeschieden sind, zum Teil das Land verlassen mußten.
    Wenn Roberto de la Cruz, ein Mann von wirklich großem Format, der noch 1981 in die Junta eingetreten ist und ein Jahr später ausschied, in einem Artikel in „Foreign Affairs" davon spricht, daß die „Sandinisation" aller Lebensbereiche auch ihn dazu geführt habe auszuscheiden, dann kann man das, so glaube ich, hier nicht einfach vom Tisch wischen, auch nicht bei denen, die für Nicaragua so begeistert sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU)

    Meine Damen und Herren, Herr Ortega hat in großen Reden an manche unrühmlichen Vorbilder erinnert. Spruchbandpathos und militärische Demonstrationen haben in Nicaragua jahrelang das Bild eines sich immer mehr in Richtung auf bestimmte östliche Vorbilder entwickelnden Staates hervorgerufen. Das ist nicht von uns erfunden worden, sondern wir haben das mit einem, so glaube ich, doch tiefen Mißtrauen beobachtet. Hinzu kam die Zensur der oppositionellen Zeitung „La Prensa". Hinzu kam der Waffentransport nach El Salvador, der nicht geleugnet worden ist, und es kamen immer mehr Schikanen gegen Kritiker der Regierung.
    De la Cruz spricht von einer Erosion der Revolution und warnt vor einem Pyrrhussieg, den die Sandinisten errungen haben. Er sagt in einem Satz, der mir sehr gefallen hat und den ich unterstreiche — dieser Satz ist von einem leidenschaftlichen Patrioten dieses Landes gesagt worden —:
    Ich akzeptiere nicht die Unterstellung der Sandinisten, daß Kritik an ihrer Regierung schon Kritik an meinem Vaterland ist und daß die Aktionen ihrer Partei
    — der sandinistischen Partei —
    bereits schon die Aktionen meines Volkes sind.
    Ich glaube, de la Cruz hat recht.
    Meine Damen und Herren, gegen den totalitären Anspruch der Sandinisten, sich mit dem Volk von Nicaragua zu verwechseln, müssen auch wir protestieren.
    Meine Damen und Herren, wenn de la Cruz den Zustand seines Landes 45 Monate nach der Revolution beschreibt als eine Entzweiung zwischen den Menschen, als eine in Scherben gegangene Wirtschaft, als eine immer mehr zunehmende Kriegsgefahr, die die gleiche Intensität besitze wie vor dem Ende Somozas, dann, meine ich, ist diese Kritik angebracht und kann nicht nur Außenstehenden,



    Schäfer (Mainz)

    sondern muß auch den Sandinisten angelastet werden.
    Meine Damen und Herren, so sehr wir zwischen den Vorgängen zu unterscheiden haben, die dazu geführt haben, daß es in Nicaragua zu solchen Aktionen von außen gekommen ist: Ich bin auch mit de la Cruz der Meinung, daß die USA sehr deutlich unterscheiden müssen zwischen Contras, die sich hauptsächlich zusammensetzen aus „ehemaligen Nationalgardisten Somozas" und „bewaffneten Dissidenten", die Gegner der Junta geworden sind und die zum Teil selber Sandinisten gewesen sind. Eine Unterstützung der Contras — da ist ja auch die Kritik im amerikanischen Kongreß sehr groß — schwächt, so de la Cruz, die gemäßigten Kräfte im Land, auch unter den Sandinisten, stärkt dagegen die Rolle der Extremisten. — Das kann ja wohl keine sinnvolle Außenpolitik sein, meine Damen und Herren. Deshalb teile ich auch hier die Meinung der Kritiker in den Vereinigten Staaten, die sagen: Wir wollen diese bedeckten Aktionen des CIA nicht mehr, denn sie führen im Grunde nicht weiter.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Es besteht die Gefahr, daß die internationale Sympathie für eine sich doch zum Teil nicht erfreulich gebärdende Regierung durch solche bewaffnete Einmischung von außen eher verstärkt wird und daß der Wandel zurück zur Vernunft erschwert wird. Wir sagen hier alle miteinander vollkommen zu Recht: Allein die Contadora-Lösung kann auf Dauer eine Befriedung dieser Region bringen. Ich bin sehr froh, daß die Sandinisten erkennen lassen, daß sie bereit sind, einzulenken. Das wird übrigens auch in den Vereinigten Staaten nicht bestritten. Es gibt Hinweise: die Unterzeichnung des Contadora-Abkommens in Panama, die Ankündigung freier Wahlen — wenn auch sehr spät, aber immerhin für 1985 —, Amnestie für bewaffnete Gegner des Regimes, eine drastische Verminderung der kubanischen Berater, auch die Bereitschaft zum Dialog mit den Nachbarländern und auch der angekündigte Verzicht auf Waffenlieferungen. Dies macht doch deutlich, daß man auch auf sandinistischer Seite bereit ist — weshalb auch immer, will ich hier nicht untersuchen; Botschafter Stone hat dafür entsprechende Erklärungen — einzulenken. Jetzt kommt es darauf an, diese Versprechungen in die Tat umzusetzen. Nichts anderes sagt die Bundesregierung in ihrer heutigen Antwort, als daß sie das abwarten will und die Entwicklungshilfe dann fortsetzen möchte.
    Botschafter Stone hat mir im vorigen Jahr in Washington auch gesagt: Wenn es bei freien Wahlen einen Sieg der Sandinisten gibt, wenn die Sandinisten endlich bereit sind, die Opposition zuzulassen und eine freie Presse zu gewähren, werden auch die Vereinigten Staaten ihre Entwicklungshilfe wiederaufnehmen. Aber es muß zu diesen freien Wahlen kommen.
    Herr Bundesaußenminister, ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal dringend empfehlen, einen Vorschlag der Liberalen Internationale aufzugreifen, die im vergangenen Jahr in Stockholm beschlossen hat: Im Grunde müßten sowohl in Nicaragua als auch in El Salvador freie Wahlen international kontrolliert, nicht nur observiert durchgeführt werden.

    (Beifall bei der FDP)

    Das heißt: Schon in der Vorstufe — hier böte ja beispielsweise die Contadora-Gruppe eine Möglichkeit — muß den Gegnern der jeweiligen Regimes Gelegenheit gegeben werden, ihren Wahlkampf mit größtmöglicher Sicherheit für ihre Person zu führen. Ich glaube, das ist die wichtigste Voraussetzung, nicht aber die Durchführung der Wahlen selbst und die Beobachtung von Leuten, die ihren Zettel in eine Wahlurne werfen. Ich meine, hier ist ein wichtiger politischer Ansatzpunkt.
    Meine Damen und Herren, ich bin überhaupt der Meinung, wir sollten und könnten unseren Einfluß auf die gemäßigten, uns nahestehenden Parteien durch die drei Internationalen — sowohl durch die Sozialistische als auch durch die Liberale und die Christdemokratische — mehr geltend machen.
    Ich darf noch etwas zu der europäischen Bemühung, Hilfe für diesen Bereich zu leisten, sagen. Nehmen wir uns einmal ein Beispiel am Ostblock. Dann werden wir die erschreckende Feststellung machen, wie viele Stipendien einerseits der Ostblock an junge Leute in Nicaragua gibt — auch an Facharbeiter — und wie wenig andererseits der Westen bisher in der Lage war, solche Stipendien zu verleihen. Das wäre ein friedliches Mittel, um jungen Menschen in Nicaragua zu helfen.

    (Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Ich darf Ihnen auch sagen, daß mir Botschafter Stone, der Sonderberater des Präsidenten, hier ausdrücklich zugestimmt hat: Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt ganz konkreter europäischer und amerikanische Politik.
    Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Sosehr auch das Modell Nicaragua durch die zunehmend totalitären Entwicklungen von seiner anfänglichen Anziehungskraft verloren hat, so sehr gilt sicher der Satz eines Professors aus Princeton, der neulich in „Foreign Affairs" einen, wie ich meine, hervorragenden Artikel über die Situation in diesen Ländern geschrieben hat. Professor Ullman sagt, es komme in den Nachbarländern Nicaraguas mehr darauf an, die Ungerechtigkeiten, die dort bestehen, zu beseitigen, als eine Art Heiligen Krieg gegen Nicaragua führen zu wollen. —

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich glaube, hier liegen die Möglichkeiten. Ich wiederhole, was in der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck kommt und was der Bundesaußenminister — auch bei seiner Konferenz mit den deutschen Botschaftern in San José — immer wieder gesagt hat: Wir wollen eine friedliche Lösung. Diese Bundesregierung — ich glaube, das ganze Parlament wird die Bundesregierung dabei unterstützen — ist entschlossen, ihren außenpolitischen und entwicklungspolitischen Kurs für eine friedliche Lö-
    3650 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984
    Schäfer (Mainz)

    sung und gegen den Wahn militärischer Optionen fortzusetzen. — Vielen Dank.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Gottwald.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gabriele Gottwald


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das heutige Thema der Debatte heißt „Karibik und Zentralamerika — Politik der Bundesregierung". Die Politik der Bundesregierung gegenüber dieser Region ähnelt meiner Meinung nach einem echten Trauerspiel. Nachdem ich gestern die Antwort der Regierung auf die Große Anfrage der Sozialdemokraten gelesen hatte, habe ich mich gefragt, ob die Regierung dieses Parlament eigentlich für dumm verkaufen will.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist ein Zustand erreicht, in dem nicht nur der größte Teil der für die Zentralamerikapolitik verantwortlichen Regierungsmitglieder offensichtlich kaum ausmachen kann, in welchem Teil der Welt sich diese Region befindet, sondern in dem auch alle Hemmungen fallengelassen worden sind und die Bundesregierung keine noch so peinliche Antwort auf Anfragen mehr scheut.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: An Peinlichkeit sind Sie nicht zu überbieten!)

    — Ich komme noch zu Ihnen, Herr Klein.

    (Heiterkeit bei den GRÜNEN — Schily [GRÜNE]: Lieber nicht!)

    Zentralamerika ist die ärmste Region Lateinamerikas mit den größten sozialen Gegensätzen, der größten Armut und Repression und dadurch mit den härtesten politischen Konflikten. Seit dem Versuch Nicaraguas 1979, aus dieser Situation auszubrechen, findet verstärkt eine konsequente Militarisierung der sozialen und politischen Gegensätze in der Region statt.

    (Dr. Pinger [CDU/CSU]: Auch durch Nicaragua!)

    — Die USA, Herr Pinger, führen Krieg in Zentralamerika und der Karibik, um mit allen Mitteln ein zweites Nicaragua zu verhindern.
    Was ist eigentlich am 19. Juli 1979 in Nicaragua passiert? Was hat ein so kleines Land gemacht, daß es den Zorn des mächtigsten Staates der Welt und vieler seiner Bündnispartner auf sich gezogen hat?

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Und die Wirtschaftshilfe damals zugezogen!)

    Nach dem Sturz Somozas wurde in Nicaragua der systematische Versuch unternommen, eine Gesellschaft aufzubauen, die aus der einseitigen Abhängigkeit von den USA und dem Weltmarkt nur ein Stück weit auszubrechen versucht. Das Spezifische an der sandinistischen Revolution ist der Versuch, die Produktion auf die Bedürfnisse der Bevölkerung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des privaten Wirtschaftssektors umzustellen. Das ist wichtig. Das muß man noch einmal sagen.

    (Dr. Pinger [CDU/CSU]: Aber mit welchen Mitteln?)

    Wesentliche Kennzeichen dieser gemischten Wirtschaft sind die Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Produktion, die Agrarreform, die gezielte Produktion von Grundnahrungsmitteln — sehr ungewöhnlich für Mittelamerika — und die Integration der Bauern in die politischen Entscheidungsprozesse.
    Daß die wirtschaftlichen und politischen Umstrukturierungen zu veränderten politischen Machtverhältnissen führten und die ehemaligen Nutznießer der alten Verhältnisse in ihrer Interessendurchsetzung beschnitten wurden, ist unumgänglich und war überdies Sinn und Zweck der Revolution. Das sollte man auch nicht vergessen. Es ist die gleiche Frage, die auch für die anderen Länder Zentralamerikas ansteht. Will man die soziale und politische Situation verändern, dann müssen die Interessengegensätze zugunsten der Mehrheit entschieden werden, die bislang unterdrückt und ausgebeutet wurde.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Dr. Pinger [CDU/CSU]: Aber doch nicht durch eine Ein-ParteienDiktatur!)

    So einfach ist das. Es ist ganz banal eine Frage von Interessen, wobei sich alle zu fragen haben, auf welcher Seite sie eigentlich stehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Nicaragua hat sich entschieden und seine Gegenspieler auch. Es gibt die gemischte Wirtschaft, die zu fast 50 % vom Privatsektor getragen wird, weswegen es im Lande nach wie vor soziale Interessengegensätze gibt, auf denen externe Kräfte ihr Süppchen kochen. Niemals zuvor sind in Nicaragua die Interessengegensätze so öffentlich ausgetragen worden und hat die Opposition ein so breites, sogar internationales Agitationsfeld gehabt. Diesem Land vorzuwerfen, es gewährleiste keinen wirtschaftlichen und politischen Pluralismus, ist absurd. Es gibt in Nicaragua zwar keine politische Demokratie nach westlichem Muster,

    (Dr. Pinger [CDU/CSU]: Aber politische Gefangene!)

    was jedoch nicht bedeutet, daß es keine Partizipation der Bevölkerung an politischen Entscheidungen gibt. In Nicaragua sind große Teile der Bevölkerung viel direkter Träger der sozialen und politischen Prozesse als in der Bundesrepublik.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Geheimpolizisten!)

    Die Voraussetzungen für Demokratie und ihre Formen in der Dritten Welt sind ganz anders als bei uns.

    (Dr. Stercken [CDU/CSU]: Und die Menschenrechte auch?)

    Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984 3651
    Frau Gottwald
    Meine Herren, es ist nicht möglich, am grünen Tisch Entwürfe für Demokratieformen in der Dritten Welt zu machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Aber auch nicht mit einem grünen Pullover!)

    Es ist auch gar nicht nötig. Die Bevölkerung in der Dritten Welt hat ihre eigenen Entwürfe. Sie fallen vielleicht viel direkter aus, als Sie es sich wünschen, wie sich in Nicaragua zeigt. Sie sollten dann aber auch sagen, daß Ihnen diese Modelle nicht passen,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Das sagen wir!)

    und nicht so heuchlerisch vorgeben, Sie sorgten sich um die Armen in der Dritten Welt. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Helfen und Kaffeepflücken sind zweierlei! — Schwenninger [GRÜNE]: Und wenn es nur symbolisch ist!)

    — Mit Ihrer Polemik kommen Sie vielleicht später noch einmal zu Wort.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz auf den Antrag der CDU/CSU und FDP zur Karibikpolitik der Bundesrepublik eingehen, in dem sehr deutlich geschrieben steht:
    Es liegt nicht im Interesse der westlichen Demokratien, daß Diktatur und Unterdrückung in einzelnen Ländern bestehenbleiben ...