Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das heutige Thema der Debatte heißt „Karibik und Zentralamerika — Politik der Bundesregierung". Die Politik der Bundesregierung gegenüber dieser Region ähnelt meiner Meinung nach einem echten Trauerspiel. Nachdem ich gestern die Antwort der Regierung auf die Große Anfrage der Sozialdemokraten gelesen hatte, habe ich mich gefragt, ob die Regierung dieses Parlament eigentlich für dumm verkaufen will.
Es ist ein Zustand erreicht, in dem nicht nur der größte Teil der für die Zentralamerikapolitik verantwortlichen Regierungsmitglieder offensichtlich kaum ausmachen kann, in welchem Teil der Welt sich diese Region befindet, sondern in dem auch alle Hemmungen fallengelassen worden sind und die Bundesregierung keine noch so peinliche Antwort auf Anfragen mehr scheut.
— Ich komme noch zu Ihnen, Herr Klein.
Zentralamerika ist die ärmste Region Lateinamerikas mit den größten sozialen Gegensätzen, der größten Armut und Repression und dadurch mit den härtesten politischen Konflikten. Seit dem Versuch Nicaraguas 1979, aus dieser Situation auszubrechen, findet verstärkt eine konsequente Militarisierung der sozialen und politischen Gegensätze in der Region statt.
— Die USA, Herr Pinger, führen Krieg in Zentralamerika und der Karibik, um mit allen Mitteln ein zweites Nicaragua zu verhindern.
Was ist eigentlich am 19. Juli 1979 in Nicaragua passiert? Was hat ein so kleines Land gemacht, daß es den Zorn des mächtigsten Staates der Welt und vieler seiner Bündnispartner auf sich gezogen hat?
Nach dem Sturz Somozas wurde in Nicaragua der systematische Versuch unternommen, eine Gesellschaft aufzubauen, die aus der einseitigen Abhängigkeit von den USA und dem Weltmarkt nur ein Stück weit auszubrechen versucht. Das Spezifische an der sandinistischen Revolution ist der Versuch, die Produktion auf die Bedürfnisse der Bevölkerung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des privaten Wirtschaftssektors umzustellen. Das ist wichtig. Das muß man noch einmal sagen.
Wesentliche Kennzeichen dieser gemischten Wirtschaft sind die Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Produktion, die Agrarreform, die gezielte Produktion von Grundnahrungsmitteln — sehr ungewöhnlich für Mittelamerika — und die Integration der Bauern in die politischen Entscheidungsprozesse.
Daß die wirtschaftlichen und politischen Umstrukturierungen zu veränderten politischen Machtverhältnissen führten und die ehemaligen Nutznießer der alten Verhältnisse in ihrer Interessendurchsetzung beschnitten wurden, ist unumgänglich und war überdies Sinn und Zweck der Revolution. Das sollte man auch nicht vergessen. Es ist die gleiche Frage, die auch für die anderen Länder Zentralamerikas ansteht. Will man die soziale und politische Situation verändern, dann müssen die Interessengegensätze zugunsten der Mehrheit entschieden werden, die bislang unterdrückt und ausgebeutet wurde.
So einfach ist das. Es ist ganz banal eine Frage von Interessen, wobei sich alle zu fragen haben, auf welcher Seite sie eigentlich stehen.
Nicaragua hat sich entschieden und seine Gegenspieler auch. Es gibt die gemischte Wirtschaft, die zu fast 50 % vom Privatsektor getragen wird, weswegen es im Lande nach wie vor soziale Interessengegensätze gibt, auf denen externe Kräfte ihr Süppchen kochen. Niemals zuvor sind in Nicaragua die Interessengegensätze so öffentlich ausgetragen worden und hat die Opposition ein so breites, sogar internationales Agitationsfeld gehabt. Diesem Land vorzuwerfen, es gewährleiste keinen wirtschaftlichen und politischen Pluralismus, ist absurd. Es gibt in Nicaragua zwar keine politische Demokratie nach westlichem Muster,
was jedoch nicht bedeutet, daß es keine Partizipation der Bevölkerung an politischen Entscheidungen gibt. In Nicaragua sind große Teile der Bevölkerung viel direkter Träger der sozialen und politischen Prozesse als in der Bundesrepublik.
Die Voraussetzungen für Demokratie und ihre Formen in der Dritten Welt sind ganz anders als bei uns.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984 3651
Frau Gottwald
Meine Herren, es ist nicht möglich, am grünen Tisch Entwürfe für Demokratieformen in der Dritten Welt zu machen.
Es ist auch gar nicht nötig. Die Bevölkerung in der Dritten Welt hat ihre eigenen Entwürfe. Sie fallen vielleicht viel direkter aus, als Sie es sich wünschen, wie sich in Nicaragua zeigt. Sie sollten dann aber auch sagen, daß Ihnen diese Modelle nicht passen,
und nicht so heuchlerisch vorgeben, Sie sorgten sich um die Armen in der Dritten Welt. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen.
— Mit Ihrer Polemik kommen Sie vielleicht später noch einmal zu Wort.
Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz auf den Antrag der CDU/CSU und FDP zur Karibikpolitik der Bundesrepublik eingehen, in dem sehr deutlich geschrieben steht:
Es liegt nicht im Interesse der westlichen Demokratien, daß Diktatur und Unterdrückung in einzelnen Ländern bestehenbleiben ...