Rede von
Dr.
Liesel
Hartenstein
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während der Odyssee der Seveso-Giftfässer habe ich an die Bundesregierung die Frage gerichtet, ob sie gedenke, im Hinblick auf Herstellung und Anwendung von Dioxin und dioxinhaltigen Präparaten Konsequenzen zu ziehen, und ob sie bereit sei, ein striktes Verbot auszusprechen. Daraufhin wurde ich vom Bundesminister des Innern belehrt, daß Dioxin bei uns nicht hergestellt werde, jedoch „als unerwünschte Verunreinigung" bei der Produktion des Pflanzenschutzmittels 2,4,5-T anfalle; eine Umweltgefährdung bestehe nicht. Schlußsatz der Minister-Antwort: „Die Frage eines Verbots für die Herstellung und Anwendung von Dioxin und dioxinhaltigen Präparaten stellt sich insofern nicht."
Heute muß ich sagen: Und sie stellt sich doch, Herr Kollege Laufs.
Bei einem Ultragift kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Und wenn Gefahr im Verzuge ist, Herr Kollege Boroffka, dann ist auch aktueller Anlaß für eine Aktuelle Stunde gegeben.
Wenn wir schon wissen, daß wir — teils ahnungslos, teils aber auch reichlich achtlos — seit 1950 und noch länger Gifthalden angehäuft haben, wenn wir schon wissen, daß verseuchte Sickerwässer unser Trinkwasser gefährden können, wenn wir zudem wissen, daß in unserem Land noch mehr als 60 000 PCB-gefüllte Transformatoren vorhanden sind,
— auch hier kann es bei Unfällen, bei Bränden oder Explosionen vorkommen, daß Dioxin freigesetzt wird —
dann müssen sich daraus mindestens zwei Forderungen ergeben: erstens, alles zu tun, um diese Gefahren rasch zu beseitigen
— bitte, hören Sie zu —, zweitens, dafür zu sorgen, daß nicht noch mehr solche schädlichen Stoffe in 1 die Umwelt gelangen.
Dioxin ist hundertmal giftiger als Zyankali. Es ruft die gefürchtete Chlorakne hervor, hat mutagene Wirkung und steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Es kann keinen Grund geben, der es rechtfertigen würde, dioxinhaltige Präparate weiterhin bei uns zu verwenden, zumal inzwischen geeignete Ersatzstoffe vorhanden sind. Hier hilft kein Lamentieren, hier hilft nur schleuniges Handeln.
Sie haben die Instrumente in der Hand: § 17 des Chemikaliengesetzes gibt Ihnen die Ermächtigung, die PCBs durch Verordnung zu verbieten. Tun Sie es! Weiter: Das Herbizid 2,4,5-T muß umgehend aus dem Verkehr gezogen werden. Es reicht nicht aus, daß der Hersteller mitgeteilt hat, daß er die Produktion eingestellt hat; auch Import und Verwendung müssen verboten werden.
Die SPD-Fraktion hat dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Lehnen Sie ihn nicht ab, wie der Bundesrat es mit dem entsprechenden Entwurf Nordrhein-Westfalens unbegreiflicherweise getan hat!
— Darüber reden wir im Ausschuß. —
Was die Altdeponien betrifft, so fordern wir die Regierung auf, erstens in Zusammenarbeit mit den
3626 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1984
Frau Dr. Hartenstein
Ländern für eine systematische Erfassung aller Altablagerungen zu sorgen,
zweitens ein Bund-Länder-Programm zur Sanierung zu erstellen, und drittens zu gewährleisten, daß die Kosten der Sanierung so weit wie möglich und noch feststellbar, vom Verursacher getragen werden.
Dort, wo der Giftmüll produziert wurde und wo enorme Summen verdient wurden und noch werden, muß auch das Geld zur Schadensbeseitigung aufgebracht werden.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine neue Chemiepolitik. Der Kreislauf der Natur ist gewaltig gestört. Selbst in der Muttermilch finden sich PCB-Gehalte, die die Werte der Weltgesundheitsorganisation um das Dreizehnfache überschreiten. — Das ist kein Grund zum Lächeln, das ist ein Alarmsignal!
Wir müssen das Ruder herumreißen und uns darauf besinnen, meine Kolleginnen und Kollegen, daß wir den Verstand nicht zum Zerstören, sondern zum Bewahren der Natur bekommen haben. Nutzen wir die Chance, bevor es zu spät ist!